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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 1. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_025.htm"><FONT SIZE=2>Einleitung</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_054.htm"><FONT SIZE=2>2. Kap.: Kampf zwischen Mutterrecht und Vaterrecht</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 35-53.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">Erster Abschnit</FONT>t<BR>
</I><FONT SIZE=5>DIE FRAU IN DER VERGANGENHEIT</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">Erstes Kapitel </I><BR>
<FONT SIZE=4>Die Stellung der Frau in der Urgesellschaft </P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">1. Hauptepochen der Urgeschichte</P>
</I><B><P><A NAME="S35">|35|</A></B> Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdr&uuml;ckte zu sein. Die Formen dieser Unterdr&uuml;ckung haben im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen L&auml;ndern gewechselt, aber die Unterdr&uuml;ckung blieb. Die Erkenntnis, unterdr&uuml;ckt zu sein, ist auch im Laufe der geschichtlichen Entwicklung &ouml;fter den Unterdr&uuml;ckten zum Bewu&szlig;tsein gekommen und f&uuml;hrte zu &Auml;nderungen und Milderungen ihrer Lage, aber eine Erkenntnis, die das eigentliche Wesen dieser Unterdr&uuml;ckung in ihren Ursachen erfa&szlig;te, ist bei der Frau wie bei dem Arbeiter erst das Resultat unserer Tage. Es mu&szlig;ten erst das eigentliche Wesen der Gesellschaft und die Gesetze, die ihrer Entwicklung zugrunde liegen, erkannt werden, ehe eine Bewegung f&uuml;r die Beseitigung der f&uuml;r ungerecht erkannten Zust&auml;nde mit Aussicht auf Erfolg Platz greifen konnte. Der Umfang und die Tiefe einer solchen Bewegung h&auml;ngen aber ab von dem Ma&szlig;e von Einsicht, das in den benachteiligten Schichten verbreitet ist, und von dem Ma&szlig;e von Bewegungsfreiheit, das sie besitzen. In beiden Beziehungen steht die Frau sowohl durch Sitte und Erziehung wie in der ihr gew&auml;hrten Freiheit hinter dem Arbeiter zur&uuml;ck. Ein anderer Umstand ist: Zust&auml;nde, die eine lange Reihe von Generationen dauern, werden schlie&szlig;lich zur Gewohnheit, und Vererbung und Erziehung lassen sie beiden Teilen als "naturgem&auml;&szlig;" erscheinen. Daher nimmt noch heute insbesondere die Frau ihre untergeordnete Stellung als etwas Selbstverst&auml;ndliches hin, und es ist nicht leicht, ihr klarzumachen, da&szlig; diese eine unw&uuml;rdige ist und sie dahin streben m&uuml;sse, ein dem Manne gleichberechtigtes, in jeder Beziehung ebenb&uuml;rtiges Glied der Gesellschaft zu werden. </P>
<P>Soviel Gleichartiges aber in der Stellung der Frau und des Arbeiters sich nachweisen l&auml;&szlig;t, die Frau hat gegen&uuml;ber dem Arbeiter das eine voraus: <I>Sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam</I>. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte. </P>
<B><P><A NAME="S36">|36|</A></B> Alle soziale Abh&auml;ngigkeit und Unterdr&uuml;ckung wurzelt in der<I> &ouml;konomischen Abh&auml;ngigkeit</I> des Unterdr&uuml;ckten vom Unterdr&uuml;cker. In dieser Lage befindet sich von fr&uuml;her Zeit an die Frau, das zeigt uns die Geschichte der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. </P>
<P>Die Kenntnis dieser Entwicklung ist allerdings eine vergleichsweise neue. Sowenig der Mythos von der Erschaffung der Welt, wie ihn die Bibel lehrt, aufrechterhalten werden konnte gegen&uuml;ber den auf unbestreitbare und zahllose Tatsachen gest&uuml;tzten Forschungen der Erd-, Natur- und Geschichtskunde, ebensowenig haltbar erwies sich ihr Mythos von der Erschaffung und Entwicklung der Menschen. Zwar sind noch nicht alle Partien in dieser Entwicklungsgeschichte aufgekl&auml;rt, und &uuml;ber manche, die schon aufgehellt wurden, bestehen noch Meinungsverschiedenheiten unter den Forschern &uuml;ber die Bedeutung und den Zusammenhang dieser und jener Erscheinung, aber im gro&szlig;en und ganzen bestehen Klarheit und &Uuml;bereinstimmung. Es steht fest, da&szlig; der Mensch nicht, wie vom ersten Menschenpaar der Bibel behauptet wird, als Kulturmensch auf die Erde kam, sondern er hat in unendlich langen Zeitr&auml;umen, indem er sich allm&auml;hlich aus dem reinen Tierzustand befreite, Entwicklungsperioden durchgemacht, in welchen sowohl seine sozialen Beziehungen wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau die verschiedensten Wandlungen erfuhren. </P>
<P>Die bequeme Behauptung, die sowohl in bezug auf das Verh&auml;ltnis zwischen Mann und Frau wie zwischen arm und reich jeden Tag von Unwissenden oder T&auml;uschern an unser Ohr dringt, "es ist ewig so gewesen" und "es wird ewig so bleiben",<I> ist in jeder Beziehung falsch, oberfl&auml;chlich und erlogen</I>. </P>
<P>F&uuml;r die Zwecke der vorliegenden Schrift ist eine kursorische Darlegung der Beziehungen der Geschlechter seit der Urzeit von besonderer Bedeutung, weil damit bewiesen werden soll, da&szlig;, wenn schon im bisherigen Verlauf der Menschheitsentwicklung diese Beziehungen sich in dem Ma&szlig;e umgestalten, wie auf der einen Seite die Produktions- und auf der anderen die Verteilungsweise des Erzeugten vor sich ging, es auch selbstverst&auml;ndlich ist, da&szlig; bei weiteren Umgestaltungen in der Produktions- und Verteilungsweise<I> sich die Beziehungen der Geschlechter abermals &auml;ndern werden</I>. Nichts ist "ewig", weder in der Natur noch im Menschenleben, ewig ist nur der Wechsel, die Ver&auml;nderung. </P>
<P>Soweit man in die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu- <A NAME="S37"><B>|37|</A></B> r&uuml;ckzublicken vermag, war die erste menschliche Gemeinschaft die Horde.<A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_035.htm#F1">(1)</A></A> Erst die wachsende Zahl und die Erschwerung der Gewinnung des Lebensunterhaltes, der anfangs in Wurzeln, Beeren, Obst bestand, hat zur Spaltung oder Trennung der Horden und zur Aufsuchung neuer Wohngegenden gef&uuml;hrt. Dieser fast tier&auml;hnliche Zustand, &uuml;ber den wir keine urkundlichen Beweise haben, hat nach allem, was wir &uuml;ber die verschiedenen Kulturstufen in historischer Zeit bekannt gewordener oder noch lebender wilder V&ouml;lkerschaften erfahren haben, unzweifelhaft bestanden. Der Mensch ist nicht auf das Gehei&szlig; eines Sch&ouml;pfers als h&ouml;heres Kulturwesen fertig ins Leben getreten, er hat vielmehr in einem unendlich langen und langsamen Entwicklungsproze&szlig; die verschiedensten Stadien durchlaufen und hat in auf- und niederschwankenden Kulturperioden und in best&auml;ndiger Differenzierung mit seinesgleichen, in allen Erdteilen und unter allen Zonen, erst allm&auml;hlich die gegenw&auml;rtige Kulturh&ouml;he erklommen. </P>
<P>Und w&auml;hrend auf dem einen Teile der Erdoberfl&auml;che gro&szlig;e V&ouml;lker den vorgeschrittensten Kulturstufen angeh&ouml;ren, stehen andere V&ouml;lkerschaften in den verschiedensten Erdteilen auf den verschiedensten Staffeln der Kulturentwicklung. Diese geben uns ein Bild unserer eigenen Vergangenheit und zeigen uns die Wege, welche die Menschheit in dem langen Laufe ihrer Entwicklung gegangen ist. Gelingt es einmal, gemeinsame, allgemein anerkannte Gesichtspunkte aufzustellen, nach welchen die Kulturforschung ihre Untersuchungen anzustellen hat, so wird sich eine F&uuml;lle von Tatsachen ergeben, die ein ganz neues Licht auf die Beziehungen der Menschen in Vergangenheit und Gegenwart werfen. Es werden alsdann Vorg&auml;nge uns erkl&auml;rlich und nat&uuml;rlich erscheinen, die uns heute unverst&auml;ndlich sind und von oberfl&auml;chlichen Beurteilern als unvern&uuml;nftig, nicht selten als "unsittlich" angegriffen werden. - Eine L&uuml;ftung des Schleiers, der &uuml;ber die fr&uuml;heste Entwicklungsgeschichte unseres Geschlechts gebreitet war, ist durch die Forschungen seit Bachofen von einer ansehnlichen Zahl <A NAME="S38"><B>|38|</A></B> gelehrter M&auml;nner, wie Tylor, McLennan, Lubbock usw., eingetreten. Diesen schlo&szlig; sich durch sein grundlegendes Werk Morgan an, das wieder von Friedrich Engels durch eine Reihe historischer Tatsachen &ouml;konomischer und politischer Natur erg&auml;nzt und neuerdings durch Cunow teils best&auml;tigt, teils berichtigt wurde.<A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_035.htm#F2">(2)</A></A> </P>
<P>Durch die klaren und schl&uuml;ssigen Darstellungen, die Fr. Engels im Anschlu&szlig; an Morgan in seiner ausgezeichneten Schrift gibt, wird eine F&uuml;lle von Licht &uuml;ber eine Menge unverst&auml;ndlicher, zum Teil widersinnig erscheinender Vorg&auml;nge im Leben der V&ouml;lkerschaften h&ouml;herer und niederer Kulturentwicklung verbreitet. Erst jetzt erhalten wir einen Einblick in den Aufbau, den die menschliche Gesellschaft im Laufe der Zeiten genommen hat. Hiernach ergibt sich, da&szlig; unsere bisherigen Auffassungen &uuml;ber Ehe, Familie und Staat auf vollst&auml;ndig falschen Anschauungen beruhten, so da&szlig; diese sich als ein Phantasiegem&auml;lde darstellen, dem jede Grundlage f&uuml;r die Wirklichkeit fehlte. Was aber von Ehe, Familie und Staat nachgewiesen ist, gilt insbesondere auch f&uuml;r die Rolle der Frau, die in den verschiedenen Entwicklungsperioden eine Stellung eingenommen hat, die ebenfalls sehr wesentlich von derjenigen abweicht, die man ihr als "ewig so dagewesen" zuschreibt. Morgan, dem sich Engels anschlie&szlig;t, teilt die bisherige Geschichte der Menschheit in drei Hauptepochen: Wildheit, Barbarei, Zivilisation. Jede der beiden ersten Epochen teilt er wieder in eine Unter-, Mittel- und Oberstufe ein, weil eine von der anderen sich durch bestimmte, auf die Gewinnung der Lebens- und Unterhaltsmittel gerichtete grundlegende Verbesserungen unterscheidet. </P>
<P>Morgan sieht ganz im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung, wie sie Karl Marx und Friedrich Engels begr&uuml;ndeten, in den Umwandlungen, <A NAME="S39"><B>|39|</A></B> welche in gewissen Epochen die Lebensgestaltung der V&ouml;lker durch den Fortschritt im Produktionsproze&szlig;, also in der Gewinnung der Lebensunterhaltes, erfuhr, das Hauptmerkmal der Kulturentwicklung. So bildet die Periode der Wildheit in ihrer Unterstufe die Kindheit des Menschengeschlechtes, in der dieses, zum Teil auf B&auml;umen lebend, haupts&auml;chlich von Fr&uuml;chten und Wurzeln sich n&auml;hrt, in der aber auch die artikulierte Sprache beginnt. Die Mittelstufe der Wildheit beginnt mit der Verwertung von kleineren Tieren (Fischen, Krebsen usw.) zur Nahrung und mit dem Gebrauch des Feuers. Es entsteht die Waffenfabrikation, zun&auml;chst Keule und Speer aus Holz und Stein, und damit beginnt die Jagd und wohl auch der Krieg mit benachbarten Horden um die Nahrungsquellen, um Wohn- und Jagdgebiete. Auf dieser Stufe erscheint auch die Menschenfresserei, die noch heute bei einzelnen St&auml;mmen und V&ouml;lkern Afrikas, Australiens und Polynesiens vorhanden ist. Die Oberstufe der Wildheit charakterisiert die Vervollkommnung der Waffen zu Bogen und Pfeil; es entsteht die Fingerweberei, das Flechten von K&ouml;rben aus Bast oder Schilf und die Herstellung geschliffener Steinwerkzeuge. Damit wird die Bearbeitung des Holzes zur Herstellung f&uuml;r Boote und H&uuml;tten m&ouml;glich. Die Lebensgestaltung ist also bereits eine vielseitigere geworden. Es erm&ouml;glichen die vorhandenen Werkzeuge und Hilfsmittel die Gewinnung reichlicherer Nahrung f&uuml;r den Unterhalt gr&ouml;&szlig;erer Menschengesellschaften. </P>
<P>Die Unterstufe der<I> Barbarei</I> l&auml;&szlig;t Morgan mit der Einf&uuml;hrung der T&ouml;pferei ihren Anfang nehmen. Es beginnt die Z&auml;hmung und Z&uuml;chtung von Tieren und damit die Fleisch- und Milchproduktion, die Gewinnung von H&auml;uten, H&ouml;rnern, Haaren f&uuml;r die verschiedensten Gebrauchszwecke. Hand in Hand damit beginnt die Kultur von Pflanzen. Im Westen die des Maises, im Osten die fast aller bekannten Getreidearten, mit Ausnahme jener des Maises. Die Mittelstufe der Barbarei zeigt uns im Osten die immer ausgedehntere Z&auml;hmung von Haustieren, im Westen die Kultur von N&auml;hrpflanzen mittels k&uuml;nstlicher Bew&auml;sserung. Auch beginnt jetzt der Gebrauch von an der Sonne getrockneten Ziegeln und des Steins zu Geb&auml;uden. Die Tierz&auml;hmung und Z&uuml;chtung f&ouml;rdert die Herdenbildung und f&uuml;hrt zum Hirtenleben. Weiter f&uuml;hrt die Notwendigkeit gr&ouml;&szlig;erer Nahrungsmengen f&uuml;r Menschen und Vieh zum Getreidebau. Das bedeutet gr&ouml;&szlig;ere Se&szlig;haftigkeit, Vermehrung und Verschiedenartigkeit der Nahrungsmittel, und allm&auml;hlich verschwindet die Menschenfresserei. </P>
<B><P><A NAME="S40">|40|</A></B> Die Oberstufe der Barbarei nimmt ihren Antang mit dem Schmelzen des Eisenerzes und der Erfindung der Buchstabenschrift. Es wird das eiserne Pflugschar erfunden, das intensiveren Ackerbau erm&ouml;glicht, es werden die eiserne Axt und der eiserne Spaten in Gebrauch genommen, welche die Ausrodung des Waldes erleichtern. Mit der Bearbeitung des Eisens beginnen eine Menge von T&auml;tigkeiten, die dem Leben eine andere Gestaltung geben. Die Eisenwerkzeuge erleichtern den Haus-, den Schiffs- und Wagenbau; mit der Metallbearbeitung entsteht ferner das Kunsthandwerk, die vervollkommnete Waffentechnik, der Bau ummauerter St&auml;dte. Die Architektur als Kunst kommt auf, Mythologie, Dichtkunst, Geschichte erlangen durch die Erfindung der Buchstabenschrift Erhaltung und Verbreitung. </P>
<P>Es sind vorzugsweise der Orient und die L&auml;nder um das Mittell&auml;ndische Meer: &Auml;gypten, Griechenland, Italien, in welchen diese Lebensweise sich entfaltet, die den Grund zu sozialen Umgestaltungen legt, die im Laufe der Zeiten auf die Kulturentwicklung Europas und der ganzen Erde bestimmend einwirken.<I> </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_1_2">2. Formen der Familie</A></P>
</I><P>Die Perioden der Wildheit und der Barbarei hatten ihre eigenartigen geschlechtlichen und gesellschaftlichen Beziehungen, die sich von denen der sp&auml;teren Zeit sehr erheblich unterscheiden. Bachofen und Morgan haben in gr&uuml;ndlichen Untersuchungen diesen Beziehungen nachgesp&uuml;rt. Bachofen, indem er die Schriften der Alten aufs eingehendste studierte, um hinter das Wesen von Erscheinungen zu kommen, die uns vollkommen fremdartig in Mythologie, Sage und historischen Mitteilungen gegen&uuml;bertreten und doch so manche Ankl&auml;nge an Erscheinungen und Vorkommnisse sp&auml;terer Zeiten, ja bis in unsere Tage enthalten. Morgan, indem er jahrzehntelang unter den im Staate New York ans&auml;ssigen Irokesen zubrachte und dabei Wahrnehmungen machte, durch die er ganz neue und ungeahnte Einblicke in die Lebens-, Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen der genannten Indianerst&auml;mme gewann, auf Grund welcher auch anderw&auml;rts gemachte Beobachtungen ihre richtige Beleuchtung und Klarstellung erhielten. </P>
<P>Bachofen und Morgan entdeckten jeder auf seine Weise, da&szlig; die <A NAME="S41"><B>|41|</A></B> Beziehungen der Geschlechter bei den V&ouml;lkerschaften in der Urzeit menschheitlicher Entwicklung wesentlich andere waren, als sie in historisch bekannter Zeit und bei den modernen Kulturv&ouml;lkern vorhanden sind. Insbesondere entdeckte Morgan durch seinen langj&auml;hrigen Aufenthalt unter den Irokesen Nordamerikas und auf Grund der vergleichenden Studien, zu denen er durch das dort Beobachtete angeregt wurde, da&szlig; alle in der Kultur noch erheblich r&uuml;ckst&auml;ndigen V&ouml;lkerschaften Familien- und Verwandtschaftssysteme besitzen, die von dem unseren grundverschieden sind, aber einst &auml;hnlich bei allen V&ouml;lkerschaften auf den fr&uuml;hesten Kulturstufen in Geltung gewesen sein m&uuml;ssen. </P>
<P>Morgan fand, da&szlig; zu der Zeit, in der er unter den Irokesen lebte, eine beiderseits leicht l&ouml;sliche Einzelehe bestand, die er als "Paarungsfamilie" bezeichnet. Er fand aber auch, da&szlig; die Bezeichnungen f&uuml;r den Verwandtschaftsgrad, wie Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, obgleich f&uuml;r deren Anwendung nach unserer Meinung kein Zweifel bestehen kann, doch auf ganz andere Beziehungen angewandt wurden. Der Irokese nennt nicht nur seine eigenen Kinder seine S&ouml;hne und T&ouml;chter, sondern auch die aller seiner Br&uuml;der, und deren Kinder nennen ihn Vater. Umgekehrt nennt die Irokesin nicht blo&szlig; ihre S&ouml;hne und T&ouml;chter ihre Kinder, sondern auch die aller ihrer Schwestern, und wiederum nennen die Kinder der letzteren sie Mutter. Dagegen nennt sie die Kinder ihrer<I> Br&uuml;der</I> Neffen und Nichten, und diese nennen sie Tante. Die Kinder von Br&uuml;dern nennen sich Br&uuml;der und Schwestern und ebenso die Kinder von Schwestern. Dagegen nennen sich die Kinder einer Frau und ihres Bruders gegenseitig Vettern und Kusinen. Es tritt also das Seltsame ein, da&szlig; die Verwandtschaftsbezeichnung sich nicht wie bei uns nach dem Grade der Verwandtschaft richtet, sondern nach dem<I> Geschlecht</I> des Verwandten. </P>
<P>Dieses System der Verwandtschaft steht in voller Geltung nicht nur bei allen amerikanischen Indianern sowie bei den Ureinwohnern Indiens, den drawidischen St&auml;mmen in Dekhan und den Gaurast&auml;mmen in Hindostan, sondern es m&uuml;ssen nach den vorgenommenen Untersuchungen, die seit Bachofen stattgefunden haben, &auml;hnliche Zust&auml;nde in der Urzeit &uuml;berall bestanden haben. Werden erst einmal an der Hand dieser Feststellungen &uuml;berall die Untersuchungen &uuml;ber die Geschlechts- und Familienbeziehungen noch lebender wilder oder barbarischer V&ouml;lkerschaften aufgenommen, so wird sich zeigen, da&szlig;, was <A NAME="S42"><B>|42|</A></B> Bachofen bei zahlreichen V&ouml;lkerschaften der alten Welt, Morgan bei den Irokesen, Cunow unter den Australnegern und andere bei anderen V&ouml;lkerschaften fanden, soziale und geschlechtliche Formationen es sind, welche die<I> Grundlage der Entwicklung f&uuml;r alle V&ouml;lker der Erde bildeten</I>. </P>
<P>Bei den Untersuchungen Morgans treten noch andere interessante Tatsachen hervor. Steht die Paarungsfamilie der Irokesen mit den von ihnen gebrauchten Verwandtschaftsbezeichnungen in unl&ouml;slichem Widerspruch, so stellte sich dagegen heraus, da&szlig; noch in der ersten H&auml;lfte dieses Jahrhunderts auf den Sandwichinseln (Hawaii) eine Familienbildung vorhanden war, die tats&auml;chlich dem Verwandschaftssystem entsprach, das bei den Irokesen nur dem Namen nach noch bestand. Aber das Verwandtschaftssystem, das in Hawaii in Geltung war, entsprach wiederum nicht der dort tats&auml;chlich bestehenden Familienform, sondern wies auf eine &auml;ltere, noch urspr&uuml;nglichere, aber nicht mehr vorhandene Familienform hin. Dort galten alle Geschwisterkinder ohne Ausnahme als Br&uuml;der und Schwestern, sie galten als solche nicht nur f&uuml;r die gemeinsamen Kinder ihrer M&uuml;tter und deren Schwestern, oder ihres Vaters und dessen Br&uuml;der, sondern f&uuml;r alle Geschwister ihrer Eltern ohne Unterschied. </P>
<P>Das hawaiische Verwandtschaftssystem entsprach also einer Entwicklungsstufe, die noch tiefer stand als die tats&auml;chlich bestehende Familienform. Es stellte sich das Eigent&uuml;mliche heraus, da&szlig; in Hawaii wie bei den Indianern Nordamerikas zwei verschiedene Verwandtschaftssysteme in &Uuml;bung waren, die dem tats&auml;chlichen Zustand nicht mehr entsprachen, sondern durch eine h&ouml;here Form &uuml;berholt wurden. Morgan &auml;u&szlig;erte sich dar&uuml;ber also: "Die Familie ist das aktive Element; sie ist<I> nie</I> station&auml;r,<I> sondern schreitet vor von einer niedrigeren zu einer h&ouml;heren Form in dem Ma&szlig;e, wie die Gesellschaft von niederer zu h&ouml;herer Stufe sich entwickelt</I>. Die Verwandtschaftssysteme dagegen sind passiv; nur in langen Zwischenr&auml;umen registrieren sie die Fortschritte, die die Familie im Laufe der Zeit gemacht hat, und erfahren nur dann radikale &Auml;nderung, wenn die Familie sich radikal ver&auml;ndert hat." </P>
<P>Die noch heute allgemein ma&szlig;gebende Auffassung, die von Vertretern des Bestehenden hartn&auml;ckig als wahr und unumst&ouml;&szlig;lich verfochten wird, die jetzt bestehende Familienform habe von uralter Zeit an bestanden und m&uuml;sse, solle die gesamte Kultur nicht gef&auml;hrdet wer- <A NAME="S43"><B>|43|</A></B> den, f&uuml;r immer fortbestehen, stellt sich also nach diesen Entdeckungen der Forscher als durchaus falsch und unhaltbar heraus. Das Studium der Urgeschichte l&auml;&szlig;t keinen Zweifel mehr, da&szlig; auf den untersten Entwicklungsstufen der Menschheit das Verh&auml;ltnis der Geschlechter von dem der sp&auml;teren Zeit ein g&auml;nzlich verschiedenes ist und Zust&auml;nde sich herausbildeten, die, mit den Augen unserer Zeit betrachtet, als eine Ungeheuerlichkeit und als Pfuhl der Sittenlosigkeit erscheinen. Doch wie jede soziale Entwicklungsstufe der Menschheit ihre eigenen Produktionsbedingungen, so hat auch jede ihren Moralkodex,<I> der nur das Spiegelbild ihres Sozialzustandes ist</I>. Sittlich ist, was Sitte ist, und Sitte ist wieder nur, was dem innersten Wesen, das hei&szlig;t den sozialen Bed&uuml;rfnissen einer bestimmten Periode, entspricht. </P>
<P>Morgan gelangt zu dem Schlusse, da&szlig; auf der Unterstufe der Wildheit ein Geschlechtsverkehr innerhalb der Geschlechtsverb&auml;nde herrschte, bei dem jede Frau jedem Manne und jeder Mann jeder Frau geh&ouml;rte, bei dem also allgemeine Vermischung (Promiskuit&auml;t) vorhanden war. Es leben alle M&auml;nner in Vielweiberei und alle Weiber in Vielm&auml;nnerei. Es besteht allgemeine Frauen- und M&auml;nnergemeinschaft, aber auch Gemeinschaft der Kinder. Strabo berichtet (66 vor unserer Zeitrechnung), da&szlig; bei den Arabern die Br&uuml;der den Beischlaf bei der Schwester und der eigenen Mutter vollzogen. Anders als auf dem Wege des Inzestes ist uranf&auml;nglich die Vermehrung der Menschen nirgend m&ouml;glich, namentlich wenn, wie in der Bibel, die Abstammung von<I> einem</I> Menschenpaar angenommen wird. Die Bibel widerspricht sich selbst in diesem heiklen Punkte; sie erz&auml;hlt, da&szlig; Kain, nachdem er seinen Bruder Abel erschlagen hatte, von dem Angesicht des Herrn ging und im Lande Nod wohnte. Dort erkannte er sein Weib, die schwanger ward und ihm einen Sohn gebar. Aber woher stammte sein Weib? Waren doch Kains Eltern die ersten Menschen. Nach der j&uuml;dischen Tradition wurden Kain und Abel auch zwei Schwestern geboren, mit denen sie im Inzest Kinder zeugten. Die christlichen Bibel&uuml;bersetzer scheinen diese ihnen fatale Tatsache unterdr&uuml;ckt zu haben. F&uuml;r die Promiskuit&auml;t in der Urzeit, das hei&szlig;t, da&szlig; die Horde endogam, der Geschlechtsverkehr darin unterschiedslos war, spricht auch, da&szlig; nach der indischen Mythe sich Brahma mit seiner eigenen Tochter Saravasti verm&auml;hlte; der gleiche Mythos kehrt bei den &Auml;gyptern und in der nordischen Edda wieder. Der &auml;gyptische Gott Ammon war der Gatte seiner Mutter und r&uuml;hmte sich dessen, Odin <A NAME="S44"><B>|44|</A></B> war nach der Edda der Gemahl seiner Tochter Frigga.<A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_035.htm#F3">(3)</A></A> Und Dr. Adolf Bastian erz&auml;hlt: "In Svaganwara stand den Rajaht&ouml;chtern das Privilegium freier Erw&auml;hlung ihrer Gatten zu. Die vier Br&uuml;der, die sich in Kapilapur niederlie&szlig;en, erhoben Priya, die &auml;lteste ihrer f&uuml;nf Schwestern, zur K&ouml;niginmutter<I> und heirateten die anderen</I>."<A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_035.htm#F4">(4)</A></A></P>
<P>Morgan nimmt an, da&szlig; aus dem Zustand allgemeiner Vermischung der Geschlechter sich bald eine h&ouml;here Form des Geschlechtsverkehrs entwickelte, die er als die<I> Blutverwandtschaftsfamilie</I> bezeichnet. Jetzt sind die im Geschlechtsverkehr stehenden Gruppen nach<I> Generationen</I> gesondert, so da&szlig; die Gro&szlig;v&auml;ter und Gro&szlig;m&uuml;tter innerhalb eines Geschlechtsverbandes Ehem&auml;nner und Ehefrauen sind. Ihre Kinder bilden ebenfalls einen Kreis gemeinsamer Ehegatten und ebenso deren Kinder, sobald sie in das entsprechende Lebensalter eingetreten sind. Es ist also im Gegensatz zu dem Geschlechtsverband auf der untersten Stufe, in dem Geschlechtsverkehr ohne Unterschied besteht,<I> eine Generation vom Geschlechtsverkehr mit der anderen ausgeschlossen</I>. Dagegen besteht dieser jetzt unter Br&uuml;dern und Schwestern, Vettern und Kusinen ersten, zweiten und entfernteren Grades. Diese sind alle miteinander Schwestern und Br&uuml;der, aber sie sind alle zueinander auch Mann und Frau. Dieser Familienform entspricht das Verwandtschaftsverh&auml;ltnis, das in der ersten H&auml;lfte des vorigen Jahrhunderts auf Hawaii noch dem Namen nach, aber nicht mehr in der Tat bestand. Dagegen k&ouml;nnen nach dem amerikanisch-indischen Verwandtschaftssystem Bruder und Schwester<I> nie</I> Vater und Mutter desselben Kindes sein, wohl aber nach dem hawaiischen Familiensystem. Blutverwandtschaftsfamilie war auch der Zustand, der zur Zeit Herodots bei den Massageten bestand, wor&uuml;ber er berichtet: "Jeder ehelicht eine Frau, aber allen ist erlaubt, sie zu gebrauchen ... Sooft einem Manne nach einem Weibe gel&uuml;stet, h&auml;ngt er seinen K&ouml;cher vorn an den Wagen <A NAME="S45"><B>|45|</A></B> auf und wohnt dem Weibe unbesorgt bei ... Dabei steckt er seinen Stab in die Erde, ein Abbild seiner eigenen Tat ... Der Beischlaf wird offen ausge&uuml;bt."<A NAME="ZF5"><A HREF="beaa_035.htm#F5">[5]</A></A> &Auml;hnliche Zust&auml;nde weist Bachofen nach bei den Lykiern, Etruskern, Kretern, Athenern, Lesbiern, &Auml;gyptern. </P>
<P>Nach Morgan folgt der Blutverwandtschaftsfamilie eine dritte, h&ouml;here Form des Familienverbandes, die er die Punaluafamilie nennt. Punalua: lieber Genosse, liebe Genossin. </P>
<P>Gegen die Auffassung Morgans, als sei die Blutverwandtschaftsfamilie, beruhend auf der Organisation von Heiratsklassen, die generstionsweise sich bildeten, eine der Punaluafamilie voraufgehende urspr&uuml;ngliche Organisation, wendet sich Cunow in seinem bereits oben erw&auml;hnten Buch. Er sehe darin nicht die allerprimitivste der bisher entdeckten Formen des Geschlechtsverkehrs, sondern eine erst mit dem Geschlechtsverband entstandene Zwischenform, eine &Uuml;bergangsstufe zur reinen Gentilorganisation, auf welcher die der sogenannten Blutverwandtschaftsfamilie angeh&ouml;rende Einteilung in Altersklassen noch eine Zeitlang in ver&auml;nderter Form einherl&auml;uft, neben der Einteilung in Totemverb&auml;nde <A NAME="ZF6"><A HREF="beaa_035.htm#F6">(6)</A></A>. Cunow f&uuml;hrt weiter aus: "Die Klasseneinteilung - jeder einzelne, Mann oder Weib, f&uuml;hrt den Namen seiner Klasse und seines Geschlechtsverbandes (Totems) - dient nicht nur Ausschlie&szlig;ung des Geschlechtsverkehrs zwischen Seitenverwandten, sondern zur Verhinderung der Kohabitation zwischen Verwandten in<I> auf- und absteigender Linie,</I> zwischen Eltern und Kindern, Tanten und Neffen, Onkeln und Nichten. Ausdr&uuml;cke wie Tante, Onkel usw. seien Schichtennamen." </P>
<P>Cunow f&uuml;hrt f&uuml;r die Richtigkeit seiner Ansichten, in denen er im einzelnen von Morgan abweicht, die Beweise an. Aber wie sehr er im einzelnen von Morgan abweicht, gegen&uuml;ber den Angriffen Westermarcks und anderer nimmt er ihn nachdr&uuml;cklich in Schutz. Er sagt: </P>
<P>"M&ouml;gen immerhin einzelne Hypothesen Morgans sich als falsch erweisen und anderen nur eine bedingte G&uuml;ltigkeit einger&auml;umt werden k&ouml;nnen, das Verdienst kann ihm niemand absprechen, da&szlig; er als erster <A NAME="S46"><B>|46|</A></B> die Identit&auml;t der nordamerikanischen Totemverb&auml;nde mit den Gentilorganisationen der R&ouml;mer festgestellt und zweitens unsere heutigen Verwandtschaftssysteme und Familienformen als Ergebnisse eines langen Entwicklungsprozesses nachgewiesen hat. Er hat dadurch erst gewisserma&szlig;en die neueren Forschungen m&ouml;glich gemacht, erst das Fundament geschaffen, auf dem weitergebaut werden kann." Auch in der Vorrede zu seinem Buch bemerkt er ausdr&uuml;cklich, da&szlig; seine Schrift zum Teil eine Erg&auml;nzung von Morgans Buch &uuml;ber die Urgesellschaft sei. </P>
<P>Westermarck und Starcke, auf die sich Ziegler haupts&auml;chlich beruft, werden sich wohl oder &uuml;bel darein finden m&uuml;ssen, da&szlig; die Entstehung und Entwicklung der Familie nicht nach ihren b&uuml;rgerlichen Vorurteilen sich richtet. Die Widerlegung, die Cunow den Gew&auml;hrsm&auml;nnern Zieglers zuteil werden l&auml;&szlig;t, d&uuml;rfte dem fanatischsten Anh&auml;nger derselben den Star stechen &uuml;ber den Wert ihrer Einwendungen gegen Morgan.<I> </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_1_3">3. Das Mutterrecht</A></P>
</I><P>Die Punaluaehe beginnt nach Morgan mit der Ausschlie&szlig;ung der leiblichen Geschwister, und zwar von m&uuml;tterlicher Seite. Wo eine Frau verschiedene M&auml;nner hat, ist der Nachweis der Vaterschaft unm&ouml;glich. Die Vaterschaft wird Fiktion. Die Vaterschaft beruht auch heute, unter der Herrschaft der monogamen Ehe, wie bereits Goethe in seinen "Lehrjahren" Friedrich sagen l&auml;&szlig;t, "nur auf gutem Glauben". Ist die Vaterschaft in der Einehe oft zweifelhaft, in der Vielehe ist sie unm&ouml;glich nachweisbar, nur die Abstammung von der Mutter ist zweifellos und unbestreitbar, daher unter dem Mutterrecht die Kinder als Spurii, Ges&auml;te, bezeichnet werden. Wie alle tiefeinschneidenden Umgestaltungen in den sozialen Beziehungen der Menschen auf primitiverer Kulturstufe sich nur langsam vollziehen, so hat unzweifelhaft auch die Umwandlung der sogenannten Blutverwandtschaftsfamilie in die Punaluafamilie l&auml;ngere Zeitr&auml;ume in Anspruch genommen und ist von manchen R&uuml;ckschl&auml;gen durchbrochen worden, die noch in sehr sp&auml;ter Zeit bemerkbar sind. Die n&auml;chste &auml;u&szlig;ere Veranlassung f&uuml;r die Entwicklung der Punaluafamilie mochte die Notwendigkeit sein, die stark angeschwollene Kopfzahl zu teilen, damit man neuen Boden f&uuml;r Viehweiden oder Ackerland in Anspruch nehmen <A NAME="S47"><B>|47|</A></B> konnte. Wahrscheinlich ist aber auch, da&szlig; auf h&ouml;herer Kulturstufe allm&auml;hlich Begriffe &uuml;ber die Sch&auml;dlichkeit und Ungeb&uuml;hr des Geschlechtsverkehrs zwischen Geschwistern und nahen Verwandten sich geltend machten, die eine andere Eheordnung forderten. Da&szlig; dem so war, daf&uuml;r spricht eine h&uuml;bsche Tradition, die, wie Cunow mitteilt, Gason bei den Dieyeries, einem der s&uuml;daustralischen St&auml;mme, &uuml;ber die Entstehung der Murdu (des Geschlechtsverbandes) fand. Diese besagt: </P>
<P>"Nach der Sch&ouml;pfung heirateten V&auml;ter, M&uuml;tter, Schwestern, Br&uuml;der und andere nahe Verwandte unterschiedslos untereinander, bis sich die &uuml;beln Wirkungen solcher Verbindungen deutlich zeigten. Eine Beratung der F&uuml;hrer wurde abgehalten und in Betracht gezogen, auf welchem Wege dieses verh&uuml;tet werden k&ouml;nnte. Das Ergebnis der Beratungen bestand in einer Bitte an den Muramura (gro&szlig;en Geist), und dieser befahl in seiner Antwort, der Stamm solle in verschiedene Zweige geteilt und solche zur Unterscheidung mit verschiedenen Namen benannt werden, nach lebenden und leblosen Objekten, zum Beispiel nach dem Dingo, der Maus, dem Emu, dem Regen, der Leguaneidechse usw. Die Mitglieder einer und derselben Gruppe durften unter sich nicht heiraten, wohl aber die eine Gruppe in die andere. Der Sohn eines Dingo sollte beispielsweise nicht die Tochter eines Dingo heiraten, dabei k&ouml;nne aber jedes der beiden eine Verbindung mit der Maus, dem Emu, der Ratte oder sonst einer anderen Familie eingehen." </P>
<P>Diese Tradition ist einleuchtender als die Tradition der Bibel; sie zeigt in einfachster Weise die Entstehung der Geschlechtsverb&auml;nde. &Uuml;brigens f&uuml;hrt Paul Lafargue in der "Neuen Zeit" <A NAME="ZF7"><A HREF="beaa_035.htm#F7">(7)</A></A> sehr scharfsinnig den nach unserer Anschauung durchaus gelungenen Nachweis, da&szlig; Namen wie Adam und Eva nicht Namen einzelner Personen, sondern Namen von Gentes seien, in die in vorgeschichtlicher Zeit die Juden vereinigt waren. Lafargue l&ouml;st durch seine Beweisf&uuml;hrung eine Reihe von sonst dunklen und widerspruchsvollen Stellen im 1. Buch Mose. Ferner macht M. Beer in der "Neuen Zeit" <A NAME="ZF8"><A HREF="beaa_035.htm#F8">(8)</A></A> ebenfalls darauf aufmerksam, da&szlig; es noch heute unter den Juden die Ehesitte verlange, da&szlig; die Braut und die Mutter des Br&auml;utigams<I> nie denselben Namen f&uuml;hren d&uuml;rfen</I>, sonst geschehe ein Ungl&uuml;ck in der Familie, Krankheit und Tod suchten sie heim. Das ist ein weiterer Beweis f&uuml;r die Richtig- <A NAME="S48"><B>|48|</A></B> keit der Lafargueschen Auffassung. Die Gentilorganisation verbot die Heirat zwischen Personen, die aus derselben Gens stammten. Eine solche gemeinsame Abstammung wird aber bei der Braut und der Mutter des Br&auml;utigams, die beide den gleichen Namen f&uuml;hren, nach Gentilbegriffen angenommen. Die heutigen Juden haben nat&uuml;rlich keine Ahnung mehr von dem Zusammenhang ihres Vorurteils mit ihrer alten Gentilverfassung, die solche Verwandtenheiraten verbot. Diese hatte den Zweck, den degenerierenden Folgen der Inzucht vorzubeugen, und obgleich die Gentilverfassung bei den Juden schon seit Jahrtausenden zerst&ouml;rt ist, die Tradition hat sich, wie wir sehen, im Vorurteil erhalten. </P>
<P>Die Erfahrungen, die man schon fr&uuml;hzeitig bei der Tierzucht machte, d&uuml;rften auch die Sch&auml;dlichkeit der Inzucht vor Augen gef&uuml;hrt haben. Wie weit diese Erfahrungen reichten, geht aus dem 1. Buch Mose, Kap. 30, Vers 32 ff. hervor, wonach Jakob es verstand, seinen Schwiegervater Laban &uuml;bers Ohr zu hauen, indem er f&uuml;r die Geburt fleckiger L&auml;mmer und Ziegen zu sorgen wu&szlig;te, die nach Labans Versprechen ihm geh&ouml;ren sollten. Die alten Israeliten hatten also schon lange vor Darwin den Darwinismus praktisch studiert. </P>
<P>Nachdem wir hier auf die Zust&auml;nde bei den alten Juden zu sprechen gekommen sind, m&ouml;gen noch einige andere<I> Tatsachen</I> angef&uuml;hrt werden, die dartun, da&szlig; in der Urzeit bei denselben tats&auml;chlich Mutterfolge in Geltung war. So hei&szlig;t es zwar 1. Mose 3, 16 in bezug auf das Weib: "Und dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein." Dieser Vers wird auch dahin variiert: "Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und seinem Manne anhangen", aber in 1. Mose 2, 24 hei&szlig;t es:<I> "Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen</I>, und sie werden sein ein Fleisch." Der gleiche Wortlaut wiederholt sich bei Math&auml;i 19, 5, Markus 10, 7 und im Briefe an die Epheser 5, 31. Es handelt sich also in der Tat um ein der<I> Mutterfolge</I> entsprungenes Gebot, mit dem die Bibelausleger nichts anzufangen wissen und daher es in g&auml;nzlich falschem Licht erscheinen lassen. </P>
<P>Mutterfolge geht auch hervor aus 4. Mose 32, 41. Dort hei&szlig;t es, da&szlig; Jair einen Vater hatte, der aus dem Stamme Juda war, aber seine Mutter war aus dem Stamme Manasse, und wird Jair ausdr&uuml;cklich der<I> Sohn Manasse</I> genannt und erbte in diesem. Ein anderes Beispiel f&uuml;r die Mutterfolge bei den alten Juden findet sich in Nehemia 7, 63. Dort <A NAME="S49"><B>|49|</A></B> werden die Kinder eines Priesters, der aus den T&ouml;chtern Barsillai - eines j&uuml;dischen Clans - sein Weib nahm, Kinder Barsillai genannt, sie werden also nicht nach dem Vater, sondern nach der Mutter genannt. </P>
<P>In der Punaluafamilie ehelichen sich nach Morgan eine oder mehrere Reihen Schwestern eines Familienverbandes mit einer oder mehreren Reihen Br&uuml;der eines<I> anderen</I> Familienverbandes. Die leiblichen Schwestern oder Kusinen ersten, zweiten und weiteren Grades waren die gemeinsamen Frauen ihrer gemeinsamen M&auml;nner, die nicht ihre Br&uuml;der sein durften. Die leiblichen Br&uuml;der oder Vettern verschiedenen Grades waren die gemeinsamen M&auml;nner ihrer gemeinsamen Frauen, die nicht ihre Schwestern sein durften. Indem so die Inzucht aufh&ouml;rte, trug unzweifelhaft die neue Familienform zur rascheren und kr&auml;ftigeren Entwicklung der St&auml;mme bei und verschaffte denjenigen, die dieser Form der Familienverbindung sich zugewandt hatten, einen Vorteil &uuml;ber diejenigen, die noch die alte Form der Beziehungen beibehalten hatten. Das aus der Punaluafamilie sich ergebende Verwandtschaftsverh&auml;ltnis war folgendes: Die Kinder der Schwestern meiner Mutter sind ihre Kinder, und die Kinder der Br&uuml;der meines Vaters sind seine Kinder, und alle zusammen sind meine Geschwister. Dagegen sind die Kinder der<I> Br&uuml;der</I> meiner Mutter ihre Neffen und Nichten und die Kinder der Schwestern meines Vaters seine Neffen und Nichten, und sie alle zusammen sind meine Vettern und Kusinen. Weiter: Die M&auml;nner der Schwestern meiner Mutter sind noch ihre M&auml;nner, und die Frauen der Br&uuml;der meines Vaters sind noch seine Frauen, aber die Schwestern meines Vaters und die Br&uuml;der meiner Mutter sind von der Familiengemeinschaft ausgeschlossen, und sind die Kinder derselben meine Vettern und Kusinen.<A NAME="ZF9"><A HREF="beaa_035.htm#F9">(9)</A></A> </P>
<P>Mit steigender Kultur entwickelt sich die &Auml;chtung des Geschlechtsverkehrs zwischen allen Geschwistern und dehnt sich allm&auml;hlich auf die entferntesten Kollateralverwandten m&uuml;tterlicherseits aus. Es entsteht eine neue Blutverwandtschaftsgruppe, die Gens, die sich in ihrer ersten Form aus einer Reihe von leiblichen und entfernteren Schwestern samt ihren Kindern und ihren leiblichen oder entfernteren Br&uuml;dern von m&uuml;tterlicher Seite bildet. Die Gens hat eine Stammutter, von welcher die weiblichen Nachkommen generationsweise abstammen. Die M&auml;nner ihrer Frauen geh&ouml;ren nicht in die Blutverwandtschafts- <A NAME="S50"><B>|50|</A></B> gruppe, die Gens ihrer Ehefrauen, sondern sie geh&ouml;ren in die Gens ihrer Schwestern. Dagegen geh&ouml;ren die Kinder dieser M&auml;nner in die Familiengruppe ihrer M&uuml;tter, weil nach der Mutter sich die Abstammung richtet. Die Mutter ist das Haupt der Familie, und so entsteht das "Mutterrecht", das lange Zeit f&uuml;r die Familien- und Erbschaftsbeziehungen die Grundlage bildet. Dementsprechend hatten auch die Frauen - solange die Abstammung von der Mutter anerkannt war - im Rate der Gens Sitz und Stimme, sie w&auml;hlten mit die Sachems (Friedensvorsteher) und die Kriegsh&auml;uptlinge und setzten sie ab. Als Hannibal sein B&uuml;ndnis mit den Galliern gegen Rom abschlo&szlig;, sollte im Falle von Streitigkeiten mit den Verb&uuml;ndeten der Schiedsspruch den gallischen Matronen anvertraut werden. So gro&szlig; war Hannibals Vertrauen in deren Unparteilichkeit. </P>
<P>&Uuml;ber die Lykier, die das Mutterrecht anerkannten, sagte Herodot: "Ihre Sitten sind teils kretisch, teils karisch. Eine Sitte haben sie jedoch, in welcher sie vor jeder anderen Nation der Welt sieh unterscheiden. Frage einen Lykier, wer er ist, und er gibt dir zur Antwort seinen eigenen Namen, den seiner Mutter und so weiter in der weiblichen Linie. Ja noch mehr, wenn eine Freigeborene einen Sklaven heiratet, so sind ihre Kinder freie B&uuml;rger, wenn aber ein freier Mann eine Ausl&auml;nderin heiratet oder ein Kebsweib nimmt, so gehen die Kinder, auch wenn er die h&ouml;chste Person im Staate ist, aller B&uuml;rgerrechte verlustig." </P>
<P>Man spricht in jener Zeit von dem matrimonium statt vom patrimonium, von mater familias statt pater familias, und das Heimatland hei&szlig;t liebes Mutterland. Wie die vorhergehenden Familienformen, so beruht auch die Gens auf der Gemeinsamkeit des Eigentums, das hei&szlig;t auf kommunistischer Wirtschaftsweise. Die Frau ist die Leiterin und F&uuml;hrerin dieser Familiengenossenschaft, sie genie&szlig;t daher auch ein hohes Ansehen sowohl im Hause wie in den Angelegenheiten der Familie beziehentlich des Stammes. Sie ist Streitschlichterin und Richterin und verrichtet die Kulterfordernisse als Priesterin. Das &ouml;ftere Auftreten von K&ouml;niginnen und F&uuml;rstinnen im Altertum, ihr entscheidender Einflu&szlig; auch dann, wenn ihre S&ouml;hne regieren, zum Beispiel in &Auml;gypten, ist die Folge des Mutterrechts. In jener Periode hat die Mythologie vorwiegend weiblichen Charakter angenommen; Astarte, Demeter, Ceres, Latona, Isis, Frigga, Freia, Gerda usw. Die Frau ist unverletzlich, Muttermord ist das schwerste Verbrechen, es ruft alle <A NAME="S51"><B>|51|</A></B> M&auml;nner zur Vergeltung auf. Die Blutrache ist gemeinsame Sache der M&auml;nner des Stammes, jeder ist verpflichtet, das an einem Mitglied der Familiengenossenschaft durch Angeh&ouml;rige eines anderen Stammes begangene Unrecht zu r&auml;chen. Die Verteidigung der Frauen stachelt die M&auml;nner zur h&ouml;chsten Tapferkeit an. So zeigten sich die Wirkungen des Mutterrechts in allen Lebensbeziehungen der alten V&ouml;lker, bei den Babyloniern, den Assyrern, &Auml;gyptern, bei den Griechen vor der Heroenzeit, bei den italischen V&ouml;lkerschaften vor der Gr&uuml;ndung Roms, den Skythen, den Galliern, den Iberern und Kantabrern, den Germanen usw. Die Frau nimmt zu jener Zeit eine Stellung ein, die sie seitdem nie mehr eingenommen hat. So sagt Tacitus in seiner "Germania": "Die Deutschen glauben, da&szlig; dem Weibe etwas Heiliges und Prophetisches innewohne, darum achten sie des Rates der Frauen und horchen ihren Ausspr&uuml;chen." &Uuml;ber die Stellung der Frauen in &Auml;gypten ist Diodor, der zur Zeit C&auml;sars lebte, h&ouml;chlich entr&uuml;stet; er hatte erfahren, da&szlig; in &Auml;gypten nicht die S&ouml;hne, sondern die T&ouml;chter ihre alternden Eltern ern&auml;hrten. Er zuckt deshalb ver&auml;chtlich &uuml;ber die Weiberknechte am Nil die Achseln, die den Angeh&ouml;rigen des schw&auml;cheren Geschlechts im h&auml;uslichen und im &ouml;ffentlichen Leben Rechte einr&auml;umten und Freiheiten gestatteten, die einem Griechen oder R&ouml;mer unerh&ouml;rt vorkommen mu&szlig;ten. </P>
<P>Unter dem Mutterrecht herrschte im allgemeinen ein Zustand verh&auml;ltnism&auml;&szlig;igen Friedens. Die Verh&auml;ltnisse waren enge und kleine, die Lebenshaltung primitiv. Die einzelnen St&auml;mme sonderten sich voneinander ab, aber respektierten gegenseitig ihr Gebiet. Wurde ein Stamm angegriffen, so waren die M&auml;nner zur Abwehr verpflichtet, und sie wurden hierin auf das kr&auml;ftigste von den Frauen unterst&uuml;tzt. Nach Herodot nahmen die Frauen bei den Skythen am Kampfe teil; wie er behauptet, sollte die Jungfrau erst haben heiraten d&uuml;rfen, nachdem sie einen Feind erschlagen hatte. Im allgemeinen waren in der Urzeit die physischen und die geistigen Unterschiede zwischen Mann und Weib weit geringere als in unserer Gesellschaft. Bei fast allen wilden und in der Barbarei lebenden V&ouml;lkern sind die Unterschiede in dem Gewicht und der Gr&ouml;&szlig;e des Gehirns geringer als bei den V&ouml;lkern in der Zivilisation. Auch stehen bei diesen V&ouml;lkerschaften die Frauen an K&ouml;rperkraft und Gewandtheit den M&auml;nnern kaum nach. Daf&uuml;r spricht nicht nur das Zeugnis der alten Schriftsteller &uuml;ber die V&ouml;lker, die dem Mutterrecht anhingen, daf&uuml;r legen auch Zeugnis ab die <A NAME="S52"><B>|52|</A></B> Frauenheere der Aschantis und des K&ouml;nigs von Dahome in Westafrika, die sich durch Tapferkeit und Wildheit auszeichnen. Auch Tacitus' Urteil &uuml;ber die Frauen der alten Germanen und die Angaben C&auml;sars &uuml;ber die Frauen der Iberer und Schotten best&auml;tigen dieses. Kolumbus hatte vor Santa Cruz ein Gefecht mit einer indianischen Schaluppe zu bestehen, in dem die Frauen ebenso tapfer wie die M&auml;nner k&auml;mpften. Best&auml;tigt finden wir ferner diese Auffassung bei Havelock Ellis: "Unter den Andombies am Kongo haben, nach H. H. Johnstone, die Frauen hart zu arbeiten und schwere Lasten zu schleppen, f&uuml;hren jedoch ein ganz gl&uuml;ckliches Leben. Sie sind oft kr&auml;ftiger als die M&auml;nner, besser entwickelt und sollen oft geradezu herrliche Gestalten besitzen. Von den Manynema des Arruwimi, in derselben Gegend, sagt Parke: 'Es sind sch&ouml;ne Gesch&ouml;pfe, besonders sind die Frauen sehr h&uuml;bsch und k&ouml;nnen ebenso schwere Lasten tragen wie die M&auml;nner.' In Nordamerika sagte ein Indianerh&auml;uptling zu Hearne: 'Die Weiber sind zur Arbeit geschaffen, eine von ihnen kann so viel tragen oder heben wie zwei M&auml;nner.' Schellong, der die Papuaner in dem deutschen Schutzgebiet von Neuguinea vom anthropologischen Standpunkte aus sorgf&auml;ltig untersucht hat, fand die Frauen st&auml;rker gebaut als die M&auml;nner. In Zentralaustralien kommt es gelegentlich wohl vor, da&szlig; M&auml;nner ihre Frauen aus Eifersucht schlagen, aber bei solchen Anl&auml;ssen ereignet es sich nicht selten, da&szlig; die Frau sich revanchiert und ohne Beihilfe dem Manne eine t&uuml;chtige Tracht Schl&auml;ge verabfolgt. In Kuba fochten die Frauen an der Seite der M&auml;nner und erfreuten sich einer gro&szlig;en Unabh&auml;ngigkeit. Bei einigen indischen Rassen sowie bei den Pueblos Nordamerikas und den Patagoniern sind die Frauen ebenso gro&szlig; wie die M&auml;nner, und auch bei den Russen besteht, was K&ouml;rperl&auml;nge anbetrifft, kein so gro&szlig;er Unterschied zwischen den Geschlechtern wie bei Engl&auml;ndern oder Franzosen."<A NAME="ZF10"><A HREF="beaa_035.htm#F10">(10)</A></A></P>
<P>Aber auch in der Gens f&uuml;hrten die Frauen unter Umst&auml;nden ein strenges Regiment, und wehe dem Manne, der zu tr&auml;ge oder zu ungeschickt war, um sein Teil zum allgemeinen Unterhalt beizutragen. Ihm wurde die T&uuml;r gewiesen, und entweder kehrte er zu seiner Gens zur&uuml;ck, in der man ihn schwerlich freundlich aufnahm, oder er trat in eine andere Gens, in der man duldsamer gegen ihn war. Da&szlig; diesen Charakter noch heute das Eheleben der Eingeborenen im Innern Afrikas hat, erfuhr zu seiner gro&szlig;en &Uuml;berraschung Living- <A NAME="S53"><B>|53|</A></B> stone, wie er in seinen "Missionary travels and researches in southern Africa", London 1857, erz&auml;hlt. Am Sambesi traf er auf die Balonda, einen sch&ouml;nen und kr&auml;ftigen, ackerbautreibenden Negerstamm, bei dem er die ihm anfangs unglaublich geschienenen Mitteilungen der Portugiesen best&auml;tigt fand, wonach die Frauen eine bevorzugte Stellung genie&szlig;en. Sie sitzen im Rat; ein junger Mann, der heiratet, mu&szlig; von seinem Dorf in das der Frau wandern; er verpflichtet sich dabei, die Mutter seiner Frau lebenslang mit Brennholz zu versorgen, falls es aber zur Trennung kommt, bleiben die Kinder das Eigentum der Mutter. Dagegen mu&szlig; die Frau f&uuml;r die Nahrung des Mannes sorgen. Obgleich es nun zeitweilig zu kleinen Streitigkeiten zwischen M&auml;nnern und Frauen kommt, fand Livingstone, da&szlig; die M&auml;nner sich nicht dagegen emp&ouml;rten, dagegen sah er, da&szlig; M&auml;nner, die ihre Frauen beleidigt hatten, in empfindlicher Weise, und zwar - am Magen gestraft wurden. Der Mann kommt nach Hause, erz&auml;hlt er, um zu essen, aber eine Frau schickt ihn zu der anderen, und er erh&auml;lt nichts. M&uuml;de und hungrig klettert er im volkreichsten Teil des Dorfes auf einen Baum und verk&uuml;ndet mit kl&auml;glicher Stimme: "H&ouml;rt! h&ouml;rt! Ich dachte, ich h&auml;tte Weiber geheiratet, aber sie sind mir Hexen! Ich bin ein Junggeselle, ich habe nicht ein einziges Weib! Ist das recht gegen einen Herrn wie ich!" </P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> "Der isolierte Mensch, den das Naturrecht (und die Lehre vom contrat social) an den Anfang der menschlichen Entwicklung stellt, ist eine Erfindung ohne jede Realit&auml;t und daher f&uuml;r die theoretische Analyse der menschlichen Lebensformen ebenso wertlos und irref&uuml;hrend wie f&uuml;r die geschichtliche Erkenntnis. Vielmehr geh&ouml;rt der Mensch zu den Herdentieren, das hei&szlig;t zu denjenigen Tiergattungen, deren einzelne Individuen dauernd in festen Verb&auml;nden leben." Ed.<I> </I>Meyer, &Uuml;ber die Anf&auml;nge des Staates und sein Verh&auml;ltnis zu den Geschlechtsverb&auml;nden und zum Volkstum. 1907. <A HREF="beaa_035.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Bachofens Buch erschien 1861 unter dem Titel "Das Mutterrecht. Eine Untersuchung &uuml;ber die Gyn&auml;kokratie der alten Welt nach ihrer religi&ouml;sen und rechtlichen Natur", Stuttgart, Verlag von Krais &amp; Hoffmann. - Morgans grundlegendes Werk erschien in deutscher &Uuml;bersetzung unter dem Titel "Die Urgesellschaft. Untersuchungen &uuml;ber den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation" im Verlag von J. H. W. Dietz, Stuttgart 1891. In demselben Verlag erschien: "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Im Anschlu&szlig; an Lewis H. Morgans Forschungen". Von Friedrich Engels. Vierte, vermehrte Auflage, 1892. Ferner: "Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Familie". Von Heinrich Cunow, 1894. <A HREF="beaa_035.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Ziegler spottet in seiner in der Vorrede erw&auml;hnten Schrift dar&uuml;ber, da&szlig; man dem Mythos irgendwelche Bedeutung f&uuml;r die Kulturgeschichte beilege. In dieser Anschauung zeigt sich die ganze Einseitigkeit des Naturwissenschaftlers. In den Mythen liegt ein tiefer Sinn, sie sind erwachsen aus der "Volksseele", ihnen liegen uralte Volkssitten und Gebr&auml;uche zugrunde, die allm&auml;hlich verschwunden sind, aber, mit der Glorie des Religi&ouml;sen umgeben, im Mythos fortleben. Trifft man nun auf Tatsachen, die den Mythos erkl&auml;ren, so hat man einen vollwichtigen Grund f&uuml;r seine historische Bedeutung. <A HREF="beaa_035.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Dr. Adolf Bastian, Reisen im Innern des Archipel, Singapore, Batavia, Manila und Japan. S. 12. Jena 1869. <A HREF="beaa_035.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Bachofen, Das Mutterrecht. <A HREF="beaa_035.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Totemverband ein Geschlechtsverband. Jedes Geschlecht hat sein Totemtier, zum Beispiel Leguaneidechse, Opossum, Emu, Wolf, B&auml;r usw., nach dem der Verband den Namen f&uuml;hrt. Das Totemtier genie&szlig;t besondere Verehrung, es gilt dem Verband als heilig, und Angeh&ouml;rige desselben d&uuml;rfen weder das Tier t&ouml;ten noch sein Fleisch essen. Das Totemtier hat eine &auml;hnliche Bedeutung wie der Schutzheilige der Zunft im Mittelalter. <A HREF="beaa_035.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> 9. Jahrgang 1891, S. 225 ff. <A HREF="beaa_035.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">(8)</A> 12. Jahrgang 1893/94, S. 119. <A HREF="beaa_035.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">(9)</A> Fr. Engels, Der Ursprung der Familie usw. <A HREF="beaa_035.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">(10)</A> Havelock Ellis, Mann und Weib. S. 3 bis 4. Leipzig 1894. <A HREF="beaa_035.htm#ZF10">&lt;=</A></P></BODY>
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