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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Die russische Diplomatie - Das Blaubuch zur orientalischen Frage - Montenegro</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 64-71<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>[Russische Diplomatie -<BR>
Das Blaubuch zur orientalischen Frage -<BR>
Montenegro]</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 4013 vom 27. Februar 1854]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S64">&lt;64&gt;</A></B> London, Freitag, 10. Februar 1854.</P>
<P>Zur Zeit, als der Neutralit&auml;tsvertrag zwischen D&auml;nemark und Schweden geschlossen wurde, <A HREF="me10_045.htm#S46">gab ich meiner &Uuml;berzeugung Ausdruck</A>, da&szlig; dies entgegen der in Frankreich und England verbreiteten Meinung durchaus nicht als ein Triumph der Westm&auml;chte anzusehen und da&szlig; der angebliche Protest Ru&szlig;lands gegen diesen Vertrag nur eine Finte sei. Die skandinavischen Zeitungen wie auch der Korrespondent der "Times", der aus ihnen zitiert, sind jetzt einm&uuml;tig derselben Meinung und erkl&auml;ren den ganzen Vertrag f&uuml;r das Werk Ru&szlig;lands.</P>
<P>Die Vorschl&auml;ge, die Graf Orlow der Wiener Konferenz unterbreitete und die diese verwarf, waren folgende:</P>
<P>1. Erneuerung der alten Vertr&auml;ge;</P>
<P>2. Protektorat Ru&szlig;lands &uuml;ber die griechisch-orthodoxen Christen in der T&uuml;rkei;</P>
<P>3. Ausweisung aller politischen Fl&uuml;chtlinge aus dem Ottomanischen Reich;</P>
<P>4. Weigerung Ru&szlig;lands, die Vermittlung irgendeiner anderen Macht anzunehmen und anders als direkt mit einem t&uuml;rkischen Bevollm&auml;chtigten zu verhandeln, der nach St. Petersburg geschickt werden mu&szlig;.</P>
<P>In letzterem Punkte erkl&auml;rte Graf Orlow seine Bereitwilligkeit zu einem Kompromi&szlig;, aber die Konferenz lehnte dies ab. Warum lehnte die Konferenz ab? Oder warum lehnte der Kaiser von Ru&szlig;land die letzten Bedingungen der Konferenz ab? Die Vorschl&auml;ge sind auf beiden Seiten dieselben. Die Erneue- <A NAME="S65"><B>&lt;65&gt;</A></B> rung der alten Vertr&auml;ge war vereinbart worden, das russische Protektorat nur mit einer formellen Ab&auml;nderung zugelassen, und da Ru&szlig;land den letzten Punkt selbst preisgab, so kann &Ouml;sterreichs Forderung nach Ausweisung der politischen Fl&uuml;chtlinge nicht die Ursache eines Bruchs zwischen Ru&szlig;land und dem Westen sein. Der Kaiser von Ru&szlig;land ist daher offenbar jetzt in einer solchen Situation, da&szlig; er <I>&uuml;berhaupt keine </I>Bedingungen von Frankreich und England annehmen kann und da&szlig; er die T&uuml;rkei unterkriegen <I>mu&szlig;</I>, ob dies nun einen europ&auml;ischen Krieg zur Folge haben kann oder nicht.</P>
<P>In milit&auml;rischen Kreisen wird der Krieg jetzt schon als unvermeidlich betrachtet, und die Vorbereitungen dazu sind auf der ganzen Linie im Gange. Admiral Bruat ist bereits von Brest nach Algier abgereist, wo er 10.000 Mann einschiffen soll, und 16 englische in Irland stationierte Regimenter haben Order, sich zum Abtransport nach Konstantinopel bereitzuhalten. Die Expedition kann nur einen zweifachen Zweck haben: entweder die T&uuml;rken zur Unterwerfung unter Ru&szlig;land zu zwingen, wie dies Herr Urquhart ank&uuml;ndigt, oder ernstlich Krieg gegen Ru&szlig;land zu f&uuml;hren. In beiden F&auml;llen trifft die T&uuml;rken unfehlbar das gleiche Schicksal. Wieder an Ru&szlig;land, wenn auch nicht direkt, so doch dessen aufl&ouml;sendem Wirken ausgeliefert, wurde die Macht des Ottomanischen Reiches ebenso wie die des Byzantinischen Reiches nur auf die Umgebung der Hauptstadt beschr&auml;nkt sein. Und ebenso w&uuml;rde unter der absoluten Vormundschaft Frankreichs und Englands die Herrschaft der Ottomanen &uuml;ber ihre europ&auml;ischen Gebiete ein f&uuml;r allemal zu Ende sein.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wenn wir den Krieg in die Hand nehmen sollen", sagt die "Times", "wollen wir auch s&auml;mtliche Operationen dirigieren."</P>
</FONT><P>In diesem Falle w&uuml;rde das t&uuml;rkische Ministerium unter die direkte Administration der westlichen Gesandten, das t&uuml;rkische Kriegsministerium unter die Kriegsministerien Englands und Frankreichs und die t&uuml;rkischen Armeen unter den Befehl franz&ouml;sischer und englischer Generale gestellt werden. Das T&uuml;rkische Reich in seiner alten Form h&auml;tte dann zu existieren aufgeh&ouml;rt.</P>
<P>Nach seinem vollst&auml;ndigen "Mi&szlig;erfolg" in Wien ist Graf Orlow nach St. Petersburg zur&uuml;ckgekehrt und hat "die Versicherung mit sich genommen, da&szlig; &Ouml;sterreich und Preu&szlig;en unter allen Umst&auml;nden neutral bleiben wollen". Andrerseits wird aus Wien telegraphisch gemeldet, da&szlig; im t&uuml;rkischen Ministerium ein Wechsel stattgefunden hat, da der Seraskier &lt;Kriegsminister&gt; und der Kapudan-Pascha &lt;Gro&szlig;admiral&gt; zur&uuml;ckgetreten sind. Die "Times" kann nicht verstehen, wie die <A NAME="S66"><B>&lt;66&gt;</A></B> Kriegspartei gerade in dem Augenblick eine Niederlage erleiden konnte, wo Frankreich und England zum Kriege r&uuml;steten. Ich f&uuml;r meinen Teil kann, falls die Nachricht wahr ist, in diesem "von Gott gesandten" Vorfall nur zu gut das Werk des Vertreters des englischen Koalitionskabinetts in Konstantinopel erblicken, den wir in seinen Blaubuchberichten so h&auml;ufig bedauern sehen, da&szlig; "er mit seinem Druck auf das t&uuml;rkische Kabinett nicht so weit gehen k&ouml;nne, als w&uuml;nschenswert w&auml;re".</P>
<P>Das Blaubuch beginnt mit Depeschen, welche sich auf die Forderungen beziehen, die Frankreich hinsichtlich der Heiligen St&auml;tten stellte - Forderungen, die durch die alten Kapitulationen nicht gen&uuml;gend gest&uuml;tzt und offensichtlich mit der Absicht aufgestellt sind, der r&ouml;mischen Kirche ein &Uuml;bergewicht &uuml;ber die griechisch-orthodoxe zu verschaffen. Ich teile durchaus nicht die Ansicht Urquharts, wonach der Zar durch geheime Einfl&uuml;sse in Paris Bonaparte veranla&szlig;t habe, sich in diesen Streit zu st&uuml;rzen, damit Ru&szlig;land einen Vorwand habe, sich zugunsten der Privilegien der griechisch-orthodoxen Katholiken einzumischen. Es ist wohlbekannt, da&szlig; Bonaparte co&ucirc;te que co&ucirc;te &lt;um jeden Preis&gt; die Unterst&uuml;tzung der katholischen Partei zu erkaufen suchte, die er von allem Anfang an als die Hauptbedingung des Erfolges seiner Usurpation betrachtete. Bonaparte kannte den Einflu&szlig; der katholischen Kirche auf die Bauernbev&ouml;lkerung Frankreichs sehr genau; die Bauern aber sollten ihn trotz Bourgeoisie und Proletariat zum Kaiser machen. Herr de Falloux, der Jesuit, war das einflu&szlig;reichste Mitglied des ersten Ministeriums, das Bonaparte bildete und dessen Haupt dem Namen nach Odilon Barrot, der soi-disant &lt;angebliche&gt; Voltairianer, war. Der erste Beschlu&szlig;, den dieses Ministerium einen Tag nach Bonapartes Einsetzung zum Pr&auml;sidenten fa&szlig;te, war die ber&uuml;hmte Expedition gegen die R&ouml;mische Republik. Herr de Montalembert, das Haupt der Jesuitenpartei, war das t&auml;tigste Werkzeug Bonapartes bei der Vorbereitung zum Sturz des parlamentarischen Regimes und des coup d'&eacute;tat vom 2. Dezember. 1850 forderte der "Univers", das offizielle Organ der Jesuitenpartei, Tag f&uuml;r Tag die franz&ouml;sische Regierung auf, wirksame Schritte zum Schutze der Interessen der r&ouml;mischen Kirche im Orient zu unternehmen. Bonaparte, begierig, dem Papst zu schmeicheln, ihn zu gewinnen und von ihm gekr&ouml;nt zu werden, hatte alle Ursache, der Aufforderung nachzukommen und sich als der "allerkatholischste" Kaiser von Frankreich aufzuspielen. <I>Die bonapartistische Usurpation ist daher die wahre Quelle der jetzigen orientalischen Verwicklung. </I>Allerdings zog Bonaparte klugerweise seine Anspr&uuml;che zur&uuml;ck, sobald er merkte, da&szlig; Kaiser Nikolaus sie zum Vorwand nehmen <A NAME="S67"><B>&lt;67&gt;</A></B> wollte, ihn aus dem europ&auml;ischen Konklave auszuschlie&szlig;en, und Ru&szlig;land brannte wie gew&ouml;hnlich darauf, aus Ereignissen Nutzen zu ziehen, die selbst zu schaffen es nicht die Macht hatte, auch wenn Herr Urquhart dies vermutet. Es bleibt jedoch eine h&ouml;chst merkw&uuml;rdige Erscheinung in der Weltgeschichte, da&szlig; die jetzige Krisis des Ottomanischen Reiches durch den gleichen Konflikt zwischen der r&ouml;mischen und griechisch-orthodoxen Kirche hervorgerufen wurde, der einst den Ansto&szlig; zur Gr&uuml;ndung dieses Reiches in Europa gab.</P>
<P>Ich beabsichtige nicht, den ganzen Inhalt der "Rights and Privileges of the Latin and Greek Churches" zu untersuchen, ehe ich nicht einen h&ouml;chst wichtigen Vorfall erw&auml;hnt habe, der in diesem Blaubuch vollst&auml;ndig unterdr&uuml;ckt ist: den &ouml;sterreichisch-t&uuml;rkischen Streit wegen Montenegro. Es ist um so dringender n&ouml;tig, dieses Ereignis vorweg zu behandeln, weil dadurch bewiesen wird, da&szlig; zwischen &Ouml;sterreich und Ru&szlig;land ein verabredeter Plan zum Sturz und zur Teilung des T&uuml;rkischen Reiches existierte, und weil gerade die Tatsache, da&szlig; England die nachtr&auml;glichen Verhandlungen zwischen dem St. Petersburger Hof und der Pforte in die H&auml;nde &Ouml;sterreichs legte, ein merkw&uuml;rdiges Licht auf das Verhalten des englischen Kabinetts w&auml;hrend dieser ganzen orientalischen Frage wirft. Da offizielle Dokumente &uuml;ber den montenegrinischen Vorfall fehlen, so verweise ich auf ein Buch von L. F. Simpson &uuml;ber diesen Gegenstand, das soeben erschien und den Titel "Handbook of the Eastern Question" tr&auml;gt.</P>
<P>Die t&uuml;rkische Festung Zabljak (an der montenegrinisch-albanischen Grenze) wurde durch eine Abteilung Montenegriner im Dezember 1852 gest&uuml;rmt. Man erinnert sich vielleicht, da&szlig; Omer Pascha von der Pforte beauftragt wurde, die Angreifer zur&uuml;ckzuschlagen. Die Hohe Pforte erkl&auml;rte die ganze albanische K&uuml;ste f&uuml;r blockiert, eine Ma&szlig;regel, die sich offenbar nur gegen &Ouml;sterreich und seine Flotte richten konnte und die zeigte, da&szlig; das t&uuml;rkische Ministerium &uuml;berzeugt war, &Ouml;sterreich habe die montenegrinische Revolte provoziert.</P>
<P>Folgender Artikel, datiert aus Wien, 29. Dezember 1852, erschien darauf in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung":</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wollte &Ouml;sterreich Montenegro unterst&uuml;tzen, so fruchtete die Blockade wenig. Wenn die Montenegriner von ihren Felsen herabstiegen, k&ouml;nnte ihnen &Ouml;sterreich in Cattaro Waffen und Kriegsbedarf verkaufen oder verschenken, w&auml;hrend die ganze t&uuml;rkische Flotte im Adriatischen Meere kreuzte. &Ouml;sterreich hat im Grunde weder Freude an dem jetzigen Einfall der Montenegriner <I>noch an der Revolution, die in der Herzegowina und in Bosnien unter den Christen ausbrechen soll</I>. Es hat stets gegen die Bedr&uuml;ckung der Christen Einspr&uuml;che erhoben aus R&uuml;cksichten der Humanit&auml;t. &Ouml;ster- <A NAME="S68"><B>&lt;68&gt;</A></B> reich ist gegen&uuml;ber der orientalischen Kirche zur Neutralit&auml;t gezwungen. Die Vorg&auml;nge in Jerusalem werden jedermann aufgekl&auml;rt haben, wie lebhaft im Orient der konfessionelle Ha&szlig; die Bev&ouml;lkerungen trennt. Die &ouml;sterreichischen Staatsm&auml;nner m&uuml;ssen daher alle Kunst aufbieten, um im eigenen Lande, wo griechische Christen mit r&ouml;mischen untermischt wohnen, den Frieden aufrechtzuerhalten."</P>
</FONT><P>Aus dem Artikel entnehmen wir erstens, da&szlig; Revolutionen der t&uuml;rkischen Christen mit <I>Sicherheit </I>erwartet wurden, zweitens, da&szlig; &Ouml;sterreich es war, das den russischen Beschwerden &uuml;ber die Unterdr&uuml;ckung der griechisch-orthodoxen Kirche den Weg ebnete, drittens, da&szlig; man erwartete, in den religi&ouml;sen Wirren wegen der Heiligen St&auml;tten werde &Ouml;sterreich "Neutralit&auml;t" &uuml;ben.</P>
<P>In demselben Monat richtete Ru&szlig;land eine Note an die Pforte, worin es seine Vermittlung in Montenegro anbot, die aber mit der Begr&uuml;ndung abgewiesen wurde, da&szlig; der Sultan selbst seine Rechte zu wahren wissen werde. Hier sehen wir Ru&szlig;land genauso operieren wie zur Zeit der griechischen Revolution - zuerst bietet es dem Sultan Schutz gegen seine Untertanen an, mit der Absicht, sp&auml;ter des Sultans Untertanen gegen diesen selbst zu sch&uuml;tzen, falls seine Hilfe nicht angenommen w&uuml;rde.</P>
<P>Die Tatsache, da&szlig; selbst zu einem so fr&uuml;hen Zeitpunkt schon zwischen Ru&szlig;land und &Ouml;sterreich wegen der Okkupation der F&uuml;rstent&uuml;mer Einvernehmen herrschte, geht aus einem anderen Zitat aus der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" vom 30. Dezember 1852 hervor. Es lautet:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Ru&szlig;land, das erst vor kurzem die Unabh&auml;ngigkeit Montenegros anerkannt, kann kaum ein unt&auml;tiger Beobachter der Ereignisse bleiben. Noch mehr. Briefe von Kaufleuten und Reisende aus der Moldau und der Walachei melden, da&szlig; das Land von Wolhynien bis zur M&uuml;ndung des Pruth von russischen Truppen wimmelt und da&szlig; st&auml;ndig Verst&auml;rkungen eintreffen."</P>
</FONT><P>Gleichzeitig k&uuml;ndigten die Wiener Zeitungen an, da&szlig; eine &ouml;sterreichische Observationsarmee an der &ouml;sterreichisch-t&uuml;rkischen Grenze zusammengezogen w&uuml;rde.</P>
<P>Lord Stanley interpellierte Lord Malmesbury am 6. Dezember 1852 wegen der montenegrinischen Angelegenheiten, und Bonapartes edler Freund gab folgende Erkl&auml;rung ab:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Der edle Lord deutete an, er w&uuml;nsche zu wissen, ob sich in den politischen Beziehungen jenes wilden, an Albanien grenzenden Landes, Montenegro genannt, vor kurzem &Auml;nderungen vollzogen haben. Ich glaube, da&szlig; sich in den politischen Beziehungen nichts ge&auml;ndert hat. Das Oberhaupt jenes Landes tr&auml;gt einen zweifachen Titel: es ist das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche in jenem Lande und auch der weltliche Souver&auml;n. In kirchlichen Dingen <I>untersteht er der Gerichtsbarkeit des <A NAME="S69"></I><B>&lt;69&gt;</A></B> <I>russischen Kaisers, der als das Oberhaupt der ganzen griechisch-katholischen Kirche gilt</I>. Das Oberhaupt Montenegros pflegte (wie meines Wissens auch alle seine Vorfahren) mit Sanktion und Anerkennung des Kaisers seine bisch&ouml;fliche Gerichtsbarkeit und Titel zu erhalten. Was die Unabh&auml;ngigkeit jenes Landes anbelangt, so bleibt, was auch immer verschiedene Personen zu den Vorteilen einer solchen Stellung meinen m&ouml;gen, die Tatsache, da&szlig; <I>Montenegro fast 150 Jahre hindurch unabh&auml;ngig </I>war und da&szlig; alle Versuche der Pforte, es zu unterjochen, einer nach dem andren fehlschlugen und die Stellung des Landes heute die gleiche wie vor 200 Jahren ist."</P>
</FONT><P>In dieser Rede zergliedert Lord Malmesbury, der damalige Minister der ausw&auml;rtigen Angelegenheiten in der Tory-Regierung, in aller Ruhe das Ottomanische Reich und trennt ein Land davon ab, das immer dazu geh&ouml;rt hat, indem er gleichzeitig die geistlichen Anspr&uuml;che des russischen Kaisers auf die Untertanen der Pforte anerkennt. Was soll man von diesen zwei Oligarchencliquen andres sagen, als da&szlig; sie beide an Dummheit miteinander wetteifern?</P>
<P>Die Pforte war nat&uuml;rlich durch diese Rede eines britischen Ministers ernstlich beunruhigt, und kurz darauf erschien in einem englischen Blatt folgender Brief aus Konstantinopel, datiert vom 5. Januar 1853:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Pforte ist au&szlig;erordentlich irritiert durch die Erkl&auml;rung des Lord Malmesbury im Oberhaus, in der er Montenegro als unabh&auml;ngig bezeichnet. Er spielte damit Ru&szlig;land und &Ouml;sterreich in die H&auml;nde, und England wird dadurch jenen Einflu&szlig; und jenes Vertrauen verlieren, das es bis jetzt geno&szlig;. Im ersten Artikel des Vertrags von Sistowo, der zwischen der Pforte und &Ouml;sterreich (mit Vermittlung Englands, Ru&szlig;lands und Hollands) 1791 geschlossen wurde, ist ausdr&uuml;cklich festgesetzt, da&szlig; den Untertanen beider M&auml;chte, die sich gegen ihre <I>rechtm&auml;&szlig;igen Herrscher </I>erhoben hatten, eine Amnestie gew&auml;hrt werden m&ouml;ge, n&auml;mlich den Serben, <I>Montenegrinern, </I>Moldauern und Walachen. Die in Konstantinopel lebenden Montenegriner, etwa 2.000 bis 3.000 an der Zahl, bezahlen den Charadsch oder die Kopfsteuer, und bei Gerichtsverfahren gegen Untertanen anderer M&auml;chte in Konstantinopel werden die Montenegriner immer ohne jeden Einwand als t&uuml;rkische Untertanen betrachtet und behandelt."</P>
</FONT><P>Anfang Januar 1853 sandte die &ouml;sterreichische Regierung Baron Kellner von K&ouml;llenstein, einen Adjutanten des Kaisers, nach Cattaro, um den Gang der Ereignisse zu verfolgen, w&auml;hrend Herr Oserow, der russische Gesch&auml;ftstr&auml;ger in Konstantinopel, Protest beim Diwan gegen die Konzessionen einlegte, die den Katholiken in der Frage der Heiligen St&auml;tten gemacht worden waren. Ende Januar traf Graf Leiningen in Konstantinopel ein, und am 3. Februar wurde ihm eine Privataudienz beim Sultan gew&auml;hrt, dem er einen Brief des &ouml;sterreichischen Kaisers &uuml;berbrachte. Die Pforte weigerte sich, seine Forderungen zu erf&uuml;llen, und Graf Leiningen stellte darauf ein <I>Ulti-</I> <A NAME="S70"><B>&lt;70&gt;</A></B> <I>matum</I>, das der Pforte vier Tage Zeit zur Antwort lie&szlig;. Die Pforte stellte sich sofort unter den Schutz Englands und Frankreichs, die ihr aber keinen Schutz gewahrten, w&auml;hrend Graf Leiningen deren Vermittlungen ablehnte. Am 15. Februar hatte er alles erreicht, was er verlangt hatte (ausgenommen den Artikel III), und sein Ultimatum war angenommen. Es enthielt die folgenden Artikel:</P>
<FONT SIZE=2><P>"I. Unverz&uuml;gliche R&auml;umung Montenegros und Herstellung des Status quo ante bellum &lt;Vorkriegszustand&gt;.</P>
<P>II. Eine Erkl&auml;rung, durch welche die Pforte sich verpflichten soll, den Status quo der Gebiete Kleck und Sutorina aufrechtzuerhalten und das mare clausum &lt;geschlossene Meer (bei den Dardanellen)&gt; zugunsten &Ouml;sterreichs anzuerkennen.</P>
<P>III. Eine strenge Untersuchung der aus muselmanischem Fanatismus gegen die Christen in Bosnien und der Herzegowina begangenen Taten einzuleiten.</P>
<P>IV. Die Entfernung aller politischen Fl&uuml;chtlinge und Renegaten, die sich jetzt in den an die &ouml;sterreichische Grenze ansto&szlig;enden Provinzen aufhalten.</P>
<P>V. Eine Entsch&auml;digung von 200.000 Gulden an jene &ouml;sterreichischen Kaufleute, deren Vertr&auml;ge willk&uuml;rlich aufgehoben worden waren, und die Einhaltung dieser Vertr&auml;ge f&uuml;r die ganze Zeit, auf die sie vereinbart wurden.</P>
<P>VI. Eine Entsch&auml;digung von 50.000 Gulden an einen Kaufmann, dessen Schiff und Ladung ungerechterweise konfisziert worden war.</P>
<P>VII. Errichtung zahlreicher Konsulate in Bosnien, Serbien, der Herzegowina und &uuml;ber ganz Rumelien.</P>
<P>VIII. Mi&szlig;billigung der Haltung in der Fl&uuml;chtlingsfrage im Jahre 1850."</P>
</FONT><P>Bevor sie in dieses Ultimatum einwilligte, richtete die Ottomanische Pforte, wie Herr Simpson berichtet, eine Note an die Gesandten von England und Frankreich, in der sie von ihnen das Versprechen verlangte, ihr im Falle eines Krieges mit &Ouml;sterreich wirksame Hilfe zu leisten. "Da die beiden Gesandten nicht in der Lage waren, sich in bestimmter Form zu binden", gab die t&uuml;rkische Regierung dem energischen Vorgehen des Grafen Leiningen nach.</P>
<P>Am 28. Februar trafen Graf Leiningen in Wien und F&uuml;rst Menschikow in Konstantinopel ein. Am 3. M&auml;rz hatte Lord John Russell die Unversch&auml;mtheit, als Antwort auf eine Interpellation von Lord Dudley Stuart zu erkl&auml;ren, da&szlig;</P>
<FONT SIZE=2><P>"auf die Vorstellungen bei der &ouml;sterreichischen Regierung mit der Versicherung geantwortet worden sei, letztere vertrete die gleichen Ansichten &uuml;ber diesen Gegenstand wie die englische Regierung; und obgleich er nicht die genauen Punkte des getroffenen &Uuml;bereinkommens nennen k&ouml;nne, so sei doch die Intervention Frankreichs und Eng- <A NAME="S71"><B>&lt;71&gt;</A></B> lands <I>erfolgreich </I>gewesen, und er sei &uuml;berzeugt, da&szlig; die j&uuml;ngsten Differenzen nun behoben seien. Der von England eingeschlagene Kurs sei darauf gerichtet gewesen, der T&uuml;rkei solchen Rat zu geben, der ihre Ehre und Unabh&auml;ngigkeit erhalte ... Er f&uuml;r seinen Teil denke, da&szlig; aus Gr&uuml;nden der Gerechtigkeit, des internationalen Rechts, der Treue zu unserem Alliierten wie auch aus Gr&uuml;nden der allgemeinen Politik und Zweckdienlichkeit <I>in erster Linie die Erhaltung der Integrit&auml;t und der Unabh&auml;ngigkeit der T&uuml;rkei die Politik Englands beherrsche</I>."</P>
</FONT><I><P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P></I>
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