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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Das Attentat auf Franz Joseph - Der Mailaender Aufstand - Britische Politik - Disraelis Rede - Napoleons Testament</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 526-534</SMALL>
<H2>Karl Marx</H2>
<H1>Das Attentat auf Franz Joseph -<BR>
Der Mail&auml;nder Aufstand -<BR>
Britische Politik -<BR>
Disraelis Rede -<BR>
Napoleons Testament</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 3710 vom 8. M&auml;rz 1853]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S526">&lt;526&gt;</A></B> London, Dienstag, 22. Februar 1853</P>
<P>Der elektrische Telegraph meldet aus Stuhlwei&szlig;enburg &lt;Sz&eacute;kesfeh&eacute;rv&aacute;r&gt;:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Am 18. d.M. um ein Uhr ging der Kaiser von &Ouml;sterreich, Franz Joseph, auf der Bastei in Wien spazieren, als sich ein ungarischer Schneidergeselle namens Lasslo Lib&eacute;nyi, f&uuml;herer Husar aus Wien, pl&ouml;tzlich auf ihn st&uuml;rzte und mit einem Dolch nach ihm stach. Der Sto&szlig; wurde durch den Adjutanten Graf O'Donnell abgewehrt. Franz Joseph wurde unterhalb des Hinterkopfes verwundet. Der 21 Jahre alte Ungar wurde durch einen S&auml;belhieb des Adjutanten niedergestreckt und sofort festgenommen."</P>
</FONT><P>Nach anderen Versionen war die Waffe eine Muskete.</P>
<P>In Ungarn ist soeben eine sehr ausgedehnte Verschw&ouml;rung zum Sturz der &ouml;sterreichischen Herrschaft entdeckt worden.</P>
<P>Die "Wiener Zeitung" ver&ouml;ffentlicht eine Reibe von Urteilen, die das Kriegsgericht &uuml;ber 39 Individuen f&auml;llte, die haupts&auml;chlich der Teilnahme an der Verschw&ouml;rung mit Kossuth und Ruscsak aus Hamburg angeklagt waren.</P>
<P>Unmittelbar nachdem die revolution&auml;re Erhebung in Mailand unterdr&uuml;ckt war, gab Radetzky Befehl, jede Mitteilung nach Piemont und der Schweiz abzufangen. Sie werden schon vor diesem Brief die sp&auml;rlichen Nachrichten bekommen haben, die von Italien nach England durchsickern durften. Ich m&ouml;chte Ihre Aufmerksamkeit nun auf einen charakteristischen Zug der Mail&auml;nder Ereignisse lenken.</P>
<P>Obzwar Feldmarschall-Leutnant Graf Strassoldo in seinem ersten Erla&szlig; vom 6. d.M. unumwunden zugibt, da&szlig; das Gros der Bev&ouml;lkerung an dem Aufstand absolut unbeteiligt war, verh&auml;ngt er trotzdem den strengsten Belagerungszustand &uuml;ber Mailand. Radetzky verdreht in einer sp&auml;teren Prokla- <A NAME="S527"><B>&lt;527&gt;</A></B> ination, datiert Verona, 9. Februar, die Darstellung seines Untergebenen und macht sich die Rebellion zunutze, um unter falschen Vorspiegelungen Geld zu erlangen. Alle Personen, die nicht notorisch der &ouml;sterreichischen Partei angeh&ouml;ren, belegt er mit Geldstrafen in beliebiger H&ouml;he zugunsten der Garnison. In seiner Proklamation vom 11. d.M. erkl&auml;rt er, "da&szlig; die Mehrheit der Einwohner, mit wenigen r&uuml;hmenswerten Ausnahmen, sich der kaiserlichen Regierung nicht f&uuml;gen wolle" und instruiert alle gerichtlichen Beh&ouml;rden, d.h. die Kriegsgerichte, das Verm&ouml;gen s&auml;mtlicher Mitschuldigen zu sequestrieren. Den Ausdruck "Mitschuld" erkl&auml;rt er so:</P>
<I><FONT SIZE=2><P>"Che tale complicit&agrave; consista semplicimente nella omissione della denuncia a cui ognuno &egrave; tenuto." &lt;"Eine solche Mitschuld besteht einfach schon in der Unterlassung der Anzeige, zu der jeder verpflichtet ist."&gt;</P>
</I></FONT><P>Er h&auml;tte ebensogut ganz Mailand auf einmal unter dem Vorwand konfiszieren k&ouml;nnen, da&szlig; die Erhebung vom 6. nicht schon am 5. von den Einwohnern angezeigt worden sei. Wer also nicht zum Spion und Spitzel der Habsburger werden will, l&auml;uft Gefahr, die gesetzliche Beute der Kroaten zu werden. Mit einem Wort, Radetzky verk&uuml;ndet ein neues System der Massenpl&uuml;nderung.</P>
<P>Die Mail&auml;nder Erhebung ist bedeutsam als Symptom der nahenden revolution&auml;ren Krise auf dem ganzen europ&auml;ischen Kontinent. Und bewunderswert ist sie als Akt des Heroismus einiger weniger Proletarier, die, nur mit Messern bewaffnet, einen Angriff gegen die Zitadelle einer Garnison und gegen eine Armee von 40.000 Mann der besten Truppen ganz Europas wagten, indes die S&ouml;hne Mammons inmitten des Blutes und der Tr&auml;nen ihrer erniedrigten und gemarterten Nation tanzten, sangen und tafelten. Armselig erscheint sie allerdings, wenn sie das Endergebnis der ewigen Verschw&ouml;rung Mazzinis, seiner bombastischen Proklamationen und seiner anma&szlig;enden Kapuzinaden gegen das franz&ouml;sische Volk bilden soll. Hoffen wir, da&szlig; die <I>r&eacute;volutions improvis&eacute;es </I>&lt;<I>improvisierten Revolutionen</I>&gt;, wie die Franzosen sie nennen, nunmehr zu Ende sind. Hat man je geh&ouml;rt, da&szlig; gro&szlig;e Improvisatoren auch gro&szlig;e Dichter sind? Und wie in der Poesie so in der Politik. Revolutionen werden nicht auf Befehl gemacht. Seit den schrecklichen Erfahrungen von 1848 und 1849 braucht man etwas mehr als papierne Erlasse von entfernten F&uuml;hrern, um nationale Revolutionen heraufzubeschw&ouml;ren. Kossuth hat die Gelegenheit ben&uuml;tzt, um &ouml;ffentlich die Insurrektion im allgemeinen und die in seinem Namen ver&ouml;ffentlichte Proklamation im besonderen zu verleugnen. Gleichwohl sieht es einigerma&szlig;en verd&auml;chtig aus, da&szlig; er post factum &lt;hintendrein&gt; f&uuml;r sich eine &Uuml;berlegenheit <A NAME="S528"><B>&lt;528&gt;</A></B> &uuml;ber seinen Freund Mazzini als Politiker beansprucht. Der "Leader" bemerkt hierzu</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wir halten es f&uuml;r n&ouml;tig, unsere Leser darauf hinzuweisen, da&szlig; die Angelegenheit ausschlie&szlig;lich Herrn Kossuth und Herrn Mazzini angeht, und da&szlig; letzterer im Augenblick nicht in England ist."</P>
</FONT><I><P>Della Rocca</I>, ein Freund Mazzinis, &auml;u&szlig;ert sich in einem Brief an die "Daily News" &uuml;ber Kossuths und Agostinis Ableugnungen. Er sagt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es gibt Leute, die sie im Verdacht haben, da&szlig; sie, ebenso bereit, die Ehren des Gelingens f&uuml;r sich zu beanspruchen, wie die Verantwortlichkeit f&uuml;r das Mi&szlig;lingen zur&uuml;ckzuweisen, erst die definitiven Nachrichten &uuml;ber den Erfolg oder Mi&szlig;erfolg des Aufstandes abwarteten."</P>
</FONT><I><P>B. Szemere</I>, Exminister von Ungarn, protestiert in einem an den Herausgeber des "Morning Chronicle" gerichteten Brief dagegen, "da&szlig; Kossuth illegitimerweise den Namen Ungarns usurpiere". Er sagt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wer sich ein Urteil &uuml;ber ihn als Staatsmann bilden will, der m&ouml;ge nur die Geschichte der letzten ungarischen Revolution aufmerksam lesen, und wer seine Geschicklichkeit als Verschw&ouml;rer kennenlernen will, der werfe nur einen R&uuml;ckblick auf die vorj&auml;hrige ungl&uuml;ckselige Hamburger Expedition."</P>
</FONT><P>Da&szlig; die Revolution selbst dann siegt, wenn sie fehlschl&auml;gt, zeigt uns der Schrecken, den die Mail&auml;nder <I>&eacute;chauffour&eacute;e</I> &lt;<I>k&uuml;hne, aber unbesonnene Tat</I>&gt;<I> </I>den kontinentalen Herrschern bis ins Innerste einjagte. Man betrachte blo&szlig; den Brief, den die offizielle "Frankfurter Oberpostamts-Zeitung" ver&ouml;ffentlicht:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Berlin, 15. Februar. Man ist hier tief beeindruckt von den Mail&auml;nder Ereignissen. Die telegraphische Nachricht erreichte den K&ouml;nig am 9., just als er sich auf einem Hofball befand. Der K&ouml;nig erkl&auml;rte sofort, da&szlig; die Bewegung mit einer tiefgehenden Verschw&ouml;rung verkn&uuml;pft sei, die sich &uuml;berallhin verzweige, und da&szlig; sich angesichts dieser revolution&auml;ren Bewegungen ein enges B&uuml;ndnis zwischen Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich als unbedingte Notwendigkeit erweise... Ein hoher W&uuml;rdentr&auml;ger rief aus: 'Wir werden also vielleicht die preu&szlig;ische Krone an den Ufern des Po zu verteidigen haben!'"</P>
</FONT><P>So gro&szlig; war der Schrecken im ersten Augenblick, da&szlig; ohne jede andere Ursache als diesen "tiefen Eindruck" etwa 20 Bewohner Berlins verhaftet wurden. Die "Neue Preu&szlig;ische Zeitung", das ultraroyalistische Blatt, wurde konfisziert, weil sie das angeblich von Kossuth herr&uuml;hrende Dokument ver&ouml;ffentlicht hatte. Am 13. legte der Minister von Westphalen dem Herrenhaus einen eiligen Gesetzentwurf vor, der die Regierung erm&auml;chtigen soll, alle Brosch&uuml;ren und Zeitungen zu konfiszieren, die au&szlig;erhalb Preu&szlig;ens <A NAME="S529"><B>&lt;529&gt;</A></B> erscheinen. In Wien sind Verhaftungen und Haussuchungen an der Tagesordnung. Zwischen Ru&szlig;land, Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich fanden sofort Verhandlungen dar&uuml;ber statt, da&szlig; bei der englischen Regierung ein gemeinsamer, die politischen Fl&uuml;chtlinge betreffender Protest einzulegen sei. So schwach, so machtlos sind die sogenannten "M&auml;chte". Bei dem leisesten Anzeichen eines revolution&auml;ren Erdbebens f&uuml;hlen sie schon die Throne Europas in ihren Grundfesten wanken. Inmitten ihrer Armeen, ihrer Verliese, ihrer Galgen zittern sie vor dem, was sie "umst&uuml;rzlerische Versuche einiger weniger bezahlter B&ouml;sewichte" nennen.</P>
<P>"Die Ruhe ist wiederhergestellt," Jawohl, jene schreckliche, unheilvolle Ruhe zwischen dem ersten Aufbrausen des Sturmes und dem n&auml;chsten dr&ouml;hnenden Donnerschlag.</P>
<P>Von dem bewegten Kontinent will ich nun nach dem stillen England zur&uuml;ckkehren. Fast scheint es, als beherrsche der Geist des kleinen Finality-John die ganze offizielle Welt, als w&auml;re die ganze Nation so gel&auml;hmt wie die M&auml;nner an ihrer Spitze. Sogar die "Times" ruft verzweifelt aus:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es mag die Stille vor dem Sturme, es mag der Rauch sein, der dem Feuer vorausgeht" -</P>
</FONT><P>im Augenblick herrscht schl&auml;frige Ruhe.</P>
<P>Die Parlamentsgesch&auml;fte sind wieder aufgenommen worden, doch war bis jetzt die dreimalige Verbeugung von Lord Aberdeen das einzig Dramatische daran und die einzige hervorstechende Handlung des Koalitionsministeriums. Der Eindruck, den Lord Johns Programm auf seine Feinde machte, geht am besten aus den Bekenntnissen seiner Freunde hervor. So sagt die "Times":</P>
<FONT SIZE=2><P>"Lord John Russell hat eine Rede gehalten, die noch weniger feurig war als die einleitenden Bemerkungen, die ein Auktionator dem Verkauf alter M&ouml;bel, besch&auml;digter Waren oder Ladeneinrichtungen vorausschicken w&uuml;rde ... Lord John Russell ruft herzlich wenig Enthusiasmus hervor."</P>
</FONT><P><A HREF="me08_521.htm#S524">Bekanntlich ist die neue Reformbill zur&uuml;ckgestellt worden</A> unter dem Druck dringenderer praktischer Reformen, die die unmittelbarere Aufmerksamkeit der Gesetzgeber in Anspruch nehmen. Nun ist schon an einem Beispiel gezeigt worden, wie es mit der Beschaffenheit von Reformen aussehen mu&szlig;, wenn das Instrument f&uuml;r die Reform, d.h. das Parlament, selbst unreformiert bleibt.</P>
<P>Am 14. Februar legte Lord Cranworth sein Programm f&uuml;r Rechtsreformen dem Hause der Lords vor. Der gr&ouml;&szlig;te Teil seiner langwierigen, langweiligen und nichtssagenden Rede bestand in der Aufz&auml;hlung der vielen Dinge, die <A NAME="S530"><B>&lt;530&gt;</A></B> man von ihm erwarte, die er aber zu erledigen nicht bereit sei. Er entschuldigte sich, er sitze erst sieben Wochen auf dem Wollsack. Hierzu bemerkt die "Times":</P>
<FONT SIZE=2><P>"Lord Cranworth ist seit 63 Jahren auf dieser Welt und seit 37 Jahren Advokat."</P>
</FONT><P>Als echter Whig zieht er aus den verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig gro&szlig;en Erfolgen der bisherigen kleinen Rechtsreformen den Schlu&szlig;, da&szlig; es gegen alle Bescheidenheit verstie&szlig;e, in derselben Weise mit den Reformen fortzufahren. Als echter Aristokrat scheut er davor zur&uuml;ck, sich mit dem Kirchenrecht zu befassen, "denn das verstie&szlig;e zu sehr gegen alte begr&uuml;ndete Interessen". Worin begr&uuml;ndete Interessen? In der &ouml;ffentlichen Macht? Nur zwei Ma&szlig;nahmen von einiger Wichtigkeit hat Lord Cranworth vorbereitet: Erstens "eine Bill zur Erleichterung des Besitzwechsels von L&auml;ndereien", deren haupts&auml;chliches Merkmal darin besteht, da&szlig; sie diesen Wechsel durch Erh&ouml;hung der Unkosten nur noch erschwert, die technischen Hindernisse vermehrt, ohne die Langwierigkeit des Besitzwechsels abzuk&uuml;rzen oder dessen Kompliziertheit zu vereinfachen. Zweitens einen Vorschlag zur Bildung einer Kommission, die die vom Parlament geschaffenen Gesetze systematisch ordnen soll, und deren Verdienst sich wohl darauf beschr&auml;nken wird, einen Index f&uuml;r die 40 Quartb&auml;nde Parlamentsbeschl&uuml;sse zusammenzustellen. Lord Cranworth kann sein Vorgehen den verbohrtesten Gegnern der Rechtsreform gegen&uuml;ber mit derselben Entschuldigung verteidigen wie jenes arme M&auml;dchen, das zu ihrem Beichtvater sagte, es sei ja wahr, da&szlig; sie ein Kind gehabt h&auml;tte, aber es sei doch nur ein ganz kleines gewesen.</P>
<P>Die einzige interessante Debatte im Unterhause kn&uuml;pfte sich am 18. d.M. an Disraelis Interpellation der Minister wegen Englands Beziehungen zu Frankreich. Disraeli begann mit Poitiers und Agincourt und endete mit den Wahlreden in Carlisle und in der Tuchhalle von Halifax. Der Zweck der &Uuml;bung war, Sir James Graham und Sir Charles Wood anzuprangern, weil sie sich abf&auml;llige Bemerkungen &uuml;ber die Person Napoleons III. erlaubt hatten. Disraeli h&auml;tte den v&ouml;lligen Zusammenbruch der alten Tory-Partei nicht sinnf&auml;lliger darstellen k&ouml;nnen, als da&szlig; er sich zum Apologeten der Bonapartes aufwarf, diesen Erbfeinden gerade jener politischen Klasse, deren erster Vertreter er selbst ist. Er h&auml;tte seine oppositionelle Laufbahn in keiner ungeeigneteren Weise er&ouml;ffnen k&ouml;nnen, als durch die Rechtfertigung des jetzigen Regimes in Frankreich. Eine kurze Analyse wird die Schw&auml;che dieses Teils seiner Rede dartun.</P>
<P>Als er die Ursachen des Unbehagens erkl&auml;ren wollte, das im Publikum wegen der augenblicklichen Beziehungen zwischen England und Frankreich <A NAME="S531"><B>&lt;531&gt;</A></B> empfunden wird, mu&szlig;te er notgedrungen zugeben, da&szlig; gerade die gro&szlig;en R&uuml;stungen daran Schuld tr&uuml;gen, die unter seiner eigenen Verwaltung begonnen worden waren. Er versuchte trotz alledem zu beweisen, da&szlig; die Vermehrung und Vervollst&auml;ndigung der Verteidigungsmittel Gro&szlig;britanniens ausschlie&szlig;lich in den gro&szlig;en Ver&auml;nderungen begr&uuml;ndet seien, die durch die moderne Anwendung der Wissenschaft auf die Kriegskunst verursacht w&auml;ren. Ma&szlig;gebende Autorit&auml;ten, meinte er, h&auml;tten l&auml;ngst die Notwendigkeit solcher Ma&szlig;nahmen erkannt. 1840, zur Zeit als Thiers Minister war, h&auml;tte die englische Regierung unter Sir Robert Peel einige Anstrengungen gemacht, um wenigstens die nationale Verteidigung in ein neues System zu bringen. Jedoch vergebens! Wiederum beim Ausbruch der achtundvierziger Revolutionen auf dem Kontinent h&auml;tte sich der damaligen Regierung eine Gelegenheit geboten, die &ouml;ffentliche Meinung in die von ihr gew&uuml;nschte Richtung zu lenken, soweit die Landesverteidigung in Frage kam. Aber wieder ohne Resultat. Die Frage der nationalen Verteidigung sei nicht spruchreif geworden, ehe nicht er und seine Kollegen an die Spitze der Regierung berufen worden seien. Die von ihnen angenommenen Ma&szlig;nahmen waren folgende:</P>
<P>1. Eine Miliz wurde eingef&uuml;hrt.<BR>
2. Die Artillerie wurde wirksam ausgebaut.<BR>
3. Es wurden Vorkehrungen getroffen, um die Arsenale im Lande und einige wichtige Punkte an der K&uuml;ste gr&uuml;ndlich zu befestigen.<BR>
4. Ein Antrag wurde gestellt, die Marine um 5.000 Matrosen und 1.500 Seesoldaten zu verst&auml;rken.<BR>
5. Es wurden Anordnungen getroffen, die alte Seemacht in Gestalt einer Kanalflotte wiederherzustellen; sie sollte aus 15 bis 20 Linienschiffen (Seglern) und aus einer entsprechenden Zahl von Fregatten und kleineren Schiffen bestehen.</P>
<P>Nun geht aus allen diesen Behauptungen klar hervor, da&szlig; Disraeli gerade das Gegenteil von dem begr&uuml;ndete, was er beweisen wollte. Die Regierung war nicht imstande, die R&uuml;stungen zu verst&auml;rken, als die syrische und die tahitische Frage die entente cordiale &lt;das herzliche Einvernehmen&gt; mit Louis-Philippe bedrohten; und sie war dazu ebensowenig imstande, als die Revolution sich auf dem ganzen Kontinent ausbreitete und die britischen Interessen an der Wurzel selbst zu bedrohen schien. Warum, frage ich, hat sie es jetzt fertiggebracht und warum gerade unter Mr. Disraelis Regierung? Eben weil jetzt Napoleon III. zu gr&ouml;&szlig;eren Bef&uuml;rchtungen f&uuml;r Englands Sicherheit Anla&szlig; gibt, als je seit 1815 bestanden. Und weiter, wie Mr. Cobden ganz richtig bemerkte:</P>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S532">&lt;532&gt;</A></B> "Die beantragte Verst&auml;rkung der Seemacht sei keine Vermehrung der Zahl der Dampfschiffe, sondern eine Verst&auml;rkung der Mannschaften, und der &Uuml;bergang vom Gebrauch von Segelschiffen zu Dampfschiffen bedinge gar nicht die Notwendigkeit einer gr&ouml;&szlig;eren Zahl von Seeleuten, sondern gerade das Gegenteil."</P>
</FONT><P>Disraeli sagte:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Zweitens f&uuml;rchte man einen drohenden Bruch mit Frankreich, weil dort eine milit&auml;rische Regierung bestehe. Wenn aber Armeen eroberungslustig seien, so l&auml;ge dies daran, da&szlig; ihre Position im eigenen Lande eine unsichere sei. Frankreich werde jetzt durch die Armee regiert, nicht etwa wegen des milit&auml;rischen Ehrgeizes der Truppen, sondern wegen der Unruhe der B&uuml;rger."</P>
</FONT><P>Mr. Disraeli scheint ganz zu &uuml;bersehen, da&szlig; es sich gerade darum handelt, wie lange sich die Armee im eigenen Lande sicher f&uuml;hlt und wie lange die gesamte Nation R&uuml;cksicht nehmen wird auf die egoistischen Bef&uuml;rchtungen einer kleinen Klasse von B&uuml;rgern und sich dem tats&auml;chlichen Terror eines Milit&auml;rdespotismus beugen wird, der schlie&szlig;lich nur das Instrument exklusiver Klasseninteressen ist. Die dritte Ursache sah Disraeli in</P>
<FONT SIZE=2><P>"dem betr&auml;chtlichen Vorurteil, das in diesem Lande gegen den jetzigen Herrscher Frankreichs vorhanden ist ... Man sei der Meinung, da&szlig; er bei seinem Regierungsantritt mit dem aufger&auml;umt habe, was hier als parlamentarische Konstitution gesch&auml;tzt werde, und da&szlig; er die Pressefreiheit beschr&auml;nkt habe."</P>
</FONT><P>Disraeli wei&szlig; diesen Vorurteilen allerdings wenig genug entgegenzuhalten. Er meint, "es sei &auml;u&szlig;erst schwierig, sich &uuml;ber die franz&ouml;sische Politik eine Meinung zu bilden".</P>
<P>Der einfache gesunde Menschenverstand sagt dem englischen Volke, obwohl es nicht so tief in die Mysterien der franz&ouml;sischen Politik eingeweiht ist wie Mr. Disraeli, da&szlig; der gewissenlose Abenteurer, den weder ein Parlament noch die Presse kontrolliert, gerade dazu angetan w&auml;re, gleich einem Piraten England zu &uuml;berfallen, nachdem er seinen eigenen Staatsschatz durch Extravaganz und Verschwendung ersch&ouml;pft hat.</P>
<P>Mr. Disraeli gibt dann einige Beispiele daf&uuml;r, wie sehr die harmonische &Uuml;bereinstimmung der letzten Regierung mit Bonaparte zur Erhaltung des Friedens beigetragen habe - so der drohende Konflikt Frankreichs mit der Schweiz, die Erschlie&szlig;ung der s&uuml;damerikanischen Fl&uuml;sse, der Konflikt zwischen Preu&szlig;en und Neuch&acirc;tel, die Dreim&auml;chte-Erkl&auml;rung, in der sich die Vereinigten Staaten unter Druck dem Verzicht auf Kuba anschlossen, die gemeinsame Aktion in der Levante &uuml;ber das Tansimat in &Auml;gypten, die Revision des griechischen Erbfolgevertrages, das harmonische Zusammenwirken bez&uuml;glich der Regentschaft von Tunis usw. Das erinnert mich daran, wie <A NAME="S533"><B>&lt;533&gt;</A></B> ein gewisses Mitglied der franz&ouml;sischen Ordnungspartei in einer Rede Ende November 1851 das harmonische Einverst&auml;ndnis Napoleons mit der Majorit&auml;t der Nationalversammlung r&uuml;hmte, das ihr die Erledigung der Wahlrechts-, Koalitions- und Pressefragen so leicht gemacht habe. Zwei Tage sp&auml;ter war dann der coup d'&eacute;tat &lt;Staatsstreich&gt; ausgef&uuml;hrt.</P>
<P>So schwach und widerspruchsvoll dieser Teil der Rede Disraelis gewesen, so gl&auml;nzend war der Abschlu&szlig;, der in einem Angriff gegen das Koalitionsministerium bestand.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es gibt noch einen anderen Grund", so schlo&szlig; er, "der mich dazu zwingt, diese Untersuchung im jetzigen Moment zu betreiben, und das ist die augenblickliche Lage der Parteien in diesem Hause. Es ist dies eine ganz eigent&uuml;mliche Situation. Wir haben im Augenblick ein konservatives Ministerium, und wir haben eine konservative Opposition." (Beifall.) "Die gro&szlig;e liberale Partei kann ich &uuml;berhaupt nicht entdecken." (Beifall.) "Wo sind die Whigs mit ihren gro&szlig;en Traditionen? Keiner meldet sich." (Erneuter Beifall.) "Wo, frage ich, sind die jugendlichen Kr&auml;fte des Radikalismus? Seine &uuml;bersch&auml;umenden Erwartungen, seine hochgespannten Hoffnungen? Ich f&uuml;rchte, wenn er erst aus den gl&uuml;henden Tr&auml;umen seiner jugendlichen Unerfahrenheit erwacht, so wird er in demselben Moment schon entdecken, da&szlig; er verbraucht und verworfen ist." (Beifall.) "Und zwar verbraucht ohne Gewissensbisse und verworfen ohne gro&szlig;en Aufwand an Anstand." (Beifall.) "Wo sind die Radikalen? Ist ein Mann im Hause, der sich radikal nennt?" (H&ouml;rt, h&ouml;rt!) "Nein, nicht ein einziger. Er w&uuml;rde sich f&uuml;rchten, man k&ouml;nnte zupacken und einen konservativen Minister aus ihm machen." (Schallendes Gel&auml;chter.) "Nun, wie konnte eine solche Situation zustande kommen? Wo sind die treibenden Kr&auml;fte, die diese unheilschwangere politische Kalamit&auml;t hervorgerufen haben? Ich glaube, ich mu&szlig; mich an jenes unersch&ouml;pfliche Arsenal von politischen Kunstgriffen wenden, an den Ersten Lord der Admiralit&auml;t" (Graham), "um den jetzigen Stand der Dinge zu erkl&auml;ren. Vielleicht erinnert sich das Haus, da&szlig; vor etwa zwei Jahren der Erste Lord der Admiralit&auml;t uns eines seiner politischen Glaubensbekenntnisse vorsetzte, von denen seine Reden &uuml;berflie&szlig;en. Er sagte: 'Der Stand, auf dem ich stehe, ist der Fortschritt.' Schon damals, mein Herr, dachte ich mir, der Fortschritt sei ein merkw&uuml;rdig Ding, um darauf zu stehen." (Laute Heiterkeit und Beifall.) "Damals vermutete ich eine schludrige Redewendung. Aber f&uuml;r diesen Verdacht eines Augenblicks bitte ich um Verzeihung. Ich stelle fest, da&szlig; es sich um ein wohldurchdachtes System handelt, des jetzt in Aktion tritt. Denn jetzt haben wir ein Ministerium des Fortschritts, und alles steht still." (Beifall.) "Das Wort Reform h&ouml;rt man nicht mehr, wir haben kein Ministerium der Reform mehr; wir haben ein Ministerium des Fortschritts, in dem jedes Mitglied entschlossen ist, nichts zu tun. Alle schwierigen Fragen sind in der Schwebe. Alle Fragen, &uuml;ber die man sich nicht einigen kann, sind offene Fragen."</P>
</FONT><B><P><A NAME="S534">&lt;534&gt;</A></B> Disraelis Gegner hatten ihm nicht viel entgegenzuhalten, mit Ausnahme des "unersch&ouml;pflichen Arsenals von politischen Kunstgriffen" des Sir James Graham, der wenigstens seine W&uuml;rde wahrte, indem er die beleidigenden Ausdr&uuml;cke gegen Louis-Napoleon, deren man ihn anklagte, nicht v&ouml;llig zur&uuml;ckzog.</P>
<P>Lord John Russell klagte Disraeli an, die ausw&auml;rtige Politik des Landes zu einer Parteifrage zu machen. Er versicherte die Opposition,</P>
<FONT SIZE=2><P>"das Land w&uuml;rde gl&uuml;cklich sein, nach dem Hader und den K&auml;mpfen des vergangenen Jahres wenigstens eine kurze Spanne ruhigen friedlichen Fortschritts zu genie&szlig;en und von den gro&szlig;en ersch&uuml;tternden Parteik&auml;mpfen verschont zu sein."</P>
</FONT><P>Das Resultat der Debatten wird darin bestehen, da&szlig; die Flottenvoranschl&auml;ge vom Hause bewilligt werden, aber zur Beruhigung Napoleons nicht aus kriegerischen Motiven, sondern von wissenschaftlichen Gesichtspunkten aus. Suaviter in modo, fortiter in re. &lt;Mild in der Form, radikal in der Sache.&gt; Am letzten Donnerstag morgen erschien der Sachwalter der K&ouml;nigin vor Sir J. Dodson im Prerogative Court &lt;Gericht in Testamentssachen, das dem Erzbischof von Canterbury untersteht&gt; und forderte im Namen des Ministers des Ausw&auml;rtigen, da&szlig; die Registratur das Originaltestament und Kodizill Napoleon Bonapartes &lt;Napoleon I.&gt; der franz&ouml;sischen Regierung ausliefere. Diesem Verlangen wurde stattgegeben. Sollte Louis Bonaparte darangehen, dieses Testament zu &ouml;ffnen und zu versuchen, dessen Bestimmungen auszuf&uuml;hren, so k&ouml;nnte es sich leicht als eine moderne B&uuml;chse der Pandora erweisen.</P>
<I><P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P></I></BODY>
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