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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Die Anf&auml;nge der Internationalen </TITLE>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->322-363<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Elftes Kapitel: Die Anf&auml;nge der Internationalen<!-- #EndEditable --></H1>
<hr size="1">
<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 ALIGN="CENTER">1. Die Gr&uuml;ndung<A name="Kap_1"></A></H3>
<P><B>|322|</B> Einige Wochen nach Lassalles Tode, am 28. September 1864, wurde
in London, auf einem gro&szlig;en Meeting in St. Martins Hall, die Internationale
Arbeiterassoziation gegr&uuml;ndet.</P>
<P>Sie war nicht das Werk eines einzelnen, kein &raquo;kleiner K&ouml;rper mit einem
gro&szlig;en Kopfe&laquo;, keine heimatlose Verschw&ouml;rerbande; sie war weder das
nichtige Schattenbild noch das ungeheure Schrecknis, wie in holdem Wechsel die
von b&ouml;sem Gewissen gepeitschte Phantasie de kapitalistischen Herolde behauptete.
Sie war vielmehr eine Durchgangsform des proletarischen Emanzipationskampfes,
und ihr geschichtliches Wesen bedingte sowohl, da&szlig; sie notwendig, als auch
da&szlig; sie verg&auml;nglich war.</P>
<P>Die kapitalistische Produktionsweise als der Widerspruch in sich selbst, erzeugt
die modernen Staaten und zerst&ouml;rt sie zugleich. Sie treibt die nationalen
Gegens&auml;tze auf die Spitze, aber sie schafft auch alle Nationen nach ihrem
Bilde um. Auf ihrem Boden ist dieser Gegensatz unl&ouml;slich, und an ihm scheiterte
immer jene Verbr&uuml;derung der V&ouml;lker, von der die b&uuml;rgerliche Revolution
soviel zu singen und zu sagen wu&szlig;te. Indem die gro&szlig;e Industrie Freiheit
und Frieden zwischen den Nationen predigte, machte sie aus diesem Erdball ein
Kriegslager, wie es keine fr&uuml;here Periode der Geschichte gesehen hat.</P>
<P>Jedoch mit der kapitalistischen Produktionsweise f&auml;llt auch ihr innerer
Widerspruch. Wohl kann sich der proletarische Emanzipationskampf nur auf nationalem
Boden entwickeln; da sich der kapitalistische Produktionsproze&szlig; innerhalb
nationaler Schranken vollzieht, so steht jedes Proletariat zun&auml;chst seiner
Bourgeoisie gegen&uuml;ber. Aber das Proletariat unterliegt nicht dem unerbittlichen
Konkurrenzkampf, der allen internationalen Freiheits- und Friedenstr&auml;umen
der Bourgeoisie ein so j&auml;he und rasches Ende bereitet. Sobald die Arbeiter
erkennen - und diese Erkenntnis f&auml;llt schon mit dem ersten Erwachen ihres
Klassenbewu&szlig;tseins zusammen -, da&szlig; sie die Konkurrenz in ihren eigenen
Reihen aufheben <A NAME="S323"></A><B>|323|*</B> m&uuml;ssen, um der &Uuml;bermacht
des Kapitals &uuml;berhaupt einen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen, so ist
nur noch ein Schritt zu der tieferen Erkenntnis, da&szlig; auch die Konkurrenz
zwischen den Arbeiterklassen der verschiedenen L&auml;nder aufh&ouml;ren m&uuml;sse,
vielmehr ihr gemeinsames Zusammenwirken notwendig sei, um die internationale Herrschaft
der Bourgeoisie zu brechen.</P>
<P>Demgem&auml;&szlig; machte sich in der modernen Arbeiterbewegung die internationale
Tendenz schon sehr fr&uuml;h geltend. Was der Verstand der Bourgeoisie, der durch
ihr Profitinteresse verbarrikadiert ist, nur als unpatriotische Gesinnung, als
einen Mangel an Bildung und Verstand aufzufassen vermochte, das war nichts anderes
als eine Lebensbedingung des proletarischen Emanzipationskampfes. Allein wenn
dieser Kampf auch den Zwiespalt zwischen nationaler und internationaler Tendenz,
worin die Bourgeoisie sich ewig windet, l&ouml;sen kann und mu&szlig;, so gebietet
er hier sowenig wie sonst irgendwo &uuml;ber eine Zauberrute, die seinen und steilen
Aufstieg in eine ebene und glatte Bahn wandeln kann. Die moderne Arbeiterklasse
k&auml;mpft unter Bedingungen, die ihr von der geschichtlichen Entwicklung gestellt
sind, die nicht in einem gewaltigen Ansturm &uuml;berrannt, sondern nur dadurch
&uuml;berwunden werden k&ouml;nnen, da&szlig; sie verstanden werden im Sinne des
Hegelschen Worts: Verstehen hei&szlig;t &uuml;berwinden.</P>
<P>Erschwert wurde dies Verst&auml;ndnis in hohem Grade dadurch, da&szlig; die
Anf&auml;nge der europ&auml;ischen Arbeiterbewegung, in denen sich alsbald ihre
internationale Richtung aussprach, mannigfach zusammenfielen und sich durchkreuzten
mit der Gr&uuml;ndung gro&szlig;er Nationalstaaten, eben durch die kapitalistische
Produktionsweise. Wenige Wochen, nachdem das &raquo;Kommunistische Manifest&laquo; die vereinigte
Aktion des Proletariats in allen zivilisierten L&auml;ndern als eine unerl&auml;&szlig;liche
Voraussetzung seiner Emanzipation verk&uuml;ndet hatte, brach die Revolution von
1848 aus, die in England und Frankreich zwar schon Bourgeoisie und Proletariat
als feindliche M&auml;chte gegeneinander stellte, aber in Deutschland und Italien
erst nationale Unabh&auml;ngigkeitsk&auml;mpfe entfachte. Allerdings hat damals
das Proletariat, soweit es sich schon handelnd bet&auml;tigte, vollkommen richtig
erkannt, da&szlig; diese Unabh&auml;ngigkeitsk&auml;mpfe, wenn auch keineswegs
sein letztes Ziel, so doch eine Station auf dem Wege zu diesem Ziele waren; es
hat den nationalen Bewegungen in Deutschland und Italien die tapfersten K&auml;mpfer
gestellt, und nirgends sind diese Bewegungen besser beraten gewesen als in der
&raquo;Neuen Rheinischen Zeitung&laquo;, die von den Verfassern des &raquo;Kommunistischen Manifestes&laquo;
herausgegeben wurde. Aber der nationale Kampf dr&auml;ngte naturgem&auml;&szlig;
den <A NAME="S324"></A><B>|324|</B> internationalen Gedanken zur&uuml;ck, zumal
als sich die Bourgeoisie in Deutschland und Italien unter reaktion&auml;re Bajonette
zu fl&uuml;chten begann. In Italien organisierten sich Hilfsvereine der Arbeiter
unter dem nichts weniger als sozialistischen, aber wenigstens republikanischen
Banner Mazzinis, und in dem entwickelteren Deutschland, dessen Arbeitern schon
seit den Tagen Weitlings die internationalen Zusammenh&auml;nge ihrer Sache nicht
fremd waren, kam es eben um der nationalen Frage willen zu einem zehnj&auml;hrigen
Bruderkriege.</P>
<P>Anders lagen die Dinge in Frankreich und England, wo die nationale Einheit
l&auml;ngst gesichert war, als die proletarische Bewegung begann. Hier war schon
in vorm&auml;rzlicher Zeit der internationale Gedanke sehr lebendig: Paris galt
als Hauptstadt der europ&auml;ischen Revolution, und London war die Metropole
des Weltmarkts. Jedoch trat er auch hier mehr oder minder zur&uuml;ck nach den
proletarischen Niederlagen.</P>
<P>Der furchtbare Aderla&szlig; der Junischlacht l&auml;hmte die franz&ouml;sische
Arbeiterklasse, und der eiserne Druck des bonapartistischen Despotismus hinderte
ihre gewerkschaftliche wie ihre politische Organisation. Sie fiel in das vorm&auml;rzliche
Sektenwesen zur&uuml;ck, aus dessen Wirrwarr zwei Richtungen deutlicher hervortraten,
in denen sich gewisserma&szlig;en das revolution&auml;re und das sozialistische
Element schied. Die eine Richtung kn&uuml;pfte an Blanqui an, der kein eigentlich
sozialistisches Programm hatte, sondern die politische Gewalt durch den k&uuml;hnen
Handstreich einer entschlossenen Minderheit erobern wollte. Die andere Richtung
- und sie war die ungleich st&auml;rkere - stand unter dem geistigen Einflu&szlig;
Proudhons, der mit seinen Tauschbanken zur Herstellung eines unentgeltlichen Kredits
und &auml;hnlichen doktrin&auml;ren Experimenten von der politischen Bewegung
ablenkte; von dieser Bewegung hatte Marx schon im &raquo;Achtzehnten Brumaire&laquo; gesagt,
da&szlig; sie darauf verzichte, die alte Welt mit ihren eignen gro&szlig;en Gesamtmitteln
umzuw&auml;lzen, vielmehr hinter dem R&uuml;cken der Gesellschaft, auf Privatweise,
innerhalb ihrer beschr&auml;nkten Existenzbedingungen ihre Erl&ouml;sung zu vollbringen
suche.</P>
<P>Eine in manchen Beziehung &auml;hnliche Entwicklung vollzog sich nach dem Scheitern
des Chartismus in der englischen Arbeiterklasse. Der gro&szlig;e Utopist Owen
lebte zwar noch in hohen Jahren, aber seine Schule versandete in religi&ouml;sem
Freidenkertum. Daneben entstand der Christliche Sozialismus der Kingsley und Maurice,
der - sowenig er mit seinen kontinentalen Zerrbildern in einen Topf geworfen werden
durfte - mit seinen Bildungs- und Genossenschaftsbestrebungen doch auch von dem
politischen Kampf nichts wissen wollte. Aber selbst die gewerkschaftlichen Verb&auml;nde
der Trade Unions, die England vor Frankreich voraushatte <A NAME="S325"></A><B>|325|*</B>,
verharrten in politischer Gleichg&uuml;ltigkeit und beschr&auml;nkten sich auf
die Befriedigung ihrer n&auml;chstliegenden Bed&uuml;rfnisse, die ihnen durch
die fieberhafte Industriet&auml;tigkeit der f&uuml;nfziger Jahre und durch die
englische Vorherrschaft auf dem Weltmarkt erleichtert wurde.</P>
<P>Trotz alledem war aber auf englischem Boden die internationale Arbeiterbewegung
erst sehr allm&auml;hlich eingeschlafen. Ihre letzten Spuren lassen sich bis in
das Ende der f&uuml;nfziger Jahre verfolgen. Die Fraternal Democrats hatten ihr
Dasein bis in die Tage des Krimkrieges fortgeschleppt, und auch nach ihrem v&ouml;lligen
Einschlafen war ein Internationales Komitee und danach eine Internationale Assoziation
entstanden, um die sich namentlich Ernest Jones bem&uuml;ht hatte. Gro&szlig;e
Bedeutung hatten sie freilich nicht gewonnen, aber sie zeigten doch, da&szlig;
der internationale Gedanke nie v&ouml;llig erloschen war, sondern in schwachen
Funken fortlebte, die durch kr&auml;ftigere Windst&ouml;&szlig;e leicht wieder
zu hellen Flammen angefacht werden konnten.</P>
<P>Als solche Windst&ouml;&szlig;e wirkten nacheinander die Handelskrise von 1857,
der Krieg von 1859 und namentlich der B&uuml;rgerkrieg, der seit 1860 zwischen
den Nord- und den S&uuml;dstaaten der nordamerikanischen Union entbrannt war.
Hatte die Handelskrise von 1857 der bonapartistischen Herrlichkeit in Frankreich
den ersten nachhaltigen Sto&szlig; gegeben, so war der Versuch, diesen Sto&szlig;
durch ein gl&uuml;ckliches Abenteuer der ausw&auml;rtigen Politik zu parieren,
keineswegs gelungen. Die Kugel, die der Dezembermann ins Rollen gebracht hatte,
war ihm l&auml;ngst aus den H&auml;nden geglitten. Die italienische Einheitsbewegung
wuchs ihm &uuml;ber den Kopf, und die franz&ouml;sische Bourgeoisie lie&szlig;
sich mit dem mageren Lorbeer der Schlachten von Magenta und Solferino nicht abspeisen.
Um ihren wachsenden &Uuml;bermut zu d&auml;mpfen, lag der Gedanke nahe, der Arbeiterklasse
einen gr&ouml;&szlig;eren Spielraum zu gew&auml;hren; die Existenzm&ouml;glichkeit
des zweiten Kaiserreichs bestand ja recht eigentlich in der gelungenen L&ouml;sung
der Aufgabe, Bourgeoisie und Proletariat gegenseitig in Schach zu halten.</P>
<P>Nat&uuml;rlich dachte Bonaparte nicht an politische Zugest&auml;ndnisse, wohl
aber an gewerkschaftliche. Proudhon, der in den franz&ouml;sischen Arbeiterkreisen
den verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig gr&ouml;&szlig;ten Einflu&szlig; hatte, war
ein Gegner des Kaiserreichs, obgleich manche seiner paradoxen Einf&auml;lle den
Anschein des Gegenteils erwecken mochten, aber er war auch ein Gegner der Streiks.
Hier aber schien die franz&ouml;sischen Arbeiter der Schuh am meisten zu dr&uuml;cken.
Trotz der Abmahnungen Proudhons und der strengen Koalitionsverbote wurden von
1853 bis 1866 nicht weniger als 3.909 Arbeiter wegen Beteiligung an 749 Koalitionen
strafrechtlich verurteilt. <A NAME="S326"></A><B>|326|</B> Der nachgemachte C&auml;sar
begann damit, die Verurteilten zu begnadigen. Dann unterst&uuml;tzte er die Entsendung
von franz&ouml;sischen Arbeitern auf die Londoner Weltausstellung von 1862, und
zwar, wie sich nicht bestreiten l&auml;&szlig;t, in viel gr&uuml;ndlicherer Weise,
als der deutsche Nationalverein denselben sinnreichen Gedanken zu gleicher Zeit
verwirklichte. Die Delegierten sollten von ihren gewerblichen Fachgenossen gew&auml;hlt
werden; es wurden in Paris 50 Wahlb&uuml;ros f&uuml;r 150 F&auml;cher gebildet,
die im ganzen 200 Vertreter nach London sandten; die Kosten bestritt - neben einer
freiwilligen Subskription - die kaiserliche und die st&auml;dtische Kasse mit
je 20.000 Franken. Bei ihrer R&uuml;ckkehr durften die Delegierten ausf&uuml;hrliche
Berichte, die meist schon weit &uuml;ber das fachliche Gebiet hinausgriffen, durch
den Druck verbreiten. Unter den damaligen Verh&auml;ltnissen war es eine Haupt-
und Staatsaktion, die dem ahnungsvollen Engel von Pariser Polizeipr&auml;fekten
den Sto&szlig;seufzer entlockte, ehe sich der Kaiser auf solche Scherze einlie&szlig;e,
sollte er lieber gleich die Koalitionsverbote aufheben.</P>
<P>In der Tat bekundeten die Arbeiter ihrem eigenn&uuml;tzigen G&ouml;nner nicht
den Dank, den er beanspruchte, sondern nur den Dank, den er verdiente. Bei den
Wahlen von 1863 wurden in Paris f&uuml;r die Kandidaten der Regierung nur 82.000,
f&uuml;r die Kandidaten der Opposition aber 153.000 Stimmen abgegeben, w&auml;hrend
bei den Wahlen von 1857 die Regierung noch 111.000, die Opposition aber erst 96.000
W&auml;hler gemustert hatte. Man nahm allgemein an, da&szlig; die Abwandlung nur
zum geringeren Teile durch die Abschwenkung der Bourgeoisie, haupts&auml;chlich
aber durch die ver&auml;nderte Stellung der Arbeiterklasse zu erkl&auml;ren sei,
die gerade jetzt, wo der falsche Bonaparte mit ihrem Interesse kokettierte, ihre
Unabh&auml;ngigkeit bekunden wollte, wenn sie zun&auml;chst auch nur unter der
Fahne des b&uuml;rgerlichen Radikalismus marschierte. Diese Annahme wurde best&auml;tigt,
als f&uuml;r einige Nachwahlen, die 1864 in Paris stattfanden, sechzig Arbeiter
den Ziseleur Tolain als ihren Kandidaten aufstellten und ein Manifest erlie&szlig;en,
worin sie das Wiedererwachen des Sozialismus ank&uuml;ndigten. Freilich h&auml;tten,
hie&szlig; es darin, die Sozialisten aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt.
Im Jahre 1848 seien die Arbeiter noch nicht zu einem klaren Programm gelangt;
mehr aus Instinkt als &Uuml;berlegung h&auml;tten sie dieser oder jener sozialen
Theorie gehuldigt. Nun hielten sie sich fern von utopischen &Uuml;bertreibungen
und suchten nach sozialen Reformen. An solchen Reformen forderte Tolain Pre&szlig;-
und Vereinsfreiheit, Aufhebung der Koalitionsverbote, obligatorischen und unentgeltlichen
Unterricht sowie Abschaffung des Kultusbudgets.</P>
<P><B><A NAME="S327">|327|</A></B> Jedoch brachte es Tolain nur auf einige hundert
Stimmen. Proudhon war wohl mit dem Inhalt des Manifestes einverstanden, aber er
verwarf die Wahlbeteiligung, da ihm die Abgabe wei&szlig;er Zettel ein sch&auml;rferer
Protest gegen das Kaiserreich zu sein schien; den Blanquisten war das Manifest
zu gem&auml;&szlig;igt, und die Bourgeoisie in ihrer liberalen und radikalen Schattierung,
mit einzelnen Ausnahmen, fiel mit Hohn und Spott &uuml;ber das selbst&auml;ndige
Auftreten der Arbeiter her, obgleich das Wahlprogramm Tolains ihnen noch gar keinen
Anla&szlig; zur Beunruhigung bot. Es war eine ganz &auml;hnliche Erscheinung,
wie sie sich gleichzeitig in Deutschland zeigte. Hierdurch ermutigt, wagte Bonaparte
wieder einen Schritt vorw&auml;rts; im Mai 1864 wurde durch ein Gesetz zwar noch
nicht das Verbot der Fachvereine aufgehoben, was erst vier Jahre sp&auml;ter geschah;
wohl aber wurden die Paragraphen des Code p&eacute;nal beseitigt, die Koalitionen
der Arbeiter f&uuml;r Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen untersagten.</P>
<P>In England waren zwar schon seit dem Jahre 1825 die Koalitionsverbote aufgehoben,
aber die Existenz der Trade Unions war deshalb noch keineswegs weder rechtlich
noch tats&auml;chlich gesichert, und der Masse ihrer Mitglieder fehlte das politische
Wahlrecht, das ihnen erm&ouml;glicht h&auml;tte, die gesetzlichen Hindernisse
zu beseitigen, die ihnen den Kampf um eine h&ouml;here Lebenshaltung erschwerten.
Das Aufkommen des kontinentalen Kapitalismus, das eine Unzahl von Existenzen entwurzelte,
z&uuml;chtete ihnen eine gef&auml;hrliche Schmutzkonkurrenz heran: bei jedem Anlauf
zur Erh&ouml;hung der Arbeitsl&ouml;hne oder zur Verk&uuml;rzung der Arbeitszeit
drohten die Kapitalisten mit der Einfuhr franz&ouml;sischer, belgischer, deutscher
oder anderer ausl&auml;ndischer Arbeiter. Aufr&uuml;ttelnd wirkte dann besonders
der amerikanische B&uuml;rgerkrieg. Er rief eine Baumwollenkrisis hervor, die
&uuml;ber die Arbeiter der englischen Textilindustrie das gr&ouml;&szlig;te Elend
brachte.</P>
<P>So wurden die Trade Unions aus ihrem beschaulichen Dasein erweckt. Es entstand
ein Neuer Unionismus, der namentlich durch einige erfahrene Beamte der gr&ouml;&szlig;ten
Trade Unions vertreten wurde: Allan von den Maschinenbauern, Applegarth von den
Zimmerern, Lucraft von den Schreinern, Cremer von den Maurern, Odger von den Schuhmachern
und andere. Diese M&auml;nner erkannten die Notwendigkeit des politischen Kampfes
auch f&uuml;r die Gewerkschaften. Sie richteten ihr Augenmerk auf eine Wahlreform;
sie waren die treibenden Kr&auml;fte bei einem Monstermeeting, das unter dem Vorsitze
des radikalen Politikers Bright in St. James Hall stattfand und st&uuml;rmischen
Protest gegen den Plan Palmerstons erhob, zugunsten der s&uuml;dlichen Sklavenstaaten
in der amerikanischen <A NAME="S328"></A><B>|328|*</B> B&uuml;rgerkrieg einzugreifen,
und als Garibaldi im Fr&uuml;hling 1864 einen Besuch in London abstattete, bereiteten
sie ihm einen festlichen Empfang.</P>
<P>Das politische Wiedererwachen der englischen und der franz&ouml;sischen Arbeiterklasse
rief den internationalen Gedanken wieder wach. Schon bei der Weltausstellung von
1862 fand ein &raquo;Verbr&uuml;derungsfest&laquo; zwischen den franz&ouml;sischen Delegierten
und englischen Arbeitern statt. Enger gekn&uuml;pft wurde das Band durch den polnischen
Aufstand von 1863. Die polnische Sache war unter den revolution&auml;ren Elementen
der westeurop&auml;ischen Kulturv&ouml;lker von jeher &auml;u&szlig;erst popul&auml;r;
die Unterdr&uuml;ckung und Zerst&uuml;ckelung Polens machte die drei Ostm&auml;chte
zu einer reaktion&auml;ren Macht, die Wiederherstellung Polens war ein Sto&szlig;
ins Herz der russischen Hegemonie &uuml;ber Europa. Schon von den Fraternal Democrats
waren die Gedenktage der polnischen Revolution von 1830 regelm&auml;&szlig;ig
gefeiert worden; unter begeisterten Kundgebungen f&uuml;r die polnische Nation,
doch auch immer schon in dem Sinne, da&szlig; die Wiederherstellung eines freien
und demokratischen Polens eine notwendige Vorbedingung der proletarischen Emanzipation
sei. So auch 1863. Auf den Londoner Polenmeetings, zu denen franz&ouml;sische
Arbeiter ihre Vertreter gesandt hatten, klang die soziale Note scharf hervor,
und sie war auch der Grundton einer Adresse, die ein Ausschu&szlig; englischer
Arbeiter unter dem Vorsitz Odgers an die franz&ouml;sischen Arbeiter richtete,
um ihnen f&uuml;r ihre Teilnahme an den Polenmeetings zu danken. Die Adresse betonte
namentlich, da&szlig; die Schmutzkonkurrenz, die das englische Kapital durch die
Einfuhr ausl&auml;ndischer Arbeiter dem englischen Proletariat mache, nur m&ouml;glich
sei, weil es an einer systematischen Verbindung zwischen den arbeitenden Klassen
aller L&auml;nder fehle.</P>
<P>Sie wurde von Professor Beesly, einem um die Arbeitersache vielfach verdienten
Gelehrten, der an der Londoner Universit&auml;t Geschichte vortrug, ins Franz&ouml;sische
&uuml;bersetzt und rief eine lebhafte Bewegung in den Pariser Werkst&auml;tten
hervor, die in dem Entschlu&szlig; gipfelte, die Antwort durch eine Deputation
pers&ouml;nlich nach London zu schicken. Zu deren Empfang berief der englische
Ausschu&szlig; f&uuml;r den 28. September 1864 nach St. Martins Hall ein Meeting,
das unter dem Vorsitz Beeslys tagte und bis zum Ersticken &uuml;berf&uuml;llt
war. Tolain verlas die franz&ouml;sische Antwortadresse, die vom polnischen Aufstande
anhob: &raquo;Wiederum ist Polen vom Blute seiner Kinder erstickt worden, und wir sind
machtlose Zuschauer geblieben&laquo;, um dann zu fordern, da&szlig; die Stimme des Volkes
in allen gro&szlig;en politischen und sozialen Fragen geh&ouml;rt werden m&uuml;sse.
Die despotische Macht des Kapitals m&uuml;sse gebrochen werden. Durch die <A NAME="S329"></A><B>|329|</B>
Teilung der Arbeit sei der Mensch zum mechanischen Werkzeug geworden, und der
Freihandel ohne Solidarit&auml;t der Arbeiter m&uuml;sse eine industrielle Leibeigenschaft
herbeif&uuml;hren, die unbarmherziger und verh&auml;ngnisvoller sei, als die in
den Tagen der gro&szlig;en Revolution zerbrochene Leibeigenschaft. Die Arbeiter
aller L&auml;nder m&uuml;&szlig;ten sich vereinigen, um einem verh&auml;ngnisvollen
System eine un&uuml;berwindliche Schranke entgegenzusetzen.</P>
<P>Nach einer lebhaften Debatte, in der Eccarius f&uuml;r die Deutschen sprach,
beschlo&szlig; das Meeting auf den Antrag des Trade-Unionisten Wheeler, ein Komitee
niederzusetzen mit der Vollmacht, seine Zahl zu vermehren und die Statuten f&uuml;r
eine internationale Vereinigung zu entwerfen, die vorl&auml;ufig gelten sollten,
bis im n&auml;chsten Jahre ein internationaler Kongre&szlig; in Belgien endg&uuml;ltig
dar&uuml;ber entschiede. Das Komitee wurde gew&auml;hlt: es bestand aus zahlreichen
Trade-Unionisten und ausl&auml;ndischen Vertretern der Arbeitersache, darunter
f&uuml;r die Deutschen - ihn nennt der Zeitungsbericht an letzter Stelle - Karl
Marx.</P>
<H4 ALIGN="CENTER">2. &raquo;Inauguraladresse&laquo; und &raquo;Statuten&laquo;<A name="Kap_2"></A></H4>
<P>Marx hatte bis dahin keinen t&auml;tigen Anteil an der Bewegung genommen. Er
war von dem Franzosen Le Lubez aufgefordert worden, sich f&uuml;r die deutschen
Arbeiter zu beteiligen und namentlich einen deutschen Arbeiter als Sprecher zu
stellen. Er schlug Eccarius vor, w&auml;hrend er selbst dem Meeting nur als stumme
Figur auf der Plattform beiwohnte.</P>
<P>Marx dachte von seiner wissenschaftlichen Arbeit hoch genug, um sie aller Vereinsspielerei
voranzustellen, die von vornherein aussichtslos erschien, aber er schob sie gern
zur&uuml;ck, wo n&uuml;tzliche Arbeit f&uuml;r das Proletariat zu verrichten war.
Diesmal erkannte er, da&szlig; &raquo;wirkliche M&auml;chte&laquo; im Spiel waren. Er schrieb
an Weydemeyer und &auml;hnlich an andere Freunde: &raquo;Das neulich errichtete Internationale
Arbeiterkomitee ist nicht ohne Bedeutung. Seine englischen Mitglieder bestehen
meist aus den Chefs der hiesigen Trade Unions, also den wirklichen Arbeiterk&ouml;nigen
von London, denselben Leuten, die dem Garibaldi den Riesenempfang bereiteten und
die durch das Monstremeeting in St. James Hall (unter Brights Vorsitz) Palmerston
verhinderten, den Krieg an die Vereinigten Staaten zu erkl&auml;ren, wie er auf
dem Punkte stand es zu tun. Von seiten der Franzosen sind die Mitglieder unbedeutend,
aber sie <A NAME="S330"></A><B>|330|</B> sind die direkten Organe der leitenden
Arbeiter in Paris. Ebenso besteht Verbindung mit den italienischen Vereinen, die
k&uuml;rzlich ihren Kongre&szlig; in Neapel hielten. Obgleich ich jahrelang systematisch
alle Teilnahme an allen &#155;Organisationen&#139; ablehnte, so akzeptierte ich diesmal,
weil es sich um eine Geschichte handelt, wo es m&ouml;glich ist, bedeutend zu
wirken.&laquo; Marx erkannte, da&szlig; &raquo;offenbar ein Wiederaufleben der arbeitenden
Klassen stattf&auml;nde&laquo;, und ihnen die neuen Wege zu bahnen, hielt er f&uuml;r
seine oberste Pflicht.</P>
<P>Dabei f&uuml;gte es sich gl&uuml;cklich, da&szlig; ihm die geistige Leitung
durch &auml;u&szlig;ere Umst&auml;nde von selbst zufiel. Das gew&auml;hlte Komitee
erg&auml;nzte sich durch Hinzuziehung neuer Kr&auml;fte; es bestand aus etwa 50
Mitgliedern, zur H&auml;lfte englischen Arbeitern. Danach war am st&auml;rksten
Deutschland durch etwa 10 Mitglieder vertreten, die wie Marx, Eccarius, Le&szlig;ner,
Lochner, Pf&auml;nder schon dem Bunde der Kommunisten angeh&ouml;rt hatten. Frankreich
hatte 9, Italien 6, Polen und die Schweiz je 2 Vertreter. Nach seiner Konstituierung
setzte das Komitee ein Unterkomitee nieder, das Programm und Statuten entwerfen
sollte.</P>
<P>In dieses Unterkomitee wurde auch Marx gew&auml;hlt, doch war er durch Krankheit
oder wegen zu sp&auml;ter Benachrichtigung wiederholt verhindert, den Beratungen
beizuwohnen. Derweil hatten sich der Major Wolf, der Privatsekret&auml;r Mazzinis,
der Engl&auml;nder Weston und der Franzose Le Lubez vergebens mit der L&ouml;sung
der Aufgabe befa&szlig;t, die dem Unterkomitee gestellt war. So popul&auml;r Mazzini
damals unter den englischen Arbeitern war, so verstand er sich doch viel zuwenig
auf die moderne Arbeiterbewegung, um mit seinem Entwurf geschulten Trade-Unionisten
zu imponieren. Der proletarische Klassenkampf war ihm unverst&auml;ndlich und
deshalb verha&szlig;t. Sein Programm verstieg sich h&ouml;chstens zu einiger sozialistischer
Phraseologie, &uuml;ber die das Proletariat im Anfange der sechziger Jahre l&auml;ngst
hinaus war. Ebenso waren seine Statuten aus dem Geiste einer vergangenen Zeit
geboren; in der streng zentralistischen Weise politischer Verschw&ouml;rungsgesellschaften
abgefa&szlig;t, verstie&szlig;en sie wie gegen die Lebensbedingungen der Trade
Unions im besonderen, so im allgemeinen gegen Lebensbedingungen eines internationalen
Arbeiterbundes, der keine neue Bewegung schaffen, sondern nur die in verschiedenen
L&auml;ndern schon vorhandene, aber verzettelte Klasssenbewegung des Proletariats
verbinden sollte. Ebensowenig kamen die Entw&uuml;rfe, die Le Lubez und Weston
vorlegten, &uuml;ber ein allgemeines Phrasengeklingel hinaus.</P>
<P>So war die Sache gr&uuml;ndlich verfahren, als Marx sie in die Hand nahm. Er
war entschlossen, da&szlig; wo m&ouml;glich &raquo;not one single line [Mehring <A NAME="S331"></A><B>|331|</B>
&uuml;bersetzt: nicht eine einzige Zeile] von dem Zeug stehnbleiben sollte&laquo;, und
um sich ganz davon zu emanzipieren, entwarf er - was auf dem Meeting in St. Martins
Hall nicht vorgesehen war - eine Adresse an die arbeitenden Klassen, eine Art
R&uuml;ckblick auf ihre Schicksale seit 1848, um danach die Statuten um so klarer
und k&uuml;rzer zu fassen. Das Unterkomitee nahm seine Vorschl&auml;ge sofort
an, nur da&szlig; es in die Einleitung der Statuten einige Phrasen von &raquo;Recht,
Pflicht, Wahrheit, Moral und Gerechtigkeit&laquo; einschaltete, die Marx jedoch, wie
er an Engels schrieb, so unterzubringen wu&szlig;te, da&szlig; sie keinen Schaden
anrichten konnten. Dann nahm auch das Generalkomitee &raquo;Adresse&laquo; wie &raquo;Statuten&laquo;
einstimmig und mit gro&szlig;er Begeisterung an.</P>
<P>Von der &raquo;Inauguraladresse&laquo; hat Beesly sp&auml;ter einmal gesagt, sie sei wahrscheinlich
die gewaltigste und schlagendste Darlegung der Arbeitersache gegen die Mittelklasse,
die je in ein Dutzend kleiner Seiten zusammengepre&szlig;t worden sei. Die &raquo;Adresse&laquo;
begann damit, die gro&szlig;e Tatsache festzustellen, da&szlig; sich die Not der
Arbeiterklasse in den Jahren von 1848 bis 1864 nicht gemindert habe, obgleich
gerade dieser Zeitraum in den Jahrb&uuml;chern der Geschichte beispiellos dastehe
durch die Entwicklung seiner Industrie und das Wachstum seines Handels. Sie f&uuml;hrte
den Beweis dadurch, da&szlig; sie urkundlich gegen&uuml;berstellte einerseits
die f&uuml;rchterliche Statistik der amtlichen Blaub&uuml;cher &uuml;ber das Elend
des englischen Proletariats, andererseits die Ziffern, die der Schatzkanzler Gladstone
in seinen Budgetreden beigebracht hatte f&uuml;r die berauschende, aber ganz und
gar auf die besitzenden Klassen beschr&auml;nkte Vermehrung von Macht und Reichtum,
die in jenem Zeitraum vor sich gegangen sei. Die &raquo;Adresse&laquo; deckte diesen schreienden
Gegensatz an den englischen Zust&auml;nden auf, weil England an der Spitze der
europ&auml;ischen Industrie und des europ&auml;ischen Handels stehe, aber sie
f&uuml;gte hinzu, da&szlig; er mit anderer Lokalf&auml;rbung und auf etwas kleinerer
Stufenleiter in allen L&auml;ndern des Festlandes bestehe, wo die gro&szlig;e
Industrie sich entwickle.</P>
<P>&Uuml;berall beschr&auml;nke sich die berauschende Vermehrung von Macht und
Reichtum auf die besitzenden Klassen, es sei denn, da&szlig; eine kleine Anzahl
von Arbeitern, wie in England, einen etwas erh&ouml;hten, aber durch die allgemeine
Preissteigerung wieder ausgeglichenen Arbeitslohn erhalten h&auml;tte. &raquo;&Uuml;berall
sank die gro&szlig;e Masse der arbeitenden Klassen in immer tieferes Elend, mindestens
in demselben Ma&szlig;e, wie die oberen Klassen auf der sozialen Leiter stiegen.
In allen L&auml;ndern Europas steht es jetzt als Wahrheit fest, unleugbar f&uuml;r
jeden unbefangenen Forscher, und nur bestritten von denen, die ein Interesse <A NAME="S332"></A><B>|332|</B>
daran haben, anderen tr&uuml;gerische Hoffnungen zu erwecken, da&szlig; weder
die Vervollkommnung der Maschinen noch die Verwertung der Wissenschaft f&uuml;r
den Ackerbau oder die Industrie, weder die Hilfsmittel und Kunstgriffe des Verkehrs
noch neue Kolonien oder Auswanderung, weder die Eroberung neuer M&auml;rkte noch
der Freihandel oder alle diese Dinge zusammengenommen das Elend der gewerbt&auml;tigen
Massen zu beseitigen verm&ouml;gen, da&szlig; vielmehr auf der falschen Grundlage
des Bestehenden jede frische Entwicklung der sch&ouml;pferischen Kraft der Arbeit
nur dahin zielt, die sozialen Gegens&auml;tze zu vertiefen und den sozialen Konflikt
zu versch&auml;rfen. Hungertod erhob sich in der Hauptstadt des britischen K&ouml;nigreichs
beinahe auf den Rang einer sozialen Institution w&auml;hrend dieser berauschenden
Periode &ouml;konomischen Fortschritts. Dieser Zeitraum ist in den Jahrb&uuml;chern
der Geschichte gekennzeichnet durch die beschleunigte Wiederkehr, den erweiterten
Umfang und die t&ouml;dlichen Wirkungen der sozialen Pest, die man Handels- und
Industriekrisen nennt.&laquo;<A name="ZT1"></A><A href="fm03_322.htm#Z1"><SPAN class="top">[1]</SPAN></A></P>
<P>Die &raquo;Adresse&laquo; warf dann einen Blick auf die Niederlage der Arbeiterbewegung
in den f&uuml;nfziger Jahren und fand, da&szlig; diese Zeit auch ihre entsch&auml;digenden
Charakterz&uuml;ge habe. Besonders zwei gro&szlig;e Tatsachen wurden hervorgehoben.
Zuerst der gesetzliche Zehnstundentag mit seinen f&uuml;r das englische Proletariat
so heilsamen Folgen. Der Kampf f&uuml;r die gesetzliche Beschr&auml;nkung der
Arbeitszeit war ein direkter Eingriff in den gro&szlig;en Kampf zwischen der blinden
Regel der Gesetze &uuml;ber Angebot und Nachfrage, die die politische &Ouml;konomie
der Bourgeoisie ausmachen, und der durch soziale F&uuml;rsorge geregelten Produktion,
die die Arbeiterklasse vertritt. &raquo;Und deshalb war die Zehnstundenbill nicht nur
ein gro&szlig;er praktischer Erfolg, sondern auch der Sieg eines Prinzips; zum
ersten Male erlag die politische &Ouml;konomie der Bourgeoisie der politischen
&Ouml;konomie der Arbeiterklasse.&laquo;<A name="ZT2"></A><A href="fm03_322.htm#Z2"><SPAN class="top">[2]</SPAN></A></P>
<P>Einen noch gr&ouml;&szlig;eren Sieg erfocht die politische &Ouml;konomie des
Proletariats durch die Kooperativbewegung, die auf dem Prinzip der Kooperation
beruhenden, durch wenige unverzagte, wenn auch ununterst&uuml;tzte H&auml;nde
ins Leben gerufenen Fabriken. Der Wert dieser gro&szlig;en sozialen Versuche k&ouml;nne
nicht hoch genug angeschlagen werden. &raquo;Durch die Tat, statt der Gr&uuml;nde, haben
sie bewiesen, da&szlig; Produktion in gro&szlig;em Ma&szlig;stab und in &Uuml;bereinstimmung
mit den Geboten modernster Wissenschaft stattfinden kann ohne die Existenz einer
Klasse von Unternehmern, die einer Klasse von Arbeitern zu tun gibt, da&szlig;
die Arbeitsmittel, um Fr&uuml;chte zu tragen, nicht als Werkzeuge ausbeutender
Herrschaft &uuml;ber die Arbeitenden selbst monopolisiert zu werden brauchen,
<A NAME="S333"></A><B>|333|</B> da&szlig; Lohnarbeit wie Sklavenarbeit wie Leibeigenschaft
nur eine untergeordnete und vor&uuml;bergehende Form ist, die, dem Untergange
geweiht, verschwinden mu&szlig; vor der genossenschaftlichen Arbeit, die ihre
schwere Aufgabe mit williger Hand, leichtem Sinn und fr&ouml;hlichem Herzen erf&uuml;llt.&laquo;<A name="ZT3"></A><A href="fm03_322.htm#Z3"><SPAN class="top">[3]</SPAN></A>
Gleichwohl vermag Kooperativarbeit, auf gelegentliche Versuche beschr&auml;nkt,
das kapitalistische Monopol nicht zu brechen. &raquo;Vielleicht haben gerade aus diesem
Grunde Aristokraten von anscheinend edler Denkungsart, menschenfreundliche Sch&ouml;nredner
der Bourgeoisie und selbst gesch&auml;ftskluge National&ouml;konomen ganz urpl&ouml;tzlich
mit widerlichen Komplimenten eben dem Kooperativarbeitssystem gehuldigt, das sie
vergebens im Keime zu ersticken versucht, als die Utopie des Tr&auml;umers verh&ouml;hnt
oder als Verr&uuml;cktheit des Sozialisten gebrandmarkt hatten.&laquo;<A name="ZT4"></A><A href="fm03_322.htm#Z4"><SPAN class="top">[4]</SPAN></A> Erst die Entwicklung
der Kooperativarbeit zu nationalen Dimensionen k&ouml;nne die Massen retten. Dagegen
w&uuml;rden die Herren des Grundbesitzes und des Kapitals stets ihre politischen
Vorrechte aufbieten, um ihre &ouml;konomischen Monopole zu verewigen. Deshalb
sei es die gro&szlig;e Pflicht der arbeitenden Klassen, politische Macht zu erobern.</P>
<P>Diese Pflicht schienen die Arbeiter begriffen zu haben, wie ihr gleichzeitiges
Wiederaufleben in England, Frankreich, Deutschland und Italien, ihr gleichzeitiges
Streben nach einer politischen Reorganisation der Arbeiterpartei bewiese. &raquo;Ein
Element des Erfolges besitzen sie - Zahlen. Aber Zahlen wiegen nur schwer in der
Waage, wenn sie durch ein B&uuml;ndnis vereinigt und einem bewu&szlig;ten Ziel
entgegengef&uuml;hrt werden.&laquo;<A name="ZT5"></A><A href="fm03_322.htm#Z5"><SPAN class="top">[5]</SPAN></A> Die Erfahrung der Vergangenheit lehre, da&szlig;
Mi&szlig;achtung der Br&uuml;derlichkeit, die zwischen den Arbeitern der verschiedenen
L&auml;nder bestehen und sie anspornen sollte, in allen K&auml;mpfen f&uuml;r
ihre Emanzipation fest beieinander zu stehen, sich durch eine allgemeine Vereitelung
ihrer zusammenhanglosen Anstrengungen r&auml;che. Diese Erw&auml;gung habe das
Meeting in St. Martins Hall zur Gr&uuml;ndung der Internationalen Arbeiterassoziation
veranla&szlig;t.</P>
<P>Und noch eine &Uuml;berzeugung habe dies Meeting beherrscht. Erheische die
Emanzipation der arbeitenden Klassen ihren br&uuml;derlichen Beistand, wie k&ouml;nnten
sie dieses gro&szlig;e Ziel erreichen mit einer ausw&auml;rtigen Politik der Regierungen,
die frevelhafte Pl&auml;ne verfolge, mit nationalen Vorurteilen spiele und in
Raubz&uuml;gen Blut und Gut des Volkes vergeude? Nicht die Weisheit der herrschenden
Klassen, sondern der heldenm&uuml;tige Widerstand des Proletariats gegen ihre
verbrecherische Torheit habe den Westen Europas vor einem infamen Kreuzzug f&uuml;r
die Verewigung und Fortpflanzung der Sklaverei auf dem jenseitigen Ufer des Atlantischen
Ozeans bewahrt. Der schamlose Beifall, die nur scheinbare <A NAME="S334"></A><B>|334|</B>
Sympathie oder die bl&ouml;de Gleichg&uuml;ltigkeit, womit die h&ouml;heren Klassen
zugesehen h&auml;tten, wie Ru&szlig;land die Bergfeste des Kaukasus erbeutete
und das heldenm&uuml;tige Polen ermordete, wiesen die arbeitenden Klassen auf
ihre Pflicht, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die
diplomatischen Streiche ihrer Regierungen zu &uuml;berwachen, ihnen mit allen
Mitteln entgegenwirken, wenn m&ouml;glich; wenn es aber unm&ouml;glich sei, ihnen
zuvorzukommen, sich in gleichzeitigen Demonstrationen zu vereinigen, und die einfachen
Gesetze von Moral und Recht, die die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten,
als die obersten Gesetze f&uuml;r den Verkehr der Nationen geltend zu machen.
Der Kampf f&uuml;r eine solche ausw&auml;rtige Politik sei eingeschlossen in den
allgemeinen Kampf f&uuml;r die Emanzipation der Arbeiterklasse. Die &raquo;Adresse&laquo;
schlo&szlig; wie einst das &raquo;Kommunistische Manifest&laquo;: Proletarier aller L&auml;nder,
vereinigt euch!</P>
<P>Die &raquo;Statuten&laquo; begannen mit Erw&auml;gungsgr&uuml;nden <A name="ZT6"></A><A href="fm03_322.htm#Z6"><SPAN class="top">[6]</SPAN></A>, die sich in folgende
S&auml;tze zusammenfassen lassen: Die Emanzipation der Arbeiterklasse mu&szlig;
durch die Arbeiter selbst erobert werden; der Kampf f&uuml;r sie ist kein Kampf
f&uuml;r neue Klassenvorrechte, sondern f&uuml;r die Vernichtung aller Klassenherrschaft.
Der &ouml;konomischen Unterwerfung des Arbeiters unter den Aneigner der Arbeitsmittel,
das hei&szlig;t der Lebensquellen, liegt die Knechtschaft in allen ihren Formen
zugrunde: dem sozialen Elend, der geistigen Verk&uuml;mmerung und der politischen
Abh&auml;ngigkeit. Die &ouml;konomische Emanzipation der Arbeiterklasse ist daher
das gro&szlig;e Ziel, dem jede politische Bewegung als Mittel dienen mu&szlig;.
Alle nach diesem Ziele strebenden Versuche sind bisher gescheitert aus Mangel
an Einigkeit zwischen den verschiedenen Arbeitsgruppen jedes Landes und zwischen
den Arbeiterklassen der verschiedenen L&auml;nder. Die Emanzipation der Arbeiter
ist weder eine lokale noch eine nationale, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe;
sie umfa&szlig;t alle L&auml;nder, in denen die moderne Gesellschaft besteht;
sie kann nur vollbracht werden durch das planm&auml;&szlig;ige Zusammenwirken
dieser L&auml;nder. An diese klaren und scharfen S&auml;tze waren dann jene moralischen
Gemeinpl&auml;tze &uuml;ber Gerechtigkeit und Wahrheit, Pflichten und Rechte geh&auml;ngt,
die Marx nur mit Widerstreben in seinem Text aufnahm.</P>
<P>Die Organisation des Bundes gipfelte in einem Generalrat, der zusammengesetzt
sein sollte aus Arbeitern der verschiedenen, in der Assoziation vertretenen L&auml;nder.
Bis zum ersten Kongre&szlig; &uuml;bernahm das in St. Martins Hall gew&auml;hlte
Komitee die Befugnisse des Generalrats. Sie bestanden darin, die internationale
Vermittlung zwischen den Arbeiterorganisationen der verschiedenen L&auml;nder
zu &uuml;bernehmen, die Arbeiter <A NAME="S335"></A><B>|335|</B> jedes Landes
fortdauernd &uuml;ber die Bewegungen ihrer Klasse in anderen L&auml;ndern zu unterrichten,
statistische Untersuchungen &uuml;ber die Lage der arbeitenden Klassen anzustellen,
Fragen von allgemeinem Interesse in allen Arbeitergesellschaften beraten zu lassen,
im Falle internationaler Streitigkeiten eine gleichm&auml;&szlig;ige und gleichzeitige
Aktion der verbundenen Organisationen zu veranlassen, periodische Berichte zu
ver&ouml;ffentlichen und &auml;hnlichen Aufgaben. Der Generalrat wurde vom Kongre&szlig;
gew&auml;hlt, der j&auml;hrlich einmal zusammentrat. Der Kongre&szlig; bestimmte
den Sitz des Generalrats sowie Ort und Zeit des n&auml;chsten Kongresses. Doch
war der Generalrat befugt, die Zahl seiner Mitglieder zu vervollst&auml;ndigen
und im Notfalle den Ort des Kongresses zu wechseln, nicht aber die Zeit seines
Zusammentritts hinauszuschieben. Die Arbeitergesellschaften der einzelnen L&auml;nder,
die sich der Internationalen anschlossen, behielten ihre gesonderte Organisation
unangetastet bei. Keiner unabh&auml;ngigen Lokalgesellschaft war verwehrt, unmittelbar
mit dem Generalrat zu verkehren, doch wurde es als eine f&uuml;r die wirksame
T&auml;tigkeit des Generalrats notwendige Vorbedingung bezeichnet, da&szlig; die
gesonderten Arbeitergesellschaften der einzelnen L&auml;nder sich soweit m&ouml;glich
zu nationalen, in Zentralorganen vertretenen K&ouml;rperschaften vereinigten.</P>
<P>So falsch es ist zu sagen, da&szlig; die Internationale die Erfindung eines
&raquo;gro&szlig;en Kopfes&laquo; gewesen sei, so war es gleichwohl ihr Gl&uuml;ck, da&szlig;
sie bei ihrem Entstehen einen gro&szlig;en Kopf fand, der ihr lange Irrwege ersparte,
indem er ihr den richtigen Weg wies. Mehr tat Marx nicht und mehr wollte er auch
nicht tun. Die unvergleichliche Meisterschaft der &raquo;Adresse&laquo; wie der &raquo;Statuten&laquo;
bestand eben darin, da&szlig; sie durchweg an die augenblickliche Lage der Dinge
ankn&uuml;pften und gleichwohl, wie Liebknecht einmal treffend sagte, die letzten
Konsequenzen des Kommunismus enthielten, nicht minder als das &raquo;Kommunistische
Manifest&laquo;.</P>
<P>Von diesem unterschieden sie sich nicht nur durch die Form; &raquo;es bedarf Zeit&laquo;,
schrieb Marx an Engels, &raquo;bis die wiedererwachte Bewegung die alte K&uuml;hnheit
der Sprache wieder erlaubt. N&ouml;tig fortiter in re, suaviter in modo [Mehring
&uuml;bersetzt: stark in der Sache, mild in der Form].&laquo; Sie hatte &uuml;berhaupt
eine andere Aufgabe. Es kam nunmehr darauf an, die gesamte streitbare Arbeiterschaft
Europas und Amerikas zu einem gro&szlig;en Heeresk&ouml;rper zu verschmelzen,
ein Programm aufzustellen, das nach einem Worte von Engels, den englischen Trade
Unions, den franz&ouml;sischen, belgischen, italienischen, spanischen Proudhonisten,
den deutschen Lassalleanern die T&uuml;re nicht verschlo&szlig;. F&uuml;r den
schlie&szlig;lichen Sieg des wissenschaftlichen Sozialismus, wie er im &raquo;Kommunistischen
Manifest&laquo; <A NAME="S336"></A><B>|336|*</B> aufgestellt war, verlie&szlig; sich
Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse,
wie sie aus ihrer vereinigten Aktion hervorgehen mu&szlig;te.</P>
<P>Fr&uuml;h genug wurde seine Erwartung auf eine harte Probe gestellt; kaum hatte
er die Werbearbeit f&uuml;r die Internationale begonnen, als er in einen schweren
Zusammensto&szlig; mit derjenigen europ&auml;ischen Arbeiterklasse geriet, der
die Grunds&auml;tze der Internationalen am ehesten einleuchteten.</P>
<H4 ALIGN="CENTER">3. Die Absage an Schweitzer<A name="Kap_3"></A></H4>
<P>Es ist eine alte aber weder sch&ouml;ne noch wahre &Uuml;berlieferung, da&szlig;
die deutschen Lassalleaner den Eintritt in die Internationale verweigert und sich
&uuml;berhaupt feindlich zu ihr gestellt h&auml;tten.</P>
<P>Zun&auml;chst ist nicht abzusehen, welchen Grund sie dazu gehabt haben sollten.
Ihre straffe Organisation, auf die sie allerdings hohen Wert legten, wurde durch
die &raquo;Statuten&laquo; der Internationalen nicht im entferntesten angetastet, und die
&raquo;Inauguraladresse&laquo; konnten sie von A bis Z unterschreiben; mit besonderer Genugtuung
sogar den Abschnitt &uuml;ber die Kooperativarbeit, die nur durch ihre Ausdehnung
zu nationalen Dimensionen und ihre F&ouml;rderung durch Staatsmittel die Massen
retten k&ouml;nne.</P>
<P>In der Tat haben sich die deutschen Lassalleaner von vornherein durchaus freundlich
zur Internationalen gestellt, obgleich sie zur Zeit ihrer Entstehung genug mit
sich selbst zu tun hatten. Nach dem Tode Lassalles und auf dessen testamentarische
Empfehlungen war Bernhard Becker zum Pr&auml;sidenten des Allgemeinen Deutschen
Arbeitervereins gew&auml;hlt worden, erwies sich jedoch so unf&auml;hig, da&szlig;
ein heilloser Wirrwarr entstand. Was den Verein noch zusammenhielt, war das Vereinsorgan,
der &raquo;Social-Demokrat&laquo;, der seit Ende des Jahres 1864 unter der geistigen Leistung
J. B. von Schweitzers erschien. Dieser ebenso energische wie f&auml;hige Mann
hatte sich aufs eifrigste um die Mitarbeit von Marx und Engels beworben, hatte
Liebknecht, wozu ihn niemand zwang, in die Redaktion aufgenommen und gleich in
der zweiten und dritten Nummer seines Blattes die &raquo;Inauguraladresse&laquo; abgedruckt.</P>
<P>Nun hatte allerdings Moses He&szlig;, der aus Paris f&uuml;r das Blatt korrespondierte,
die Unabh&auml;ngigkeit Tolains verd&auml;chtigt, indem er ihn einen Freund des
Palais Royal nannte, wo Jer&ocirc;me Bonaparte den roten Demagogen spielte, aber
Schweitzer hatte den Brief erst nach ausdr&uuml;cklicher <A NAME="S337"></A><B>|337|*</B>
Genehmigung Liebknechts ver&ouml;ffentlicht. Als sich Marx dar&uuml;ber beschwerte,
ging Schweitzer noch weiter und ordnete an, da&szlig; Liebknecht alles selbst
zu redigieren habe, was sich auf die Internationale bez&ouml;ge; ja am 15. Februar
1865 schrieb er an Marx, er werde eine Resolution vorschlagen, worin der Allgemeine
Deutsche Arbeiterverein sein volles Einverst&auml;ndnis mit den Grunds&auml;tzen
der Internationalen erkl&auml;ren und die Beschickung ihrer Kongresse versprechen
solle, auf seinen formellen Anschlu&szlig; aber lediglich aus R&uuml;cksicht auf
die deutschen Bundesgesetze verzichten werde, die die Verbindung verschiedener
Vereine verboten. Auf dieses Angebot hat Schweitzer keine Antwort mehr erhalten;
vielmehr sagten sich Marx und Engels durch eine &ouml;ffentliche Erkl&auml;rung
von der Mitarbeit f&uuml;r den &raquo;Social-Demokraten&laquo; los.</P>
<P>Daraus geht schon zur Gen&uuml;ge hervor, da&szlig; der peinliche Bruch in
keiner Weise mit Zwistigkeiten wegen der Internationalen zu tun hatte. Was ihn
veranla&szlig;te, sagten Marx und Engels ganz offen in ihrer Erkl&auml;rung. Sie
h&auml;tten keinen Augenblick die schwierige Stellung des &raquo;Social-Demokraten&laquo;
verkannt und keine f&uuml;r den Meridian von Berlin unpassenden Anspr&uuml;che
erhoben. Aber sie h&auml;tten wiederholt gefordert, da&szlig; dem Ministerium
und der feudal-absolutistischen Partei gegen&uuml;ber eine wenigstens ebenso k&uuml;hne
Sprache gef&uuml;hrt werde wie gegen&uuml;ber den Fortschrittlern. Die von dem
&raquo;Social-Demokraten&laquo; befolgte Taktik schl&ouml;sse ihre weitere Bet&auml;tigung
an dem Blatte aus. Was sie einst in der &raquo;Deutschen-Br&uuml;sseler-Zeitung&laquo; &uuml;ber
den k&ouml;niglich preu&szlig;ischen Regierungssozialismus und die Stellung der
Arbeiterpartei zu solchem Blendwerk entwickelt h&auml;tten, in einer Antwort an
den &raquo;Rheinischen Beobachter&laquo;, der eine &raquo;Allianz&laquo; des &raquo;Proletariats&laquo; mit der &raquo;Regierung&laquo;
gegen die &raquo;liberale Bourgeoisie&laquo; vorgeschlagen habe, das unterschrieben sie auch
jetzt Wort f&uuml;r Wort.</P>
<P>Mit einer solchen &raquo;Allianz&laquo; oder einem &raquo;preu&szlig;ischen Regierungssozialismus&laquo;
hatte die Taktik des &raquo;Social-Demokraten&laquo; nichts zu tun. Nachdem sich die Hoffnung
Lassalles, die deutsche Arbeiterklasse in einem m&auml;chtigen Anlauf aufzur&uuml;tteln,
als tr&uuml;gerisch erwiesen hatte, war der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
mit seinen paar tausend Mitgliedern eingeklemmt zwischen zwei Gegnern, deren jeder
stark genug war, ihn zu erdr&uuml;cken. So wie die Dinge damals lagen, hatte die
junge Arbeiterpartei von dem stumpfsinnigen Ha&szlig; der Bourgeoisie gar nichts,
von dem verschlagenen Diplomaten Bismarck aber wenigstens so viel zu erwarten,
da&szlig; er seine gro&szlig;preu&szlig;ische Politik nicht ohne gewisse Zugest&auml;ndnisse
an die Volksmassen durchf&uuml;hren konnte. Weder &uuml;ber den Wert noch &uuml;ber
den Zweck solcher Zugest&auml;ndnisse hat sich Schweitzer <A NAME="S338"></A><B>|338|</B>
je einer Einbildung hingegeben, aber zu einer Zeit, wo der deutschen Arbeiterklasse
die gesetzlichen Vorbedingungen ihrer Organisation so gut wie ganz fehlten, wo
sie ein wirksames Wahlrecht &uuml;berhaupt nicht besa&szlig; und Pre&szlig;-,
Vereins- und Versammlungsfreiheit der b&uuml;rokratischen Willk&uuml;r preisgegeben
waren, war ein Vorw&auml;rtskommen nicht so m&ouml;glich, da&szlig; der &raquo;Social-Demokrat&laquo;
auf beide Gegner gleich heftig einschlug, sondern nur so, da&szlig; er einen gegen
den andern ausspielte. Unerl&auml;&szlig;liche Vorbedingung einer solchen Politik
war nur, da&szlig; die Unabh&auml;ngigkeit der jungen Arbeiterpartei nach allen
Seiten gewahrt und das Bewu&szlig;tsein dieser Unabh&auml;ngigkeit in den Arbeitermassen
immer wach erhalten wurde.</P>
<P>Das aber hat Schweitzer mit gleichem Bem&uuml;hen wie Erfolg getan, und man
wird in dem &laquo; Social-Demokraten&laquo; vergebens auch nur nach einer Silbe suchen, die
nach einer &raquo;Allianz&laquo; mit der Regierung gegen die Fortschrittspartei geschmeckt
h&auml;tte. Verfolgt man die damalige &ouml;ffentliche T&auml;tigkeit Schweitzers
im Zusammenhange mit der allgemeinen politischen Entwicklung, so wird man auf
manche Fehler sto&szlig;en, wie Schweitzer &uuml;brigens selbst zugegeben hat,
aber im wesentlichen auf eine kluge und konsequente Politik, die durchaus nur
auf die Interessen der Arbeiterklasse abzielte und unm&ouml;glich von Bismarck
oder welchem Reaktion&auml;r sonst immer diktiert sein konnte.</P>
<P>Vor Marx und Engels hatte Schweitzer, wenn auch sonst nichts, so doch die genaue
Kenntnis der preu&szlig;ischen Zust&auml;nde voraus. Sie sahen diese Zust&auml;nde
immer nur erst durch eine gef&auml;rbte Brille, und Liebknecht versagte in der
aufkl&auml;renden und vermittelnden T&auml;tigkeit, die ihm nach Lage der Dinge
zugefallen w&auml;re. Er war im Jahre 1862 nach Deutschland zur&uuml;ckgekehrt,
auf den Ruf des roten Republikaners Bra&szlig;, der ebenfalls aus dem Exil heimgekehrt
war, um die &raquo;Norddeutsche Allgemeine Zeitung&laquo; zu begr&uuml;nden. Kaum aber war
Liebknecht in die Redaktion eingetreten, als sich herausstellte, da&szlig; Bra&szlig;
das Blatt an das Ministerium Bismarck verkauft hatte. Liebknecht schied sofort
aus; allein diese erste Erfahrung auf deutschem Boden war dennoch ein sehr ungl&uuml;cklicher
Zufall f&uuml;r ihn. Nicht etwa nur in dem &auml;u&szlig;erlichen Sinne, da&szlig;
er nun wieder auf der Stra&szlig;e lag wie in den langen Jahren des Exils. Darum
k&uuml;mmerte er sich am wenigsten: die Interessen seiner Sache standen ihm immer
&uuml;ber den Interessen seiner Person. Aber sein Erlebnis mit Bra&szlig; hinderte
seine unbefangene Orientierung &uuml;ber die neuen Zust&auml;nde, die er in Deutschland
vorfand.</P>
<P>Liebknecht war wesentlich noch der alte Achtundvierziger, als er auf deutschen
Boden zur&uuml;ckkehrte. Der alte Achtundvierziger im Sinne der <A NAME="S339"></A><B>|339|</B>
&raquo;Neuen Rheinischen Zeitung&laquo;, in der die sozialistische Theorie und selbst der
proletarische Klassenkampf noch sehr zur&uuml;cktraten hinter dem revolution&auml;ren
Kampf der Nation gegen die Herrschaft r&uuml;ckst&auml;ndiger Klassen. Die sozialistische
Theorie, so gut er ihre Grundgedanken verstand, ist in ihrem gelehrten Ger&uuml;ste
niemals die Sache Liebknechts gewesen; was er in den Jahren des Exils von Marx
gelernt hatte, war besonders die Neigung, die weiten Gefilde der internationalen
Politik nach revolution&auml;ren Keimen abzuleuchten. Dabei kam f&uuml;r Marx
und Engels, die als geborene Rheinl&auml;nder allzu ver&auml;chtlich &uuml;ber
alles ostelbische Wesen dachten, der preu&szlig;ische Staat schon sehr zu kurz,
und nun vollends f&uuml;r Liebknecht, der, ein geborener S&uuml;ddeutscher, in
den Bewegungsjahren nur auf badischem und schweizerischem Boden, den Ursitzen
der Kant&ouml;nlipolitik, t&auml;tig gewesen war. Preu&szlig;en war ihm immer
noch der vorm&auml;rzliche Vasallenstaat des Zarentums, der sich mit den ver&auml;chtlichen
Mitteln der Korruption gegen den geschichtlichen Fortschritt str&auml;ube und
vor allem &uuml;ber den Haufen gerannt werden m&uuml;sse, ehe an moderne Klassenk&auml;mpfe
in Deutschland zu denken sei. Liebknecht erkannte nicht, wie sehr die &ouml;konomische
Entwicklung der f&uuml;nfziger Jahre auch den preu&szlig;ischen Staat umgewandelt
und Zust&auml;nde in ihm geschaffen hatte, unter deren Einwirkung die Losl&ouml;sung
der Arbeiterklasse von der b&uuml;rgerlichen Demokratie eine geschichtliche Notwendigkeit
geworden war.</P>
<P>So war ein dauerndes Einvernehmen zwischen Liebknecht und Schweitzer unm&ouml;glich,
und in Liebknechts Augen schlug es dem Fasse den Boden aus, als Schweitzer f&uuml;nf
Artikel &uuml;ber das Ministerium Bismarck ver&ouml;ffentlichte, die an sich zwar
eine meisterhafte Parallele zwischen der gro&szlig;preu&szlig;ischen und der proletarisch-revolution&auml;ren
Politik in der deutschen Einheitsfrage zogen, aber an dem &raquo;Fehler&laquo; litten, die
gef&auml;hrliche Wucht der gro&szlig;preu&szlig;ischen Politik so beredt zu schildern,
da&szlig; diese fast verherrlicht zu werden schien. Dagegen beging Marx den &raquo;Fehler&laquo;,
in einem Schreiben vom 13. Februar an Schweitzer auszuf&uuml;hren, da&szlig; von
der preu&szlig;ischen Regierung wohl allerlei frivole Spielereien mit Produktivgenossenschaften,
aber keine Aufhebung der Koalitionsverbote zu erwarten sei, die den B&uuml;rokratismus
und die Polizeiherrschaft durchbr&auml;che. Marx verga&szlig; dabei nur zu sehr,
was er einst so beredt gegen Proudhon ausgef&uuml;hrt hatte, da&szlig; die Regierungen
nicht die wirtschaftlichen Verh&auml;ltnisse kommandieren, sondern die wirtschaftlichen
Verh&auml;ltnisse umgekehrt die Regierungen. Wenige Jahre noch, und das Ministerium
Bismarck mu&szlig;te, gern oder ungern, die Koalitionsverbote aufheben. In seiner
Antwort vom 15. Februar - demselben <A NAME="S340"></A><B>|340|</B> Briefe, worin
Schweitzer den Anschlu&szlig; des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins an die
Internationale zu bef&ouml;rdern versprach und nochmals betonte, Liebknecht habe
alles, was sich auf die Internationale bez&ouml;ge, selbst&auml;ndig zu redigieren
- bemerkte Schweitzer, er werde jede theoretische Aufkl&auml;rung, die ihm Marx
gew&auml;hre, gern entgegennehmen, aber um die praktischen Fragen momentaner Taktik
richtig zu entscheiden, m&uuml;sse man im Mittelpunkte der Bewegung stehen und
die Verh&auml;ltnisse genau kennen. Daraufhin vollzogen Marx und Engels den Bruch.</P>
<P>V&ouml;llig erkl&auml;rt werden diese Irrungen und Wirrungen doch nur durch
das verh&auml;ngnisvolle Treiben der Gr&auml;fin Hatzfeldt. Die alte Freundin
Lassalles hat sich damals aufs schwerste vers&uuml;ndigt an dem Andenken des Mannes,
der einst ihr Leben vor dem Tode der Infamie gesch&uuml;tzt hatte. Sie wollte
aus der Sch&ouml;pfung Lassalles eine autorit&auml;tsgl&auml;ubige Sekte machen,
die auf die Worte des Meisters schwor, nicht einmal so, wie dieser sie gesprochen
hatte, sondern wie die Gr&auml;fin Hatzfeldt sie auslegte. Den Unfug, den sie
trieb, ersieht man aus einem Briefe, den Engels am 10. M&auml;rz an Weydemeyer
richtete. Es hei&szlig;t darin nach einigen Worten &uuml;ber die Gr&uuml;ndung
des &raquo;Social-Demokraten&laquo;: &raquo;Nun aber entstand in dem Bl&auml;ttchen einerseits ein
unertr&auml;glicher Lassalle-Kultus, w&auml;hrend wir inzwischen positiv erfuhren
(die alte Hatzfeldt erz&auml;hlte es dem Liebknecht und forderte ihn auf, in diesem
Sinne zu wirken), da&szlig; Lassalle <I>viel tiefer</I> mit Bismarck drin war,
als wir je gewu&szlig;t hatten. Es existierte eine f&ouml;rmliche Allianz zwischen
beiden, die so weit gekommen war, da&szlig; Lassalle nach Schleswig-Holstein gehn
sollte und da f&uuml;r die Annexation der Herzogt&uuml;mer an Preu&szlig;en auftreten,
w&auml;hrend Bism[arck] weniger bestimmte Zusagen wegen Einf&uuml;hrung einer
Art allgemeinen Stimmrechts und bestimmtere wegen Koalitionsrecht und sozialer
Konzessionen, Staatsunterst&uuml;tzung f&uuml;r Arbeiterassoziationen usw. gemacht
hatte. <I>Gedeckt</I> war der dumme Lassalle dem Bism[arck] gegen&uuml;ber durch
<I>gar nichts</I>, au contraire [von Mehring &uuml;bersetzt: im Gegenteil], er
w&auml;re sans fa&ccedil;on [von Mehring &uuml;bersetzt: ohne Umst&auml;nde] ins
Loch geworfen worden, sobald er unbequem wurde. Die Herren vom &#155;Social-Demokrat&#139;
<I>wu&szlig;ten das</I> und fuhren trotz alledem mit dem Kultus Lassalles heftiger
und heftiger fort. Dazu aber kam, da&szlig; die Kerle sich durch <I>Drohungen</I>
von seiten Wageners (von der &#155;Kreuzzeitung&#139;) einsch&uuml;chtern lie&szlig;en,
Bismarck die Cour zu schneiden, mit ihm zu kokettieren, etc., etc. ... Wir lie&szlig;en
inliegende Erkl&auml;rung drucken und traten ab, wobei auch Liebknecht abtrat.&laquo;
Es ist schwer verst&auml;ndlich, da&szlig; Marx und Engels und Liebknecht, die
alle Lassalle gekannt hatten <A NAME="S341"></A><B>|341|</B> und alle den &raquo;Social-Demokrat&laquo;
lasen, an die M&auml;rchen der Gr&auml;fin Hatzfeldt glaubten, aber wenn sie einmal
daran glaubten, so war es nur zu verst&auml;ndlich, wenn sie sich von der Bewegung
abwandten, die Lassalle eingeleitet hatte.</P>
<P>Eine praktische Wirkung auf diese Bewegung hatte ihre Absage jedoch nicht.
Selbst alte Mitglieder des Kommunistenverbandes wie R&ouml;ser, der einst vor
den K&ouml;lner Assisen so beredt die Grunds&auml;tze des &raquo;Kommunistischen Manifestes&laquo;
verfochten hatte, erkl&auml;rten sich f&uuml;r die Taktik Schweitzers.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">4. Die erste Konferenz in London<A name="Kap_4"></A></H3>
<P>Wenn so die Lassalleaner von vornherein aus dem neuen Bunde ausschieden, so
ging auch die Werbearbeit unter den englischen Gewerkschaften und den franz&ouml;sischen
Proudhonisten zun&auml;chst nur langsam vor sich.</P>
<P>Es war doch erst ein kleiner Kreis von Gewerkschaftsf&uuml;hrern, der die Notwendigkeit
des politischen Kampfes begriffen hatte, und auch er sah in der Internationalen
mehr nur ein Mittel f&uuml;r seine gewerkschaftlichen Zwecke. Aber wenn diese
M&auml;nner wenigstens ein gro&szlig;es Ma&szlig; praktischer Erfahrung in allen
Organisationsfragen besa&szlig;en, so fehlte es den franz&ouml;sischen Proudhonisten
hierin nicht weniger als an einer klaren Einsicht in das geschichtliche Wesen
der Arbeiterbewegung. Es war eben eine gewaltige Aufgabe, die sich der neue Bund
gestellt hatte, und sie zu l&ouml;sen, bedurfte es eines gewaltigen Flei&szlig;es
wie einer gewaltigen Kraft.</P>
<P>Marx hat beides aufgeboten, den Flei&szlig; wie die Kraft, obgleich er damals
immer wieder von schmerzhaften Krankheiten geplagt wurde und darauf brannte, sein
wissenschaftliches Hauptwerk zu einem gewissen Abschlu&szlig; zu bringen. Er seufzte
wohl einmal: &raquo;Das Schlimme bei solcher Agitation ist, da&szlig; man sehr bothered
[Mehring &uuml;bersetzt: gest&ouml;rt] wird, sobald man sich dran beteiligt&laquo; oder
er meinte, die Internationale, und was drum und dran h&auml;nge, laste &raquo;wie ein
Inkubus&laquo; auf ihm, und er w&auml;re froh, sie absch&uuml;tteln zu k&ouml;nnen.
Aber das ginge nun einmal nicht; wer A gesagt habe, m&uuml;sse auch B sagen, und
im Grunde w&auml;re Marx nicht er selbst gewesen, wenn ihn das Tragen dieser Last
nicht doch froher und gl&uuml;cklicher gemacht h&auml;tte, als ihn ihr Absch&uuml;tteln
irgend h&auml;tte machen k&ouml;nnen.</P>
<P>Es stellte sich alsbald heraus, da&szlig; er das eigentliche &raquo;Haupt&laquo; der <A NAME="S342"></A><B>|342|</B>
ganzen Bewegung war. Nicht als ob er sich irgendwie vorgedr&auml;ngt h&auml;tte;
er hatte eine grenzenlose Verachtung f&uuml;r alle wohlfeile Popularit&auml;t,
und von der Demokratenmanier, &ouml;ffentlich sich wichtig zu machen und nichts
zu tun, wollte er sich dadurch unterscheiden, da&szlig; er hinter den Kulissen
arbeitete und &ouml;ffentlich verschw&auml;nde. Aber keiner von allen, die in
dem kleinen Bunde t&auml;tig waren, besa&szlig; auch nur entfernt die seltenen
Eigenschaften, die f&uuml;r seine so umfassende Agitation notwendig waren: den
klaren und tiefen Einblick in die Gesetze der geschichtlichen Entwicklung, die
Energie, das Notwendige zu wollen, und die Geduld, sich mit dem M&ouml;glichen
zu bescheiden, die langm&uuml;tige Nachsicht mit dem ehrlichen Irrtum und die
herrische Unerbittlichkeit gegen verstockte Unwissenheit. Auf ungleich weiterem
Gebiete, als einst in dem revolution&auml;ren K&ouml;ln, konnte Marx jetzt seine
unvergleichliche T&auml;tigkeit &uuml;ben, die Menschen zu beherrschen, indem
er sie lehrte und leitete.</P>
<P>&raquo;Enorm viel Zeit&laquo; kosteten ihm von vornherein die pers&ouml;nlichen H&auml;keleien
und Streitigkeiten, die von den Anf&auml;ngen solcher Bewegungen unzertrennlich
zu sein pflegen; die italienischen und namentlich die franz&ouml;sischen Mitglieder
machten viel unn&uuml;tze Schwierigkeiten. In Paris bestand seit den Revolutionsjahren
eine tiefe Abneigung zwischen &raquo;Kopf- und Handarbeitern&laquo;; die Proletarier konnten
den nur allzu h&auml;ufigen Verrat der Literaten nicht vergessen, und die Literaten
verketzerten jede Arbeiterbewegung, die nichts von ihnen wissen wollte. Aber auch
innerhalb der Arbeiterklasse selbst wucherte unter dem Druck des bonapartistischen
Milit&auml;rdespotismus der Verdacht bonapartistischer Mogeleien, zumal da jedes
Mittel der Verst&auml;ndigung durch Vereine oder Zeitungen fehlte. Das Brodeln
dieser &raquo;Franzosensuppe&laquo; hat dem Generalrat manchen kostbaren Abend und manche
weitl&auml;ufige Resolution gekostet.</P>
<P>Erfreulicher und fruchtbarer f&uuml;r Marx waren die Arbeiten, womit er an
den englischen Zweig der Internationalen ankn&uuml;pfte. Wie die englischen Arbeiter
das Eintreten der englischen Regierung f&uuml;r die rebellischen S&uuml;dstaaten
der Union bek&auml;mpft hatten, so war es ihr gutes Recht, Abraham Lincoln zu
seiner Wiederwahl als Pr&auml;sidenten zu begl&uuml;ckw&uuml;nschen. Marx entwarf
die Adresse an den &raquo;einfachen Sohn der Arbeiterklasse, dem die Aufgabe zugefallen
sei, sein Land durch de erhabenen Kampf f&uuml;r die Befreiung einer geknechteten
Rasse zu f&uuml;hren&laquo; <A name="ZT7"></A><A href="fm03_322.htm#Z7"><SPAN class="top">[7]</SPAN></A>; solange die wei&szlig;en Arbeiter der Union nicht begriffen
h&auml;tten, da&szlig; die Sklaverei ihre Republik sch&auml;nde, solange sie sich
vor dem Neger, der verkauft wurde, ohne um seine Einwilligung gefragt zu werden,
mit dem hohen Vorrecht des wei&szlig;en Arbeiters gebr&uuml;stet h&auml;tten,
sich <A NAME="S343"></A><B>|343|</B> selbst verkaufen und den Herrn ausw&auml;hlen
zu d&uuml;rfen, solange seien sie unf&auml;hig gewesen, die wahre Freiheit zu
erlangen oder den Emanzipationskampf ihrer europ&auml;ischen Br&uuml;der zu unterst&uuml;tzen.
Aber diese Schranke habe das rote Blutmeer des B&uuml;rgerkrieges hinweggeschwemmt.
Die Adresse war mit offenbarer Lust und Liebe zur Sache entworfen, obgleich Marx,
der wie Lessing von den eigenen Arbeiten in wegwerfendem Tone zu sprechen liebte,
an Engels schrieb, er habe das Zeug aufzusetzen gehabt (was viel schwerer sei
als eine inhaltliche Arbeit), damit sich die Phraseologie, auf die sich solche
Schreiberei beschr&auml;nke, wenigstens von der demokratischen Vulg&auml;rphraseologie
unterscheide. Lincoln empfand den Unterschied sehr wohl; er antwortete in sehr
freundlichem und herzlichem Tone, zur Verwunderung der Londoner Presse, denn Gl&uuml;ckwunschadressen
von b&uuml;rgerlich-demokratischer Seite fertigte der &raquo;old man&laquo; mit ein paar formellen
Komplimenten ab.</P>
<P>&raquo;Inhaltlich&laquo; war dann freilich noch viel wichtiger eine Abhandlung &uuml;ber
&raquo;Lohn, Preis und Profit&laquo; <A name="ZT8"></A><A href="fm03_322.htm#Z8"><SPAN class="top">[8]</SPAN></A>, die Marx am 26. Juni 1865 im Generalrat der Internationalen
vortrug, um die von einzelnen Mitgliedern vertretene Ansicht zu widerlegen, da&szlig;
ein allgemeines Steigen des Lohnes den Arbeitern nichts nutzen k&ouml;nne und
deshalb die Trade Unions sch&auml;dlich wirkten. Diese Ansicht ging von dem Irrtum
aus, da&szlig; der Arbeitslohn den Wert der Waren bestimme, und da&szlig;, wenn
die Kapitalisten heute 5 Schilling Lohn statt 4 zahlten, sie morgen, infolge der
gestiegenen Nachfrage, ihre Waren f&uuml;r 5 Schilling statt 4 verkaufen w&uuml;rden.
Marx meinte, so fad das nun sei und sich nur an die &auml;u&szlig;erlichste Oberfl&auml;che
der Erscheinung halte, so sei es doch nicht leicht, alle die &ouml;konomischen
Fragen, die damit zusammenhingen, Ignoranten auseinanderzusetzen; ein Kurs in
politischer &Ouml;konomie lasse sich nicht in eine Stunde zusammendr&auml;ngen.
Indessen gelang es ihm vortrefflich, und die Trade Unions dankten ihm einen wesentlichen
Dienst.</P>
<P>Vor allem war es aber die aufspringende Bewegung um die englische Wahlreform,
der die Internationale ihre ersten namhaften Erfolge verdankte. Schon am 1. Mai
1865 meldete Marx an Engels: &raquo;Die Reform League ist unser Werk. In dem engeren
Ausschu&szlig; der Zw&ouml;lf (je sechs Mann von der Mittel- und der Arbeiterklasse)
sind alle Arbeiter Mitlieder unseres Generalrats (darunter Eccarius). Alle mittleren
B&uuml;rgerversuche, die Arbeiter irrezuf&uuml;hren, haben wir vereitelt ... Gelingt
diese Reelektrisierung der politischen Bewegung der englischen Arbeiterklasse,
so hat unsere Assoziation, ohne irgendwelches Aufheben zu machen, schon mehr f&uuml;r
die europ&auml;ische Arbeiterklasse geleistet, als auf irgendeinem anderen Wege
m&ouml;glich gewesen w&auml;re. Und es ist alle Aussicht <A NAME="S344"></A><B>|344|*</B>
auf Erfolg vorhanden.&laquo; Darauf antwortete Engels am 3. Mai: &raquo;Die Internationale
Assoziation hat sich wirklich in der kurzen Zeit und mit dem wenigen Spektakel
ein kolossales Terrain erobert. Es ist aber gut, da&szlig; sie jetzt in England
besch&auml;ftigt wird, statt sich ewig mit den franz&ouml;sischen Kl&uuml;ngeleien
besch&auml;ftigen zu m&uuml;ssen. Da hast Du doch etwas f&uuml;r Deinen Zeitverlust.&laquo;
Es sollte sich freilich bald herausstellen, da&szlig; auch dieser Erfolg seine
Kehrseite hatte.</P>
<P>Alles in allem hielt Marx die Lage noch nicht reif genug f&uuml;r einen &ouml;ffentlichen
Kongre&szlig;, wie er f&uuml;r das Jahr 1865 in Br&uuml;ssel vorgesehen war. Er
f&uuml;rchtete von ihm nicht mit Unrecht ein babylonisches Sprachgewirr. Mit vieler
M&uuml;he gelang es ihm, namentlich gegen den Widerstand der Franzosen, den &ouml;ffentlichen
Kongre&szlig; in eine geschlossene vorl&auml;ufige Konferenz in London umzuwandeln,
zu der nur Vertreter der leitenden Komitees kommen sollten, um den k&uuml;nftigen
Kongre&szlig; vorzubereiten. Als Gr&uuml;nde f&uuml;hrte Marx an die Notwendigkeit
einer solchen vorherigen Verst&auml;ndigung, die Wahlbewegung in England und die
in Frankreich beginnenden Streiks, endlich ein eben in Belgien erlassenes Fremdengesetz,
das die Abhaltung eines Kongresses in Br&uuml;ssel unm&ouml;glich mache.</P>
<P>Diese Konferenz tagte vom 25. bis 29. September 1865. Vom Generalrat waren
neben dem Pr&auml;sidenten Odger, dem Generalsekret&auml;r Cremer und einigen
anderen englischen Mitgliedern abgesandt Marx und seine beiden Hauptgehilfen in
Sachen der Internationalen, Eccarius und Jung, ein schweizerischer Uhrmacher,
der in London ans&auml;ssig war und gleich gut deutsch, englisch und franz&ouml;sisch
sprach. Aus Frankreich waren Tolain, Fribourg, Limousin gekommen, die alle der
Internationalen abtr&uuml;nnig werden sollten, daneben Schily, Marxens alter Freund
schon von 1848 her, und Varlin, der sp&auml;tere Held und M&auml;rtyrer der Pariser
Kommune. Aus der Schweiz der Buchbinder Dupleix f&uuml;r die romanischen und Johann
Philipp Becker, der ehemalige B&uuml;rstenbinder und nunmehrige unerm&uuml;dliche
Agitator, f&uuml;r die deutschen Arbeiter. Aus Belgien C&eacute;sar de Paepe,
der sich als Setzerlehrling auf das Studium der Medizin geworfen und es bis zum
Arzt gebracht hatte.</P>
<P>Die Konferenz besch&auml;ftigte sich zun&auml;chst mit den Finanzen des Bundes.
Es ergab sich, da&szlig; f&uuml;r das erste Jahr nicht mehr als etwa 33 Pfund
aufgebracht worden waren. &Uuml;ber einen regelm&auml;&szlig;igen Mitgliederbeitrag
einigte man sich noch nicht, man beschlo&szlig;, zum Zwecke der Propaganda und
f&uuml;r die Kosten des Kongresses 150 Pfund aufzubringen, und zwar von England
80, Frankreich 40, von Deutschland, Belgien und der Schweiz je 10 Pfund. Lebendig
geworden ist das Budget freilich nicht, <A NAME="S345"></A><B>|345|</B> denn &raquo;der
Nerv der Dinge&laquo; ist niemals der Nerv der Internationalen gewesen. Noch nach Jahren
meinte Marx mit grimmigem Humor, die Finanzen des Generalrats seien stets wachsende,
negative Gr&ouml;&szlig;en, und nach Jahrzehnten schrieb Engels, statt der vielberufenen
&raquo;Millionen der Internationalen&laquo; habe der Generalrat meist nur &uuml;ber Schulden
verf&uuml;gt; wohl nie sei mit so wenig Geld so viel geleistet worden.</P>
<P>&Uuml;ber die Lage in England berichtete der Generalsekret&auml;r Cremer. Man
halte auf dem Festlande die Trade Unions f&uuml;r sehr reich, die eine Sache,
die ja auch die ihrige sei, unterst&uuml;tzen k&ouml;nnten, aber sie seien an
kleinliche Statuten gebunden, die sie in engen Grenzen hielten. Mit Ausnahme einiger
weniger M&auml;nner w&uuml;&szlig;ten sie auch nichts von Politik, deren Verst&auml;ndnis
man ihnen schwer beibringen k&ouml;nne. Immerhin zeige sich ein gewisser Fortschritt.
Vor wenigen Jahren w&uuml;rde man Abgesandte der Internationalen gar nicht erst
angeh&ouml;rt haben; heute nehme man sie freundlich auf, h&ouml;re sie an und
billige ihre Grunds&auml;tze. Es sei der erste Fall, da&szlig; eine Vereinigung,
die irgend etwas mit Politik zu tun habe, sich bei den Trade Unions so habe einf&uuml;hren
k&ouml;nnen.</P>
<P>Aus Frankreich berichteten Fribourg und Tolain, da&szlig; die Internationale
eine g&uuml;nstige Aufnahme gefunden habe; au&szlig;er in Paris seien Mitglieder
in Rouen, Nantes, Elbeuf, Caen und andern Orten angeworben und eine ansehnliche
Zahl von Mitgliedskarten zum Jahresbetrage von 1,25 Franken verkauft worden, doch
sei der Erl&ouml;s f&uuml;r die Einrichtung eines Pariser Zentralb&uuml;ros und
die Reisekosten der Delegierten draufgegangen. Der Generalrat wurde auf den Verkauf
der 400 Mitgliedskarten vertr&ouml;stet, die noch nicht abgesetzt worden seien.
Die franz&ouml;sischen Delegierten klagten &uuml;ber die Verschiebung des Kongresses
als ein gro&szlig;es Hindernis der Entwicklung, auch &uuml;ber die Ver&auml;ngstigung
der Arbeiter durch das bonapartistische Polizeiregiment; man begegne fortw&auml;hrend
dem Einwande: Zeigt, da&szlig; ihr handeln k&ouml;nnt, und wir wollen uns anschlie&szlig;en.</P>
<P>Recht g&uuml;nstig lauteten die Berichte, die Becker und Dupleix aus der Schweiz
erstatteten, obgleich hier die Agitation erst vor sechs Monaten begonnen hatte.
In Genf z&auml;hlte man 400, in Lausanne 150 Mitglieder und ebenso viele in Vevey.
Der monatliche Mitgliederbeitrag betr&uuml;ge 50 Pence, doch w&uuml;rden die Mitglieder
auch das Doppelte zahlen; sie seien ganz und gar von der Notwendigkeit durchdrungen,
f&uuml;r den Generalrat zu steuern. Geld br&auml;chten die Delegierten freilich
auch noch nicht mit, sondern nur den Trost, da&szlig; sie einen netten &Uuml;berschu&szlig;
mitgebracht haben w&uuml;rden, wenn ihre Reisekosten nicht gewesen w&auml;ren.</P>
<P><B><A NAME="S346">|346|</A></B> In Belgien bestand die Agitation erst einen
Monat. Doch berichtete de Paepe, es seien bereits 60 Mitglieder geworben worden,
die sich verpflichtet h&auml;tten, j&auml;hrlich mindestens 3 Franken zu zahlen,
wovon dem Generalrat der dritte Teil abgef&uuml;hrt werden sollte.</P>
<P>Was den Kongre&szlig; anbetraf, so beantragte Marx im Namen des Generalrats,
ihn im September oder Oktober 1866 in Genf abzuhalten. Der Ort wurde einstimmig
genehmigt, doch der Zeitpunkt auf lebhaftes Andringen der Franzosen bis auf die
letzte Woche des Mai vorgeschoben. Die Franzosen verlangten auch, da&szlig; wer
eine Mitgliedskarte aufweisen k&ouml;nne, Sitz und Stimme auf dem Kongre&szlig;
beanspruchen d&uuml;rfe; sie meinten, das sei eine Prinzipienfrage f&uuml;r sie,
so sei das allgemeine Stimmrecht zu verstehen. Nur nach hei&szlig;er Debatte war
die Vertretung durch Delegierte durchzusetzen, die namentlich Cremer und Eccarius
bef&uuml;rworteten.</P>
<P>Die Tagesordnung des Kongresses war vom Generalrat sehr reichlich vorgesehen:
genossenschaftliche Arbeit; Verk&uuml;rzung der Arbeitszeit; Frauen- und Kinderarbeit;
Vergangenheit und Zukunft der Gewerkschaften: Einflu&szlig; der stehenden Heere
auf die Interessen der arbeitenden Klassen usw. Alles wurde einstimmig angenommen;
nur zwei Punkte riefen Meinungsverschiedenheiten hervor.</P>
<P>Der eine dieser Punkte wurde nicht vom Generalrat vorgeschlagen, sondern von
den Franzosen. Sie verlangten als besonderen Gegenstand der Tagesordnung: religi&ouml;se
Ideen und ihr Einflu&szlig; auf die soziale, politische und geistige Bewegung.
Wie sie daraufkamen und wie Marx sich dazu stellte, ergibt sich vielleicht am
k&uuml;rzesten aus einigen S&auml;tzen seines Nachrufs auf Proudhon, den er wenige
Monate fr&uuml;her im &raquo;Social-Demokrat&laquo; Schweitzers ver&ouml;ffentlicht hatte,
beil&auml;ufig seinem einzigen Beitrage f&uuml;r dies Blatt: &raquo;Seine Angriffe gegen
Religion, Kirche usw. besitzen jedoch ein gro&szlig;es lokales Verdienst zu einer
Zeit, wo die franz&ouml;sischen Sozialisten es passend hielten, dem b&uuml;rgerlichen
Voltairianismus des 18. und der deutschen Gottlosigkeit des 19. Jahrhunderts durch
Religiosit&auml;t &uuml;berlegen zu sein. Wenn Peter der Gro&szlig;e die russische
Barbarei durch Barbarei niederschlug, so tat Proudhon sein Bestes, das franz&ouml;sische
Phrasenwesen durch die Phrase niederzuwerfen.&laquo;<A name="ZT9"></A><A href="fm03_322.htm#Z9"><SPAN class="top">[9]</SPAN></A> Auch englische Delegierte warnten
vor diesem &raquo;Apfel der Zwietracht&laquo;, doch setzten die Franzosen ihren Antrag mit
18 gegen 13 Stimmen durch.</P>
<P>Der andere Punkt der Tagesordnung, um den gestritten wurde, war vom Generalrat
vorgeschlagen und betraf eine Frage der europ&auml;ischen Politik, die f&uuml;r
Marx besonders wichtig war, n&auml;mlich &raquo;die Notwendigkeit, den fortschreitenden
Einflu&szlig; Ru&szlig;lands in Europa zu hemmen, <A NAME="S347"></A><B>|347|</B>
indem man gem&auml;&szlig; dem Selbstbestimmungsrechte der Nationen ein unabh&auml;ngiges
Polen auf demokratischer und sozialistischer Basis wiederherstelle&laquo;. Davon wollten
namentlich die Franzosen wieder nichts wissen; weshalb politische Fragen mit sozialen
vermischen, weshalb in die Ferne schweifen, wo so viele Unterdr&uuml;ckung vor
der eigenen T&uuml;r zu bek&auml;mpfen, weshalb den Einnu&szlig; der russischen
Regierung hemmen, da der Einflu&szlig; der preu&szlig;ischen, &ouml;sterreichischen,
franz&ouml;sischen und englischen Regierung nicht weniger verh&auml;ngnisvoll
sei? Besonders entschieden sprach auch der belgische Delegierte in diesem Sinne.
C&eacute;sar de Paepe meinte, die Wiederherstellung Polens k&ouml;nne nur drei
Klassen n&uuml;tzen: dem hohen Adel, dem niederen Adel und der Geistlichkeit.</P>
<P>Hier ist nun der Einflu&szlig; Proudhons ganz greifbar. Proudhon hatte sich
wiederholt gegen die Wiederherstellung Polens ausgesprochen, zuletzt noch zur
Zeit des polnischen Aufstandes von 1863, worin er, wie Marx in seinem Nachrufe
sagte, zu Ehren des Zaren kretinhaften Zynismus trieb. Umgekehrt hatte derselbe
Aufstand die alten Sympathien, die Marx und Engels in den Revolutionsjahren f&uuml;r
die polnische Sache bekundet hatten, wieder aufgefrischt: sie wollten ein gemeinsames
Manifest daran kn&uuml;pfen, aus dem freilich nichts geworden ist.</P>
<P>Ihre Sympathie f&uuml;r Polen war keineswegs kritiklos; am 21. April 1863 schrieb
Engels an Marx: &raquo;Ich mu&szlig; sagen, f&uuml;r die Polacken von 1772 sich zu begeistern,
dazu geh&ouml;rt ein B&uuml;ffel. Im gr&ouml;&szlig;ten Teil von Europa fiel doch
damals der Adel mit Anstand, teilweise mit esprit [Mehring &uuml;bersetzt: Witz],
so sehr auch seine allgemeine Maxime war, da&szlig; der Materialismus in dem bestehe,
was man esse, trinke, beschlafe, im Spiel gewinne oder f&uuml;r Schuftereien bezahlt
erhalte, aber so dumm in der Methode, sich an die Russen zu verkaufen wie die
Polacken, war doch sonst kein Adel.&laquo; Allein solange an eine Revolution in Ru&szlig;land
selbst noch nicht gedacht werden konnte, bot die Wiederherstellung Polens die
einzige M&ouml;glichkeit, den zarischen Einflu&szlig; auf die europ&auml;ische
Kultur zur&uuml;ckzuschrauben, und dementsprechend sah Marx in der grausamen Unterdr&uuml;ckung
des polnischen Aufstandes und dem gleichzeitigen Vordringen des zarischen Despotismus
im Kaukasus die wichtigsten europ&auml;ischen Ereignisse seit dem Jahre 1815.
Auf sie hatte er in dem Abschnitt der &raquo;Inauguraladresse&laquo;, der sich mit der ausw&auml;rtigen
Politik des Proletariats besch&auml;ftigte, den st&auml;rksten Nachdruck gelegt,
und &uuml;ber den Widerstand, den dieser Punkt der Tagesordnung bei Tolain, Fribourg
und andern fand, hat er sich noch lange nachher bitter ge&auml;u&szlig;ert. Zun&auml;chst
freilich gelang es ihm, diesen Widerstand mit Hilfe der englischen Delegierten
zu brechen; die polnische Frage blieb auf der Tagesordnung.</P>
<P><B><A NAME="S348">|348|</A></B> Die Konferenz tagte morgens in geschlossenen
Sitzungen, denen Jung, und abends in halb&ouml;ffentlichen Versammlungen, denen
Odger vorsa&szlig;. In diesen Versammlungen wurden die Fragen, soweit sie in den
geschlossenen Sitzungen gekl&auml;rt worden waren, in weiteren Arbeiterkreisen
besprochen. Die Pariser Delegierten ver&ouml;ffentlichten einen Bericht &uuml;ber
die Konferenz und das f&uuml;r den Kongre&szlig; aufgestellte Programm, das in
der Pariser Presse einen lebhaften Widerhall fand. Mit augenscheinlicher Befriedigung
notierte Marx: &raquo;Unsre Pariser sind etwas verbl&uuml;fft, da&szlig; der Paragraph
&uuml;ber Ru&szlig;land und Polen, den sie <I>nicht</I> haben wollten, grade am
meisten Sensation macht.&laquo; Und auf den &raquo;enthusiastischen Kommentar&laquo;, den dieser
Paragraph im besonderen wie das Kongre&szlig;programm im allgemeinen durch Henri
Martin, den bekannten franz&ouml;sischen Historiker fand, hat sich Marx noch nach
einem Dutzend von Jahren gern berufen.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">5. Der deutsche Krieg<A name="Kap_5"></A></H3>
<P>F&uuml;r ihn pers&ouml;nlich hatte die Hingebung, die er der Internationalen
widmete, die unerfreuliche Folge, da&szlig; die dadurch herbeigef&uuml;hrte Stockung
seiner Erwerbsarbeit wieder alle N&ouml;te heraufbeschwor.</P>
<P>Schon am 31. Juli mu&szlig;te er an Engels schreiben, da&szlig; er seit zwei
Monaten rein aufs Pfandhaus lebe. &raquo;Ich versichere Dir, ich h&auml;tte mir lieber
den Daumen abhauen lassen, als diesen Brief an Dieb zu schreiben. Es ist wahrhaft
niederschmetternd, sein halbes Leben abh&auml;ngig zu bleiben. Der einzige Gedanke,
der mich dabei aufrechth&auml;lt, ist der, da&szlig; wir zwei ein Kompaniegesch&auml;ft
treiben, wo ich meine Zeit f&uuml;r den theoretischen und Parteiteil des business
gebe. Ich wohne allerdings zu teuer f&uuml;r meine Verh&auml;ltnisse, und au&szlig;erdem
haben wir dies Jahr besser gelebt als sonst. Aber es ist das einzige Mittel, damit
die Kinder, abgesehn von dem vielen, was sie erlitten hatten und wof&uuml;r sie
wenigstens kurze Zeit entsch&auml;digt wurden, Beziehungen und Verh&auml;ltnisse
eingehn k&ouml;nnen, die ihnen eine Zukunft sichern k&ouml;nnen. Ich glaube, Du
selbst wirst der Ansicht sein, da&szlig;, selbst blo&szlig; kaufm&auml;nnisch
betrachtet, eine reine Proletariereinrichtung hier unpassend w&auml;re, die ganz
gut ginge, wenn meine Frau und ich alleine oder wenn die M&auml;dchen Jungen w&auml;ren&laquo;.
Engels half sofort, doch f&uuml;r ein paar Jahre begann nun noch einmal die Not
mit den gemeinen Sorgen des Lebens.</P>
<P>Einige Monate darauf er&ouml;ffnete sich f&uuml;r Marx eine neue Erwerbsquelle
durch ein ebenso sonderbares wie unerwartetes Angebot, das er <A NAME="S349"></A><B>|349|</B>
durch einen Brief Lothar Buchers vom 5. Oktober 1865 erhielt. Beide M&auml;nner
hatten in den Jahren, wo Bucher als Fl&uuml;chtling in London lebte, keine Beziehungen
zueinander gehabt, am wenigsten freundliche; auch nachdem Bucher eine selbst&auml;ndige
Stellung innerhalb des allgemeinen Emigrantenkn&auml;uels einzunehmen begonnen
und sich an Urquhart angeschlossen hatte als dessen begeisterter Anh&auml;nger,
blieb Marx gegen ihn sehr kritisch gestimmt. Dagegen &auml;u&szlig;erte sich Bucher
&uuml;ber die Streitschrift, die Marx gegen Vogt gerichtet hatte, sehr g&uuml;nstig
zu Borkheim und wollte sie in der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; besprechen, was jedoch
unterblieben ist, sei es, da&szlig; Bucher sie nicht geschrieben oder das Augsburger
Blatt sie abgelehnt hat. Bucher war dann nach Erla&szlig; der preu&szlig;ischen
Amnestie heimgekehrt und hatte sich in Berlin mit Lassalle befreundet; mit diesem
kam er 1862 zur Weltausstellung nach London, und nun war er auch durch Lassalle
mit Marx pers&ouml;nlich bekannt geworden, der in ihm &raquo;ein ganz feines, wenn auch
verzwicktes M&auml;nnchen&laquo; fand, dem er nicht zutraute, mit Lassalles &raquo;ausw&auml;rtiger
Politik&laquo; einverstanden zu sein. Nach Lassalles Tode hatte sich Bucher in die Dienste
der preu&szlig;ischen Regierung begeben und danach hatte Marx ihn und Rodbertus
in einem Brief an Engels mit dem Kraftwort erledigt: Lumpenpack, all das Gesindel
aus Berlin, Mark und Pommern!&laquo;</P>
<P>Nun schrieb Bucher an Marx: &raquo;Zuerst business! Der &#155;Staats-Anzeiger&#139; w&uuml;nscht
monatlich einen Bericht &uuml;ber die Bewegung des Geldmarkts (und nat&uuml;rlich
auch des Warenmarkts, soweit beides nicht zu trennen). Ich wurde gefragt, ob ich
jemanden empfehlen k&ouml;nnte, und erwiderte, niemand w&uuml;rde das besser machen
als Sie. Ich bin infolgedessen ersucht worden, mich an Sie zu wenden. Es werden
Ihnen in betreff der Gr&ouml;&szlig;e des Artikels keine Grenzen gesetzt, je gr&uuml;ndlicher
und umfassender, desto besser. In betreff des Inhalts versteht es sich, da&szlig;
Sie nur Ihrer wissenschaftlichen &Uuml;berzeugung folgen; jedoch w&uuml;rde die
R&uuml;cksicht auf den Leserkreis (haute finance), nicht auf die Redaktion, es
ratsam machen, da&szlig; Sie den innersten Kern nur eben f&uuml;r den Sachverst&auml;ndigen
durchscheinen lassen und Polemik vermeiden.&laquo; Es folgten noch ein paar gesch&auml;ftliche
Bemerkungen, eine Erinnerung an einen gemeinsamen Ausflug mit Lassalle, dessen
Ende ihm noch immer ein &raquo;psychologisches R&auml;tsel&laquo; sei und die Mitteilung,
da&szlig; er, wie Marx wisse, zu seiner ersten Liebe, den Akten, zur&uuml;ckgekehrt
sei. &raquo;Ich war immer mit Lassalle dar&uuml;ber verschiedener Meinung, da&szlig;
er sich die Entwicklung so schnell dachte. Der Fortschritt wird sich noch oft
h&auml;uten, ehe er stirbt; wer also w&auml;hrend seines Lebens noch innerhalb
des Staates wirken will, der mu&szlig; sich ralliieren um die Regierung.&laquo; Der
Brief schlo&szlig;, nach einer Empfehlung <A NAME="S350"></A><B>|350|*</B> an
Frau Marx und Gr&uuml;&szlig;en an die jungen Damen, besonders die ganz kleine,
mit der &uuml;blichen Floskel: Hochachtungsvoll und ergebenst.</P>
<P>Marx antwortete ablehnend, doch fehlen n&auml;here Angaben dar&uuml;ber, was
er schrieb und wie er &uuml;ber den Brief Buchers dachte. Gleich nach dessen Empfang
reiste er nach Manchester, wo er die Sache mit Engels besprochen haben wird; in
ihrem Briefwechsel wird sie nicht erw&auml;hnt, und auch sonst hat sie Marx in
den Briefen an seine Freunde, soweit sie bisher bekannt geworden sind, nur einmal
fl&uuml;chtig gestreift. Wohl aber hat er den Brief Buchers vierzehn Jahre sp&auml;ter,
als nach den Attentaten H&ouml;dels und Nobilings die tobende Sozialistenhetze
in Berlin losbrach, in das Lager der Hetzer geschleudert, wo er mit der zerst&ouml;renden
Kraft einer Bombe explodiert ist. Bucher war damals Sekret&auml;r des Berliner
Kongresses und hatte nach der Versicherung seines offizi&ouml;sen Biographen den
Entwurf des ersten Sozialistengesetzes verfa&szlig;t, das nach dem Attentate H&ouml;dels
dem Reichstage vorgelegt, aber von diesem noch abgelehnt wurde.</P>
<P>Seitdem ist viel dar&uuml;ber geschrieben worden, ob Bismarck durch den Brief
Buchers versucht habe, Marx zu kaufen. Es ist richtig, da&szlig; Bismarck im Herbst
1865, als der Vertrag von Gastein den drohenden Bruch mit &Ouml;sterreich nur
notd&uuml;rftig verkittet hatte, sicher geneigt war, nach seinem eigenen J&auml;gervergleich
&raquo;alle Hunde loszulassen, die bellen wollen&laquo;. Er war freilich viel zu eingefleischter
ostelbischer Junker, um etwa in der Weise eines Disraeli oder auch nur eines Bonaparte
mit der Arbeiterfrage zu lieb&auml;ugeln; es ist bekannt, wie drollige Vorstellungen
er sich von Lassalle machte, mit dem er doch mehrfach pers&ouml;nlich verkehrt
hatte. Nun hatte er in seiner n&auml;chsten Umgebung zwei Personen, die in diesem
delikaten Punkte besser Bescheid wu&szlig;ten, eben Lothar Bucher und Hermann
Wagener, und Wagener hat sich damals auch eifrig bem&uuml;ht, die deutsche Arbeiterbewegung
zu k&ouml;dern, und soweit es auf die Gr&auml;fin Hatzfeld ankam, hat er sie auch
gek&ouml;dert. Aber Wagener war als geistiger Leiter der Junkerpartei und alter
Freund Bismarcks schon aus vorm&auml;rzlicher Zeit ungleich unabh&auml;ngiger
gestellt als Bucher, der ganz auf Bismarcks Wohlwollen angewiesen blieb, da ihn
die B&uuml;rokratie als unberufenen Eindringling mit scheelen Blicken betrachtete,
wie auch der K&ouml;nig von wegen 1848 nichts von ihm wissen wollte. Ohnehin war
Bucher ein schwacher Charakter, ein &raquo;Fisch ohne Gr&auml;ten&laquo;, wie sein Freund
Rodbertus ihn zu nennen pflegte.</P>
<P>Hat also Marx durch den Brief Buchers gekauft werden sollen, so ist es sicherlich
nicht ohne Vorwissen Bismarcks geschehen. Es fragt sich nur, ob ein solcher Kaufversuch
vorgelegen hat. Die Art, wie Marx den Brief Buchers gegen die Sozialistenhetze
von 1878 verwertete, war ein <A NAME="S351"></A><B>|351|</B> ebenso erlaubter
wie geschickter Schachzug, aber damit ist noch nicht einmal beweisen, da&szlig;
Marx den Brief Buchers von Anfang an als Bestechungsversuch aufgefa&szlig;t hat,
geschweige denn, da&szlig; er ein solcher Versuch gewesen ist. Bucher wu&szlig;te
sehr gut, da&szlig; Marx, seit seiner Absage an Schweitzer, bei den Lassalleanern
einstweilen sehr schlecht angeschrieben war, und zudem war ein Monatsbericht &uuml;ber
den internationalen Geld- und Warenmarkt in der langweiligsten aller deutschen
Zeitungen kaum das geeignete Mittel, die allgemeine Mi&szlig;stimmung gegen Bismarcks
Politik zu beschwichtigen oder gar die Arbeiter f&uuml;r diese Politik zu gewinnen.
So hat Buchers Versicherung, er habe den alten Exilsgenossen dem Kurator des &raquo;Staats-Anzeigers&laquo;
ohne alle politischen Hintergedanken empfohlen, viel f&uuml;r sich, etwa mit der
Einschr&auml;nkung, da&szlig; sich der Kurator einen fortschrittlichen Manchestermann
von vornherein verbeten haben mag. Nachdem Bucher bei Marx abgeblitzt war, wandte
er sich an D&uuml;hring, der sich auf die Sache einlie&szlig;, aber sie bald aufgab,
da der Kurator keineswegs die Achtung vor der &raquo;wissenschaftlichen &Uuml;berzeugung&laquo;
bewies, die ihm Bucher nachger&uuml;hmt hatte.</P>
<P>Schlimmer noch, als die wirtschaftliche Bedr&auml;ngnis, in die Marx durch
seine aufreibende T&auml;tigkeit f&uuml;r die Internationale und sein wissenschaftliches
Werk geriet, war die wachsende Ersch&uuml;tterung seiner Gesundheit. Am 10. Februar
1866 schrieb ihm Engels: &raquo;Du mu&szlig;t wirklich endlich etwas Vern&uuml;nftiges
tun, um aus diesem Karbunkelkram herauszukommen ... La&szlig; das Nachtsarbeiten
einige Zeit sein und f&uuml;hre eine etwas regelm&auml;&szlig;igere Lebensweise.&laquo;
Darauf antwortete Marx am 13. Februar: &raquo;Gestern lag ich wieder brach, da ein b&ouml;sartiger
Hund von Karbunkel an linker Lende ausgebrochen. H&auml;tte ich Geld genug, das
hei&szlig;t mehr &gt;- 0, f&uuml;r meine Familie, und w&auml;re mein Buch fertig,
so w&auml;re es mir v&ouml;llig gleichg&uuml;ltig, ob ich heute oder morgen auf
den Schindanger geworfen w&uuml;rde, alias verreckte. Unter besagten Umst&auml;nden
geht es aber noch nicht.&laquo; Und eine Woche darauf erhielt Engels die Schreckensbotschaft:
&raquo;Diesmal ging es um die Haut. Meine Familie wu&szlig;te nicht, wie serieux [Mehring
&uuml;bersetzt: ernst] der cas [Mehring &uuml;bersetzt: Fall] war. Wenn sich das
Zeug noch drei- bis viermal in derselben Form wiederholt, bin ich ein Mann des
Todes. Ich bin wundervoll abgefallen und noch verdammt schwach, nicht im Kopf,
sondern in Lende und Bein. Die &Auml;rzte haben ganz recht, da&szlig; <I>&uuml;bertriebne
Nachtarbeit</I> die Hauptursache dieses R&uuml;ckfalls. Aber ich kann den Herren
nicht die Ursachen mitteilen - was auch ganz zwecklos w&auml;re -, die mich zu
dieser Extravaganz <I>zwingen</I>.&laquo; Nunmehr erzwang aber Engels, da&szlig; Marx
sich einige Wochen Erholung g&ouml;nnte und nach Margate an die See ging.</P>
<P><B><A NAME="S352">|352|</A></B> Hier fand Marx bald seine frohe Laune wieder.
In einem lustigen Briefe an seine Tochter Laura schrieb er: &raquo;Ich bin recht froh,
da&szlig; ich in einem Privathause Wohnung genommen habe und nicht in einem Gasthaus,
wo man unweigerlich mit Lokalpolitik, Familienskandal und Nachbarklatsch geplagt
wird. Und dennoch kann ich nicht singen mit dem M&uuml;ller von Dee: Ich k&uuml;mmere
mich um niemand, und niemand fragt nach mir. Denn da ist immer noch meine Wirtin,
die taub wie ein Zaunpfahl ist, und ihre Tochter, die von chronischer Heiserkeit
geplagt wird. Es sind aber sehr nette Leute, aufmerksam und nicht zudringlich.
- Ich selbst habe mich in einen wandernden Spazierstock verwandelt, renne den
gr&ouml;&szlig;ten Teil des Tages umher, schnappe Luft, gehe um zehn Uhr zu Bette,
lese nichts, schreibe noch weniger, und arbeite mich &uuml;berhaupt in jenen Seelenzustand
des Nichts hinein, den der Buddhaismus als den Gipfelpunkt menschlicher Gl&uuml;ckseligkeit
betrachtet.&laquo; Und am Schlu&szlig; die neckende Bemerkung, die wohl schon auf kommende
Dinge deutete: &raquo;Dieser verdammte Schlingel Lafargue qu&auml;lt mich mit seinem
Proudhonismus und wird wohl nicht eher ruhen, bis ich ihm seinen Kreolensch&auml;del
gr&uuml;ndlich verkeilt habe.&laquo;</P>
<P>In eben diesen Tagen, wo Marx in Margate weilte, entluden sich die ersten Blitze
des Kriegsgewitters, das &uuml;ber Deutschland heraufgezogen war. Am 8. April
hatte Bismarck mit Italien ein Angriffsb&uuml;ndnis gegen &Ouml;sterreich abgeschlossen,
und am Tage darauf richtete er den Antrag an den Bundestag, ein deutsches Parlament
auf Grund des allgemeinen Stimmrechts einzuberufen, um eine Bundesreform zu beraten,
&uuml;ber die sich die deutschen Regierungen zu einigen h&auml;tten. Die Stellung,
die Marx und Engels zu diesen Vorg&auml;ngen einnahmen, zeigte nun doch, da&szlig;
sie den deutschen Zust&auml;nden sehr entfremdet waren. Sie schwankten in ihrem
Urteil. Am 10. April schrieb Engels &uuml;ber Bismarcks Antrag wegen eines deutschen
Parlaments: &raquo;Welch ein Rindvieh mu&szlig; der Kerl sein zu glauben, das h&uuml;lfe
ihm auch nur ein Atom! ... Wenn es wirklich zum Klappen kommt, so h&auml;ngt zum
ersten Mal in der Geschichte die Entwicklung ab von der Haltung Berlins. Schlagen
die Berliner zur rechten Zeit los, so kann die Sache gut werden - aber wer kann
sich auf die verlassen?&laquo; </P>
<P>Drei Tage sp&auml;ter schrieb er wieder, mit einer merkw&uuml;rdig klaren Voraussicht
der Dinge: &raquo;Wie es den Anschein hat, wird der deutsche B&uuml;rger nach einigem
Str&auml;uben darauf [von Mehring eingef&uuml;gt: n&auml;mlich das allgemeine
Stimmrecht] eingehn, denn der Bonapartismus ist doch die wahre Religion der modernen
Bourgeoisie. Es wird mir immer klarer, da&szlig; die Bourgeoisie nicht das Zeug
hat, selbst direkt zu herrschen, und <A NAME="S353"></A><B>|353|</B> da&szlig;
daher, wo nicht eine Oligarchie wie hier in England es &uuml;bernehmen kann, Staat
und Gesellschaft gegen gute Bezahlung im Interesse der Bourgeoisie zu leiten,
eine bonapartistische Halbdiktatur die normale Form ist; die gro&szlig;en materiellen
Interessen der Bourgeoisie f&uuml;hrt sie durch, selbst gegen die Bourgeoisie,
l&auml;&szlig;t ihr aber keinen Teil an der Herrschaft selbst. Andrerseits ist
diese Diktatur selbst wieder gezwungen, diese materiellen Interessen der Bourgeoisie
widerwillig zu adoptieren. So haben wir jetzt den Monsieur Bismarck, wie er das
Programm des Nationalvereins adoptiert. Das Durchf&uuml;hren ist freilich etwas
ganz anderes, allein am deutschen B&uuml;rger scheitert B[ismarck] schwerlich.&laquo;
Woran er aber wirklich scheitern w&uuml;rde, so meinte Engels, sei die &ouml;sterreichische
Heeresmacht. Benedek sei jedenfalls ein besserer General als Prinz Friedrich Karl;
&Ouml;sterreich k&ouml;nne wohl Preu&szlig;en, nicht aber Preu&szlig;en Osterreich
aus eigener Kraft zum Frieden zwingen; jeder preu&szlig;ische Erfolg w&auml;re
also eine Aufforderung an Bonaparte, sich einzumischen.</P>
<P>Fast genau mit denselben Worten schilderte Marx die damalige Lage in einem
Brief an einen neugewonnenen Freund, den Arzt Kugelmann in Hannover, der schon
als junger Bursch im Jahre 1848 f&uuml;r Marx und Engels geschw&auml;rmt, alle
ihre Schriften sorgsam gesammelt, aber erst im Jahre 1862 durch Freiligraths Vermittlung
sich an Marx gewandt hatte, dem er schnell ein naher Vertrauter wurde. In allen
milit&auml;rischen Fragen unterwarf sich Marx den Urteilen, die Engels f&auml;llte,
mit einem Verzicht auf jede Kritik, der ihm sonst am wenigsten eigen war.</P>
<P>Erstaunlicher noch, als seine &Uuml;bersch&auml;tzung der &ouml;sterreichischen
Macht, war die Auffassung, die Engels von den inneren Zust&auml;nden des preu&szlig;ischen
Heeres hatte. Erstaunlicher namentlich deshalb, weil er eben in einer vortrefflichen
Schrift die Heeresreform, um die der preu&szlig;ische Verfassungskonflikt entbrannt
war, mit einer, den b&uuml;rgerlich-demokratischen Kannegie&szlig;ern weit &uuml;berlegenen
Einsicht dargestellt hatte.<A name="ZT10"></A><A href="fm03_322.htm#Z10"><SPAN class="top">[10]</SPAN></A> Am 25. Mai schrieb er: &raquo;Wenn die &Ouml;sterreicher
gescheit genug sind nicht anzugreifen, so bricht der Tanz in der preu&szlig;ischen
Armee sicher los. So rebellisch, wie die Kerle bei dieser Mobilmachung sind, waren
sie nie. Leider erf&auml;hrt man nur den allergeringsten Teil von dem, was vorgeht,
aber das ist schon genug, um zu beweisen, da&szlig; mit dieser Armee ein Angriffskrieg
unm&ouml;glich ist.&laquo; Und noch am 11. Juni: &raquo;Die Landwehr wird in diesem Krieg
den Preu&szlig;en ebenso gef&auml;hrlich wie 1806 die Polen, die auch &uuml;ber
<SPAN class="top">1</SPAN>/<SPAN class="bottom">3</SPAN> der Armee ausmachten
und die ganze Geschichte ... desorganisierten. Nur da&szlig; die Landwehr, statt
zu debandieren, rebellieren wird nach der Niederlage.&laquo; Das wurde drei Wochen vor
K&ouml;niggr&auml;tz geschrieben.</P>
<P><B><A NAME="S354">|354|</A></B> K&ouml;niggr&auml;tz zerstreute dann alle Nebel,
und schon am Tage nach der Schlacht schrieb Engels: &raquo;Was sagst Du zu den Preu&szlig;en?
Die Ausbeutung der ersten Erfolge ist mit enormer Energie geschehen ... Solch
eine Entscheidungsschlacht in 8 Stunden abgemacht, ist noch nicht dagewesen; unter
andern Umst&auml;nden h&auml;tte sie zwei Tage gedauert. Aber das Z&uuml;ndnadelgewehr
ist eine heillose Waffe, und dann schlugen sich die Kerle wirklich mit einer Bravour,
die ich an solchen Friedenstruppen nie gesehen habe.&laquo; Engels und Marx konnten
irren und haben oft geirrt, aber sie haben sich nie gegen die Erkenntnis gestr&auml;ubt,
die ihnen die Ereignisse selbst aufzwangen. Der preu&szlig;ische Sieg war f&uuml;r
sie ein harter Bissen, doch w&uuml;rgten sie nicht hilflos daran. Engels, der
in dieser Frage die F&uuml;hrung behielt, fa&szlig;te nun am 25. Juli die Lage
so zusammen: &raquo;Die Geschichte in Deutschland scheint mir jetzt ziemlich einfach.
Von dem Augenblick an, wo Bismarck den kleindeutschen Bourgeoisieplan mit der
preu&szlig;ischen Armee und so kolossalem Sukze&szlig; durchf&uuml;hrte, hat die
Entwicklung in Deutschland diese Richtung so entschieden genommen, da&szlig; wir
ebenso gut wie andre die vollzogene Tatsache anerkennen m&uuml;ssen, ob sie uns
gefallen mag oder nicht ... Die Sache hat das Gute, da&szlig; sie die Situation
vereinfacht, eine Revolution dadurch erleichtert, da&szlig; sie die Krawalle der
kleinen Hauptst&auml;dte beseitigt und die Entwicklung jedenfalls beschleunigt.
Am Ende ist doch ein deutsches Parlament ein ganz andres Ding als eine preu&szlig;ische
Kammer. Die ganze Kleinstaaterei wird in die Bewegung hineingerissen, die schlimmsten
lokalisierenden Einfl&uuml;sse h&ouml;ren auf, und die Parteien werden endlich
wirklich nationale, statt blo&szlig; lokale.&laquo; Worauf Marx zwei Tage sp&auml;ter
mit trockener Gelassenheit erwiderte: &raquo;Ich bin ganz Deiner Ansicht, da&szlig;
man den Dreck nehmen mu&szlig;, wie er ist. Doch ist es angenehm, w&auml;hrend
dieser jungen Zeit der ersten Liebe in der Ferne zu sein.&laquo;</P>
<P>Gleichzeitig schrieb Engels, nicht in lobendem Sinne, da&szlig; &raquo;Bruder Liebknecht
sich in eine fanatische &Ouml;sterreicherei hineinreite&laquo;; offenbar r&uuml;hre
eine &raquo;Wutkorrespondenz&laquo; aus Leipzig in der &raquo;Frankfurter Zeitung&laquo; von ihm her;
diese f&uuml;rschtenm&ouml;rderische Zeitung sei so weit gekommen, da&szlig; sie
den Preu&szlig;en ihre sch&auml;ndliche Behandlung des &raquo;ehrw&uuml;rdigen Kurf&uuml;rsten
von Hessen&laquo; vorwerfe und f&uuml;r den armen blinden Welfen schw&auml;rme. Dagegen
erkl&auml;rte sich Schweitzer in Berlin aus denselben Gr&uuml;nden und mit denselben
Worten so wie Marx und Engels in London, wegen welcher &raquo;opportunistischen&laquo; Politik
dieser Ungl&uuml;ckliche heute noch die sittliche Emp&ouml;rung der gewichtigen
Staatsm&auml;nner ertragen mu&szlig;, die Marx und Engels zwar nicht verstehen,
aber anbeten.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">6. Der Genfer Kongre&szlig;<A name="Kap_6"></A></H3>
<P><B><A NAME="S355">|355|</A></B> Wider die Absicht hatte der erste Kongre&szlig;
der Internationalen noch nicht stattgefunden, als die Schlacht bei K&ouml;niggr&auml;tz
&uuml;ber die deutschen Geschicke entschied. Er hatte noch einmal bis in den September
des Jahres vertagt werden m&uuml;ssen, obgleich sein zweites Lebensjahr dem neuen
Bunde einen ungleich schnelleren Aufstieg beschert hatte als das erste.</P>
<P>Auf dem Festlande begann sich Genf als sein wichtigster Mittelpunkt herauszubilden,
wo sowohl die romanische wie die deutsche Sektion mit der Gr&uuml;ndung eigener
Parteiorgane vorgingen. Das deutsche war der &raquo;Vorbote&laquo;, eine von dem alten Becker
gegr&uuml;ndete und geleitete Monatsschrift, deren sechs Jahrg&auml;nge noch heute
zu den wichtigsten Quellen f&uuml;r die Geschichte der Internationalen geh&ouml;ren.
Der &raquo;Vorbote&laquo; erschien seit dem Januar 1866 und nannte sich &raquo;Zentralorgan der
Sektionsgruppe deutscher Sprache&laquo;, denn auch die deutschen Mitglieder der Internationalen,
so viele oder so wenige ihrer waren, hielten sich nach Genf, da die deutschen
Vereinsgesetze die Bildung inl&auml;ndischer Sektionen hinderten. Aus &auml;hnlichen
Gr&uuml;nden erstreckte die romanische Sektion in Genf ihren Einflu&szlig; tief
nach Frankreich.</P>
<P>Auch in Belgien hatte sich die Bewegung schon ein eignes Blatt geschaffen,
die &raquo;Tribune du Peuple&laquo;, die Marx als offizielles Organ der Internationalen ebenso
anerkannte wie die beiden Genfer Bl&auml;tter. Nicht jedoch z&auml;hlte er dazu
ein oder ein paar Bl&auml;ttchen, die in Paris erschienen und in ihrer Weise die
Arbeitersache vertraten. Die Sache nahm zwar auch in Frankreich einen guten Fortgang,
aber mehr wie ein Flug- als wie ein Herdfeuer. Bei dem g&auml;nzlichen Mangel
an Pre&szlig;- und Versammlungsfreiheit lie&szlig;en sich wirkliche Bewegungszentren
schwer schaffen, und die zweideutige Duldung der bonapartistischen Polizei wirkte
zun&auml;chst mehr einschl&auml;fernd als erweckend auf die Energie der Arbeiter.
Auch der stark vorherrschende Proudhonismus war nicht geeignet, die organisatorische
Kraft des Proletariats zu f&ouml;rdern.</P>
<P>Er l&auml;rmte besonders in dem &raquo;jungen Frankreich&laquo;, das fl&uuml;chtig in Br&uuml;ssel
oder London lebte. Im Februar 1866 machte eine franz&ouml;sische Sektion, die
sich in London gebildet hatte, dem Generalrat heftige Opposition, weil er die
Polenfrage auf das Programm des Genfer Kongresses gesetzt hatte. Im Sinne Proudhons
fragte sie, wie man denn denken k&ouml;nne, den russischen Einflu&szlig; durch
die Wiederherstellung Polens zur&uuml;ckzud&auml;mmen, in einem Augenblick, wo
die russischen Leibeigenen durch Ru&szlig;land befreit w&uuml;rden, w&auml;hrend
die polnischen Adligen und <A NAME="S356"></A><B>|356|</B> Priester sich stets
geweigert h&auml;tten, ihren Leibeigenen die Freiheit zu geben? Auch beim Ausbruch
des deutschen Krieges erregten die franz&ouml;sischen Mitglieder der Internationalen
und selbst ihres Generalrats viel unn&uuml;tzen Streit mit ihrem &raquo;Proudhonistischen
Stirnerianismus&laquo;, wie Marx einmal sagt,-, indem sie alle Nationalit&auml;ten f&uuml;r
veraltet erkl&auml;rten und ihre Aufl&ouml;sung in kleine &raquo;Gruppen&laquo; verlangten,
die wieder einen &raquo;Verein&laquo; bilden sollten, aber keinen Staat. &raquo;Und zwar soll diese
&#155;Individualisierung&#139; der Menschheit und der entsprechende &#155;mutualisme&#139; vor sich
gehn, indem die Geschichte in allen andern L&auml;ndern aufh&ouml;rt und die ganze
Welt wartet, bis die Franzosen reif sind, eine soziale Revolution zu machen. Dann
werden sie uns das Experiment vormachen, und die &uuml;brige Welt wird, durch
die Kraft ihres Beispiels &uuml;berw&auml;ltigt, dasselbe tun.&laquo; Diesen Spott richtete
Marx zumal an seine &raquo;sehr guten Freunde&laquo; Lafargue und Longuet, die seine Schwiegers&ouml;hne
werden sollten, aber zun&auml;chst als &raquo;Proudhongl&auml;ubige&laquo; ihm manche Schererei
verursachten.</P>
<P>Das Schwergewicht der Internationalen lag immer noch in den Trade Unions. So
sah auch Marx die Dinge an; am 15. Januar 1866 sprach er in einem Brief an Kugelmann
seine Genugtuung dar&uuml;ber aus, da&szlig; es gelungen sei, diese einzige wirklich
gro&szlig;e Arbeiterorganisation in die Bewegung zu ziehen; besondere Freude bereitete
ihm ein Riesenmeeting, das einige Wochen fr&uuml;her in St. Martins Hall zugunsten
der Wahlreform stattgefunden hatte, unter der geistigen Leitung der Internationalen.
Als dann das Whigministerium Gladstone im M&auml;rz 1866 eine Wahlreformvorlage
eingebracht hatte, die einem Teil seiner eigenen Partei zu radikal war, und durch
den Abfall dieser Mitglieder st&uuml;rzte, um durch das Toryministerium Disraeli
abgel&ouml;st zu werden, das die Wahlreform auf die lange Bank zu schieben versuchte,
nahm die Bewegung st&uuml;rmische Formen an. Am 7. Juli schrieb Marx an Engels:
&raquo;Die Londoner Arbeiterdemonstrationen, fabelhaft, verglichen mit dem, was wir
seit 1849 in England gesehn, sind rein das Werk der <I>&#155;International&#139;</I>. Mr.
Lucraft f.i. [Mehring &uuml;bersetzt: zum Beispiel], der Hauptmann auf dem Trafalgar
Square, is one of our council [Mehring &uuml;bersetzt: ist einer von unserem Rat].&laquo;
Auf dem Trafalgar Square, wo 20.000 Menschen versammelt waren, berief Lucraft
ein Meeting nach White Hall Gardens ein, wo &raquo;wir zuzeiten einem unserer K&ouml;nige
den Kopf abgehauen&laquo;; gleich darauf kam es im Hyde Park, wo 60.000 Menschen versammelt
waren, fast schon zum offenen Aufstande.</P>
<P>Die Verdienste der Internationalen um diese Bewegung, die durch das ganze Land
ging, erkannten die Trade Unions v&ouml;llig an. Eine von s&auml;mtlichen <A NAME="S357"></A><B>|357|*</B>
Trades Unions beschickte Konferenz in Sheffield beschlo&szlig;: &raquo;Indem die Konferenz
der Internationalen Arbeiterassoziation f&uuml;r ihre Bem&uuml;hungen, die Arbeiter
aller L&auml;nder durch ein Band der Br&uuml;derlichkeit zu vereinen, volle Anerkennung
zollt, empfiehlt sie allen hier vertretenen Gesellschaften auf das eindringlichste,
sich dieser K&ouml;rperschaft anzuschlie&szlig;en, in der &Uuml;berzeugung, da&szlig;
dies von der &auml;u&szlig;ersten Wichtigkeit ist f&uuml;r den Fortschritt und
das Gedeihen der gesamten Arbeiterklasse.&laquo; Nunmehr schlossen sich eine ganze Reihe
von Gewerkschaften der Internationalen an, doch war dieser gro&szlig;e moralisch-politische
nicht in gleichem Ma&szlig;e ein materieller Erfolg. Es blieb den angeschlossenen
Gewerkschaften &uuml;berlassen, nach Belieben oder auch gar keine Beitr&auml;ge
zu zahlen, und wenn sie es taten, geschah es in recht bescheidener Weise. So zahlten
j&auml;hrlich die Schuhmacher mit 5.000 Mitgliedern f&uuml;nf, die Zimmerer mit
9.000 Mitgliedern zwei, die Maurer mit 3.000 bis 4.000 Mitgliedern gar nur ein
Pfund.</P>
<P>Auch erkannte Marx sehr fr&uuml;h, da&szlig; sich in dem &raquo;Reformmovement&laquo; &raquo;der
verfluchte traditionelle Charakter aller englischen Bewegungen&laquo; zeige. Schon vor
Gr&uuml;ndung der Internationalen hatten die Trade mit den b&uuml;rgerlichen Radikalen
wegen der Wahlreform angekn&uuml;pft. Diese Beziehungen wurden nur noch enger,
je mehr die Bewegung greifbare Fr&uuml;chte zu reifen versprach; &raquo;Abschlagszahlungen&laquo;,
die fr&uuml;her mit h&ouml;chster Entr&uuml;stung zur&uuml;ckgewiesen worden waren,
erschienen als w&uuml;rdige Kampfpreise; Marx vermi&szlig;te doch den feurigen
Geist der alten Chartisten. Er tadelte die Unf&auml;higkeit der Engl&auml;nder,
zwei Dinge auf einmal zu tun; je mehr die Wahlbewegung vorw&auml;rtsginge, um
so k&uuml;hler w&uuml;rden die Londoner F&uuml;hrer &raquo;in unserem engeren Movement&laquo;;
&raquo;in England hat die Reformbewegung, die von uns ins Leben gerufen wurde, uns beinahe
get&ouml;tet&laquo;. Ein starkes Hindernis dieser Entwicklung fiel dadurch fort, da&szlig;
Marx durch seine Krankheit und den Aufenthalt in Margate am pers&ouml;nlichen
Eingreifen verhindert wurde. </P>
<P>Viel M&uuml;he und Sorge machte ihm auch &raquo;The Workman's Advocate&laquo;, ein Wochenblatt,
das die Konferenz von 1865 zum offiziellen Organe der Internationalen erhoben
hatte und das sich im Februar 1866 in &raquo;The Commonwealth&laquo; umtaufte. Marx sa&szlig;
mit im Verwaltungsrat des best&auml;ndig mit finanziellen N&ouml;ten k&auml;mpfenden
und deshalb auf die Hilfe b&uuml;rgerlicher Wahlreformer angewiesenen Blattes;
er bem&uuml;hte sich eifrig, b&uuml;rgerlichen Einfl&uuml;ssen das Gegengewicht
zu halten und daneben Eifers&uuml;chteleien um die Redaktion zu steuern; zeitweise
redigierte Eccarius das Blatt und ver&ouml;ffentlichte in ihm seine bekannte Streitschrift
gegen Stuart Mill, an der Marx stark mitgeholfen hat. Schlie&szlig;lich konnte
<A NAME="S358"></A><B>|358|</B> Marx aber doch nicht hindern, da&szlig; der &raquo;Commonwealth&laquo;
&raquo;einstweilen in ein reines Reformorgan umschlug&laquo;, wie es in einem Brief an Kugelmann
hei&szlig;t, &raquo;aus halb &ouml;konomischen und halb politischen Gr&uuml;nden&laquo;.</P>
<P>Diese Gesamtlage der Dinge erkl&auml;rt es hinl&auml;nglich, da&szlig; Marx
dem ersten Kongre&szlig; der Internationalen mit gro&szlig;en Bef&uuml;rchtungen
entgegensah, weil er von ihm &raquo;eine europ&auml;ische Blamage&laquo; bef&uuml;rchtete.
Da die Pariser auf dem Beschlu&szlig; der Londoner Konferenz bestanden, wonach
der Kongre&szlig; Ende Mai stattfinden sollte, so wollte Marx selbst hin&uuml;bergehen,
um sie von der Unm&ouml;glichkeit dieses Termins zu &uuml;berzeugen, doch Engels
meinte, die ganze Geschichte sei nicht das Risiko wert, da&szlig; Marx in die
F&auml;nge der bonapartistischen Polizei geriete, in denen er ungesch&uuml;tzt
sein w&uuml;rde; ob der Kongre&szlig; was Gutes beschlie&szlig;en werde, sei Nebensache,
wenn nur jeder Skandal vermieden werden k&ouml;nne, und das werde doch wohl m&ouml;glich
sein. In gewissem Sinne - wenigstens ihnen selbst gegen&uuml;ber - werde jede
derartige Demonstration eine Blamage sein, ohne da&szlig; sie es deshalb vor Europa
zu sein brauche.</P>
<P>Der Knoten l&ouml;ste sich dadurch, da&szlig; die Genfer selbst, da sie mit
ihren Vorbereitungen nicht fertig waren, die Vertagung des Kongresses bis in den
September beschlossen, womit man &uuml;berall, au&szlig;er in Paris, einverstanden
war. Marx selbst beabsichtigte nicht, an dem Kongre&szlig; pers&ouml;nlich teilzunehmen,
da die Arbeit an seinem wissenschaftlichen Werk keine l&auml;ngere Unterbrechung
mehr zulie&szlig;; ihm erschien, was er dadurch tat, viel wichtiger f&uuml;r die
Arbeiterklasse, als was er pers&ouml;nlich auf irgendeinem Kongre&szlig; tun k&ouml;nnte.
Aber er verwandte doch viel Zeit darauf, einen g&uuml;nstigen Verlauf des Kongresses
zu sichern; er entwarf eine Denkschrift f&uuml;r die Londoner Delegierten <A name="ZT11"></A><A href="fm03_322.htm#Z11"><SPAN class="top">[11]</SPAN></A>, die
er absichtlich auf solche Punkte beschr&auml;nkte, &raquo;die unmittelbare Verst&auml;ndigung
und Zusammenwirken der Arbeiter erlauben und den Bed&uuml;rfnissen des Klassenkampfs
und der Organisation der Arbeiter zur Klasse unmittelbar Nahrung und Ansto&szlig;
geben&laquo;. Man kann dieser Denkschrift dasselbe Kompliment machen, wie es Beesly
der &raquo;Inauguraladresse&laquo; gemacht hatte: auf wenigen Seiten sind so gr&uuml;ndlich
und schlagend wie nur je die n&auml;chsten Forderungen des internationalen Proletariats
zusammengefa&szlig;t. Als Vertreter des Generalrats gingen der Pr&auml;sident
Odger und der Generalsekret&auml;r Cremer nach Genf, mit ihnen Eccarius und Jung,
auf deren Verst&auml;ndnis sich Marx in erster Reihe verlassen konnte.</P>
<P>Der Kongre&szlig; tagte vom 3. bis 8. September unter dem Vorsitze Jungs und
in Anwesenheit von 60 Delegierten. Marx fand, da&szlig; er &raquo;&uuml;ber Erwarten
ausgefallen sei&laquo;. Nur &uuml;ber die &raquo;Herren Pariser&laquo; lie&szlig; er sich recht
bitter aus. &raquo;Sie hatten den Kopf voll mit den leersten Proudhonischen <A NAME="S359"></A><B>|359|</B>
Phrasen. Sie schwatzen von Wissenschaft und wissen nichts. Sie verschm&auml;hen
alle <I>revolution&auml;re</I>, i. e. aus dem Klassenkampf selbst entspringende
Aktion, alle konzentrierte, gesellschaftliche, also auch durch <I>politische</I>
Mittel (wie z.B. <I>gesetzliche</I> Abk&uuml;rzung des Arbeitstags) durchsetzbare
Bewegung; unter dem <I>Vorwand der Freiheit</I> und des Antigouvernementalismus
oder Antiautorit&auml;tsindividualismus - diese Herren, die so ruhig seit sechzehn
Jahren den elendesten Despotismus ertragen haben und ertragen! - predigen sie
in der Tat die ordin&auml;re b&uuml;rgerliche Wirtschaft, nur proudhonisch idealisiert!&laquo;
Und so weiter in noch h&auml;rteren Wendungen.</P>
<P>Das Urteil ist reichlich scharf, obgleich sich Johann Philipp Becker, der auf
dem Kongresse selbst als Hauptbeteiligter anwesend war, einige Jahre sp&auml;ter
wom&ouml;glich noch sch&auml;rfer &uuml;ber das Tohuwabohu ausgelassen hat, das
auf ihm geherrscht habe. Nur da&szlig; Becker &uuml;ber den Franzosen nicht die
Deutschen, und &uuml;ber den Proudhonisten nicht die Schulze-Delitzschianer verga&szlig;.
&raquo;Welche H&ouml;flichkeiten mu&szlig;ten da an die guten Leutchen verschwendet
werden, um anst&auml;ndig der Gefahr ihres Begl&uuml;ckungssturmlaufs zu entrinnen!&laquo;
Anders freilich hie&szlig; es in den gleichzeitigen Berichten des &raquo;Vorboten&laquo; &uuml;ber
die Verhandlungen des Kongresses, die mit einiger Kritik gelesen sein wollen.</P>
<P>Die Franzosen waren verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig stark vertreten, sie verf&uuml;gten
&uuml;ber etwa ein Drittel der Mandate und lie&szlig;en es an Beredsamkeit nicht
fehlen, aber viel haben sie nicht erreicht. Ihr Antrag, nur Handarbeiter, nicht
auch Kopfarbeiter in die Internationale aufzunehmen, fiel zu Boden, ebenso ihr
Antrag, die religi&ouml;sen Fragen ins Programm des Bundes aufzunehmen, womit
diese Mi&szlig;geburt f&uuml;r immer beseitigt war. Angenommen wurde dagegen ein
von ihnen eingebrachter, ziemlich harmloser Antrag auf Studien &uuml;ber den internationalen
Kredit, die im Sinne Proudhons auf eine sp&auml;tere Zentralbank der Internationalen
abzielten. Empfindlicher war die Annahme eines von Tolain und Fribourg eingebrachten
Antrages, der die Frauenarbeit &raquo;als Prinzip der Entartung&laquo; verwarf und der Frau
ihren Platz in der Familie anwies. Doch stie&szlig; er schon bei Varlin und anderen
Franzosen selbst auf Widerspruch und wurde nur neben den Antr&auml;gen des Generalrats
&uuml;ber Frauen- und Kinderarbeit angenommen, die ihn totschlugen. Sonst gelang
den Franzosen nur, hier und da einiges proudhonistische Flickwerk in die Beschl&uuml;sse
einzuschmuggeln, woraus es sich erkl&auml;rt, da&szlig; Marx &uuml;ber diese Sch&ouml;nheitsfehler,
durch die seine m&uuml;hsame Arbeit entstellt wurde, recht verdrie&szlig;lich
war, ohne doch zu verkennen, da&szlig; er mit dem ganzen Verlauf des Kongresses
wohl zufrieden sein konnte.</P>
<P><B><A NAME="S360">|360|</A></B> Nur in einem Punkte hatte er eine Abweisung
erfahren, die ihm empfindlich sein konnte und auch wohl besonders empfindlich
war, in der polnischen Frage. Nach den Erfahrungen der Londoner Konferenz war
dieser Punkt in der englischen Denkschrift sorgf&auml;ltig begr&uuml;ndet worden.
Die europ&auml;ischen Arbeiter m&uuml;&szlig;ten diese Frage aufnehmen, weil die
herrschenden Klassen, trotz aller sonstigen Schw&auml;rmerei f&uuml;r alle Arten
von Nationalit&auml;ten, sie unterdr&uuml;ckten, weil Aristokratie und Bourgeoisie
die finstere asiatische Macht im Hintergrunde als eine letzte Zuflucht gegen das
Vorschreiten der Arbeiterklasse betrachteten. Diese Macht k&ouml;nne nur unsch&auml;dlich
gemacht werden durch die Wiederherstellung Polens auf demokratischer Grundlage.
Davon werde es abh&auml;ngen, ob Deutschland ein Vorposten der Heiligen Allianz
oder ein Verb&uuml;ndeter des republikanischen Frankreichs sei. Die Arbeiterbewegung
werde best&auml;ndig aufgehalten, unterbrochen und verz&ouml;gert, bis diese gro&szlig;e
europ&auml;ische Frage gel&ouml;st sei. Die Engl&auml;nder traten energisch f&uuml;r
den Antrag ein, aber die Franzosen und ein Teil der romanischen Schweizer widersprachen
nicht minder lebhaft; man einigte sich endlich auf den Vorschlag Beckers, der
selbst f&uuml;r den Antrag sprach, aber eine offene Spaltung in dieser Frage vermeiden
wollte, auf den ausweichenden Beschlu&szlig;, da die Internationale gegen jede
Gewaltherrschaft sei, so sei sie auch bestrebt, den imperialistischen Einflu&szlig;
Ru&szlig;lands zu beseitigen und Polen auf sozialdemokratischer Grundlage wiederherzustellen.</P>
<P>Sonst aber siegte die englische Denkschrift auf der ganzen Linie. Die provisorischen
Statuten wurden bis auf einige &Auml;nderungen best&auml;tigt; die &raquo;Inauguraladresse&laquo;
wurde nicht debattiert, aber seitdem in den Beschl&uuml;ssen und Kundgebungen
der Internationalen stets als offizielles Aktenst&uuml;ck zitiert. Der Generalrat
wurde mit dem Sitz in London wiedergew&auml;hlt; er sollte eine umfassende Statistik
&uuml;ber die Lage der internationalen Arbeiterklasse veranstalten und, sooft
es seine Mittel erlaubten, einen Bericht &uuml;ber alles erstatten, was die Internationale
Arbeiterassoziation interessiere. Um seine Auslagen zu decken, wurde jedem Mitgliede
f&uuml;r das n&auml;chste Jahr ausnahmsweise eine Extrasteuer von 30 Centimes
(24 Pfennig) auferlegt, als regelm&auml;&szlig;igen Jahresbeitrag f&uuml;r die
Kasse des Generalrats empfahl der Kongre&szlig; einen halben oder ganzen Penny
(8,5 Pfennig), au&szlig;er dem Preise f&uuml;r die Mitgliedskarte.</P>
<P>Unter den programmatischen Kundgebungen des Kongresses standen die Beschl&uuml;sse
&uuml;ber Arbeiterschutzgesetzgebung und Gewerkvereine obenan. Der Kongre&szlig;
stellte den Grundsatz auf, da&szlig; die Arbeiterklasse sich Arbeiterschutzgesetze
erk&auml;mpfen m&uuml;sse. &raquo;Indem die Arbeiterklasse solche Gesetze durchsetzt,
befestigt sie nicht die regierende Macht. Im <A NAME="S361"></A><B>|361|</B> Gegenteil
wandelt sie jene Macht, die jetzt gegen sie gebraucht wird, in ihr eigenes Werkzeug
um.&laquo;<A name="ZT12"></A><A href="fm03_322.htm#Z12"><SPAN class="top">[12]</SPAN></A> Sie bewirkte durch ein allgemeines Gesetz, was durch isolierte individuelle
Anstrengungen bewirken zu wollen, ein nutzloser Versuch sein w&uuml;rde. Der Kongre&szlig;
empfahl die Beschr&auml;nkung des Arbeitstages als eine Bedingung, ohne die alle
anderen Bestrebungen des Proletariats um seine Emanzipation scheitern m&uuml;&szlig;ten.
Sie sei n&ouml;tig, um die k&ouml;rperliche Energie und Gesundheit der Arbeiterklasse
wiederherzustellen, um ihr die M&ouml;glichkeit geistiger Entwicklung, gesellschaftlichen
Umgangs, sozialer und politischer T&auml;tigkeit zu gew&auml;hren. Als gesetzliche
Grenze des Arbeitstages schlug der Kongre&szlig; acht Stunden vor, die in eine
bestimmte Tagesperiode gelegt werden m&uuml;&szlig;ten, so zwar, da&szlig; diese
Periode die acht Stunden Arbeit und die Unterbrechungen f&uuml;r Mahlzeiten umfasse.
Der Achtstundentag solle gelten f&uuml;r alle vollj&auml;hrigen Leute, M&auml;nner
wie Frauen, die Vollj&auml;hrigkeit vom Schlusse des 18. Lebensjahres an gerechnet.
Nachtarbeit sei gesundheitlich zu verwerfen, unerl&auml;&szlig;liche Ausnahmen
m&uuml;&szlig;ten von der Gesetzgebung festgestellt werden. Frauen seien mit aller
m&ouml;glichen Strenge von der Nachtarbeit auszuschlie&szlig;en sowie von aller
anderen Arbeit, die f&uuml;r den weiblichen K&ouml;rper gesundheitsgef&auml;hrlich
oder f&uuml;r das weibliche Geschlecht sittenwidrig sei.</P>
<P>In der Tendenz der modernen Industrie, Kinder und junge Personen beiderlei
Geschlechts zur Mitwirkung an der gesellschaftlichen Produktion heranzuziehen,
sah der Kongre&szlig; einen heilsamen rechtm&auml;&szlig;igen Fortschritt, so
abscheulich die Form sei, worin er sich unter der Herrschaft des Kapitals verwirkliche.
In einem vern&uuml;nftigen Zustande der Gesellschaft m&uuml;&szlig;te jedes Kind
ohne Unterschied vom neunten Lebensjahre an produktiver Arbeiter werden, ebenso
wie keine erwachsenen Personen von dem allgemeinen Naturgesetz ausgenommen werden
d&uuml;rften: n&auml;mlich zu arbeiten, um essen zu k&ouml;nnen, und zu arbeiten
nicht blo&szlig; mit dem Gehirne, sondern mit den H&auml;nden. In der gegenw&auml;rtigen
Gesellschaft empfehle es sich, die Kinder und jugendlichen Personen in drei Klassen
zu teilen und verschieden zu behandeln: in Kinder von 9 bis 12, in Kinder von
13 bis 15, in J&uuml;nglinge und M&auml;dchen von 16 bis 17 Jahren. Die Arbeitszeit
der ersten Klasse in irgendeiner Werkstelle oder h&auml;uslichen Arbeit solle
sich auf zwei, der zweiten auf vier, der dritten auf sechs Stunden beschr&auml;nken,
wobei der dritten Klasse eine Unterbrechung der Arbeitszeit auf wenigstens eine
Stunde f&uuml;r Mahlzeiten und Erholung vorbehalten bleiben m&uuml;sse, jedoch
d&uuml;rfe die produktive Arbeit von Kindern und jugendlichen Personen nur gestattet
werden, wenn sie mit Bildung verbunden werde, worunter drei Dinge <A NAME="S362"></A><B>|362|</B>
zu verstehen seien: geistige Bildung, k&ouml;rperliche Gymnastik und endlich technische
Erziehung, die die allgemeinen wissenschaftlichen Grunds&auml;tze aller Produktionsprozesse
mitteile und zugleich das heranwachsende Geschlecht in den praktischen Gebrauch
der elementarsten Werkzeuge einweihe.</P>
<P>&Uuml;ber die Gewerkvereine beschlo&szlig; der Kongre&szlig;, da&szlig; ihre
T&auml;tigkeit nicht nur rechtm&auml;&szlig;ig, sondern auch notwendig sei. Sie
seien das Mittel, die einzige soziale Gewalt, die das Proletariat besitze, n&auml;mlich
seine Zahl, der konzentrierten sozialen Gewalt des Kapitals entgegenzusetzen.
Solange die kapitalistische Produktionsweise best&auml;nde, k&ouml;nnten die Gewerkvereine
nicht entbehrt werden, sondern w&uuml;rden vielmehr ihre T&auml;tigkeit durch
internationale Verbindung verallgemeinern. Indem sie sich bewu&szlig;t den unaufh&ouml;rlichen
&Uuml;bergriffen des Kapitals widersetzten, w&uuml;rden sie unbewu&szlig;t Schwerpunkte
der Organisation f&uuml;r die arbeitende Klasse, &auml;hnlich wie die mittelalterlichen
Kommunen zu solchen Schwerpunkten f&uuml;r die b&uuml;rgerliche Klasse geworden
seien. Unaufh&ouml;rliche Guerillagefechte in dem t&auml;glichen Kampfe zwischen
Kapital und Arbeit liefernd, w&uuml;rden die Gewerkvereine noch weit wichtiger
als organisierte Hebel f&uuml;r die Aufhebung der Lohnarbeit. Bisher h&auml;tten
die Gewerkvereine zu ausschlie&szlig;lich den unmittelbaren Kampf gegen das Kapital
ins Auge gefa&szlig;t, in Zukunft d&uuml;rften sie sich nicht der allgemeinen
politischen und sozialen Bewegung ihrer Klasse fernhalten. Sie w&uuml;rden sich
am st&auml;rksten ausbreiten, wenn die gro&szlig;e Masse des Proletariats sich
&uuml;berzeuge, da&szlig; ihr Ziel, weit entfernt, begrenzt und selbsts&uuml;chtig
zu sein, sich vielmehr auf die allgemeine Befreiung der niedergetretenen Millionen
richte.</P>
<P>Im Sinne dieser Resolution unternahm Marx bald nach dem Genfer Kongre&szlig;
noch einen Versuch, von dem er sich viel versprach. Am 13. Oktober 1866 schrieb
er an Kugelmann: &raquo;Der Londoner Council der english Trade Unions (sein Sekret&auml;r
ist unser Pr&auml;sident Odger) konsultiert in diesem Augenblick, ob er sich als
englischer Zweig der Internationalen Assoziation erkl&auml;ren soll. Tut er es,
so geht die Regierung der Arbeiterklasse hier in einem gewissen Sinne auf uns
&uuml;ber, und wir k&ouml;nnen die Bewegung sehr vorantreiben.&laquo; Aber der Gewerkschaftsrat
tat es nicht, bei aller Freundschaft f&uuml;r die Internationale beschlo&szlig;
er, seine Selbst&auml;ndigkeit zu wahren, und wenn anders die Historiker der Trade
Unions zutreffend unterrichtet sind, hat der Gewerkschaftsrat auch abgelehnt,
einen Vertreter der Internationalen an seinen Sitzungen teilnehmen zu lassen,
um schnell &uuml;ber alle Arbeitseinstellungen des Festlandes zu berichten.</P>
<P><B><A NAME="S363">|363|</A></B> Schon in den ersten Jahren erfuhr die Internationale,
da&szlig; ihrer gro&szlig;e Erfolge harrten, aber da&szlig; diese Erfolge doch
ihre bestimmte Grenze hatten. Jedoch vorerst durfte sie sich ihrer Erfolge erfreuen,
und mit lebhafter Genugtuung verzeichnete Marx in dem gro&szlig;en Werke, an das
er eben die letzte Hand legte, da&szlig; gleichzeitig mit dem Genfer Kongre&szlig;
ein allgemeiner Arbeiter-Kongre&szlig; in Baltimore den Achtstundentag als die
erste Forderung bezeichnet habe, um die Arbeit aus den Fesseln des Kapitalismus
zu befreien.</P>
<P>Er meinte, die Arbeit in wei&szlig;er Hand k&ouml;nne sich nicht emanzipieren,
wo sie in schwarzer Hand gebrandmarkt werde. Aber die erste Frucht des amerikanischen
B&uuml;rgerkrieges, der die Sklaverei get&ouml;tet habe, sei die Achtstundenagitation,
mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean
ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien.</P>
<HR size="1">
<P><A name="Z1"></A><SPAN class="top">[1]</SPAN> Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassozisation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S9">Bd. 16, S. 9/10.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT1">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z2"></A><SPAN class="top">[2]</SPAN> Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassozisation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S11">Bd. 16, S. 11.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT2">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z3"></A><SPAN class="top">[3]</SPAN> Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassozisation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S11">Bd. 16, S. 11/12.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT3">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z4"></A><SPAN class="top">[4]</SPAN> Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassozisation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S12">Bd. 16, S. 12.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT4">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z5"></A><SPAN class="top">[5]</SPAN> Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassozisation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S12">Bd. 16, S. 12.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT5">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z6"></A><SPAN class="top">[6]</SPAN> Karl Marx: Provisorische Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_014.htm">Bd. 16, S. 14-16.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT6">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z7"></A><SPAN class="top">[7]</SPAN> Karl Marx: An Abraham Lincoln,
Pr&auml;sident der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_018.htm#S19">Bd. 16, S. 19.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT7">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z8"></A><SPAN class="top">[8]</SPAN> Karl Marx: Lohn, Preis und Profit, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_101.htm">Bd. 16, S. 101-152.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT8">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z9"></A><SPAN class="top">[9]</SPAN> Karl Marx: &Uuml;ber P. J. Proudhon, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_025.htm#S31">Bd. 16, S. 31.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT9">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z10"></A><SPAN class="top">[10]</SPAN> Friedrich Engels: Die preu&szlig;ische Milit&auml;rfrage und die deutsche Arbeiterpartei, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_037.htm">Bd. 16, S. 37-78.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT10">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z11"></A><SPAN class="top">[11]</SPAN> Karl Marx: Instruktionen f&uuml;r die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_190.htm">Bd. 16, S. 190/199.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT11">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z12"></A><SPAN class="top">[12]</SPAN> Karl Marx: Instruktionen f&uuml;r die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_190.htm#S194">Bd. 16, S. 194.</A> <A href="fm03_322.htm#ZT12">&lt;=</A></P>
<!-- #EndEditable -->
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Pfad: &raquo;../fm/fm03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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Mehring</SMALL></A></TD>
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