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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Die Internationale auf der H&ouml;he</TITLE>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->394-442<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Dreizehntes Kapitel: Die Internationale auf
der H&ouml;he<!-- #EndEditable --></H1>
<hr size="1">
<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 ALIGN="CENTER">1. England, Frankreich, Belgien<A name="Kap_1"></A></H3>
<P><B>|394|</B> Kurz ehe der erste Band des &raquo;Kapitals&laquo; erschien, hatte der zweite
Kongre&szlig; der Internationalen vom 2. bis 8. September 1867 in Lausanne getagt.
Er stand nicht auf der H&ouml;he des Genfer Kongresses.</P>
<P>Schon der Aufruf, den der Generalrat im Juli erlie&szlig;, um zu einer zahlreichen
Beschickung des Kongresses aufzufordern, fiel bei seinem &Uuml;berblick &uuml;ber
das dritte Jahr des Bundes durch eine gr&ouml;&szlig;ere Trockenheit auf. Nur
aus der Schweiz wurde ein st&auml;ndiger Fortschritt der Bewegung berichtet, und
daneben aus Belgien, wo eine Niedermetzelung streikender Arbeiter in Marchienne
das Proletariat aufgepeitscht hatte.</P>
<P>Sonst wurde &uuml;ber die Hemmnisse geklagt, die der Propaganda in den verschiedenen
L&auml;ndern durch verschiedene Umst&auml;nde bereitet worden waren. Deutschland,
das vor 1848 so tiefes Interesse an dem Studium der sozialen Frage genommen habe,
sei durch seine Einheitsbewegung beansprucht. In Frankreich habe bei der geringen
Freiheit, die die Arbeiterklasse genie&szlig;e, die Ausdehnung des Bundes nicht
so zugenommen, wie zu erwarten gewesen sei nach der tatkr&auml;ftigen Unterst&uuml;tzung,
die die franz&ouml;sischen Arbeitseinstellungen durch die Internationale erfahren
h&auml;tten. Es war damit auf die gro&szlig;e Aussperrung der Pariser Bronzearbeiter
im Fr&uuml;hjahr 1867 angespielt, die sich zu einem grunds&auml;tzlichen Kampf
um die Koalitionsfreiheit ausgewachsen und mit einem Siege der Arbeiter geendet
hatte.</P>
<P>Auch England erfuhr einen leisen Tadel durch die Bemerkung, da&szlig; es mit
der Wahlreform besch&auml;ftigt, die &ouml;konomische Bewegung einen Augenblick
aus dem Auge verloren habe. Nun aber war die Wahlreform erledigt. Disraeli hatte
sie unter dem Druck der Massen in noch etwas umfassenderer Form bewilligen m&uuml;ssen,
als Gladstone sie urspr&uuml;nglich geplant hatte, n&auml;mlich f&uuml;r alle
Mieter eines st&auml;dtischen Hauses, welches immer die Miete sein mochte. So
hoffte der Generalrat, die Stunde sei gekommen, wo die englischen Arbeiter die
N&uuml;tzlichkeit der Internationalen begr&uuml;&szlig;en w&uuml;rden.</P>
<P><B><A NAME="S395">|395|</A></B> Endlich wies der Generalrat auf die Union hin,
wo die Arbeiter in mehreren Staaten den Achtstundentag durchgesetzt h&auml;tten.
Es wurde dann noch hervorgehoben, da&szlig; jede Sektion, ob gro&szlig; oder klein,
einen Delegierten schicken d&uuml;rfe, Sektionen von mehr als 500 Mitgliedern
je einen Delegierten f&uuml;r jedes weitere 500, und auf das Programm des Kongresses
wurde gesetzt: 1. Durch welche praktischen Mittel kann die Internationale der
Arbeiterklasse einen gemeinsamen Mittelpunkt f&uuml;r ihren Befreiungskampf schaffen,
und 2. Wie kann die Arbeiterklasse den Kredit, den sie der Bourgeoisie und der
Regierung verleiht, zu ihrer Emanzipation benutzen?</P>
<P>Ging dies Programm schon einigerma&szlig;en ins Allgemeine, so fehlte auch
die Denkschrift, die es im einzelnen begr&uuml;ndet h&auml;tte. Als Vertreter
des Generalrats erschienen in Lausanne namentlich Eccarius und der Musikinstrumentenmacher
Dupont, der korrespondierende Sekret&auml;r f&uuml;r Frankreich, ein sehr f&auml;higer
Arbeiter, der bei der Abwesenheit Jungs den Vorsitz f&uuml;hrte. Anwesend waren
71 Delegierte, unter den Deutschen Kugelmann, F. A. Lange, Louis B&uuml;chner,
der Kraft- und Stoff-Mann, und Ladendorf, ein braver b&uuml;rgerlicher Demokrat,
aber ein heftiger Gegner des Kommunismus. Weitaus &uuml;berwog das romanische
Element, neben wenigen Belgiern und Italienern Franzosen und franz&ouml;sische
Schweizer.</P>
<P>Die Proudhonisten hatten sich diesmal gr&uuml;ndlicher und schneller ger&uuml;stet
als der Generalrat; schon ein Vierteljahr vor diesem hatten sie ein Programm aufgestellt,
wonach Gegenseitigkeit als Grundlage des sozialen Verkehrs, Wertausgleichung der
Dienstleistung, Kredit und Volksbanken, gegenseitige Versicherungsanstalten, die
Stellung des Mannes und der Frau gegen&uuml;ber der Gesellschaft, kollektive und
individuelle Interessen, der Staat als W&auml;chter und Sch&uuml;tzer des Rechts,
das Recht zu strafen und noch ein Dutzend &auml;hnlicher Fragen verhandelt werden
sollten. Es ergab sich daraus ein wirres Durcheinander, auf das hier um so weniger
eingegangen zu werden braucht, als Marx mit alledem nichts zu tun hatte und die
zum Teil sich widersprechenden Beschl&uuml;sse nur ein rein papiernes Dasein gef&uuml;hrt
haben.</P>
<P>Mehr Gl&uuml;ck als mit der Theorie hatte der Kongre&szlig; mit der Praxis.
Er best&auml;tigte den Generalrat mit dem Sitze in London, setzte den Jahresbeitrag
jedes Mitgliedes auf 10 Centimes oder 1 Groschen fest und machte von der p&uuml;nktlichen
Zahlung dieser Beitr&auml;ge das Recht zur Beschickung der Jahreskongresse abh&auml;ngig.
Ferner beschlo&szlig; der Kongre&szlig;, da&szlig; die soziale Emanzipation der
Arbeiter unzertrennlich von ihrer politischen Aktion, und die Erk&auml;mpfung
politischer Freiheit die erste <A NAME="S396"></A><B>|396|</B> und absolute Notwendigkeit
sei. Er legte sogar so hohen Wert auf diese Erkl&auml;rung, da&szlig; er beschlo&szlig;,
sie jedes Jahr von neuem zu wiederholen. Und schlie&szlig;lich fand er auch den
richtigen Standpunkt gegen&uuml;ber der b&uuml;rgerlichen Friedens- und Freiheitsliga,
die sich neuerdings aus dem Scho&szlig;e der radikalen Bourgeoisie aufgetan hatte
und gleich nach ihm ihren ersten Kongre&szlig; in Genf abhielt. Allen Anbiederungsversuchen
setzte er das einfache Programm entgegen: Wir werden euch gern unterst&uuml;tzen,
soweit unseren eigenen Zwecken damit gedient ist.</P>
<P>Seltsamer- oder auch nicht seltsamerweise erregte dieser weniger gelungene
Kongre&szlig; in der b&uuml;rgerlichen Welt viel gr&ouml;&szlig;eres Aufsehen
als sein Vorg&auml;nger, der freilich unter den noch m&auml;chtig nachschwingenden
Wirkungen des Deutschen Krieges getagt hatte. Namentlich die englische Presse,
an die Spitze die &raquo;Times&laquo;, f&uuml;r die Eccarius berichtete, bekundete lebhaftes
Interesse f&uuml;r den Lausanner Kongre&szlig;, nachdem sie den vorigen noch gar
nicht beachtet hatte. Es fehlte nat&uuml;rlich nicht an b&uuml;rgerlichem Spotte,
doch begann die Internationale sehr ernsthaft genommen zu werden. &raquo;Wurde der Kongre&szlig;&laquo;,
so schrieb Frau Marx an den &raquo;Vorboten&laquo;, &raquo;mit seinem Stiefbruder, dem Friedenskongre&szlig;,
verglichen, so fiel der Vergleich stets zugunsten des &auml;lteren Bruders aus,
und man sah in dem einen eine drohende Schicksalstrag&ouml;die, und in dem anderen
nichts als Farce und Burleske.&laquo; Damit tr&ouml;stete sich auch Marx, den die Debatten
in Lausanne unm&ouml;glich erbauen konnten. &raquo;Les choses marchent... [Mehring &uuml;bersetzt:
Die Dinge marschieren]. Dabei ohne Geldmittel! Mit den Intrigen der Proudhonisten
zu Paris, Mazzinis in Italien und eifers&uuml;chtigen Odger, Cremer, Potter zu
London, mit den Schulze-Del[itzsch] und den Lassallianern in Deutschland! Wir
k&ouml;nnen sehr zufrieden sein!&laquo; Engels aber meinte, da&szlig; es im ganzen ja
doch blo&szlig; f&uuml;r die Katze sei, was in Lausanne beschlossen werde, wenn
der Generalrat in London bleibe. Und in der Tat kam es hierauf an, denn mit dem
dritten Lebensjahre der Internationalen schlo&szlig; die Periode ihrer ruhigen
Entwicklung ab, und eine Zeit hei&szlig;er K&auml;mpfe brach an.</P>
<P>Schon wenige Tage, nachdem der Kongre&szlig; in Lausanne geschlossen worden
war, ergab sich ein Zusammensto&szlig; von weittragenden Folgen. Am 18. September
1867 wurde in Manchester ein Polizeiwagen, der zwei verhaftete Fenier transportierte,
am hellen Tage von bewaffneten Feniern angefallen, die den Wagen mit Gewalt erbrachen
und die beiden Gefangenen befreiten, nachdem sie den begleitenden Polizeibeamten
erschossen hatten. Die eigentlichen T&auml;ter wurden nicht entdeckt, doch aus
den massenhaft verhafteten Feniern eine Anzahl ausgew&auml;hlt, wegen Mordes angeklagt
und drei davon, obgleich in einem h&ouml;chst parteiischen <A NAME="S397"></A><B>|397|</B>
Gerichtsverfahren kein schl&uuml;ssiger Beweis gegen sie gef&uuml;hrt werden konnte,
durch den Strang hingerichtet. Die Sache machte in ganz England gro&szlig;es Aufsehen,
das sich zu einer &raquo;fenischen Panik&laquo; auswuchs, als im Dezember eine von fenischer
Seite veranstaltete Pulverexplosion vor den Mauern des Gef&auml;ngnisses von Clerkenwell,
einem Stadtviertel Londons, das fast ausschlie&szlig;lich von Kleinb&uuml;rgern
und Proletariern bewohnt wurde, zw&ouml;lf Menschen t&ouml;tete und mehr als hundert
verwundete. Mit der fenischen Verschw&ouml;rung hatte die Internationale an und
f&uuml;r sich nichts zu tun, und die Explosion in Clerkenwell verurteilten Marx
und Engels als eine gro&szlig;e Torheit, die den Feniern selbst am meisten schade,
indem sie die Sympathie der englischen Arbeiter f&uuml;r die irische Sache abk&uuml;hle
oder ganz ersticke. Aber die Art wie die englische Regierung die Fenier, die gegen
eine schamlose, seit Jahrhunderten betriebene Unterdr&uuml;ckung ihrer irischen
Heimat rebellierten, als gemeine Verbrecher verfolgte, mu&szlig;te jedes revolution&auml;re
Empfinden aufst&uuml;rmen. Schon im Juni 1867 hatte Marx an Engels geschrieben:
&raquo;Diese Saukerls r&uuml;hmen es als englische Humanit&auml;t, da&szlig; politische
Gefangene nicht schlechter als M&ouml;rder, Stra&szlig;enr&auml;uber, F&auml;lscher
und P&auml;derasten behandelt werden.&laquo; Bei Engels kam hinzu, da&szlig; Lizzy Burns,
auf die er seine Liebe f&uuml;r ihre verstorbene Schwester Mary &uuml;bertragen
hatte, eine feurige irische Patriotin war.</P>
<P>Jedoch das lebhafte Interesse, das Marx f&uuml;r die irische Frage bet&auml;tigte,
hatte noch tiefere Zusammenh&auml;nge als die Sympathie f&uuml;r ein unterdr&uuml;cktes
Volk. Seine Studien hatten ihn zu der &Uuml;berzeugung gef&uuml;hrt, da&szlig;
die Emanzipation der englischen Arbeiterklasse, von der wieder die Emanzipation
des europ&auml;ischen Proletariats abhing, die Befreiung der Irl&auml;nder zur
notwendigen Voraussetzung habe. Der Sturz der englischen Bodenoligarchie sei unm&ouml;glich,
solange sie in Irland ihren stark verschanzten Vorposten behaupte. Sobald die
Sache in die H&auml;nde des irischen Volkes gelegt, sobald es zu seinem eigenen
Gesetzgeber und Regierer gemacht sei, sobald es autonom werde, sei die Vernichtung
der Landaristokratie, die zum gro&szlig;en Teil aus den englischen Landlords best&auml;nde,
unendlich viel leichter als in England, weil sie in Irland nicht nur eine einfache
&ouml;konomische Frage, sondern eine nationale Angelegenheit sei, weil die Landlords
in Irland nicht wie in England, die traditionellen W&uuml;rdentr&auml;ger, sondern
die t&ouml;dlich geha&szlig;ten Unterdr&uuml;cker der Nationalit&auml;t seien.
Verschw&auml;nde die englische Armee und Polizei aus Irland, so sei die agrarische
Revolution da.</P>
<P>Was die englische Bourgeoisie angehe, so habe sie mit der englischen Aristokratie
das Interesse gemein, Irland in ein blo&szlig;es Weideland zu <A NAME="S398"></A><B>|398|</B>
verwandeln, das f&uuml;r den englischen Markt Fleisch und Wolle zu m&ouml;glichst
billigen Preisen liefere. Aber sie habe noch viel wichtigere Interessen an der
jetzigen irischen Wirtschaft. Irland liefere durch die best&auml;ndig zunehmende
Konzentration der Pachten best&auml;ndige &Uuml;berschu&szlig;bev&ouml;lkerung
f&uuml;r den englischen Arbeitsmarkt und dr&uuml;cke dadurch die L&ouml;hne sowie
die materielle und moralische Position der englischen Arbeiterklasse herab. Die
Arbeiterschaft aller industriellen und kommerziellen Zentren in England spalte
sich in die feindlichen Lager der englischen und der irischen Proletarier. Der
gew&ouml;hnliche englische Arbeiter hasse den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten,
f&uuml;hle sich ihm gegen&uuml;ber als Glied der herrschenden Nation, mache sich
eben deswegen zum Werkzeug der Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland und
befestige damit deren Herrschaft &uuml;ber sich selbst. Der englische Proletarier
hege religi&ouml;se, soziale und nationale Vorurteile gegen den irischen; er verhalte
sich zu diesem ungef&auml;hr wie in den ehemaligen Sklavenstaaten der Union der
wei&szlig;e Arbeiter zu dem Nigger. Der Irl&auml;nder zahle ihm mit Zinsen in
der eigenen M&uuml;nze. Er sehe in dem englischen Arbeiter zugleich den Mitschuldigen
und das stupide Werkzeug der englischen Herrschaft &uuml;ber Irland. In diesem
Antagonismus, der k&uuml;nstlich wach gehalten werde durch die Presse, die Kanzel,
die Witzbl&auml;tter, kurz alle den herrschenden Klassen zur Verf&uuml;gung stehenden
Mittel, wurzele die Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation.</P>
<P>Und dies &Uuml;bel w&auml;lze sich &uuml;ber den Ozean fort. Der Antagonismus
zwischen Engl&auml;ndern und Irl&auml;ndern hindere jede aufrichtige und ernsthafte
Kooperation zwischen dem englischen und dem amerikanischen Proletariat. Wenn die
soziale Revolution in England als der Metropole des Kapitals zu beschleunigen
die wichtigste Aufgabe der Internationalen sei, so sei das einzige Mittel ihrer
Beschleunigung, Irland unabh&auml;ngig zu machen. Die Internationale m&uuml;sse
&uuml;berall offene Partei f&uuml;r Irland nehmen, und es sei die besondere Aufgabe
des Generalrats, in der englischen Arbeiterklasse das Bewu&szlig;tsein wachzurufen,
da&szlig; die nationale Emanzipation Irlands f&uuml;r sie keine Frage abstrakter
Gerechtigkeit und menschlicher Gef&uuml;hle sei, sondern die erste Bedingung ihrer
eigenen sozialen Emanzipation.</P>
<P>Dieser Aufgabe ist Marx in den n&auml;chsten Jahren mit aller Kraft gerecht
geworden; wie er in der polnischen Frage, die seit dem Genfer Kongre&szlig; von
der Tagesordnung der Internationalen geschwunden war, den Hebel zum Sturz der
russischen, so sah er in der irischen Frage den Hebel zum Sturz der englischen
Weltherrschaft. Er lie&szlig; sich auch dadurch <A NAME="S399"></A><B>|399|*</B>
nicht anfechten, da&szlig; die &raquo;Intriganten&laquo; unter den Arbeitern, die ins n&auml;chste
Parlament kommen wollten - er z&auml;hlte selbst Odger, den bisherigen Pr&auml;sidenten
des Generalrats, dazu -, dadurch einen Vorwand erhielten, sich den b&uuml;rgerlichen
Liberalen anzuschlie&szlig;en. Denn Gladstone beutete die irische Frage, nun da
sie brennend geworden war, zu einer Wahlparole aus, um wieder ans Ruder zu kommen.
Der Generalrat richtete eine - nat&uuml;rlich erfolglose - Petition an die englische
Regierung, worin gegen die Hinrichtung der drei in Manchester verurteilten Fenier
als gegen einen Justizmord protestiert wurde, und veranstaltete in London &ouml;ffentliche
Meetings, um die Rechte Irlands zu verteidigen.</P>
<P>Erregte er dadurch das Mi&szlig;behagen der englischen Regierung, so reizte
er zugleich die franz&ouml;sische Regierung zu einem Schlage gegen die Internationale.
Bonaparte hatte drei Jahre lang der Entwicklung des Bundes ruhig zugesehen, um
die aufs&auml;ssige Bourgeoisie zu &auml;ngstigen; als die franz&ouml;sischen
Mitglieder sich ein B&uuml;ro in Paris einrichteten, hatten sie den Pariser Polizeipr&auml;fekten
und den Minister des Innern davon benachrichtigt, ohne von dem einen oder dem
anderen eine Antwort zu erhalten. An kleinen Durchstechereien und Mogeleien hatte
es allerdings nicht gefehlt. Als die Akten des Genfer Kongresses, da man dem Schwarzen
Kabinett der bonapartistischen Post nicht traute, durch einen geborenen Schweizer
und naturalisierten Engl&auml;nder an den Generalrat gebracht werden sollten,
hatte sie ihm die Polizei an der franz&ouml;sischen Grenze wegstibitzt, und die
franz&ouml;sische Regierung stellte sich gegen die Beschwerde des Generalrats
taub. Doch das Ausw&auml;rtige Amt in London &ouml;ffnete seine Ohren, und sie
mu&szlig;te den Raub herausgeben. In anderer Weise blitzte der Vizekaiser Rouher
ab, als er die Ver&ouml;ffentlichung eines Manifestes, das die franz&ouml;sischen
Mitglieder auf dem Genfer Kongresse verlesen hatten, in Frankreich nur gestatten
wollte, wenn &raquo;einige Worte des Dankes an den Kaiser eingeflochten w&uuml;rden,
der f&uuml;r die Arbeiter so sehr viel getan habe&laquo;. Das wurde abgelehnt, obgleich
die franz&ouml;sischen Mitglieder sich sonst sehr h&uuml;teten, das lauernde Untier
zu reizen, und deshalb von den b&uuml;rgerlichen Radikalen als verkappte Bonapartisten
verd&auml;chtigt wurden.</P>
<P>Es mag dahingestellt bleiben, ob sie sich dadurch insoweit beirren lie&szlig;en,
an einigen zahmen Kundgebungen der radikalen Bourgeoisie gegen das Kaiserreich
teilzunehmen, wie von franz&ouml;sischen Schriftstellern behauptet wird. Die Gr&uuml;nde,
die Bonaparte zum offenen Bruch mit der Arbeiterklasse veranla&szlig;ten, lagen
jedenfalls tiefer. Die Streikbewegung, die die verheerende Krise von 1866 hervorgerufen
hatte, nahm einen <A NAME="S400"></A><B>|400|</B> Umfang an, der ihn beunruhigte;
dann hatten die Pariser Arbeiter unter dem Einflu&szlig; der Internationalen mit
den Berliner Arbeitern Friedensadressen ausgetauscht, als im Fr&uuml;hjahr 1867
wegen des Luxemburgischen Handels ein Krieg mit dem Norddeutschen Bunde drohte,
und endlich erhob die franz&ouml;sische Bourgeoisie ein so bet&auml;ubendes Geschrei
nach &raquo;Rache f&uuml;r Sadowa&laquo;, da&szlig; in den Tuilerien der verw&uuml;nscht gescheite
Gedanke auftauchte, ihr mit &raquo;liberalen&laquo; Zugest&auml;ndnissen den Mund zu stopfen.</P>
<P>Unter diesen Umst&auml;nden glaubte Bonaparte, mehr als eine Fliege mit einer
Klappe zu treffen, indem er zu einem Schlage gegen das Pariser B&uuml;ro der Internationalen
ausholte, unter dem Vorgeben, in ihm einen Mittelpunkt der fenischen Verschw&ouml;rung
entdeckt zu haben. Aber obgleich er die Mitglieder des B&uuml;ros bei Nacht und
Nebel durch pl&ouml;tzliche Haussuchungen &uuml;berfallen lie&szlig;, fand er
nicht die leiseste Spur einer geheimen Verschw&ouml;rung. Um den Schlag ins Wasser
nicht zu einer allzu gro&szlig;en Blamage werden zu lassen, blieb nichts &uuml;brig,
als das Pariser B&uuml;ro gerichtlich zu belangen, weil es eine nicht autorisierte
Gesellschaft von mehr als zwanzig Mitgliedern sei. Die Anklage wurde am 6. und
20. M&auml;rz gegen f&uuml;nfzehn Mitglieder der Internationalen verhandelt, und
das gerichtliche Urteil lautete auf 100 Franken Strafe f&uuml;r jeden der Angeklagten
und Aufl&ouml;sung des Pariser B&uuml;ros. Die h&ouml;heren Instanzen best&auml;tigten
dies Urteil.</P>
<P>Aber ehe es soweit kam, war schon ein neues Verfahren im Gange. Ankl&auml;ger
wie Gerichtshof hatten die Angeklagten mit Sammethandschuhen angefa&szlig;t, und
in deren Namen hatte Tolain sich und sie in sehr gem&auml;&szlig;igtem Tone verteidigt.
Jedoch schon zwei Tage nach dem ersten Verhandlungstermin, am 8. M&auml;rz, hatte
sich ein neues B&uuml;ro aufgetan, und dieser offenkundige Hohn begrub die letzten
Einbildungen Bonapartes. Die neun Mitglieder des neuen B&uuml;ros standen am 22.
Mai vor Gericht und wurden nach einer ebenso gl&auml;nzenden wie scharfen Rede
Varlins zu je drei Monaten Gef&auml;ngnis verurteilt. Damit war reiner Tisch zwischen
dem Kaiserreich und der Internationalen geschaffen, deren franz&ouml;sischer Zweig
aus diesem endg&uuml;ltigen und offenkundigen Bruch mit dem Dezemberschl&auml;chter
neue Lebenskraft sog.</P>
<P>Auch mit der belgischen Regierung geriet die Internationale in einen heftigen
Zusammensto&szlig;. Die Grubenbesitzer im Kohlenbecken von Charleroi trieben ihre
elend gelohnten Arbeiter durch unausgesetzte Plackereien zur Emp&ouml;rung, um
hinterher die bewaffnete Macht auf die unbewaffnete Menge loszulassen. Inmitten
des panischen Schreckens nahm sich der belgische Zweig der Internationalen der
mi&szlig;handelten Proletarier <A NAME="S401"></A><B>|401|*</B> an, enth&uuml;llte
in der Presse und auf &ouml;ffentlichen Versammlungen ihre j&auml;mmerliche Lage,
unterst&uuml;tzte die Familien der Gefallenen und Verwundeten und sicherte den
Gefangenen gerichtlichen Beistand, worauf sie von den Geschworenen freigesprochen
wurden.</P>
<P>Daf&uuml;r r&auml;chte sich der Justizminister de Bara, indem er vor der belgischen
Kammer in w&uuml;ste Schm&auml;hungen gegen die Internationale ausbrach und ihr
mit Gewaltma&szlig;regeln drohte, so namentlich mit dem Verbote ihres n&auml;chsten
Kongresses, der in Br&uuml;ssel stattfinden sollte. Aber die Angegriffenen lie&szlig;en
sich nicht verbl&uuml;ffen; sie antworteten in einem Schreiben, worin sie sagten,
sie lie&szlig;en sich von einem Manne sowenig befehlen wie von einem Fasse Wacholderschnaps,
und der Kongre&szlig; werde in Br&uuml;ssel stattfinden, m&ouml;ge es dem Justizminister
gefallen oder nicht.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">2. Die Schweiz und Deutschland<A name="Kap_2"></A></H3>
<P>Der wirksamste Hebel des gro&szlig;en Aufschwungs, den die Internationale in
diesen Jahren nahm, war die allgemeine Streikbewegung, die in allen mehr oder
weniger kapitalistisch entwickelten L&auml;ndern durch den Krach von 1866 hervorgerufen
wurde.</P>
<P>Der Generalrat bef&ouml;rderte sie nie und nirgends, aber wo sie von selbst
ausbrach, half er mit Rat und Tat den Sieg der Arbeiter sichern, indem er die
internationale Solidarit&auml;t des Proletariats mobilmachte. Er schlug den Kapitalisten
die bequeme Waffe aus der Hand, streikende Arbeiter durch den Zuzug ausl&auml;ndischer
Arbeitskr&auml;fte lahmzulegen; aus den unbewu&szlig;ten Hilfstruppen des gemeinsamen
Feindes warb er vielmehr opferfreudige Bundesgenossen; er verstand, den Arbeitern
jedes Landes, wohin sein Einflu&szlig; reichte, klarzumachen, da&szlig; es ihr
eigenes Interesse sei, die Lohnk&auml;mpfe ihrer ausl&auml;ndischen Klassengenossen
zu unterst&uuml;tzen.</P>
<P>Diese T&auml;tigkeit der Internationalen erwies sich als &uuml;beraus nachhaltig
und erwarb ihr ein europ&auml;isches Ansehen, das selbst weit &uuml;ber die wirkliche
Macht hinausreichte, die sie schon erworben hatte. Denn da die b&uuml;rgerliche
Welt nicht begreifen wollte oder auch wirklich nicht begriff, da&szlig; die um
sich greifenden Streiks in dem Elend der Arbeiterklasse wurzelten, so suchte sie
ihre Ursache in den geheimen Umtrieben der Internationalen. Diese wurde ihr so
zu einem d&auml;monischen Ungeheuer, das sie bei jedem Streik niederzuringen suchte.
Jeder gro&szlig;e Streik begann sich zu einem Kampf um die Existenz der Internationalen
zu entwickeln <A NAME="S402"></A><B>|402|</B>*, und aus jedem dieser K&auml;mpfe
ging sie mit neugest&auml;hlter Kraft hervor.</P>
<P>Typische Erscheinungen dieser Art waren der Bauarbeiterstreik, der im Fr&uuml;hjahr
1868 in Genf sowie der Bandwirker- und Seidenf&auml;rberstreik, der im Herbste
desselben Jahres in Basel ausbrach und sich bis ins n&auml;chste Fr&uuml;hjahr
hinzog. In Genf begannen immerhin die Bauarbeiter den Kampf, indem sie eine Erh&ouml;hung
des Arbeitslohns und eine Verk&uuml;rzung der Arbeitszeit forderten, aber die
Meister machten zur Bedingung eines Ausgleichs den Austritt der Arbeiter aus der
Internationalen. Diese Anma&szlig;ung wiesen die streikenden Arbeiter sofort zur&uuml;ck,
und dank der Hilfe, die ihnen der Generalrat aus England, Frankreich und anderen
L&auml;ndern zu sichern wu&szlig;te, setzten sie trotzdem ihre urspr&uuml;nglichen
Forderungen durch. Ungleich frivoler noch trieb es der Kapitalistend&uuml;nkel
in Basel, wo den Bandwirkern einer Fabrik ohne jeden Anla&szlig; ein paar Feierstunden,
die sie am letzten Tage der Sp&auml;tjahrmesse nach altem Herkommen zu beanspruchen
hatten, unter der Drohung versagt wurden: Wer nicht gehorcht, fliegt hinaus! Ein
Teil der Arbeiter gehorchte nicht und wurde am n&auml;chsten Tage, trotz der vierzehnt&auml;gigen
K&uuml;ndigungsfrist, durch Polizisten von der T&uuml;r der Fabrik zur&uuml;ckgewiesen.
Diese brutale Herausforderung peitschte die Arbeiterschaft Basels auf, und es
kam zu monatelangen K&auml;mpfen, die zuletzt in dem Versuche des Gro&szlig;en
Rats gipfelten, die Arbeiter durch milit&auml;rische Ma&szlig;regeln und eine
Art Belagerungszustandes einzusch&uuml;chtern.</P>
<P>Als der Zweck der elenden Hetze enth&uuml;llte sich auch in Basel sehr bald
die Vernichtung der Internationalen. Die Kapitalisten verschm&auml;hten f&uuml;r
diesen Zweck weder grausame Mittel, indem sie den arbeitslos gewordenen Arbeitern
die Wohnungen k&uuml;ndigten und ihnen den Kredit bei B&auml;ckern, Fleischern
und Kr&auml;mern sperrten noch auch possierliche Spr&uuml;nge wie die Entsendung
eines Emiss&auml;rs nach London, der die Geldmittel de, Generalrats ausforschen
sollte. &raquo;H&auml;tten diese guten orthodoxen Christen in den ersten Zeiten des
Christentums gelebt, sie h&auml;tten vor allem dem Bankkredit des Apostels Paulus
in Rom nachgesp&auml;ht.&laquo; So scherzte Marx, ankn&uuml;pfend an ein Wort der &raquo;Times&laquo;,
die die Sektionen de Internationalen mit den ersten Christengemeinden verglichen
hatte. Aber die Baseler Arbeiter hielten unbeirrt an der Internationalen fest
und feierten ihren Sieg durch einen gro&szlig;en Zug auf den Markt, als die Kapitalisten
endlich nachgegeben hatten. Auch sie erhielten reichliche Unterst&uuml;tzung aus
anderen L&auml;ndern. Die Wellen, die diese Streiks aufregten, brandeten bis in
die Vereinigten Staaten, wo die Internationale <A NAME="S403"></A><B>|403|</B>
nun auch festen Fu&szlig; zu fassen begann; F. A. Sorge, ein Fl&uuml;chtling von
1848 her und nunmehriger Musiklehrer, gewann in New York eine &auml;hnliche Stellung
wie Becker in Genf.</P>
<P>Vor allem bahnte die Streikbewegung der Internationalen den Weg nun aber auch
nach Deutschland, wo sich bisher nur vereinzelte Sektionen gebildet hatten. Der
Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hatte sich nach schweren K&auml;mpfen und Wirren
zu einer stattlichen K&ouml;rperschaft herausgewachsen und fuhr fort, sich in
der erfreulichsten Weise zu entwickeln, zumal nachdem seine Mitglieder sich entschlossen
hatten, Schweitzer zu ihrem anerkannten F&uuml;hrer zu w&auml;hlen. Schweitzer
sa&szlig; auch als Vertreter f&uuml;r Elberfeld-Barmen im Norddeutschen Reichstage,
in den sein alter Gegner Liebknecht durch den s&auml;chsischen Wahlkreis Stollberg-Schneeberg
entsandt worden war. Beide waren hier alsbald heftig zusammengesto&szlig;en wegen
ihrer entgegengesetzten Stellung zur nationalen Frage; w&auml;hrend Schweitzer
sich, im Sinne von Marx und Engels, auf den Boden stellte, den die Schlacht bei
K&ouml;niggr&auml;tz geschaffen hatte, bek&auml;mpfte Liebknecht den Norddeutschen
Bund als ein Werk recht- und ruchloser Gewalt, das vor allem zertr&uuml;mmert
werden m&uuml;sse, selbst mit augenblicklicher Hintansetzung sozialer Ziele.</P>
<P>Liebknecht hatte im Herbst 1866 die S&auml;chsische Volkspartei gr&uuml;nden
helfen, mit einem radikal-demokratischen, aber noch nicht sozialistischen Programm,
als deren Organ er seit dem Anfange des Jahres 1868 das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo;
in Leipzig herausgab. Sie rekrutierte sich &uuml;berwiegend aus der s&auml;chsischen
Arbeiterklasse und unterschied sich dadurch vorteilhaft von der Deutschen Volkspartei,
in der sich, neben einer Handvoll ehrlicher Ideologen vom Schlage Johann Jacobys,
Frankfurter B&ouml;rsendemokraten, schw&auml;bische Kant&ouml;nlirepublikaner
und sittlich emp&ouml;rte Bek&auml;mpfer des frevelhaften Rechtsbruchs befanden,
den Bismarck durch die Verjagung einiger Mittel- und Kleinf&uuml;rsten begangen
hatte. In viel erfreulicherer Nachbarschaft befand sich die S&auml;chsische Volkspartei
mit dem Verbande der deutschen Arbeitervereine, der bei Lassalles erstem Auftreten
und als Gegengewicht gegen dessen Agitation von der fortschrittlichen Bourgeoisie
gegr&uuml;ndet worden war, aber sich gerade im Kampfe mit den Lassalleanern nach
links entwickelt hatte: zumal seitdem August Bebel, in dem Liebknecht einen treuen
Kampfgenossen gefunden hatte, zum Vorsitzenden des Verbandes gew&auml;hlt worden
war.</P>
<P>Gleich in seiner ersten Nummer wies das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo; auf Schweitzer
als einen Mann hin, dem s&auml;mtliche Vork&auml;mpfer der sozialdemokratischen
Sache den R&uuml;cken gekehrt h&auml;tten. Das waren <A NAME="S404"></A><B>|404|</B>
inzwischen etwas alte Kamellen geworden, denn durch die Absage, die Schweitzer
drei Jahre fr&uuml;her von Marx und Engels erhalten hatte, war er keinen Augenblick
irre geworden in seiner Absicht, die deutsche Arbeiterbewegung zwar im Geiste
Lassalles zu leiten, aber ebendeshalb sie nicht durch sklavisches Kleben an Lassalles
Worten zu einer Sekte verkn&ouml;chern zu lassen. So hatte er auch den ersten
Band des &raquo;Kapitals&laquo; den deutschen Arbeitern zu vermitteln gesucht, fr&uuml;her
und gr&uuml;ndlicher als Liebknecht selbst, und im April 1868 wandte er sich pers&ouml;nlich
an Marx, um dessen Rat wegen einer Herabsetzung der Eisenz&ouml;lle einzuholen,
die damals von der preu&szlig;ischen Regierung geplant wurde.</P>
<P>Schon als korrespondierender Sekret&auml;r des Generalrats f&uuml;r Deutschland
konnte sich Marx der Beantwortung einer Frage nicht entziehen, die der parlamentarische
Arbeitervertreter eines industriereichen Wahlkreises an ihn gerichtet hatte. Aber
Marx war auch sonst zu einer wesentlich anderen Ansicht &uuml;ber Schweitzers
T&auml;tigkeit gekommen. Obgleich er sie nur aus der Ferne beobachtete, erkannte
er doch &raquo;unbedingt die Intelligenz und Energie&laquo; an, womit Schweitzer in der Arbeiterbewegung
wirke, und in den Verhandlungen des Generalrats behandelte er ihn als einen Mann
seiner Partei, ohne je ein Wort &uuml;ber Differenzpunkte fallenzulassen.</P>
<P>An solchen Differenzpunkten fehlte es auch jetzt nicht. Selbst ihr pers&ouml;nliches
Mi&szlig;trauen gegen Schweitzer gaben Marx und Engels noch nicht auf; wenn sie
ihn auch nicht mehr im Verdacht hatten, mit Bismarck zu mogeln, so argw&ouml;hnten
sie doch, seine Ann&auml;herung an Marx habe den Zweck, Liebknecht auszustechen;
sie kamen von der Vorstellung nicht los, da&szlig; der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
eine &raquo;Sekte&laquo; sei und Schweitzer vor allem &raquo;seine eigene Arbeiterbewegung&laquo; haben
wolle. Immer aber erkannten sie an, da&szlig; Schweitzers Politik der Politik
Liebknechts weit &uuml;berlegen sei.</P>
<P>Marx meinte, Schweitzer sei unbedingt von allen damaligen Arbeiterf&uuml;hrern
in Deutschland der intelligenteste und energischste, und nur durch ihn sei Liebknecht
gezwungen worden, sich zu erinnern, da&szlig; eine von der kleinb&uuml;rgerlich-demokratischen
Bewegung unabh&auml;ngige Arbeiterbewegung existiere. Ganz &auml;hnlich urteilte
Engels, der &raquo;Kerl&laquo; sei in der Auffassung der allgemeinen politischen Lage und
der Stellung zu den anderen Parteien viel klarer und in der Darstellung geschickter
als alle die anderen. &raquo;Er nannte &#155;alle alten Parteien, uns gegen&uuml;ber, eine
einzige reaktion&auml;re Masse, deren Unterschiede f&uuml;r uns kaum ins Gewicht
fallen&#139;. Er erkennt zwar an, da&szlig; 1866 und seine Folgen das Zaunk&ouml;nigtum
ruinieren, das Legitimit&auml;tsprinzip untergraben, die Reaktion ersch&uuml;ttern
<A NAME="S405"></A><B>|405|*</B> und das Volk in Bewegung gesetzt haben, aber
er zieht - jetzt - auch gegen die sonstigen Folgen, Steuerdruck usw., los und
verh&auml;lt sich gegen Bismarck viel &#155;korrekter&#139;, wie die Berliner sagen, als
z.B. Liebknecht gegen&uuml;ber den Exf&uuml;rsten.&laquo; &Uuml;ber diese Taktik Liebknechts
&auml;u&szlig;erte sich Engels bei anderer Gelegenheit, er h&auml;tte es satt,
jede Woche die Lehre vorgek&auml;ut zu bekommen, da&szlig; &raquo;wir keine Revolution
machen d&uuml;rften, ehe nicht der Bundestag, der blinde Welfe und der biedere
Kurf&uuml;rst von Hessen restauriert und am gottlosen Bismarck grausame legitime
Rache genommen&laquo; sei. Dabei lief ein gut St&uuml;ck &auml;rgerlicher &Uuml;bertreibung
mit unter, aber ein gut St&uuml;ck Wahrheit war auch daran.</P>
<P>Marx hat sp&auml;ter einmal gesagt, man habe bisher geglaubt, die christliche
Mythenbildung unter dem r&ouml;mischen Kaiserreich sei nur m&ouml;glich gewesen,
weil die Druckerei noch nicht erfunden gewesen sei. Es sei aber gerade umgekehrt.
Die Tagespresse und der Telegraph, der ihre Erfindungen im Nu &uuml;ber den ganzen
Erdboden ausstreue, fabrizierten mehr Mythen (und das Bourgeoisrind glaube und
verbreite sie) an einem Tage, als fr&uuml;her in einem Jahrhundert h&auml;tten
fertiggebracht werden k&ouml;nnen. Ein besonders schlagender Beweis f&uuml;r die
Richtigkeit dieser Ansicht ist die jahrzehntelang - und keineswegs nur von &raquo;Bourgeoisrindern&laquo;
- geglaubte M&auml;r, Schweitzer habe die Arbeiterbewegung an Bismarck verraten
wollen, worauf Liebknecht und Bebel sie wieder ins richtige Schick gebracht h&auml;tten.</P>
<P>Es war gerade umgekehrt. Schweitzer vertrat den prinzipiell sozialistischen
Standpunkt, w&auml;hrend das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo; mit den partikularistischen
Anh&auml;ngern der &raquo;Exf&uuml;rsten&laquo; und der liberalen Korruptionswirtschaft in
Wien in einer Weise lieb&auml;ugelte, die vom sozialistischen Standpunkt aus sich
nicht rechtfertigen lie&szlig;. Was Bebel in seinen &raquo;Denkw&uuml;rdigkeiten&laquo; ausf&uuml;hrt,
da&szlig; n&auml;mlich der Sieg &Ouml;sterreichs &uuml;ber Preu&szlig;en zu w&uuml;nschen
gewesen w&auml;re, weil die Revolution mit einem innerlich schwachen Staate, wie
&Ouml;sterreich, leichter fertig geworden sein w&uuml;rde als mit dem innerlich
starken Preu&szlig;en, ist eine nachtr&auml;gliche Erkl&auml;rung, von der, wie
es sonst immer um sie stehen mag, in der gleichzeitigen Literatur nicht die geringste
Spur zu entdecken ist.</P>
<P>Trotz seiner pers&ouml;nlichen Freundschaft f&uuml;r Liebknecht und seines
pers&ouml;nlichen Mi&szlig;trauens gegen Schweitzer verkannte Marx den wirklichen
Stand der Dinge nicht. Er beantwortete Schweitzers Anfrage wegen Herabsetzung
der Eisenz&ouml;lle, bei aller vorsichtigen Zur&uuml;ckhaltung in der Form, doch
in sachlich ersch&ouml;pfender Weise. Schweitzer f&uuml;hrte dann die Absicht
aus, die er schon vor drei Jahren gehabt hatte, und beantragte auf der Generalversammlung
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins <A NAME="S406"></A><B>|406|*</B>, die
Ende August 1868 in Hamburg tagte, dessen Anschlu&szlig; an die Internationale,
der freilich aus R&uuml;cksicht auf die deutschen Vereinsgesetze nicht formell,
sondern nur als Solidarit&auml;ts- und Sympathieerkl&auml;rung erfolgen konnte.
Zu dieser Generalversammlung war Marx als Ehrengast eingeladen worden, um ihm
den Dank der deutschen Arbeiter f&uuml;r sein wissenschaftliches Werk abzustatten.
Auf eine vorl&auml;ufige Anfrage Schweitzers antwortete er entgegenkommend, ist
dann aber doch nicht selbst nach Hamburg gekommen, so dringend ihn Schweitzer
darum ersuchte.</P>
<P>In seinem Dankschreiben f&uuml;r die &raquo;ehrenvolle Einladung&laquo; gab er die Vorarbeiten
des Generalrats f&uuml;r den Br&uuml;sseler Kongre&szlig; als Hindernisse seines
Kommens an, stellte aber mit &raquo;Freude&laquo; fest, da&szlig; die Tagesordnung der Generalversammlung
die Punkte enthielte, die in der Tat die Ausgangspunkte aller ernsten Arbeiterbewegungen
bildeten: Agitation f&uuml;r volle politische Freiheit, Regelung des Arbeitstags
und planm&auml;&szlig;ige, internationale Kooperation der Arbeiterklasse. Wenn
Marx jedoch an Engels schrieb, mit diesem Briefe habe er die Lassalleaner dazu
begl&uuml;ckw&uuml;nscht, das Programm Lassalles aufgegeben zu haben, so ist wirklich
nicht abzusehen, was Lassalle an jenen drei Punkten auszusetzen gehabt haben w&uuml;rde.</P>
<P>Einen wirklichen Bruch mit den &Uuml;berlieferungen Lassalles vollzog dagegen
Schweitzer selbst auf der Hamburger Generalversammlung, indem er gegen einen heftigen
Widerstand, und zuletzt nur dadurch, da&szlig; er die Kabinettsfrage stellte,
die Erlaubnis f&uuml;r sich und seinen Reichstagskollegen Fritzsche ertrotzte,
f&uuml;r Ende September einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongre&szlig; nach
Berlin zu berufen, um eine gr&uuml;ndliche, umfassende Organisation der Arbeiterschaft
zum Zwecke der Streiks ins Leben zu rufen. Schweitzer war durch die europ&auml;ische
Streikbewegung belehrt worden; er &uuml;bersch&auml;tzte sie nicht, aber sah sehr
wohl ein, da&szlig; eine Arbeiterpartei, die auf der H&ouml;he ihrer Aufgabe bleiben
wolle, die nun einmal mit elementarer Gewalt ausbrechenden Streiks nicht in ein
regelloses Durcheinander verlaufen lassen d&uuml;rfe. Er schreckte deshalb vor
der Gr&uuml;ndung gewerkschaftlicher Verb&auml;nde nicht zur&uuml;ck, aber er
verkannte ihre Lebensbedingungen, indem er sie ebenso stramm organisieren wollte,
wie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein organisiert war und gewisserma&szlig;en
nur als dessen untergeordnete Hilfstruppe.</P>
<P>Marx hat ihn vergebens vor diesem schweren Fehler gewarnt. Aus dem schriftlichen
Verkehr beider M&auml;nner haben sich von Schweitzer s&auml;mtliche Briefe, von
Marx aber nur der eine und vermutlich wichtigste vom 13. Oktober 1868 erhalten.
Der Form nach, in seinem loyalen <A NAME="S407"></A><B>|407|</B> Entgegenkommen
gegen Schweitzer, vollkommen tadellos, entwickelte er die gewichtigsten Bedenken
gegen die von Schweitzer geplante Organisation der Gewerkschaften, schw&auml;chte
aber den Eindruck dieser Kritik dadurch ab, da&szlig; er den von Lassalle gestifteten
Verein als eine &raquo;Sekte&laquo; kennzeichnete, die sich entschlie&szlig;en m&uuml;sse,
in der Klassenbewegung aufzugehen. In seinem Antwortschreiben, dem letzten, das
er an Marx gerichtet hat, konnte sich Schweitzer mit Recht darauf berufen, er
sei stets bestrebt gewesen, mit der europ&auml;ischen Arbeiterbewegung gleichen
Schritt zu halten.</P>
<P>Wenige Tage nach der Hamburger Generalversammlung tagte der Verband der deutschen
Arbeitervereine in N&uuml;rnberg. Auch er verstand die Zeichen der Zeit; seine
Mehrheit nahm die Haupts&auml;tze aus den &raquo;Statuten&laquo; der Internationalen als politisches
Programm an und w&auml;hlte das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo; zum Organ des Verbandes,
worauf die Minderheit auf Nimmerwiedersehen verschwand. Dann lehnte die Mehrheit
einen Antrag auf Gr&uuml;ndung von Altersversorgungskassen f&uuml;r Arbeiter unter
staatlicher Aufsicht zugunsten eines Antrags auf Einrichtung von Gewerksgenossenschaften
ab, die erfahrungsgem&auml;&szlig; am besten f&uuml;r Alters-, Kranken- und Wanderunterst&uuml;tzungskassen
zu sorgen w&uuml;&szlig;ten. Diese Begr&uuml;ndung war schw&auml;chlicher als
die Berufung auf den Kampf zwischen Kapital und Arbeit, der in den Streiks aufloderte,
und auch der Anschlu&szlig; an die Internationale wurde in Hamburg durch das gemeinsame
Interesse aller Arbeiterparteien begr&uuml;ndet, w&auml;hrend in N&uuml;rnberg
die Sache nicht so schroff aufgefa&szlig;t wurde. Schon wenige Wochen sp&auml;ter
meldete das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo; in fettem Druck den Anschlu&szlig; an
das N&uuml;rnberger Programm, den die Deutsche Volkspartei auf einer Konferenz
in Stuttgart beschlossen hatte.</P>
<P>Immerhin hatte sich eine Ann&auml;herung zwischen dem Allgemeinen Deutschen
Arbeiterverein und dem Verbande der deutschen Arbeitervereine vollzogen, und Marx
hat sich damals redlich bem&uuml;ht, durch unparteiisches Vermitteln zwischen
Liebknecht und Schweitzer die deutsche Arbeiterbewegung zu einigen. Gelungen ist
es ihm jedoch nicht. Die N&uuml;rnberger Vereine weigerten sich unter einem haltlosen
Vorwande, den Gewerkschaftskongre&szlig; zu beschicken, den Schweitzer und Fritzsche
nach Berlin berufen hatten. Der Kongre&szlig; war zahlreich besucht und f&uuml;hrte
zur Gr&uuml;ndung einer Reihe von &raquo;Arbeiterschaften&laquo;, die durch einen &raquo;Arbeiterschaftsverband&laquo;
zusammengefa&szlig;t wurden, an dessen Spitze tats&auml;chlich Schweitzer stand.</P>
<P>Die N&uuml;rnberger Vereine gingen ihrerseits auf Grund eines Statuts, das
von Bebel entworfen worden war und den gewerkschaftlichen Lebensbedingungen <A NAME="S408"></A><B>|408|*</B>
viel gerechter wurde als das Statut Schweitzers, mit der Gr&uuml;ndung von - wie
sie allzu pomphaft getauft wurden - &raquo;Internationalen Gewerksgenossenschaften&laquo;
vor, und nunmehr erboten sie sich zu Einigungs- und Verschmelzungsverhandlungen
mit der andern Richtung, erhielten jedoch eine schroffe Absage. Sie h&auml;tten
zuerst die Einigkeit gest&ouml;rt und k&ouml;nnten sich den Versuch sparen, durch
das Angebot eines Vertragsverh&auml;ltnisses die von ihnen gest&ouml;rte Einigkeit
wiederherzustellen; w&auml;re es ihnen um die Sache zu tun, so k&ouml;nnten sie
sich dem Arbeiterschaftsverbande anschlie&szlig;en und innerhalb dieses Rahmens
f&uuml;r die ihnen gut scheinenden &Auml;nderungen wirken.</P>
<P>Konnte somit Marx die Zersplitterung der deutschen Arbeiterbewegung nicht hindern,
so durfte er doch den Anschlu&szlig; beider Richtungen an die Internationale feststellen,
und so kam ihm der Gedanke, nunmehr, wo die Gesellschaft vorl&auml;ufig, wenn
auch &uuml;berall noch d&uuml;nn, wenigstens ihr Hauptterrain umschreibe, den
Generalrat f&uuml;r das n&auml;chste Jahr nach Genf zu verlegen. Dabei wirkte
auch der &Auml;rger &uuml;ber die franz&ouml;sische Sektion in London mit, die,
gering an Zahl, um so gr&ouml;&szlig;eren L&auml;rm machte und durch den Beifall,
den sie dem albernen, den Mord Bonapartes predigenden Kom&ouml;dianten Pyat spendete,
der Internationalen manche Ungelegenheiten bereitete. Sie spektakelte nicht zuletzt
&uuml;ber die &raquo;Diktatur&laquo; des Generalrats, weil er ihrem Unfug nach Kr&auml;ften
steuerte, und bereitete eine Anklage gegen ihn f&uuml;r den Br&uuml;sseler Kongre&szlig;
vor.</P>
<P>Gl&uuml;cklicherweise riet Engels dringend von dem gewagten Schritt ab. Um
der paar Esel willen d&uuml;rfe die Sache nicht an Leute &uuml;berantwortet werden,
die zwar viel guten Willen und auch wohl Instinkt, aber doch nicht das Zeug h&auml;tten,
die Bewegung zu leiten. Je gro&szlig;artiger sie werde, und nun auch nach Deutschland
&uuml;bergreife, um so mehr m&uuml;sse Marx sie in der Hand behalten. Alsbald
zeigte sich gerade in Genf, da&szlig; guter Wille und blo&szlig;er Instinkt allein
allerdings nicht gen&uuml;gten.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">3. Die Agitation Bakunins<A name="Kap_3"></A></H3>
<P>Der dritte Kongre&szlig; der Internationalen tagte vom 6. bis 13. September
1868 in Br&uuml;ssel.</P>
<P>Er war zahlreicher besucht als irgendein fr&uuml;herer oder sp&auml;terer,
doch trug er einen stark &ouml;rtlichen Charakter; mehr als die H&auml;lfte seiner
Mitglieder kam aus Belgien. Ungef&auml;hr den f&uuml;nften Teil stellten die Franzosen
<A NAME="S409"></A><B>|409|</B>*. Unter den 11 englischen Delegierten befanden
sich 6 Vertreter des Generalrats, neben Eccarius, Jung, Le&szlig;ner namentlich
der Trade-Unionist Lucraft. Schweizer waren nur 8 zugegen, Deutsche gar nur 3,
unter ihnen Moses He&szlig; von der Sektion K&ouml;ln. Schweitzer, der eine offizielle
Einladung erhalten hatte, war durch die Wahrnehmung mehrerer Gerichtstermine am
pers&ouml;nlichen Erscheinen verhindert, erkl&auml;rte aber schriftlich die &Uuml;bereinstimmung
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit den Bestrebungen der Internationalen;
sich auch formell an sie anzuschlie&szlig;en, sei der Verein nur durch die deutschen
Vereinsgesetze verhindert. Italien und Spanien sandten je einen Vertreter.</P>
<P>Der lebhaftere Pulsschlag, den das Leben der Internationalen in ihrem vierten
Jahre angenommen hatte, war in den Verhandlungen des Kongresses sehr merklich
zu sp&uuml;ren. Der Widerstand, den die Proudhonisten in Genf und Lausanne gegen
Gewerkvereine und Streiks bekundet hatten, war fast in sein Gegenteil umgeschlagen.
Zwar setzten sie noch eine akademische Resolution zu Ehren der &raquo;Tauschbank&laquo; und
des &raquo;unentgeltlichen Kredits&laquo; durch, obgleich Eccarius die praktische Unm&ouml;glichkeit
dieser proudhonistischen Heilmittel an englischen Erfahrungen und He&szlig; ihre
theoretische Unhaltbarkeit an der Hand der Streitschrift nachwies, die Marx zwanzig
Jahre fr&uuml;her gegen Proudhon gerichtet hatte.</P>
<P>Daf&uuml;r unterlagen sie in der &raquo;Eigentumsfrage&laquo; g&auml;nzlich: auf Vorschlag
de Paepes wurde eine gro&szlig;e Resolution unter eingehender Begr&uuml;ndung
angenommen: sie forderte, da&szlig; in einer wohlgeordneten Gesellschaft die Steinbr&uuml;che,
die Steinkohlen- und andere Minen sowie die Eisenbahnen der Gesamtheit geh&ouml;ren
sollten, das will sagen, dem neuerstandenen, dem Gesetze der Gerechtigkeit unterworfenen
Staat, und da&szlig; ihr Betrieb bis dahin an Arbeiterkompanien &uuml;bergeben
werden sollte, unter den n&ouml;tigen B&uuml;rgschaften f&uuml;r die Gesamtheit.
Ebenso sollte der landwirtschaftliche Boden, auch die W&auml;lder, in gemeinsames
Staatseigentum &uuml;berf&uuml;hrt und unter denselben B&uuml;rgschaftsbedingungen
an landwirtschaftliche Ackerbaugesellschaften &uuml;bergeben werden. Endlich m&uuml;&szlig;ten
Kan&auml;le, Landstra&szlig;en, Telegraphenanstalten, kurz alle Verkehrsmittel
Gemeingut der Gesellschaft bleiben. Mit ihrem heftigen Protest gegen diesen &raquo;rohen
Kommunismus&laquo; erreichten die Franzosen nur, da&szlig; die Frage noch einmal vom
n&auml;chsten Kongre&szlig; beraten werden sollte, als dessen Sitz Basel bestimmt
wurde.</P>
<P>Marx hatte nach seiner eigenen Angabe keinen Teil an der Abfassung der Resolutionen,
die in Br&uuml;ssel angenommen wurden, doch war er mit dem Verlaufe des Kongresses
nicht unzufrieden. Nicht nur weil es ihm gleicherma&szlig;en zur pers&ouml;nlichen
wie zur sachlichen Genugtuung gereichen <A NAME="S410"></A><B>|410|</B> durfte,
da&szlig; ihm, wie schon in Hamburg und N&uuml;rnberg, der Dank der Arbeiterklasse
f&uuml;r sein wissenschaftliches Werk ausgesprochen, sondern auch weil die Anklagen
der franz&ouml;sischen Sektion in London gegen den Generalrat zur&uuml;ckgewiesen
worden waren. Nur in dem von Genf her angeregten Beschlu&szlig; des Kongresses,
drohende Kriege durch allgemeine Arbeitseinstellungen, durch einen Streik der
V&ouml;lker abzuwehren, fand er &raquo;Bl&ouml;dsinn&laquo;. Um so weniger hatte er dagegen
einzuwenden, da&szlig; der Kongre&szlig; endg&uuml;ltig mit der Friedens- und
Freiheitsliga brach, die kurze Zeit nachher ihren zweiten Kongre&szlig; in Bern
hielt. Sie hatte der Internationalen ein B&uuml;ndnis vorgeschlagen, erhielt aber
in Br&uuml;ssel die trockene Antwort, sie habe keinen vern&uuml;nftigen Grund
der Existenz und solle ihre Mitglieder nur einfach zum Eintritt in die Sektionen
der Internationalen veranlassen.</P>
<P>Betrieben wurde dies B&uuml;ndnis vornehmlich durch Michail Bakunin, der schon
dem ersten Kongre&szlig; der Freiheits- und Friedensliga in Genf beigewohnt hatte
und ein paar Monate vor dem Br&uuml;sseler Kongre&szlig; der Internationalen auch
in diese eingetreten war. Nach der Ablehnung des B&uuml;ndnisvertrages versuchte
er nun, den Berner Kongre&szlig; der Friedens- und Freiheitsliga zu einem Programm
zu bekehren, das auf die Zerst&ouml;rung aller Staaten abzielte, um auf deren
Tr&uuml;mmern eine F&ouml;deration freier produktiver Assoziationen aller L&auml;nder
zu errichten. Er blieb jedoch in der Minderheit, in der sich unter anderen Johann
Philipp Becker befand, und stiftete mit ihr eine neue Internationale Allianz der
sozialistischen Demokratie, die zwar vollst&auml;ndig in der Internationalen aufgehen,
aber sich die besondere Aufgabe stellen sollte, die politischen und philosophischen
Fragen auf der Grundlage des gro&szlig;en Prinzips der allgemeinen und sittlichen
Gleichheit aller Menschenwesen auf Erden zu studieren.</P>
<P>Bereits im Septemberhefte des &raquo;Vorboten&laquo; k&uuml;ndigte Becker diese Allianz
an, deren Zweck darauf hinauslaufe, in Frankreich, Italien, Spanien und soweit
ihr Einflu&szlig; reiche, Sektionen der Internationalen ins Leben zu rufen. Jedoch
erst ein Vierteljahr sp&auml;ter, am 15. Dezember 1868, ersuchte Becker den Generalrat
um Aufnahme der Allianz in die Internationale, nachdem dasselbe Gesuch von dem
belgischen und dem franz&ouml;sischen F&ouml;deralrat abgelehnt worden war. Eine
Woche sp&auml;ter, am 22. Dezember, schrieb Bakunin aus Genf an Marx: &raquo;Mein alter
Freund! Besser als je verstehe ich jetzt, wie sehr Du recht hast, wenn Du die
gro&szlig;e Heerstra&szlig;e der &ouml;konomischen Revolution verfolgst und uns
einladest, sie zu betreten, und diejenigen unter uns herabsetzest, die sich in
den Seitenpfaden teils nationaler, teils ausschlie&szlig;lich politischer Unternehmungen
<A NAME="S411"></A><B>|411|*</B> verirren. Ich tue jetzt dasselbe, was Du seit
mehr als zwanzig Jahren tust. Seit dem feierlichen und &ouml;ffentlichen Abschied,
den ich den Bourgeois des Berner Kongresses gegeben habe, kenne ich keine andere
Gesellschaft, keine andere Umwelt als die Welt der Arbeiter. Mein Vaterland ist
jetzt die Internationale, zu deren hervorragenden Gr&uuml;ndern Du geh&ouml;rst.
Du siehst also, lieber Freund, da&szlig; ich Dein Sch&uuml;ler bin, und ich bin
stolz darauf, es zu sein. Soviel &uuml;ber meine Stellung und meine pers&ouml;nlichen
Gesinnungen.&laquo; Es liegt kein Grund vor, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherungen
zu zweifeln.</P>
<P>Am schnellsten und tiefsten f&uuml;hrt in das Verh&auml;ltnis beider M&auml;nner
ein Vergleich ein, den Bakunin einige Jahre sp&auml;ter, als er schon in heftigem
Kampf mit Marx stand, zwischen diesem und Proudhon gezogen hat. Es hei&szlig;t
darin: &raquo;Marx ist ein sehr ernster, sehr tiefer &ouml;konomischer Denker. Er hat
den ungeheuren Vorteil &uuml;ber Proudhon, tats&auml;chlich ein Materialist zu
sein. Proudhon ist trotz aller Anstrengungen, die er gemacht hat, um die &Uuml;berlieferungen
des klassischen Idealismus loszuwerden, nichtsdestoweniger sein Leben lang ein
unverbesserlicher Idealist geblieben, der sich bald von der Bibel, bald vom r&ouml;mischen
Recht beeinflussen lie&szlig;, wie ich es ihm zwei Monate vor seinem Tode gesagt
habe, und immer Metaphysiker bis in die Spitze seiner N&auml;gel. Sein gro&szlig;es
Ungl&uuml;ck ist, niemals die Naturwissenschaften studiert und sich deren Methode
nicht angeeignet zu haben. Er hat gewisse Instinkte gehabt, die ihm den richtigen
Weg fl&uuml;chtig gezeigt haben, aber hingerissen durch die schlechten oder die
idealistischen Gewohnheiten seines Geistes fiel er immer in die alten Irrt&uuml;mer
zur&uuml;ck. Dadurch ist Proudhon ein best&auml;ndiger Widerspruch geworden, ein
kr&auml;ftiges Genie, ein revolution&auml;rer Denker, der sich immer gegen die
Einbildungen des Idealismus wehrte, aber nie dazu gelangte, sie zu besiegen.&laquo;
So Bakunin &uuml;ber Proudhon.</P>
<P>In unmittelbarem Anschlu&szlig; daran schilderte er das Wesen von Marx, so
wie es ihm erschien. &raquo;Marx ist als Denker auf dem guten Wege. Er hat als Grundsatz
aufgestellt, da&szlig; alle religi&ouml;sen, politischen und juristischen Entwicklungen
in der Geschichte nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen der &ouml;konomischen
Entwicklungen sind. Das ist ein gro&szlig;er und fruchtbarer Gedanke, den Marx
nicht schlechthin erfunden hat; der Gedanke wurde geahnt und teilweise ausgesprochen
durch viele andere vor ihm, aber schlie&szlig;lich geb&uuml;hrt ihm die Ehre,
ihn wissenschaftlich entwickelt und als Grundlage seines ganzen &ouml;konomischen
Systems festgelegt zu haben. Auf der anderen Seite hatte Proudhon die Freiheit
viel besser verstanden und gef&uuml;hlt als Marx; Proudhon hatte, wenn er nicht
<A NAME="S412"></A><B>|412|</B> in Doktrin und Phantasie machte, den wahren Instinkt
des Revolution&auml;rs; er verehrte Satan und verk&uuml;ndete die Anarchie. Es
ist sehr m&ouml;glich, da&szlig; Marx sich zu einem noch vern&uuml;nftigeren System
der Freiheit erhebt als Proudhon, aber der Instinkt Proudhons fehlt ihm. Als Deutscher
und als Jude ist er vom Scheitel bis zur Zehe ein Autorit&auml;r.&laquo; Soweit Bakunin.</P>
<P>F&uuml;r sich selbst zog er aus diesem Vergleich die Schlu&szlig;folgerung,
da&szlig; er die h&ouml;here Einheit dieser beiden Systeme erfa&szlig;t habe.
Er habe das anarchische System Proudhons entwickelt und von allem doktrin&auml;ren,
idealistischen und metaphysischen Beiwerk befreit, ihm den Materialismus in der
Wissenschaft und die soziale &Ouml;konomie in der Geschichte als Grundlage gegeben.
Das war jedoch eine gewaltige Selbstt&auml;uschung Bakunins. Er war weit &uuml;ber
Proudhon hinausgekommen, vor dem er ein gut St&uuml;ck europ&auml;ischer Bildung
voraushatte, und er verstand Marx viel besser als Proudhon diesen verstanden hatte.
Aber weder hatte er die Schule der deutschen Philosophie so gr&uuml;ndlich durchlaufen
noch die Klassenk&auml;mpfe der westeurop&auml;ischen V&ouml;lker so eingehend
studiert wie Marx. Und vor allem war seine Unkenntnis der politischen &Ouml;konomie
f&uuml;r ihn noch viel verh&auml;ngnisvoller als f&uuml;r Proudhon die Unkenntnis
der Naturwissenschaften. Diese L&uuml;cke in der Bildung Bakunins bestand deshalb
nicht weniger, weil sie in einer f&uuml;r ihn ehrenvollen Weise dadurch erkl&auml;rt
wurde, da&szlig; er um seiner revolution&auml;ren Taten willen eine lange Reihe
seiner besten Jahre in s&auml;chsischen, &ouml;sterreichischen, russischen Kerkern
und in den sibirischen Eisw&uuml;sten geschmachtet hatte.</P>
<P>Der &raquo;Satan im Leibe&laquo; war seine St&auml;rke wie seine Schw&auml;che. Was er
unter diesem seinem Lieblingsschlagwort verstand, das hat der ber&uuml;hmte russische
Kritiker Belinski in die so sch&ouml;nen wie treffenden Worte gekleidet: &raquo;Michail
ist in vielem schuldig und s&uuml;ndhaft, doch gibt es etwas in ihm, das alle
seine M&auml;ngel &uuml;berwiegt - das ist das ewig bewegende Prinzip, das in
der Tiefe seines Geistes lebt.&laquo; Bakunin war eine durch und durch revolution&auml;re
Natur, und wie Marx und Lassalle besa&szlig; er die Gabe, da&szlig; die Menschen
auf seine Stimme h&ouml;rten. Es war doch eine Leistung f&uuml;r einen armen Fl&uuml;chtling,
der nichts besa&szlig; als seinen Geist und seinen Willen, in einer Reihe europ&auml;ischer
L&auml;nder, in Spanien, Italien und Ru&szlig;land, die ersten F&auml;den der
internationalen Arbeiterbewegung gesponnen zu haben. Aber man braucht diese L&auml;nder
nur zu nennen, um auf den tiefsten Unterschied zwischen Bakunin und Marx zu sto&szlig;en.
Beide sahen die Revolution mit schnellen Schritten herankommen, aber w&auml;hrend
Marx in dem gro&szlig;industriellen Proletariat, wie er es in England, Frankreich
und Deutschland studiert hatte, ihre Kerntruppe erblickte, rechnete Bakunin mit
den Heerhaufen der deklassierten Jugend, <A NAME="S413"></A><B>|413|</B> der b&auml;uerlichen
Masse und selbst des Lumpenproletariats. Wie scharf er immer erkannte, da&szlig;
Marx ihm als wissenschaftlicher Denker &uuml;berlegen war, so fiel er mit seinem
Handeln immer in die Fehler zur&uuml;ck, die den &raquo;Revolution&auml;ren der vorigen
Generation&laquo; eigen waren. Er selbst fand sich mit seinem Schicksal ab, indem er
meinte, die Wissenschaft sei wohl der Kompa&szlig; des Lebens, aber nicht das
Leben selbst, und nur das Leben schaffe wirkliche Dinge und Wesen.</P>
<P>Es ist eine Torheit, und dazu ein Unrecht gleicherma&szlig;en gegen Bakunin
wie gegen Marx, ihre Beziehungen allein nach dem unheilbaren Zerw&uuml;rfnis abzusch&auml;tzen,
womit sie geendigt haben. Politisch und namentlich psychologisch viel reizvoller
ist es zu verfolgen, wie sie im Laufe von drei&szlig;ig Jahren sich gegenseitig
immer wieder angezogen und immer wieder abgesto&szlig;en haben. Beide begannen
als Junghegelianer; Bakunin geh&ouml;rte zu den Paten der &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen
Jahrb&uuml;cher&laquo;. Bei dem Bruch zwischen seinem alten G&ouml;nner Ruge und Marx
entschied er sich f&uuml;r diesen. Als er dann aber in Br&uuml;ssel sah, was Marx
unter kommunistischer Propaganda verstand, war er entsetzt, und einige Monate
sp&auml;ter begeisterte er sich f&uuml;r Herweghs abenteuerlichen Freischarenzug
nach Deutschland, um dann doch wieder diese seine Torheit einzusehen und offen
zu bekennen.</P>
<P>Gleich darauf, im Sommer 1848, klagte ihn die &raquo;Neue Rheinische Zeitung&laquo; als
Werkzeug der russischen Regierung an, doch nahm sie ihren Irrtum, in den sie durch
zwei, voneinander unabh&auml;ngige Seiten versetzt worden war, in einer Weise
zur&uuml;ck, die Bakunin vollkommen befriedigte. Bei einer Begegnung in Berlin
frischten Marx und Bakunin ihre alte Freundschaft auf, und die &raquo;Neue Rheinische
Zeitung&laquo; trat energisch f&uuml;r Bakunin ein, als er aus Preu&szlig;en ausgewiesen
wurde. Danach unterzog sie seine panslawistische Agitation einer strengen Kritik,
aber mit der einleitenden Bemerkung: &raquo;Bakunin ist unser Freund&laquo;, und unter ausdr&uuml;cklicher
Anerkennung, da&szlig; Bakunin aus demokratischen Gr&uuml;nden handele und seine
Selbstt&auml;uschungen &uuml;ber die slawische Sache sehr zu entschuldigen seien.
&Uuml;brigens irrte Engels, der Verfasser dieser Artikel, auch in dem Haupteinwande,
den er gegen Bakunin geltend machte; die slawischen V&ouml;lkerschaften &Ouml;sterreichs
haben doch die geschichtliche Zukunft gehabt, die Engels ihnen absprach. Bakunins
revolution&auml;re Teilnahme an dem Dresdner Maiaufstande haben Marx und Engels
fr&uuml;her und lebhafter als irgendwer anerkannt.<A name="ZT1"></A><A href="fm03_394.htm#Z1"><SPAN class="top">[1]</SPAN></A></P>
<P>Auf dem R&uuml;ckzuge aus Dresden wurde Bakunin gefangen und erst von einem
s&auml;chsischen, dann von einem &ouml;sterreichischen Kriegsgerichte zum Tode
verurteilt, in beiden F&auml;llen zu lebensl&auml;nglicher Kerkerhaft <A NAME="S414"></A><B>|414|</B>
&raquo;begnadigt&laquo;, endlich nach Ru&szlig;land ausgeliefert, wo er in der Peter-Pauls-Festung
furchtbare Leidensjahre verbrachte. W&auml;hrend dieser Zeit erhob ein verr&uuml;ckter
Urquhartit im &raquo;Morning Advertiser&laquo; wieder die Anklage gegen Bakunin, ein Agent
der russischen Regierung zu sein und sich gar nicht im Kerker zu befinden. Dagegen
protestierte in demselben Blatt - neben Herzen, Mazzini und Ruge - auch Marx.
Jedoch wollte ein ungl&uuml;cklicher Zufall, da&szlig; der Verleumder Bakunins
ebenfalls Marx hie&szlig;, was in engeren Kreisen bekannt war, obgleich sich der
Biedermann der Aufforderung, sich &ouml;ffentlich zu nennen, beharrlich entzog.
Diesen Gleichklang der Namen benutzte dann der Talmi-Revolution&auml;r Herzen
zu einer unw&uuml;rdigen Intrige. Als Bakunin, der 1857 aus der Peter-Pauls-Festung
nach Sibirien geschickt worden, aber 1861 von hier gl&uuml;cklich entkommen war,
&uuml;ber Japan und den amerikanischen Kontinent nach London gelangte, spiegelte
Herzen ihm vor, Karl Marx habe ihn in der englischen Presse als russischen Spion
denunziert. Es war die erste der Ohrenbl&auml;sereien, die noch viel Unheil zwischen
Bakunin und Marx stiften sollten.</P>
<P>Mehr als ein Jahrzehnt lang war Bakunin von dem europ&auml;ischen Leben abgesperrt
gewesen, und so begreift sich, da&szlig; er sich in London zun&auml;chst an die
russischen Fl&uuml;chtlinge vom Schlage Herzens anschlo&szlig;, mit denen er im
Grunde wenig gemein hatte. Auch an seinem Panslawismus, soweit davon &uuml;berhaupt
gesprochen werden konnte, blieb Bakunin doch immer Revolution&auml;r, w&auml;hrend
Herzen mit seinen Schimpfereien &uuml;ber den &raquo;verfaulten Westen&laquo; und seinem mystischen
Kultus der russischen Dorfgemeinde in der Tat nur, unter der Maske eines schwachherzigen
Liberalismus, die Gesch&auml;fte des Zarentums besorgte. Es spricht nicht gegen
Bakunin, da&szlig; er seine pers&ouml;nlich freundschaftlichen Beziehungen zu
Herzen, der sich ihm in seinen Jugendn&ouml;ten hilfreich erwiesen hatte, bis
zu Herzens Tode fortsetzte, aber den politischen Scheidebrief schrieb er ihm schon
im Jahre 1866, indem er ihm vorwarf, eine soziale Umw&auml;lzung ohne politische
Umw&auml;lzung zu wollen und dem Staate alles zu verzeihen, wenn er nur die gro&szlig;russische
Dorfgemeinde unber&uuml;hrt lasse, von der Herzen nicht nur das Heil Ru&szlig;lands
und aller slawischen L&auml;nder, sondern auch Europas und der ganzen Welt erwarte.
Bakunin unterwarf dies Phantom einer vernichtenden Kritik.</P>
<P>Aber nach seiner Flucht aus Sibirien lebte er zun&auml;chst in Herzens Hause
und wurde dadurch von Marx zur&uuml;ckgehalten. Um so bezeichnender war es wieder
f&uuml;r ihn, da&szlig; er das Kommunistische Manifest&laquo; ins Russische &uuml;bersetzte
und in Herzens &raquo;Kolokol&laquo; ver&ouml;ffentlichte.</P>
<P>Bei einem zweiten Aufenthalte Bakunins in London, zur Zeit, wo <A NAME="S415"></A><B>|415|</B>
die Internationale gegr&uuml;ndet wurde, brach Marx das Eis und suchte ihn auf.
Er konnte mit aller Wahrheit versichern, da&szlig; er die Verleumdung Bakunins
nicht nur nicht veranla&szlig;t, sondern vielmehr nachdr&uuml;cklich bek&auml;mpft
habe. Beide schieden als Freunde; Bakunin war von dem Plane der Internationalen
begeistert und Marx schrieb an Engels am 4. November: &raquo;<I>Bakounine </I>l&auml;&szlig;t
Dich gr&uuml;&szlig;en. Er ist heute nach Italien, wo er wohnt (Florenz), abgereist
... Ich mu&szlig; sagen, da&szlig; er mir sehr gefallen hat und besser als fr&uuml;her
... Im Ganzen ist er einer der wenigen Leute, die ich nach 16 Jahren nicht zur&uuml;ck-,
sondern weiterentwickelt finde.&laquo;</P>
<P>Die Freude, womit Bakunin die Internationale begr&uuml;&szlig;t hatte, hatte
jedoch keinen langen Atem. Der Aufenthalt in Italien erweckte zun&auml;chst den
&raquo;Revolution&auml;r der vorigen Generation&laquo; in ihm. Er hatte dies Land gew&auml;hlt,
des milden Klimas und auch des wohlfeilen Lebens wegen, zumal da ihm Deutschland
und Frankreich verschlossen waren, dann aber auch aus politischen Gr&uuml;nden.
Er sah in den Italienern die nat&uuml;rlichen Verb&uuml;ndeten der Slawen gegen
den &ouml;sterreichischen Zwangsstaat, und die Heldentaten Garibaldis hatten schon
in Sibirien seine Phantasie entz&uuml;ndet. Sie lie&szlig;en ihn zuerst erkennen,
da&szlig; die revolution&auml;re Flut wieder im Steigen sei. In Italien fand er
eine Menge politischer Geheimb&uuml;nde; er fand hier eine deklassierte Intelligenz,
die allemal bereit war, sich in allerlei Verschw&ouml;rungen einzulassen, eine
b&auml;uerliche Masse, die stets am Abgrunde des Hungertodes schwebte, und endlich
ein wenig bewegliches Lumpenproletariat, zumal in den Lazzaroni von Neapel, wohin
er bald von Florenz &uuml;bergesiedelt war, um dort mehrere Jahre zu leben. Diese
Klassen erschienen ihm als die eigentlichen Triebkr&auml;fte der Revolution. Aber
wenn er in Italien das Land sah, wo die soziale Revolution vielleicht am n&auml;chsten
sei, so mu&szlig;te er bald seinen Irrtum erkennen. Noch war in Italien die Propaganda
Mazzinis &uuml;berm&auml;chtig, und Mazzini war ein Gegner des Sozialismus; mit
seinem verschwommenen religi&ouml;sen Schlachtrufe und seinen straff zentralisierenden
Tendenzen k&auml;mpfte er nur f&uuml;r die b&uuml;rgerliche Einheitsrepublik.</P>
<P>In diesen italienischen Jahren nahm Bakunins revolution&auml;re Agitation bestimmtere
Formen an. Bei seinem Mangel an theoretischer Bildung, der sich mit einem &Uuml;berflu&szlig;
an geistiger Beweglichkeit und an ungest&uuml;mer Tatkraft verband, wurde er immer
sehr stark von der Umwelt beeinflu&szlig;t, worin er lebte. Der religi&ouml;s-politische
Dogmatismus Mazzinis trieb um so sch&auml;rfer seinen Atheismus und seinen Anarchismus,
die Verneinung jeder staatlichen Herrschaft hervor. Dagegen f&auml;rbten die revolution&auml;ren
&Uuml;berlieferungen jener Klassen, die f&uuml;r ihn die Preisk&auml;mpfer der
allgemeinen Umw&auml;lzung waren, um so st&auml;rker auf seine <A NAME="S416"></A><B>|416|</B>
Neigung f&uuml;r geheime Verschw&ouml;rungen und &ouml;rtliche Aufst&auml;nde
ab. So stiftete Bakunin einen revolution&auml;r-sozialistischen Geheimbund, der
sich zun&auml;chst aus Italienern rekrutierte und besonders &raquo;die widerw&auml;rtige
Bourgeoisrhetorik der Mazzini und Garibaldi&laquo; bek&auml;mpfen sollte, aber sich
bald auf internationalem Fu&szlig; erweiterte.</P>
<P>Im Interesse dieses Geheimbundes suchte Bakunin, der im Herbst 1867 nach Genf
&uuml;bersiedelt war, erst die Freiheits- und Friedensliga zu beeinflussen, und
als er damit gescheitert war, bem&uuml;hte er sich um Anschlu&szlig; an die Internationale,
um die er sich ziemlich vier Jahre lang nicht weiter gek&uuml;mmert hatte.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">4. Die Allianz der sozialistischen Demokratie<A name="Kap_4"></A></H3>
<P>Trotzdem hatte Marx dem alten Revolution&auml;r seine freundschaftliche Gesinnung
bewahrt und sich Angriffen widersetzt, die aus seiner n&auml;heren Umgebung gegen
Bakunin gerichtet worden waren oder werden sollten.</P>
<P>Sie gingen von Sigismund Borkheim aus, einem ehrlichen Demokraten, dem Marx
seit der Vogt-Aff&auml;re und auch sonst f&uuml;r gute Dienste verpflichtet war.
Borkheim hatte jedoch zwei Schw&auml;chen; er hielt sich f&uuml;r einen geistreichen
Schriftsteller, ohne es zu sein, und er litt an einem barocken Russenha&szlig;,
der dem barocken Deutschenha&szlig; Herzens nichts nachgab.</P>
<P>Auf Herzen hatte es Borkheim in erster Reihe abgesehen und verm&ouml;belte
ihn gr&uuml;ndlich in einer Reihe von Artikeln, die das &raquo;Demokratische Wochenblatt&laquo;
gleich nach seinem Erscheinen im Anfange des Jahres 1868 ver&ouml;ffentlichte.
Damals hatte Bakunin l&auml;ngst mit Herzen gebrochen, aber gleichwohl wurde er
von Borkheim als &raquo;Kosak&laquo; Herzens angegriffen und neben diesem als &raquo;unzerst&ouml;rbare
Negation&laquo; ans Kreuz geschlagen. Borkheim hatte n&auml;mlich bei Herzen gelesen,
Bakunin habe vor Jahren den &raquo;merkw&uuml;rdigen Ausspruch&laquo; getan: &raquo;Die aktive Negation
ist eine schaffende Kraft&laquo;, und so fragte er sittlich emp&ouml;rt, ob dergleichen
wohl jemals diesseits der russischen Grenzsoldaten gedacht worden und dem Gel&auml;chter
von Tausenden deutscher Schuljungen verfallen sei. Der gute Borkheim ahnte nicht,
da&szlig; Bakunins seinerzeit gefl&uuml;geltes Wort &raquo;Die Lust der Zerst&ouml;rung
ist eine schaffende Lust&laquo; aus einem Aufsatz der &raquo;Deutschen Jahrb&uuml;cher&laquo; stammte,
zur Zeit wo Bakunin in den Kreisen der deutschen Junghegelianer lebte und die
&raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher&laquo; neben Marx und Ruge aus der Taufe
hob.</P>
<P><B><A NAME="S417">|417|</A></B> Man begreift, da&szlig; Marx diese und &auml;hnliche
Stil&uuml;bungen mit geheimem Grauen betrachtete und sich mit H&auml;nden und
F&uuml;&szlig;en str&auml;ubte, als Borkheim die Artikel, die Engels in der &raquo;Neuen
Rheinischen Zeitung&laquo; gegen Bakunin ver&ouml;ffentlicht hatte, in seinem Kauderwelsch
zu verwerten suchte, weil sie ihm &raquo;famos in seinen Rahmen pa&szlig;ten&laquo;. Auf keinen
Fall d&uuml;rfe die Sache in einen beleidigenden Zusammenhang gebracht werden,
da Engels ein alter pers&ouml;nlicher Freund Bakunins sei. Ebenso verwahrte sich
Engels, und die Sache unterblieb. Auch Johann Philipp Becker bat Borkheim, Bakunin
nicht anzugreifen, erhielt jedoch als Antwort einen &raquo;geharnischten Brief&laquo;, worin
Borkheim, wie Marx an Engels schrieb, mit seiner &raquo;gew&ouml;hnlichen Delikatesse&laquo;
erkl&auml;rte, er bewahre ihm Freundschaft und seine (&uuml;brigens sehr unbedeutende)
pekuni&auml;re Unterst&uuml;tzung, aber Politik sei von nun an in ihrer Korrespondenz
auszuschlie&szlig;en. Marx fand bei aller Freundschaft f&uuml;r Borkheim, da&szlig;
dessen &raquo;Russophobie&laquo; gef&auml;hrliche Dimensionen angenommen habe.</P>
<P>Er selbst wurde in seiner freundschaftlichen Gesinnung f&uuml;r Bakunin auch
nicht dadurch beirrt, da&szlig; dieser an den Kongressen der Friedens- und Freiheitsliga
teilnahm. Der erste dieser Kongresse hatte schon in Genf getagt, als Marx ein
Dedikationsexemplar des &raquo;Kapitals&laquo; an Bakunin sandte, und auch als er kein Wort
des Dankes erhielt, erkundigte sich Marx bei einem russischen Emigranten in Genf,
an den er in anderen Angelegenheiten schrieb, nach seinem &raquo;alten Freunde Bakunin&laquo;,
wennschon mit einem leisen Zweifel, ob er es noch sei. Eine Antwort auf diese
mittelbare Anfrage war der Brief Bakunins vom 22. Dezember, worin er die Heerstra&szlig;e
zu betreten versprach, die Marx seit zwanzig Jahren verfolge.</P>
<P>An dem Tage jedoch, wo Bakunin diesen Brief schrieb, hatte der Generalrat sich
schon entschieden, den von Becker &uuml;bermittelten Antrag, die Allianz der sozialistischen
Demokratie in die Internationale aufzunehmen, an seinem Teil abzulehnen. Dabei
war Marx die treibende Kraft. Er kannte die Existenz der Allianz, die ja der &raquo;Vorbote&laquo;
angek&uuml;ndigt hatte, hielt sie bis dahin aber f&uuml;r ein Genfer Lokalgew&auml;chs,
das totgeboren und nicht weiter bedenklich sei; er kannte den alten Becker, der
gern ein wenig Vereinsmeierei trieb, aber sonst zuverl&auml;ssig war. Nun aber
sandte Becker das Programm und das Statut der Allianz ein und schrieb dazu, die
Allianz wolle dem mangelnden &raquo;Idealismus&laquo; der Internationalen abhelfen. Dieser
Anspruch erregte auch sonst im Generalrat &raquo;gro&szlig;e Wut&laquo;, wie Marx an Engels
schrieb, &raquo;namentlich unter den Franzosen&laquo;, und die Abweisung wurde sofort beschlossen.
<A NAME="S418"></A><B>|418|</B> Marx erhielt den Auftrag, den Beschlu&szlig; zu
redigieren. Da&szlig; er selbst in einiger Erregung war, zeigt der Brief, den
er am 18. Dezember &raquo;nach Mitternacht&laquo; an Engels schrieb, um dessen Rat einzuholen.
&raquo;Diesmal hat Borkheim recht&laquo;, f&uuml;gte er hinzu. Was ihn aufbrachte, war nicht
sowohl das Programm als das Statut der Allianz. Das Programm erkl&auml;rte die
Allianz in erster Reihe f&uuml;r atheistisch; es verlangte die Abschaffung aller
Religionskulte, die Ersetzung des Glaubens durch die Wissenschaft, der g&ouml;ttlichen
Gerechtigkeit durch die menschliche. Dann forderte es die politische, &ouml;konomische
und soziale Gleichmachung der Klassen und der Individuen beider Geschlechter,
wobei mit der Abschaffung des Erbrechts der Anfang zu machen sei; ferner f&uuml;r
alle Kinder beider Geschlechter von ihrer Geburt an die Gleichheit der Mittel
zu ihrer Entwicklung, das hei&szlig;t ihres Unterhalts, ihrer Erziehung und ihres
Unterrichts auf allen Stufen der Wissenschaft, der Industrie und der K&uuml;nste.
Endlich verwarf das Programm jede politische T&auml;tigkeit, die nicht den Sieg
der Arbeitersache &uuml;ber das Kapital zum direkten und unmittelbaren Zweck habe.</P>
<P>Marx urteilte &uuml;ber dies Programm nichts weniger als schmeichelhaft. Er
hat es etwas sp&auml;ter &raquo;eine Olla potrida abgeschliffener Gemeinpl&auml;tze&laquo;
genannt, &raquo;eine gedankenlose Schw&auml;tzerei, einen Rosenkranz von hohlen Einf&auml;llen,
die schauerlich zu sein pr&auml;tendierten, eine insipide Improvisation, die blo&szlig;
auf einen gewissen Tageseffekt abziele&laquo;. Aber in theoretischen Fragen hatte die
Internationale ihrem Wesen nach zun&auml;chst einen sehr weiten Mantel der Liebe;
ihre geschichtliche Aufgabe bestand ja eben darin, aus ihrer praktischen T&auml;tigkeit
heraus ein gemeinsames Programm des internationalen Proletariats zu entwickeln.</P>
<P>Um so wichtiger war ihre Organisation als Voraussetzung jeder erfolgreichen
praktischen T&auml;tigkeit. Und in diese Organisation versuchte das Statut der
Allianz in verh&auml;ngnisvoller Weise einzugreifen. Die Allianz erkl&auml;rte
sich zwar f&uuml;r einen Zweig der Internationalen, deren s&auml;mtliche allgemeine
Statuten sie annehme, aber sie wollte eine besondere Organisation bilden. Ihre
Gr&uuml;nder taten sich in Genf als vorl&auml;ufiges Zentralkomitee zusammen.
In jedem Lande sollten nationale B&uuml;ros eingerichtet werden, die an allen
Orten Gruppen ins Leben rufen und diesen Gruppen die Aufnahme in die Internationale
vermitteln sollten. Bei den Jahreskongressen der Internationalen wollten die Vertreter
der Allianz als Zweig der Internationalen, ihre &ouml;ffentlichen Sitzungen in
einem besonderen Raume abhalten.</P>
<P>Engels entschied sofort: Das geht nicht. Es g&auml;be zwei Generalr&auml;te
und zwei Kongresse. Bei der ersten Gelegenheit w&uuml;rde der praktische <A NAME="S419"></A><B>|419|</B>
Generalrat in London mit dem &raquo;idealistischen&laquo; Generalrat in Genf zusammensto&szlig;en.
Im &uuml;brigen empfahl Engels kaltes Blut; heftiges Auftreten werde die unter
den Arbeitern (besonders in der Schweiz) sehr zahlreichen Gesinnungsphilister
nutzlos aufbringen und der Internationalen schaden. Man solle die Leute ruhig,
aber fest abweisen und ihnen sagen, da&szlig; sie sich ein spezielles Terrain
ausgesucht h&auml;tten, von dem man abwarten werde, was sie daraus machen w&uuml;rden;
vorderhand st&auml;nde dein nichts entgegen, da&szlig; die Mitglieder der einen
Assoziation auch Mitglieder der andern w&uuml;rden. &Uuml;ber das theoretische
Programm der Allianz urteilte auch Engels, etwas Erb&auml;rmlicheres habe er nie
gelesen; Bakunin m&uuml;sse ein &raquo;perfekter Ochse&laquo; geworden sein, eine &Auml;u&szlig;erung,
die zun&auml;chst noch keine besondere Feindseligkeit gegen Bakunin atmete, oder
doch keine gr&ouml;&szlig;ere Feindseligkeit, als wenn Marx seinen allezeit getreuen
Freund Becker einen &raquo;alten Konfusionsrat&laquo; schalt; mit solchen Ehrentiteln gingen
beide Freunde in ihren vertraulichen Briefen sehr verschwenderisch um.</P>
<P>Marx hatte sich inzwischen schon beruhigt und entwarf den Beschlu&szlig; des
Generalrats, der die Aufnahme der Allianz in die Internationale ablehnte, in einer
Form und mit einem Inhalt, gegen die sich nichts einwenden lie&szlig;. Einen kleinen
Hieb f&uuml;r Becker enthielt der Hinweis darauf, da&szlig; die Frage ja schon
durch einige Gr&uuml;nder der Allianz vorentschieden sei, da sie als Mitglieder
der Internationalen an dem Beschlu&szlig; des Br&uuml;sseler Kongresses mitgewirkt
h&auml;tten, eine Verschmelzung der Internationalen mit der Friedens- und Freiheitsliga
abzulehnen. Im wesentlichen wurde die Ablehnung damit entschieden, da&szlig; die
Zulassung einer zweiten internationalen K&ouml;rperschaft, die innerhalb und au&szlig;erhalb
der Internationalen st&uuml;nde, das unfehlbarste Mittel sein w&uuml;rde, deren
Organisation zu zerst&ouml;ren.</P>
<P>Es ist sehr unwahrscheinlich, da&szlig; Becker durch diesen Beschlu&szlig;
des Generalrats in gewaltigen Zorn geraten sein soll. Glaubhafter ist die Angabe
Bakunins, da&szlig; er von vornherein die Gr&uuml;ndung der Allianz widerraten
habe, aber von den Mitgliedern seines Geheimbundes &uuml;berstimmt worden sei;
er habe zwar diesen Geheimbund beibehalten wollen, dessen Mitglieder innerhalb
der Internationalen in ihrem Sinne wirken wollten, aber den unbedingten Eintritt
in die Internationale gew&uuml;nscht, um alle Rivalit&auml;ten auszuschlie&szlig;en.
Jedenfalls erwiderte das Genfer Zentralkomitee der Allianz den abweisenden Beschlu&szlig;
des Generalrats mit dem Anerbieten, die Sektionen der Allianz in Sektionen der
Internationalen aufzul&ouml;sen, falls der Generalrat ihr theoretisches Programm
anerkenne.</P>
<P><B><A NAME="S420">|420|</A></B> Inzwischen hatte Marx den entgegenkommenden
Brief Bakunins vom 22. Dezember erhalten, aber sein Argwohn war nun doch schon
so weit erwacht, da&szlig; er dies &raquo;sentimentale Entree&laquo; nicht weiter beachtete.
Auch das neue Angebot der Allianz erregte sein Mi&szlig;trauen, doch lie&szlig;
er sich von ihm nicht so weit beherrschen, um anders als sachlich zutreffend darauf
zu antworten. Auf seinen Vorschlag beschlo&szlig; der Generalrat am 9. M&auml;rz
1869, es sei nicht seine Sache, die theoretischen Programme seiner einzelnen Arbeiterparteien
zu pr&uuml;fen. Die Arbeiterklasse der verschiedenen L&auml;nder bef&auml;nde
sich auf so verschiedenen Entwicklungsstufen, da&szlig; sich ihre reelle Bewegung
in sehr verschiedenen theoretischen Formen ausdr&uuml;cke. Die Gemeinsamkeit der
Aktion, die die Internationale ins Leben rufe, der Ideenaustausch durch die verschiedenen
Organe der Sektionen in allen L&auml;ndern, endlich die direkte Debatte auf den
allgemeinen Kongressen w&uuml;rden nach und nach f&uuml;r die allgemeine Arbeiterbewegung
auch das gemeinsame theoretische Programm schaffen. Einstweilen habe der Generalrat
nur zu fragen, ob die allgemeine Tendenz der einzelnen Arbeiterprogramme der allgemeinen
Tendenz der Internationalen entspr&auml;che, n&auml;mlich der vollst&auml;ndigen
Emanzipation der arbeitenden Klassen.</P>
<P>In dieser Beziehung enthalte das Programm der Allianz eine Phrase, die gef&auml;hrliche
Mi&szlig;verst&auml;ndnisse zulasse. Die politische, &ouml;konomische und soziale
Gleichmachung der Klassen laufe, wenn man sie w&ouml;rtlich nehme, auf die Harmonie
zwischen Kapital und Arbeit hinaus, die von den Bourgeois-Sozialisten gepredigt
werde. Das wahre Geheimnis der proletarischen Bewegung und der gro&szlig;e Zweck
der Internationalen sei vielmehr die Vernichtung der Klassen. Indessen da &raquo;die
Gleichmachung der Klassen&laquo;, wie sich aus dem Zusammenhange ergebe, in das Programm
der Allianz nur durch ein einfaches Ausgleiten der Feder geraten sei, so zweifle
der Generalrat nicht, da&szlig; die Allianz auf diese bedenkliche Phrase verzichten
werde, und dann st&auml;nde kein Hindernis der Umwandlung der Sektionen der Allianz
in Sektionen der Internationalen entgegen. Wenn sie endg&uuml;ltig erfolgt sei,
m&uuml;&szlig;te nach den Statuten der Internationalen der Generalrat von dem
Ort und der Mitgliederzahl jeder neuen Sektion benachrichtigt werden.</P>
<P>Daraufhin verbesserte die Allianz die beanstandete Phrase in dem vom Generalrat
gew&uuml;nschten Sinne und zeigte diesem am 22. Juni an, da&szlig; sie sich aufgel&ouml;st
und ihre Sektionen aufgefordert habe, sich in Sektionen der Internationalen umzuwandeln.
Ihre Genfer Sektion, an deren Spitze Bakunin stand, wurde durch einstimmigen Beschlu&szlig;
des Generalrats in die Internationale aufgenommen. Auch der Geheimbund <A NAME="S421"></A><B>|421|</B>
Bakunins hatte sich angeblich aufgel&ouml;st, doch bestand er in mehr oder minder
loser Form weiter, und Bakunin selbst fuhr fort, im Sinne des Programms zu wirken,
das sich die Allianz gegeben hatte. Er lebte vom Herbst 1867 bis zum Herbst 1869
an den Ufern des Genfer Sees, teils in Genf selbst, teils in Vevey und Clarens,
und hatte sich einen gro&szlig;en Einflu&szlig; unter den romanischen Arbeitern
der Schweiz verschafft.</P>
<P>Dabei wurde er unterst&uuml;tzt durch die eigent&uuml;mlichen Zust&auml;nde,
worin diese Arbeiter lebten. Wenn man die damaligen Entwicklungen richtig beurteilen
will, darf man niemals vergessen, da&szlig; die Internationale keine Partei mit
einem bestimmten theoretischen Programm war, sondern die allerverschiedensten
Richtungen in ihrem Scho&szlig;e duldete, wie es ja auch der Generalrat in seinem
Schreiben an die Allianz festgestellt hatte. Man kann heute noch im &raquo;Vorboten&laquo;
verfolgen, da&szlig; selbst ein so eifriger und verdienter Vork&auml;mpfer des
gro&szlig;en Bundes wie Becker, sich um theoretische Fragen niemals graue Haare
wachsen lie&szlig;. So waren auch in den Genfer Sektionen der Internationalen
zwei sehr verschiedene Str&ouml;mungen vertreten. Auf der einen Seite die fabrique,
worunter der Genfer Dialekt die qualifizierten und gut gelohnten Arbeiter der
Juwelen- und Uhrenindustrie verstand, und die sich fast nur aus Eingeborenen rekrutierte,
auf der anderen Seite die gros m&eacute;tiers, vornehmlich Bauarbeiter, die fast
ebenso ausschlie&szlig;lich aus Fremden, namentlich Deutschen, bestanden und sich
nur in fortw&auml;hrenden Streiks halbwegs ertr&auml;gliche Arbeitsbedingungen
erk&auml;mpfen konnten. Jene besa&szlig;en das Wahlrecht, diese nicht. Aber ihrer
Zahl nach konnte die fabrique nicht auf selbst&auml;ndige Wahlerfolge rechnen
und war deshalb sehr geneigt zu Wahlkompromissen mit den b&uuml;rgerlichen Radikalen,
w&auml;hrend die gros m&eacute;tiers, f&uuml;r die jede Versuchung dieser Art
von vornherein ausgeschlossen war, sich weit eher f&uuml;r die direkte revolution&auml;re
Aktion begeisterten, wie sie Bakunin vertrat.</P>
<P>Ein noch ergiebigeres Rekrutierungsfeld fand dieser unter den Uhrenarbeitern
des Jura. Es waren keine qualifizierten Luxusarbeiter, sondern meist Hausindustrielle,
deren k&uuml;mmerliches Dasein schon durch die Maschinen der amerikanischen Konkurrenz
bedroht wurde. In kleinen Nestern &uuml;ber die Berge verstreut, waren sie wenig
geeignet f&uuml;r eine Massenbewegung mit politischen Zielen, und soweit sie es
waren, wurden sie durch tr&uuml;be Erfahrungen von der Politik zur&uuml;ckgeschreckt.
Zuerst hatte ein Arzt Coullery die Agitation f&uuml;r die Internationale in ihre
Kreise getragen, ein menschenfreundlich gesinnter Mann, aber politisch konfuser
Kopf, der sie zu Wahlb&uuml;ndnissen nicht nur mit den Radikalen, sondern auch
mit den monarchistischen Liberalen in Neuch&acirc;tel verleitet <A NAME="S422"></A><B>|422|</B>
hatte, wobei die Arbeiter regelm&auml;&szlig;ig &uuml;bers Ohr gehauen wurden.
Nach der g&auml;nzlichen Abwirtschaftung Coullerys hatten die jurassischen Arbeiter
in James Guillaume, einem jungen Lehrer an der Industrie in Locle, einen neuen
F&uuml;hrer gefunden, der sich v&ouml;llig in ihre Denkweise einlebte und im &raquo;Progr&egrave;s&laquo;,
einem Bl&auml;ttchen, das er in Locle herausgab, das Ideal einer anarchischen
Gesellschaft vertrat, in der alle Menschen frei und gleich w&auml;ren. Als Bakunin
zum ersten Male in den Jura kam, fand er den Boden vollkommen vorbereitet f&uuml;r
seine Saat, und diese armen Teufel haben auf ihn vielleicht st&auml;rker abgef&auml;rbt
als er auf sie, denn seine Verurteilung jeder politischen T&auml;tigkeit trat
von nun an viel sch&auml;rfer hervor als vordem.</P>
<P>Einstweilen jedoch herrschte noch Friede in den Sektionen der romanischen Schweiz.
Im Januar 1869 schlossen sie sich, in erster Reihe auf Betreiben Bakunins, zu
einem F&ouml;deralrat zusammen und gaben eine Wochenschrift gr&ouml;&szlig;eren
Stils heraus, die &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo;, an der Bakunin, Becker, Eccarius, Varlin
und andere namhafte Mitglieder der Internationalen mitarbeiteten. Bakunin war
es auch, der den romanischen F&ouml;deralrat zu dem Antrage an den Londoner Generalrat
veranla&szlig;te, die Erbschaftsfrage auf die Tagesordnung des Baseler Kongresses
zu setzen. Das war Bakunins gutes Recht, denn die Er&ouml;rterung solcher Fragen
geh&ouml;rte zu den Hauptaufgaben der Kongresse, und der Generalrat ging darauf
ein.</P>
<P>Marx freilich sah darin auch eine Art Kampfansage Bakunins, die er als solche
jedoch durchaus willkommen hie&szlig;.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">5. Der Baseler Kongre&szlig;<A name="Kap_5"></A></H3>
<P>Auf ihrem Jahreskongre&szlig;, der vom 5. bis 6. September 1869 in Basel tagte,
hielt die Internationale die Heerschau &uuml;ber ihr f&uuml;nftes Lebensjahr ab.</P>
<P>Es war das bewegteste, da&szlig; sie bis dahin erlebt hatte, durchtobt, wie
es war, von den &raquo;Guerillagefechten zwischen Kapital und Arbeit&laquo;, den Streiks,
von denen unter den besitzenden Klassen Europas mehr und mehr die Rede ging, sie
seien weder aus dem Elend des Proletariers entsprungen, noch aus dem Despotismus
des Kapitals, sondern aus den geheimen Intrigen der Internationalen.</P>
<P>Um so mehr wuchs die brutale Lust, sie durch Waffengewalt niederzuschlagen.
Selbst in England kam es zu blutigen Zusammenst&ouml;&szlig;en <A NAME="S423"></A><B>|423|</B>
zwischen streikenden Grubenarbeitern und dem Milit&auml;r. In den Kohlendistrikten
der Loire richtete eine betrunkene Soldateska ein Blutbad bei Ricamarie an, bei
dem zwanzig Arbeiter, darunter zwei Frauen und ein Kind, niedergeschossen und
zahlreiche Arbeiter verwundet wurden. Am scheu&szlig;lichsten ging es wieder in
Belgien her, &raquo;dem Musterstaat des festl&auml;ndischen Konstitutionalismus, dem
behaglichen, wohlumz&auml;unten Paradies des Landherrn, des Kapitalisten und des
Pfaffen&laquo;, wie es in einem wuchtigen, von Marx verfa&szlig;ten Aufruf des Generalrats
hie&szlig;, der die Arbeiter Europas und der Vereinigten Staaten zur Hilfe f&uuml;r
die in Seraing und im Borinage hingemordeten Opfer einer z&uuml;gellosen Profitwut
aufrief. &raquo;Die Erde vollendet ihre j&auml;hrliche Umdrehung nicht sicherer als
die belgische Regierung ihre j&auml;hrliche Arbeitermetzelei.&laquo;<A name="ZT2"></A><A href="fm03_394.htm#Z2"><SPAN class="top">[2]</SPAN></A></P>
<P>Die Blutsaat reifte die Ernte der Internationalen. In England hatten im Herbst
1868 die ersten Wahlen auf Grund des reformierten Wahlgesetzes stattgefunden und
durchaus die Warnungen best&auml;tigt, die Marx gegen die einseitige Politik der
Reformliga geltend gemacht hatte. Kein einziger Arbeitervertreter wurde gew&auml;hlt.
Die &raquo;langen Geldbeutel&laquo; siegten, und Gladstone kam wieder ans Ruder. Er dachte
aber nicht daran, in der irischen Frage gr&uuml;ndliche Arbeit zu machen, oder
den berechtigten Beschwerden der Trade Unions abzuhelfen. So bekam der Neue Unionismus
frischen Wind in seine Segel. Auf dem Jahreskongre&szlig;, den die Trade Unions
1869 in Birmingham abhielten, luden sie die organisierten Arbeiterk&ouml;rper
des K&ouml;nigreichs aufs dringendste ein, sich der Internationalen anzuschlie&szlig;en.
Und nicht nur, weil die Interessen der Arbeiterklasse &uuml;berall dieselben,
sondern auch weil die Prinzipien der Internationalen geeignet seien, den dauernden
Frieden unter den V&ouml;lkern der Erde zu sichern. Im Sommer 1869 hatte ein Krieg
zwischen England und der Union gedroht und eine, ebenfalls von Marx verfa&szlig;te
Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten Staaten veranla&szlig;t,
worin es hie&szlig;: &raquo;Die Reihe ist jetzt an euch, einem Kriege vorzubeugen, dessen
klarstes Ergebnis sein w&uuml;rde, die emporsteigende Arbeiterbewegung auf beiden
Seiten des Atlantischen Ozeans zur&uuml;ckzuschleudern.&laquo;<A name="ZT3"></A><A href="fm03_394.htm#Z3"><SPAN class="top">[3]</SPAN></A> Die Adresse hatte einen
lebhaften Widerhall jenseits des gro&szlig;en Teichs gefunden.</P>
<P>Auch in Frankreich marschierte die Arbeitersache gut voran. Die polizeilichen
Verfolgungen der Internationalen hatten nur die &uuml;bliche Wirkung, die Zahl
ihrer Anh&auml;nger zu vermehren. Das hilfreiche Eingreifen des Generalrats bei
den zahlreichen Streiks f&uuml;hrte zur Gr&uuml;ndung von Gewerkschaften, die
nicht verboten werden konnten, sosehr der Geist der Internationalen in ihnen leben
mochte. Bei den Wahlen von 1869 <A NAME="S424"></A><B>|424|</B> beteiligten sich
die Arbeiter noch nicht durch die Aufstellung eigener Kandidaten, sondern unterst&uuml;tzten
die Kandidaten der &auml;u&szlig;ersten b&uuml;rgerlichen Linken, die ein sehr
radikales Wahlprogramm aufgestellt hatte. Sie trugen damit wenigstens mittelbar
zu der schweren Niederlage bei, die Bonaparte zumal in den gro&szlig;en St&auml;dten
erlitt, wenn die Frucht ihrer M&uuml;hen einstweilen auch noch einmal der b&uuml;rgerlichen
Demokratie zufiel. Auch sonst begann das zweite Kaiserreich in allen Fugen zu
krachen; von au&szlig;en erhielt es einen schweren Sto&szlig; durch die spanische
Revolution, die im Herbst 1868 die K&ouml;nigin Isabella aus dem Lande gejagt
hatte.</P>
<P>Einen etwas anderen Verlauf nahmen die Dinge in Deutschland, wo der Bonapartismus
noch nicht im Absteigen, sondern erst im Aufsteigen begriffen war. Die nationale
Frage spaltete die deutsche Arbeiterklasse, und diese Spaltung war ein schweres
Hindernis f&uuml;r die gewerkschaftliche Bewegung, die sich zu entfalten begonnen
hatte. Schweitzer hatte sich durch den falschen Weg seiner Gewerkschaftsagitation
in eine schiefe Lage gebracht, der er nicht mehr gewachsen war. Die grundlosen
Denunziationen, die unaufh&ouml;rlich gegen seine Ehrlichkeit gerichtet wurden,
machten nun doch manche seiner Anh&auml;nger mi&szlig;trauisch, und er war schlecht
genug beraten, sein immerhin doch nur erst wenig ersch&uuml;ttertes Ansehen durch
einen kleinen Staatsstreich ernstlich zu gef&auml;hrden.</P>
<P>Eine Minderheit des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins schied deshalb aus
und verband sich mit den N&uuml;rnberger Vereinen zu einer neuen Sozialdemokratischen
Partei, deren Mitglieder nach ihrem Gr&uuml;ndungsort die Eisenacher genannt zu
werden pflegten. Beide Fraktionen bek&auml;mpften sich zun&auml;chst sehr heftig
untereinander, doch nahmen sie zur Internationalen ungef&auml;hr dieselbe Stellung
ein: in der Sache eins, doch in der Form verschieden, solange die deutschen Vereinsgesetze
bestanden. Marx und Engels waren im h&ouml;chsten Grade unzufrieden, als Liebknecht
den Generalrat der Internationalen gegen Schweitzer ausspielte, wozu er kein Recht
habe. Wenn ihnen auch der &raquo;Aufl&ouml;sungsproze&szlig; der Lassallekirche&laquo; willkommen
war, so wu&szlig;ten sie doch auch mit der anderen Richtung nichts anzufangen,
solange sie ihre Organisation nicht ganz entschieden von der Deutschen Volkspartei
getrennt und sich mit diesen Leuten h&ouml;chstens auf ein loses Kartellverh&auml;ltnis
gestellt habe. Da&szlig; Schweitzer als Debatter seinen s&auml;mtlichen Gegnern
&uuml;berlegen blieb, fanden sie nach wie vor.</P>
<P>Einhelliger entwickelte sich die &ouml;sterreichisch-ungarische Arbeiterbewegung,
die erst seit den Niederlagen des Jahres 1866 entstanden war. Die Richtung Lassalles
fand hier gar keinen Boden, aber um so <A NAME="S425"></A><B>|425|</B> st&auml;rkere
Massen dr&auml;ngten sich um die Fahne der Internationalen, wie ihr Generalrat
in seinem Jahresbericht an den Baseler Kongre&szlig; feststellte.</P>
<P>So trat dieser Kongre&szlig; unter g&uuml;nstigen Aussichten zusammen. Er z&auml;hlte
zwar nur 78 Mitglieder, aber er hatte ein viel &raquo;internationaleres&laquo; Aussehen als
die fr&uuml;heren Kongresse. Im ganzen waren 9 L&auml;nder vertreten. Vom Generalrat
kamen wie immer, Eccarius und Jung, und daneben zwei der angesehensten Trade Unionisten,
Applegarth und Lucraft. Frankreich sandte 26, Belgien 5, Deutschland 12, &Ouml;sterreich
2, die Schweiz 23, Italien 3, Spanien 4 und Nordamerika 1 Abgeordneten. Liebknecht
vertrat die neue Fraktion der Eisenacher, Moses He&szlig; die Sektion Berlin.
Bakunin hatte au&szlig;er einem franz&ouml;sischen auch ein italienisches Mandat,
Guillaume war von Locle gesandt. Den Vorsitz f&uuml;hrte wieder Jung.</P>
<P>Die Verhandlungen besch&auml;ftigten sich zun&auml;chst mit organisatorischen
Fragen. Auf Antrag des Generalrats beschlo&szlig; der Kongre&szlig; einstimmig,
allen Sektionen und angeschlossenen Gesellschaften die Abschaffung des Pr&auml;sidentenamts
in ihrer Mitte zu empfehlen, wie es der Generalrat an seinem Teile schon seit
ein paar Jahren getan hatte; es sei einer Arbeiterassoziation nicht w&uuml;rdig,
ein monarchisches und autorit&auml;res Prinzip aufrechtzuerhalten; auch wo das
Pr&auml;sidentenamt ein blo&szlig;es Ehrenamt sei, schlie&szlig;e es eine Verletzung
des demokratischen Prinzips ein. Dagegen schlug der Generalrat eine Erweiterung
seiner Machtbefugnisse vor; er wollte erm&auml;chtigt sein, jede Sektion, die
dem Geiste der Internationalen zuwiderhandle, bis zur Entscheidung des n&auml;chsten
Kongresses auszuschlie&szlig;en. Der Antrag wurde mit der Einschr&auml;nkung angenommen,
da&szlig; die F&ouml;deralr&auml;te, wo es solche gebe, vor dem Ausschlu&szlig;
der Sektionen befragt werden m&uuml;&szlig;ten. Bakunin wie Liebknecht hatten
den Antrag lebhaft bef&uuml;rwortet. Bei Liebknecht war das selbstverst&auml;ndlich,
nicht so jedoch bei Bakunin. Er verstie&szlig; damit gegen sein anarchistisches
Prinzip, gleichviel aus welchen opportunistischen Gr&uuml;nden. Am wahrscheinlichsten
ist, da&szlig; er den Teufel durch Beelzebub bek&auml;mpfen wollte und auf die
Hilfe des Generalrats gegen jede parlamentarisch-politische T&auml;tigkeit rechnete,
die f&uuml;r ihn reiner Opportunismus war; in dieser Ansicht konnte er durch die
bekannte Rede Liebknechts best&auml;rkt werden, die sich eben jetzt heftig gegen
Schweitzers und auch Bebels Beteiligung an den Arbeiten des Norddeutschen Reichstags
erkl&auml;rt hatte. Aber Marx mi&szlig;billigte die Rede Liebknechts, und so hat
Bakunin die Rechnung ohne den Wirt gemacht; er sollte schnell genug erfahren,
da&szlig; sich prinzipielle Verst&ouml;&szlig;e immer r&auml;chen.</P>
<P><B><A NAME="S426">|426|</A></B> Von den theoretischen Problemen, mit denen
der Kongre&szlig; sich zu befassen hatte, standen die Fragen des Gemeineigentums
am Grund und Boden und des Erbrechts obenan. Die erste war tats&auml;chlich schon
in Br&uuml;ssel entschieden worden; k&uuml;rzer, als im Vorjahre, wurde jetzt
mit 54 Stimmen beschlossen, die Gesellschaft habe das Recht, den Grund und Boden
in Gemeineigentum zu verwandeln, und mit 53 Stimmen, diese Verwandlung sei im
Interesse der Gesellschaft notwendig. Die Minderheit enthielt sich &uuml;berwiegend
der Abstimmung; gegen den zweiten Beschlu&szlig; stimmten nur 8, gegen den ersten
nur 4 Delegierte. &Uuml;ber die praktische Ausf&uuml;hrung der Beschl&uuml;sse
ergaben sich noch mannigfach verschiedene Ansichten, deren ersch&ouml;pfende Beratung
auf den n&auml;chsten Kongre&szlig; verschoben wurde, der in Paris tagen sollte.</P>
<P>In der Frage des Erbrechts hatte der Generalrat einen Bericht ausgearbeitet,
der, so meisterhaft wie nur Marx es verstand, die entscheidenden Gesichtspunkte
in wenigen S&auml;tzen zusammenfa&szlig;te.<A name="ZT4"></A><A href="fm03_394.htm#Z4"><SPAN class="top">[4]</SPAN></A> Wie jede andere b&uuml;rgerliche Gesetzgebung
seien die Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische
Folge der &ouml;konomischen Organisation einer auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln
gegr&uuml;ndeten Gesellschaft. Das Recht der Erbschaft auf Sklaven sei nicht die
Ursache der Sklaverei, sondern im Gegenteil sei die Sklaverei die Ursache der
Erbschaft von Sklaven. W&uuml;rden die Produktionsmittel in Gemeineigentum umgestaltet,
so w&uuml;rde das Recht der Erbschaft, soweit es von sozialer Wichtigkeit sei,
von selbst verschwinden, weil ein Mann nur das hinterlassen k&ouml;nne, was er
bei Lebzeiten besessen habe. Das gro&szlig;e Ziel bleibe deshalb die Aufhebung
jener Einrichtungen, die einigen Leuten w&auml;hrend ihrer Lebenszeit die &ouml;konomische
Macht verliehen, die Fr&uuml;chte der Arbeit von vielen auf sich zu &uuml;bertragen.
Die Abschaffung des Erbschaftsrechts als den Ausgangspunkt der sozialen Revolution
proklamieren, w&auml;re ein ebenso abgeschmacktes Ding, als wenn man die Gesetze
der Kontrakte zwischen K&auml;ufern und Verk&auml;ufern aufheben wolle, solange
der heutige Zustand des Warenaustausches fortdauere; es w&uuml;rde falsch in der
Theorie und reaktion&auml;r in der Praxis sein. &Auml;ndern lie&szlig;e sich nur
am Erbschaftsrecht in Zeiten des &Uuml;berganges, wo auf der einen Seite die gegenw&auml;rtige
&ouml;konomische Grundlage der Gesellschaft noch nicht umgestaltet sei, auf der
anderen Seite aber die arbeitenden Klassen schon Kraft genug gesammelt h&auml;tten,
um vorbereitende Ma&szlig;regeln f&uuml;r eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft
durchzusetzen. Als solche &Uuml;bergangsma&szlig;regeln empfahl der Generalrat
Erweiterung der Erbschaftssteuern und Beschr&auml;nkung des testamentarischen
Erbschaftsrechts, das, im Unterschiede vom Familienerbrechte, die Grunds&auml;tze
<A NAME="S427"></A><B>|427|*</B> des Privateigentums in abergl&auml;ubischer und
willk&uuml;rlicher Weise &uuml;bertreibe.</P>
<P>Im Gegensatz dazu beantragte die Kommission, der die Frage zur Vorberatung
&uuml;berwiesen worden war, die Beseitigung des Erbrechts als eine Grundforderung
der Arbeiterklasse aufzustellen, wu&szlig;te diesen Antrag aber nur mit einigen
ideologischen Schlagworten &uuml;ber &raquo;Vorrechte&laquo;, &raquo;politische und &ouml;konomische
Gerechtigkeit&laquo;, &raquo;soziale Ordnung&laquo; zu begr&uuml;nden. In der ziemlich kurzen Debatte
sprachen f&uuml;r den Bericht des Generalrats neben Eccarius der Belgier de Paepe
und der Franzose Varlin, w&auml;hrend Bakunin f&uuml;r den Kommissionsantrag eintrat,
der ja aus seinem Geiste geboren war. Er empfahl ihn namentlich aus angeblich
praktischen, aber deshalb nicht weniger illusorischen Gr&uuml;nden; ohne Abschaffung
des Erbrechts sei das Gemeineigentum nicht zu erlangen. Wolle man den Arbeitern
ihr Land nehmen, so w&uuml;rden sie sich widersetzen, aber von der Beseitigung
des Erbrechts w&uuml;rden sie sich nicht unmittelbar angegriffen f&uuml;hlen und
das private Grundeigentum w&uuml;rde allm&auml;hlich absterben. Bei der namentlichen
Abstimmung &uuml;ber den Kommissionsantrag ergab sich folgendes Ziffernverh&auml;ltnis:
32 ja, 23 Nein, 13 Enthaltungen, 7 Abwesende, w&auml;hrend bei der Abstimmung
&uuml;ber den Antrag des Generalrats 19 ja, 37 Nein, 6 Enthaltungen und 13 Abwesende
gez&auml;hlt wurden. Eine absolute Mehrheit hatte also keiner der beiden Berichte
gefunden, so da&szlig; die Verhandlung ohne greifbares Ergebnis blieb.</P>
<P>Der Baseler Kongre&szlig; rief einen noch viel lebhafteren Widerhall hervor
als seine Vorg&auml;nger, in der b&uuml;rgerlichen wie in der proletarischen Welt.
Dort stellten die gelehrtesten M&auml;nner, halb mit Grauen und halb mit Schadenfreude,
den endlich offenbarten kommunistischen Charakter der Internationalen fest; hier
antwortete ein freudiges Echo den Beschl&uuml;ssen &uuml;ber das Gemeineigentum
am Grund und Boden. In Genf ver&ouml;ffentlichte die Sektionsgruppe deutscher
Sprache ein Manifest an die landwirtschaftliche Bev&ouml;lkerung, das in franz&ouml;sischer,
italienischer, spanischer, polnischer und russischer Sprache rasch und weit verbreitet
wurde. In Barcelona wie in Neapel entstanden die ersten Sektionen von Feldarbeitern.
In London wurde auf einem gro&szlig;en Meeting eine Land- und Arbeitsliga gegr&uuml;ndet,
in deren Komitee 10 Mitglieder des Generalrats sa&szlig;en, mit der Losung: Das
Land f&uuml;r das Volk!</P>
<P>In Deutschland tobten namentlich die edlen Mannen der Deutschen Volkspartei
gegen die Baseler Beschl&uuml;sse. Dadurch lie&szlig; sich Liebknecht anfangs
einsch&uuml;chtern und zu der Erkl&auml;rung hinrei&szlig;en, die Eisenacher Fraktion
sei an die Beschl&uuml;sse nicht gebunden. Gl&uuml;cklicherweise waren <A NAME="S428"></A><B>|428|</B>
die sichtlich emp&ouml;rten Biederm&auml;nner damit nicht zufrieden und verlangten
eine ausdr&uuml;ckliche Verleugnung der Beschl&uuml;sse, worauf sich Liebknecht
endlich von dieser Gesellschaft lossagte, wie Marx und Engels l&auml;ngst gew&uuml;nscht
hatten. Sein anf&auml;ngliches Z&ouml;gern war aber Wasser auf Schweitzers M&uuml;hle
gewesen, der das Gemeineigentum am Grund und Boden im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein
schon seit Jahren &raquo;gepredigt&laquo; hatte, und nicht erst jetzt, um seine Gegner zu
verh&ouml;hnen, wie Marx annahm und ihm als &raquo;Unversch&auml;mtheit&laquo; anrechnete.
Engels beherrschte seinen &Auml;rger &uuml;ber den &raquo;Lumpen&laquo; wenigstens so weit,
da&szlig; er es &raquo;sehr geschickt&laquo; fand, wenn Schweitzer sich theoretisch immer
korrekt halte, wohl wissend, da&szlig; seine Gegner verraten und verkauft seien,
sowie ein theoretischer Punkt aufkomme.</P>
<P>Einstweilen blieben die Lassalleaner nicht nur die organisatorisch geschlossenste,
sondern auch die prinzipiell vorgeschrittenste der deutschen Arbeiterparteien.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">6. Genfer Wirren<A name="Kap_6"></A></H3>
<P>Soweit die Baseler Verhandlung &uuml;ber das Erbrecht eine Art geistigen Zweikampfes
zwischen Bakunin und Marx gewesen war, hatte sie zwar keine Entscheidung gebracht,
jedoch einen f&uuml;r Marx eher ung&uuml;nstigen als g&uuml;nstigen Verlauf genommen.
Wenn daraus aber gefolgert worden ist, dadurch sei Marx schwer getroffen worden
und habe nun zu einem gewaltigen Schlage gegen Bakunin ausgeholt, so stimmt diese
Behauptung nicht mit den Tatsachen.</P>
<P>Marx war mit dem Verlaufe des Baseler Kongresses ganz zufrieden. Er befand
sich gerade mit seiner Tochter Jenny auf einer Erholungsreise in Deutschland und
schrieb am 25. September aus Hannover an seine Tochter Laura: &raquo;Ich freue mich,
da&szlig; der Baseler Kongre&szlig; vor&uuml;ber und da&szlig; er verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig
so gut verlaufen ist. Ich bin immer in Sorge bei solcher &ouml;ffentlichen Schaustellung
der Partei &#155;mit allen ihren Geschw&uuml;ren&#139;. Keiner der Akteure war &agrave;
la hauteur des principes [Mehring &uuml;bersetzt: auf der H&ouml;he der Prinzipien],
aber der Idiotismus der oberen Klassen macht die Fehler der arbeitenden Klasse
wieder gut. Wir sind durch keine noch so kleine deutsche Stadt gekommen, deren
Winkelblatt nicht voll von den Taten dieses &#155;schrecklichen Kongresses&#139; gewesen
w&auml;re.&laquo;</P>
<P>Sowenig Marx durch den Verlauf des Baseler Kongresses entt&auml;uscht worden
ist, sowenig ist es Bakunin gewesen. Man hat gesagt, er habe <A NAME="S429"></A><B>|429|</B>
durch seinen Antrag in der Erbschaftsfrage Marx schlagen und durch diesen theoretischen
Sieg die &Uuml;bersiedelung des Generalrats von London nach Genf bewirken wollen;
als ihm das mi&szlig;lungen sei, habe er in der &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; um so
heftiger auf den Generalrat losgeschlagen. Diese Behauptungen sind so oft wiederholt
worden, da&szlig; sie sich zu einer f&ouml;rmlichen Legende verdichtet haben.
Gleichwohl ist kein wahres Wort daran. <I>Nach</I> dem Baseler Kongre&szlig; hat
Bakunin &uuml;berhaupt keine Zeile f&uuml;r die &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; geschrieben;
<I>vor</I> dem Baseler Kongre&szlig;, im Juli und August 1869, war er allerdings
ihr Hauptredakteur, aber man wird in der langen Reihe von Artikeln, die er in
ihr ver&ouml;ffentlicht hat, vergebens nach einer Spur geh&auml;ssiger Gesinnung
gegen den Generalrat oder Marx suchen. Im besonderen waren vier Artikel &uuml;ber
die &raquo;Grunds&auml;tze der Internationalen&laquo; ganz in dem Geiste verfa&szlig;t, worin
der gro&szlig;e Bund gegr&uuml;ndet worden war; wenn Bakunin darin gewisse Bedenken
gegen den verh&auml;ngnisvollen Einflu&szlig; dessen, was Marx &raquo;parlamentarischen
Kretinismus&laquo; nannte, auf proletarische Volksvertreter &auml;u&szlig;erte, so sind
diese Bedenken erstens seitdem oft genug best&auml;tigt worden, und zweitens waren
sie sehr harmlos, verglichen mit den heftigen Vorst&ouml;&szlig;en, die Liebknecht
gleichzeitig gegen die Beteiligung der Arbeiterklasse am b&uuml;rgerlichen Parlamentarismus
richtete.</P>
<P>Ferner mochte Bakunins Auffassung der Erbschaftsfrage noch so sehr Schrulle
sein, so durfte er doch ihre Diskussion beanspruchen; auf den Kongressen der Internationalen
sind noch viel &auml;rgere Schrullen diskutiert worden, ohne da&szlig; ihren Bekennern
deshalb hinterh&auml;ltige Absichten unterstellt worden w&auml;ren. Die Beschuldigung
aber, da&szlig; Bakunin die &Uuml;bersiedelung des Generalrats von London nach
Genf geplant habe, hat er, als sie gegen ihn laut wurde, mit den kurzen und schlagenden
Worten abgetan: &raquo;W&auml;re ein solcher Vorschlag laut geworden, so w&uuml;rde
ich der erste gewesen sein, ihn mit aller m&ouml;glichen Energie zu bek&auml;mpfen;
so sehr w&uuml;rde er mir f&uuml;r die Zukunft der Internationalen als verh&auml;ngnisvoll
erschienen sein. Die Genfer Sektionen haben zwar, in sehr kurzer Zeit, ungeheure
Fortschritte gemacht. Aber in Genf herrscht noch ein zu enger, zu spezifisch Genferischer
Geist, als da&szlig; der Generalrat der Internationalen dorthin verpflanzt werden
k&ouml;nnte. Zudem liegt es auf der Hand, da&szlig;, solange die gegenw&auml;rtige
politische Organisation Europas dauert, London der einzige Platz sein wird, der
f&uuml;r den Generalrat pa&szlig;t, und man m&uuml;&szlig;te wahrhaftig ein Narr
oder ein Feind der Internationalen sein, wenn man versuchen wollte, ihn anderswohin
zu verlegen.&laquo;</P>
<P>Nun gibt es Leute, die Bakunin f&uuml;r einen L&uuml;gner von Anbeginn halten
und seine &Auml;u&szlig;erung f&uuml;r eine nachtr&auml;gliche Ausrede erkl&auml;ren
werden <A NAME="S430"></A><B>|430|*</B>. Aber auch dieser etwaige Einwand f&auml;llt
platt zu Boden, angesichts der Tatsache, da&szlig; Bakunin sich schon vor dem
Baseler Kongre&szlig; entschieden hatte, nach dem Kongresse aus Genf nach Locarno
&uuml;berzusiedeln, und zwar aus zwingenden Gr&uuml;nden, die zu &auml;ndern gar
nicht in seiner Macht stand. Er befand sich in der &auml;u&szlig;ersten &ouml;konomischen
Bedr&auml;ngnis und stand vor der Entbindung seiner Frau, die er in Locarno abwarten
wollte. Er selbst beabsichtigte, dort den ersten Band des &raquo;Kapitals&laquo; ins Russische
zu &uuml;bersetzen. Ein junger Verehrer, Namens Lubawin, hatte einen russischen
Verleger veranla&szlig;t, f&uuml;r die &Uuml;bersetzung ein Honorar von 1.200
Rubeln auszuwerfen, von denen Bakunin 300 als Vorschu&szlig; erhielt.</P>
<P>Sosehr damit alle angeblichen Intrigen, die Bakunin vor oder nach dem Baseler
Kongre&szlig; gesponnen haben soll, in Nichts zerfallen, so hatte er allerdings
einen bitteren Nachgeschmack von diesem Kongre&szlig;. Beeinflu&szlig;t durch
Borkheims Hetzereien, hatte Liebknecht vor Dritten die &Auml;u&szlig;erung getan,
er habe Beweise daf&uuml;r, da&szlig; Bakunin ein Agent der russischen Regierung
sei, und Bakunin hatte in Basel den Zusammentritt eines Ehrengerichts veranla&szlig;t,
vor dem Liebknecht seine Beschuldigung begr&uuml;nden sollte. Das konnte Liebknecht
nicht, und das Ehrengericht sprach einen scharfen Tadel &uuml;ber ihn aus. Dadurch
lie&szlig; sich Liebknecht, der nach den Erfahrungen des K&ouml;lner Kommunistenprozesses
und der Emigrantenzeit ein wenig leicht geneigt war, Spitzel zu wittern, nicht
abhalten, dem Gegner die vers&ouml;hnende Hand zu reichen, in die Bakunin ebenso
ehrlich einschlug.</P>
<P>Um so mehr mu&szlig;te es ihn erbittern, da&szlig; schon wenige Wochen sp&auml;ter,
am 2. Oktober, Moses He&szlig; im Pariser &raquo;Reveil&laquo; mit dem alten Klatsch wieder
angezogen kam. He&szlig;, der als deutscher Delegierter in Basel gewesen war,
wollte die geheime Geschichte des Kongresses geben; in diesem Zusammenhange erz&auml;hlte
er von den &raquo;Intrigen&laquo; Bakunins, die darauf abgezielt h&auml;tten, die prinzipiellen
Grundlagen der Internationalen umzust&uuml;rzen und den Generalrat von London
nach Genf zu verlegen, aber die in Basel gescheitert seien, und schlo&szlig; mit
der nichtsnutzigen Verd&auml;chtigung, er wolle keineswegs die revolution&auml;re
Gesinnung Bakunins anzweifeln, aber dieser Russe sei ein naher Verwandter Schweitzers,
der eben in Basel von den deutschen Delegierten als &uuml;berf&uuml;hrter Agent
der deutschen Regierung angeklagt worden war. Die geh&auml;ssige Absicht dieser
Denunziation sprang um so mehr in die Augen, als eine &raquo;nahe Verwandtschaft&laquo; zwischen
der Agitation Bakunins und der Agitation Schweitzers zu entdecken unm&ouml;glich
war. Auch pers&ouml;nlich hatten beide M&auml;nner nie die geringsten Ber&uuml;hrungspunkte
gehabt.</P>
<P><B><A NAME="S431">|431|</A></B> Sicherlich h&auml;tte Bakunin kl&uuml;ger daran
getan, den auch sonst ganz abgeschmackten Artikel nicht weiter zu beachten. Aber
man kann es verstehen, da&szlig; er &uuml;ber die ewigen Anzweiflungen seiner
politischen Ehrlichkeit nachgerade w&uuml;tend wurde, und zwar um so mehr, je
h&auml;mischer sie hintenherum gemacht wurden. Er setzte sich also hin und schrieb
eine Erwiderung; sie fiel aber in der ersten Hitze so lang aus, da&szlig; er selbst
einsah, der &raquo;Reveil&laquo; k&ouml;nne sie nicht aufnehmen. Es ging darin besonders heftig
gegen die &raquo;deutschen Juden&laquo; her, wobei Bakunin jedoch &raquo;Riesen&laquo;, wie Lassalle und
Marx, von dem Pygm&auml;engeschlechte der Borkheim und He&szlig; ausnahm. Bakunin
entschlo&szlig; sich, diese lange Auseinandersetzung als Einleitung zu einer gr&ouml;&szlig;eren
Schrift &uuml;ber sein revolution&auml;res Glaubensbekenntnis zu verwenden und
schickte sie nach Paris an Herzen mit der Anfrage nach einem Verleger; f&uuml;r
den &raquo;Reveil&laquo; f&uuml;gte er eine k&uuml;rzere Erkl&auml;rung bei. Auch von dieser
f&uuml;rchtete Herzen noch, da&szlig; sie vom &raquo;Reveil&laquo; abgelehnt werden w&uuml;rde;
er schrieb selbst eine Verteidigung Bakunins gegen He&szlig;, die der Reveil&laquo;
nicht nur aufnahm, sondern mit einer redaktionellen Nachschrift versah, die Bakunin
vollkommen befriedigte.</P>
<P>Ganz und gar nicht zufrieden war Herzen aber mit dem gr&ouml;&szlig;eren Manuskripte.
Er mi&szlig;billigte die Ausf&auml;lle gegen die &raquo;deutschen Juden&laquo;, und war namentlich
erstaunt, da&szlig; Bakunin sich mit so wenig bekannten Leuten, wie Borkheim und
He&szlig;, einlie&szlig;e, statt Marx vor die Klinge zu nehmen. Darauf erwiderte
Bakunin am 28. Oktober, er halte Marx zwar auch f&uuml;r den Urheber dieser Polemiken,
aber aus zwei Gr&uuml;nden habe er ihn geschont und selbst einen &raquo;Riesen&laquo; genannt.
Der erste dieser Gr&uuml;nde sei die Gerechtigkeit. &raquo;Beiseite lassend alle schlechten
Streiche, die er uns gespielt hat, d&uuml;rfen wir, oder mindestens ich, die ungeheuren
Dienste nicht verkennen, die er der Sache des Sozialismus geleistet hat, der er
seit nahe an f&uuml;nfundzwanzig Jahre mit Einsicht, Tatkraft und Reinheit dient,
worin er uns alle unzweifelhaft &uuml;bertroffen hat. Er ist einer der ersten
Gr&uuml;nder und sicherlich der Hauptgr&uuml;nder der Internationalen gewesen,
und das ist in meinen Augen ein ungeheures Verdienst, das ich stets anerkennen
werde, was immer er gegen uns getan haben mag.&laquo;</P>
<P>Dann aber seien f&uuml;r ihn auch politische und taktische Gr&uuml;nde ma&szlig;gebend
gewesen gegen&uuml;ber Marx, &raquo;der mich nicht leiden kann und niemanden liebt als
sich selbst und vielleicht seine N&auml;chsten. Marx wirkt unleugbar sehr n&uuml;tzlich
in der Internationalen. Bis auf den heutigen Tag &uuml;bt er auf seine Partei
einen weisen Einflu&szlig; aus und ist die festeste St&uuml;tze des Sozialismus,
das st&auml;rkste Bollwerk gegen das Eindringen b&uuml;rgerlicher Absichten und
Gedanken. Und ich w&uuml;rde mir niemals verzeihen <A NAME="S432"></A><B>|432|*</B>,
wenn ich blo&szlig; versucht h&auml;tte, seinen wohlt&auml;tigen Einflu&szlig;
auszurotten oder auch nur zu schw&auml;chen, zu dem einf&auml;ltigen Zwecke, mich
an ihm zu r&auml;chen. Indessen k&ouml;nnte es kommen, und sogar binnen kurzer
Frist, da&szlig; ich einen Streit mit ihm anfinge, wohlverstanden, nicht um ihn
pers&ouml;nlich anzugreifen, sondern um einer Prinzipienfrage willen, wegen des
Staatskommunismus, dessen gl&uuml;hendste Anh&auml;nger er und die Engl&auml;nder
und Deutschen sind, die er leitet. Das w&uuml;rde ein Kampf auf Leben und Tod
werden. Aber alles hat seine Zeit, und die Stunde dieses Kampfes hat noch nicht
geschlagen.&laquo;</P>
<P>In letzter Reihe f&uuml;hrt Bakunin dann einen taktischen Beweggrund an, der
ihn hindere, Marx anzugreifen. Ginge er gegen diesen offen vor, so w&uuml;rden
die Mitglieder der Internationalen zu drei Vierteln gegen ihn sein. Umgekehrt
w&uuml;rde die Mehrheit f&uuml;r ihn sein, wenn er gegen das Bettelvolk vorginge,
das sich um Marx schare, und dieser w&uuml;rde selbst seinen Spa&szlig; daran
haben, oder seine &raquo;Schadenfreude&laquo;, wie sich Bakunin mit dem deutschen Worte in
dem franz&ouml;sisch geschriebenen Briefe ausdr&uuml;ckt.</P>
<P>Gleich nach diesem Briefe siedelte Bakunin nach Locarno &uuml;ber. Beansprucht
durch seine pers&ouml;nlichen Angelegenheiten, hatte er in den wenigen Wochen,
die er nach dem Baseler Kongre&szlig; noch in Genf lebte, sich an der dortigen
Arbeiterbewegung so gut wie gar nicht mehr beteiligt, namentlich keine Zeile mehr
f&uuml;r die &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; geschrieben. Sein Nachfolger in der Redaktion
wurde Robin, ein belgischer Lehrer, der erst das Jahr vorher nach Genf &uuml;bersiedelt
war, und neben diesem etwa noch Perron, derselbe Emailmaler, der schon vor Bakunin
das Blatt redigiert hatte. Beide waren Gesinnungsgenossen Bakunins, handelten
und sprachen aber keineswegs in seinem Sinne. Bakunin war bestrebt gewesen, die
Arbeiter der gros m&eacute;tiers, in denen der proletarisch-revolution&auml;re
Geist viel lebendiger war als in den Arbeitern der fabrique, aufzukl&auml;ren
und zu selbstt&auml;tigem Handeln aufzumuntern, im Gegensatz sogar zu ihren eigenen
Komitees - was Bakunin &uuml;ber die objektiven Gefahren einer solchen &raquo;Instanzenpolitik&laquo;,
wie wir heute sagen w&uuml;rden, auszuf&uuml;hren wu&szlig;te, ist heute noch
sehr lesenswert -, geschweige denn im Gegensatze zur fabrique, die die gros m&eacute;tiers
in deren Streiks unterst&uuml;tzt hatte, aber aus diesem unbestreitbaren Verdienste
die unberechtigte Schlu&szlig;folgerung zog, da&szlig; ihr die gros m&eacute;tiers
auf Schritt und Tritt folgen m&uuml;&szlig;ten. Diese Tendenzen hatte Bakunin
bek&auml;mpft, namentlich auch mit R&uuml;cksicht auf die unausrottbare Neigung
der fabrique zu B&uuml;ndnissen mit dem b&uuml;rgerlichen Radikalismus; Robin
und Perron aber glaubten, den Gegensatz zwischen der fabrique und den gros m&eacute;tiers,
der nicht von Bakunin geschaffen worden war, sondern in einem sozialen <A NAME="S433"></A><B>|433|</B>
Gegensatze wurzelte, &uuml;bert&uuml;nchen und verkleistern zu k&ouml;nnen. Dadurch
gerieten sie in ein Schaukelsystem, das weder der fabrique noch den gros m&eacute;tiers
genug tat, wohl aber allen m&ouml;glichen Intrigen T&uuml;r und Tor &ouml;ffnete.</P>
<P>Ein Meister solcher Intrigen war ein russischer Fl&uuml;chtling, der damals
in Genf lebte, namens Nikolas Utin. Er hatte in den russischen Studentenunruhen
im Anfange der sechziger Jahre mitgetan, war dann aber, als die Sache brenzlich
wurde, ins Ausland gefl&uuml;chtet, und lebte hier bequem von einer namhaften
Jahresrente - zw&ouml;lf- bis f&uuml;nfzehntausend Franken werden genannt -, die
er aus dem Schnapshandel seines Vaters bezog. Hierdurch gewann der eitle und schwatzschweifige
Patron eine Position, die er mit seinen geistigen F&auml;higkeiten nie h&auml;tte
gewinnen k&ouml;nnen; Erfolge bl&uuml;hten ihm nur auf dem Terrain des Privatklatsches,
wo, wie Engels einmal sagt, &raquo;Leute, die etwas zu tun haben, denen, die den ganzen
Tag zum Kl&uuml;ngeln haben, nie gewachsen sind&laquo;. An Bakunin hatte Utin sich anfangs
herangedr&auml;ngt, war aber bei diesem gr&uuml;ndlich abgefallen, und so bot
ihm Bakunins Entfernung aus Genf eine um so g&uuml;nstigere Gelegenheit, den grimmig
geha&szlig;ten Mann auf dem Wege des Privatklatsches zu verfolgen. F&uuml;r dies
edle Ziel hat er denn auch nicht vergebens seinen Schwei&szlig; vergossen, worauf
er sich, dem&uuml;tig um Gnade flehend, zu den F&uuml;&szlig;en des Zaren warf.
Der war seinerseits nicht unvers&ouml;hnlich, und Utin gedieh im russisch-t&uuml;rkischen
Kriege von 1877 zum zarischen Kriegslieferanten, wodurch er vermutlich noch reicheren,
aber sicherlich nicht reinlicheren Mammon gewann als aus dem v&auml;terlichen
Schnapshandel.</P>
<P>Mit Leuten wie Robin und Perron, hatte Utin um so leichteres Spiel, als sie
in der Tat bei aller Ehrlichkeit ein unglaubliches Ungeschick bekundeten. Zu allem
&Uuml;berflu&szlig; begannen sie einen Krakeel mit dem Generalrat der Internationalen
und zwar wegen Fragen, die den Arbeitern der franz&ouml;sischen Schweiz wirklich
nicht auf den Fingern brannten. Die &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; beschwerte sich, da&szlig;
der Generalrat sich zu sehr f&uuml;r die irische Frage interessiere, da&szlig;
er keinen F&ouml;deralrat f&uuml;r England einrichte, da&szlig; er den Streit
zwischen Liebknecht und Schweitzer nicht entscheide usw. Bakunin hatte mit alledem
nichts zu tun, und der falsche Schein, als ob er diese Angriffe billige oder gar
angeregt habe, konnte nur dadurch entstehen, da&szlig; Robin und Perron zu seinen
Anh&auml;ngern z&auml;hlten und James Guillaumes Bl&auml;ttchen in dieselbe Kerbe
hieb.</P>
<P>In einem privaten, vom 1. Januar 1870 datierten Rundschreiben, das au&szlig;er
nach Genf nur noch an die F&ouml;deralr&auml;te franz&ouml;sischer Zunge versandt
wurde, tat der Generalrat die Angriffe Robins ab. Scharf in der <A NAME="S434"></A><B>|434|</B>
Form, hielt dies Schreiben durchaus die Grenzen sachlicher Auseinandersetzung
inne. Bemerkenswert daraus sind heute noch die Gr&uuml;nde, aus denen der Generalrat
sich weigerte, einen englischen F&ouml;deralrat einzusetzen. Er f&uuml;hrte aus,
da&szlig;, obgleich die revolution&auml;re Initiative wahrscheinlich von Frankreich
ausgehen werde, doch England allein als Hebel f&uuml;r eine ernsthafte &ouml;konomische
Revolution dienen k&ouml;nne. Es sei das einzige Land, wo es keine Bauern mehr
gebe und wo der Grundbesitz in wenigen H&auml;nden konzentriert sei. Es sei das
einzige Land, wo die kapitalistische Form sich fast der ganzen Produktion bem&auml;chtigt
habe, wo die gro&szlig;e Masse der Bev&ouml;lkerung aus Lohnarbeitern bestehe.
Es sei das einzige Land, wo der Klassenkampf und die Organisation der Arbeiterklasse
durch die Trade Unions einen gewissen Grad der Allgemeinheit und der Reife erlangt
habe. Endlich wirke, dank seiner Herrschaft auf dem Weltmarkte, jede Revolution
seiner &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse unmittelbar auf die ganze Welt zur&uuml;ck.</P>
<P>Wenn somit die Engl&auml;nder alle notwendigen materiellen Vorbedingungen der
sozialen Revolution bes&auml;&szlig;en, so fehle ihnen doch der Geist der Verallgemeinerung
und die revolution&auml;re Leidenschaft. Ihnen diesen Geist und diese Leidenschaft
einzufl&ouml;&szlig;en, sei die Aufgabe des Generalrats, und da&szlig; er ihr
gerecht w&uuml;rde, zeige die Klage der angesehensten b&uuml;rgerlichen Bl&auml;tter
in London dar&uuml;ber, da&szlig; er den englischen Geist der Arbeiterklasse vergifte
und diese zum revolution&auml;ren Sozialismus dr&auml;nge. Ein englischer F&ouml;deralrat
w&uuml;rde zwischen dem Generalrat der Internationalen und dem Generalrat der
Trade Unions kein Ansehen genie&szlig;en, dagegen w&uuml;rde der Generalrat seinen
Einflu&szlig; auf den gro&szlig;en Hebel der proletarischen Revolution verlieren.
Er lehne die Torheit ab, diesen Hebel in englische H&auml;nde fallen zu lassen
und an die Stelle ernster und ungesehener Arbeit die laute Marktschreierei zu
setzen.</P>
<P>Ehe noch dies Rundschreiben an seine Adresse gelangte, war in Genf selbst die
Katastrophe ausgebrochen. In dem Redaktionskomitee der &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo;
geh&ouml;rten sieben Mitglieder zu den Anh&auml;ngern Bakunins und nur zwei zu
seinen Gegnern; wegen eines ganz nebens&auml;chlichen, politisch gleichg&uuml;ltigen
Zwischenfalls stellte die Mehrheit die Kabinettsfrage, aber nunmehr zeigte sich,
da&szlig; Robin und Perron sich mit ihrer schwankenden Politik zwischen zwei St&uuml;hle
gesetzt hatten. Die Minderheit wurde durch den F&ouml;deralrat gedeckt, und die
sieben Mitglieder der Mehrheit schieden aus, unter ihnen auch der alte Becker,
der, solange Bakunin in Genf lebte, mit diesem gute Freundschaft gehalten, aber
in dem Treiben der Robin und Perron manches Haar gefunden hatte. Die Leitung der
&raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; geriet danach in die H&auml;nde Utins.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">7. Die Konfidentielle Mitteilung<A name="Kap_7"></A></H3>
<P><B><A NAME="S435">|435|</A></B> Inzwischen setzte Borkheim seine Hetzereien
gegen Bakunin fort.</P>
<P>Am 18. Februar beklagte er sich bei Marx, da&szlig; die &raquo;Zukunft&laquo;, das Organ
Johann Jacobys, einen, wie Marx an Engels schrieb, &raquo;Monsterbrief &uuml;ber Russica,
ein uns&auml;gliches vom Hundertsten ins Tausendste &uuml;berpurtelndes Sammelsurium&laquo;
nicht habe aufnehmen wollen. Zugleich verd&auml;chtigte Borkheim auf die Autorit&auml;t
Katkows hin, der in seiner Jugend zu den Gesinnungsgenossen Bakunins geh&ouml;rt,
aber sich dann auf die reaktion&auml;re Seite geschlagen hatte, Bakunin &raquo;wegen
gewisser Geldgeschichten&laquo;, worauf Marx keinen Wert legte und ebensowenig Engels,
der mit philosophischer Gelassenheit bemerkte: &raquo;Die Geldpumperei ist ein zu gew&ouml;hnliches
russisches Lebensmittel, als da&szlig; ein Russe dem andern dar&uuml;ber Vorw&uuml;rfe
machen sollte.&laquo; In unmittelbarem Anschlu&szlig; an seine Mitteilungen &uuml;ber
Borkheims Hetzereien schrieb Marx, der Generalrat solle dar&uuml;ber entscheiden,
ob ein gewisser Richard, der sich sp&auml;ter wirklich als falscher Bruder entpuppt
hat, in Lyon mit Recht aus der Internationalen ausgeschlossen worden sei, und
f&uuml;gte hinzu, au&szlig;er seinem sklavischen Anschlu&szlig; an Bakunin und
einer damit verbundenen &Uuml;berweisheit wisse er nicht, was dem Richard vorzuwerfen
sei. &raquo;Es scheint, da&szlig; unser letztes Rundschreiben viel Sensation gemacht
hat und in Schweiz wie Frankreich eine Hetzjagd auf die Bakunisten eingetreten
ist. Doch est modus in rebus [Mehring &uuml;bersetzt: es ist ein Ma&szlig; in
den Dingen], und ich werde daf&uuml;r sorgen, da&szlig; kein Unrecht passiert.&laquo;</P>
<P>In schroffem Gegensatze zu dieser guten Absicht stand eine Konfidentielle Mitteilung <A name="ZT5"></A><A href="fm03_394.htm#Z5"><SPAN class="top">[5]</SPAN></A>,
die Marx wenige Wochen sp&auml;ter, am 28. M&auml;rz, durch Vermittlung Kugelmanns
an den Braunschweiger Vorstand der Eisenacher richtete. Ihren Kern bildete das
Rundschreiben des Generalrats vom 1. Januar, das nur f&uuml;r Genf und die F&ouml;deralr&auml;te
franz&ouml;sischer Zunge bestimmt gewesen war, seinen praktischen Zweck inzwischen
l&auml;ngst erreicht, und dar&uuml;ber hinaus jene &raquo;Hetzjagd&laquo; auf die Bakunisten
erregt hatte, die Marx mi&szlig;billigte. Weshalb er dies Rundschreiben nun noch
trotz dieser unliebsamen Erfahrung nach Deutschland sandte, war vorab nicht einzusehen,
da es in Deutschland &uuml;berhaupt keine Anh&auml;nger Bakunins gab.</P>
<P>Viel unverst&auml;ndlicher noch war, da&szlig; Marx in seiner Konfidentiellen
Mitteilung dem Rundschreiben eine Einleitung und ein Schlu&szlig;wort mit auf
den Weg gab, die weit mehr geeignet waren, eine &raquo;Hetzjagd&laquo; namentlich, gegen Bakunin
anzufeuern. Die Einleitung begann mit bitteren <A NAME="S436"></A><B>|436|</B>
Vorw&uuml;rfen an die Adresse Bakunins, der sich erst in die Friedens- und Freiheitsliga
einzuschmuggeln versucht habe, in deren Vollziehungsausschu&szlig; er jedoch als
&raquo;russisch verd&auml;chtig&laquo; &uuml;berwacht worden sei. Nachdem er bei dieser Liga
mit seinen programmatischen Absurdit&auml;ten abgeblitzt sei, habe er sich der
Internationalen angeschlossen, um sie zu seinem Privatwerkzeuge zu machen. Zu
diesem Zwecke habe er die Allianz der sozialistischen Demokratie gegr&uuml;ndet.
Nachdem der Generalrat sich geweigert habe, diese anzuerkennen, habe sie sich
nominell aufgel&ouml;st, best&uuml;nde aber faktisch unter der Leitung Bakunins
fort, der nun auf anderem Wege seinen Zweck zu erreichen gesucht habe. Er habe
die Erbschaftsfrage auf das Programm des Baseler Kongresses setzen lassen, um
den Generalrat theoretisch zu schlagen und damit dessen &Uuml;bersiedelung nach
Genf anzubahnen. Bakunin habe &raquo;eine f&ouml;rmliche Konspiration&laquo; ins Werk gesetzt,
um sich eine Mehrheit auf dem Baseler Kongre&szlig; zu sichern, doch habe er seine
Vorschl&auml;ge nicht durchgedr&uuml;ckt, und der Generalrat sei in London geblieben.
&raquo;Der &Auml;rger &uuml;ber diesen Fehlschlag - mit dessen Gelingen Bakunin vielleicht
allerlei Privatspekulationen verkn&uuml;pft hatte -&laquo; <A name="ZT6"></A><A href="fm03_394.htm#Z6"><SPAN class="top">[6]</SPAN></A> habe sich dann in den Angriffen
der &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo; auf den Generalrat kundgetan, worauf dieser in seinem
Rundschreiben von 1. Januar geantwortet habe.</P>
<P>Marx schaltete nun dies Rundschreiben w&ouml;rtlich in die Konfidentielle Mitteilung
ein und fuhr dann fort, schon vor dessen Eintreffen in Genf sei die Krise eingetreten;
der romanische F&ouml;rderalrat habe die Angriffe der &raquo;&Eacute;galit&eacute;&laquo;
auf den Generalrat mi&szlig;billigt und werde das Blatt unter strenger Aufsicht
halten, worauf sich Bakunin von Genf in den Tessin zur&uuml;ckgezogen habe. &raquo;Bald
darauf starb Herzen. Bakunin, der seit der Zeit, wo er als <I>Lenker der europ&auml;ischen
Arbeiterbewegung</I> sich aufwerfen wollte, seinen alten Freund und Patron Herzen
verleugnet hatte, stie&szlig; sofort nach dessen Tode in die Lobesposaune. Warum?
Herzen, trotz seines pers&ouml;nlichen Reichtums, lie&szlig; sich j&auml;hrlich
25.000 Francs f&uuml;r Propaganda von der ihm befreundeten pseudo-sozialistischen,
panslawistischen Partei in Ru&szlig;land zahlen. Durch sein Lobesgeschrei hat
Bakunin diese Gelder <I>auf sich</I> gelenkt und damit die <I>&#155;Erbschaft Herzens&#139;</I>,
- malgre sa haine de l'h&eacute;ritage - [Mehring &uuml;bersetzt: so sehr er die
Vererbung ha&szlig;t], ... sine beneficio inventarii [von Mehring &uuml;bersetzt:
ohne Vorbehalt] angetreten.&laquo;<A name="ZT7"></A><A href="fm03_394.htm#Z7"><SPAN class="top">[7]</SPAN></A> Indessen habe sich in Genf eine junge russische Fl&uuml;chtlingskolonie
angesiedelt, Studenten, die es wirklich ehrlich meinten und die Bek&auml;mpfung
des Panslawismus als Hauptpunkt in ihr Programm aufgenommen h&auml;tten. Sie h&auml;tten
sich als Zweig der Internationaler angemeldet und Marx zu ihrem vorl&auml;ufigen
Vertreter im Generalrat <A NAME="S437"></A><B>|437|</B> vorgeschlagen, was beides
genehmigt worden sei. Sie h&auml;tten zugleich erkl&auml;rt, da&szlig; sie n&auml;chstens
dem Bakunin &ouml;ffentlich die Maske abrei&szlig;en w&uuml;rden; so werde das
Spiel dieses h&ouml;chst gef&auml;hrlichen Intriganten, wenigstens auf dem Gebiete
der Internationalen, bald ausgespielt sein. Damit schlo&szlig; die Konfidentielle
Mitteilung.</P>
<P>Es er&uuml;brigt, die zahlreichen Irrt&uuml;mer aufzuz&auml;hlen, die sie &uuml;ber
Bakunin enth&auml;lt. Die Vorw&uuml;rfe, die sie gegen diesen erhebt, sind im
allgemeinen um so grundloser, je belastender sie zu sein scheinen. Das gilt namentlich
von dem Vorwurfe der Erbschleicherei. Es hat niemals eine pseudo-sozialistische
panslawistische Partei in Ru&szlig;land gegeben, die an Herzen j&auml;hrlich 25.000
Franken Propagandagelder gezahlt h&auml;tte; der winzige Kern dieser Fabel war,
da&szlig; ein junger Sozialist Batmetjew in den f&uuml;nfziger Jahren einen Revolutionsfonds
von 20.000 Franken gestiftet hatte, den Herzen verwaltete. Da&szlig; Bakunin je
ein Gel&uuml;ste danach verraten h&auml;tte, diesen Fonds in seine pers&ouml;nliche
Tasche zu stecken, ist durch nichts erwiesen und kann am wenigsten durch den herzlichen
Nachruf erwiesen werden, den er in der &raquo;Marseillaise&laquo; Rocheforts dem politischen
Gegner gewidmet hatte, der sein Jugendfreund gewesen war. H&ouml;chstens k&ouml;nnte
man ihm deshalb den Vorwurf der Sentimentalit&auml;t machen wie denn &uuml;berhaupt
alle Fehler und Schw&auml;chen Bakunins, soviel er ihrer haben mochte, so ziemlich
das gerade Gegenspiel der Eigenschaften waren, die einen &raquo;&auml;u&szlig;erst gef&auml;hrlichen
Intriganten&laquo; ausmachen.</P>
<P>Wodurch Marx in diese Irrt&uuml;mer versetzt worden ist, geht schon aus den
Schlu&szlig;s&auml;tzen der Konfidentiellen Mitteilung hervor. Sie waren ihm von
dem russischen Fl&uuml;chtlingskomitee in Genf mitgeteilt worden. Will sagen von
Utin oder durch dessen Vermittlung von Becker. Wenigstens scheint aus einer brieflichen
Mitteilung Marxens an Engels hervorzugehen, da&szlig; er die schlimmste Verd&auml;chtigung
Bakunins, die Erbschleicherei an Herzen, von Becker erhalten hat. Damit will dann
freilich nicht stimmen, da&szlig; Becker in einem gleichzeitigen Briefe an Jung,
der sich erhalten hat, zwar sehr &uuml;ber die Verworrenheit der Genfer Zust&auml;nde,
&uuml;ber die Gegens&auml;tze zwischen der fabrique und den gros m&eacute;tiers,
&uuml;ber &raquo;nervenschwache Blendlichter wie Robin, und harte Querk&ouml;pfe wie
Bakunin&laquo;, klagt, schlie&szlig;lich aber doch gerade von diesem r&uuml;hmt, er
sei &raquo;besser und brauchbarer geworden, als er war&laquo;. Die Briefe Beckers und der
russischen Fl&uuml;chtlingskolonie an Marx selbst sind nicht erhalten; in seiner
offiziellen wie in seiner privaten Antwort an den neuen Zweig der Internationalen
hielt Marx f&uuml;r sicherer, kein Wort von Bakunin zu sagen; er empfahl der russischen
Sektion als Hauptaufgabe, f&uuml;r Polen zu arbeiten, das hei&szlig;t Europa von
ihrer eigenen Nachbarschaft zu befreien <A NAME="S438"></A><B>|438|*</B>. Er empfand
es nicht ohne Humor, Vertreter des jungen Ru&szlig;lands zu sein, und meinte,
der Mensch wisse nie, in welche seltsame Kameradschaft er geraten k&ouml;nne.</P>
<P>Trotz dieser scherzhaften Wendung ist es f&uuml;r Marx augenscheinlich eine
gro&szlig;e Genugtuung gewesen, da&szlig; die Internationale unter den russischen
Revolution&auml;ren ihre Anker zu werfen begann. Es ist sonst nicht zu verstehen,
da&szlig; er dem ihm noch ganz unbekannten Utin &auml;hnliche Verd&auml;chtigungen
gegen Bakunin glaubte, wie er sie abgewehrt hatte, solange sie von seinem alten
Freunde Borkheim vorgebracht wurden. Ein merkw&uuml;rdiger Zufall wollte, da&szlig;
sich Bakunin zu gleicher Zeit von einem russischen Fl&uuml;chtling, weil er in
ihm eine Schwalbe der kommenden russischen Revolution sah, irref&uuml;hren und
sogar in ein Abenteuer verstricken lie&szlig;, das f&uuml;r seinen Ruf bedenklicher
werden sollte als irgendein anderer Zwischenfall seines bewegten Lebens.</P>
<P>Ein paar Tage, nachdem die Konfidentielle Mitteilung geschrieben worden war,
trat der zweite Jahreskongre&szlig; der romanischen F&ouml;deration am 4. April
in La Chaux-de-Fonds zusammen. Hier kam es zum offenen Bruch. Die Genfer Sektion
der Allianz, die bereits durch den Generalrat in die Internationale aufgenommen
worden war, verlangte ihre Aufnahme in die romanische F&ouml;deration und die
Teilnahme ihrer beiden Delegierten an den Beratungen des Kongresses. Dem widersetzte
sich Utin unter heftigen Angriffen auf Bakunin, als dessen Intrigiermaschine er
die Genfer Sektion der Allianz denunzierte, fand aber einen entschlossenen Gegner
in Guillaume, der, ein engbr&uuml;stiger Fanatiker, sich namentlich in sp&auml;teren
Jahren an Marx nicht weniger vers&uuml;ndigt hat als Utin an Bakunin, aber immerhin
nach Bildung und F&auml;higkeit ein anderer Mann war als sein armseliger Gegner.
Er siegte denn auch mit einer Mehrheit von 21 gegen 18 Stimmen. Jedoch die Minderheit
weigerte sich, den Willen der Mehrheit anzuerkennen und spaltete den Kongre&szlig;.
Nun tagten zwei Kongresse nebeneinander; der Mehrheitskongre&szlig; beschlo&szlig;,
den Sitz des F&ouml;deralrats von Genf nach La Chaux-de-Fonds zu verlegen und
zum Organ des Verbandes die &raquo;Solidarit&eacute;&laquo; zu erheben, die Guillaume in Neuenburg
herausgeben sollte.</P>
<P>Die Minderheit st&uuml;tzte ihre Obstruktion darauf, da&szlig; es sich um ein
reine Zufallsmehrheit handle, da nur f&uuml;nfzehn Sektionen in La Chaux-de-Fonds
vertreten gewesen seien, w&auml;hrend Genf allein deren drei&szlig;ig z&auml;hle,
die alle oder fast alle die Sektion der Allianz nicht in der romanischen F&ouml;deration
haben wollten. Die Mehrheit dagegen pochte darauf, da&szlig; eine Sektion, die
vom Generalrat zugelassen worden sei, nicht von einem F&ouml;deralrat abgewiesen
werden k&ouml;nne. Der alte Becker meinte im <A NAME="S439"></A><B>|439|</B> &raquo;Vorboten&laquo;,
es sei ein &auml;rgerlicher Krakeel um nichts und wieder nichts, der nur durch
einen Mangel an br&uuml;derlicher Gesinnung auf beiden Seiten verschuldet worden
sei. Die Sektion der Allianz, die es wesentlich auf prinzipielle Propaganda abgesehen
habe, k&ouml;nne darauf verzichten, in einen nationalen Verband aufgenommen zu
werden, zumal da sie einmal als Intrigiermaschine Bakunins gelte, der in Genf
l&auml;ngst unbeliebt geworden sei. Aber wenn sie gleichwohl aufgenommen werden
wolle, so sei es engherzig und kindisch, sie abzuweisen oder ihre Aufnahme zum
Anla&szlig; einer Spaltung zu machen.</P>
<P>So einfach wie Becker meinte, lag die Sache nun aber doch nicht. Die Beschl&uuml;sse,
die die beiden getrennten Kongresse fa&szlig;ten, ber&uuml;hrten sich zwar noch
mannigfach, unterschieden sich aber gerade in der entscheidenden Frage, dem Gegensatz,
aus dem die Genfer Wirren entstanden waren. Der Mehrheitskongre&szlig; vertrat
den Standpunkt der gros m&eacute;tiers, er verzichtete auf jede Politik, die lediglich
die soziale Umgestaltung durch nationale Reformen bezwecke, denn jeder politisch
organisierte Staat sei nichts weiter als ein Mittel zur kapitalistischen Ausbeutung
auf Grund des b&uuml;rgerlichen Rechts, deshalb diene jede Beteiligung des Proletariats
an der b&uuml;rgerlichen Politik zur Befestigung des heutigen Systems und l&auml;hme
die revolution&auml;re proletarische Aktion. Dagegen vertrat der Minderheitskongre&szlig;
den Standpunkt der fabrique; er bek&auml;mpfte die politische Enthaltung als Sch&auml;digung
der Arbeiterbewegung und empfahl die Beteiligung an den Wahlen, nicht weil auf
diesem Wege die Emanzipation der Arbeiterklasse erreicht werden k&ouml;nne,sondern
weil die parlamentarische Arbeitervertretung ein agitatorisches Propagandamittel
sei, das in taktischer Hinsicht nicht vernachl&auml;ssigt werden d&uuml;rfe.</P>
<P>Der neue F&ouml;deralrat in La Chaux-de-Fonds beanspruchte nun vom Generalrat
seine Anerkennung als Leiter der romanischen F&ouml;deration. Der Generalrat entsprach
jedoch diesem Ansuchen nicht, sondern verf&uuml;gte am 28. Juni, da&szlig; der
Genfer F&ouml;deralrat, hinter dem die Mehrzahl der Genfer Sektionen stehe, in
seinen bisherigen Funktionen aufrechterhalten werde, der neue F&ouml;deralrat
dagegen irgendeinen &ouml;rtlichen Namen anzunehmen habe. Dieser Entscheidung,
die billig genug und zudem von ihm selbst herausgefordert worden war, f&uuml;gte
sich jedoch der neue F&ouml;deralrat nicht, sondern erhob lebhaft Klage &uuml;ber
die Herrschsucht, den &raquo;Autoritarismus&laquo; des Generalrats, womit das zweite Stichwort
- neben der politischen Enthaltung - f&uuml;r die Opposition innerhalb der Internationalen
gegeben war.</P>
<P>Der Generalrat seinerseits brach nunmehr jede Verbindung mit dem F&ouml;deralrat
in La Chaux-de-Fonds ab.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">8. Irische Amnestie und franz&ouml;sisches Plebiszit<A name="Kap_8"></A></H3>
<P><B><A NAME="S440">|440|</A></B> Der Winter von 1869 auf 1870 war f&uuml;r Marx
wieder eine Zeit mannigfacher k&ouml;rperlicher Beschwerden, aber die ewigen Geldsorgen
war er nun wenigstens los. Am 30. Juni 1869 hatte sich Engels von dem &raquo;h&uuml;ndischen
Kommerz&laquo; frei gemacht und schon ein halbes Jahr vorher bei Marx angefragt, ob
dieser mit 350 Pfund j&auml;hrlich auskommen k&ouml;nne; Engels wollte dann mit
seinem Sozius so abschlie&szlig;en, da&szlig; er diese Summe auf f&uuml;nf bis
sechs Jahre f&uuml;r Marx absto&szlig;en k&ouml;nne. Wie das Abkommen schlie&szlig;lich
getroffen worden ist, geht aus dem Briefwechsel beider M&auml;nner nicht hervor;
jedenfalls aber hat Engels nicht nur f&uuml;nf oder sechs Jahre, sondern bis an
den Tod seines Freundes dessen &ouml;konomische Lage v&ouml;llig sichergestellt.</P>
<P>Politisch besch&auml;ftigten sich beide in dieser Zeit viel mit der irischen
Frage. Engels trieb eingehende Studien &uuml;ber ihren geschichtlichen Zusammenhang,
deren Fr&uuml;chte leider nicht ver&ouml;ffentlicht worden sind, und Marx machte
den Generalrat der Internationalen scharf f&uuml;r die irische Bewegung, die die
Amnestie der formlos verurteilten und im Zuchthaus infam behandelten Fenier verlangte.
Der Generalrat dr&uuml;ckte der festen, hochherzigen und mutigen Art, in der das
irische Volk diese Bewegung betreibe, seine Bewunderung aus und brandmarkte die
Politik Gladstones, der trotz aller bei den Wahlen gemachten Versprechungen die
Amnestie verweigere oder an Bedingungen kn&uuml;pfe, die die Opfer der Mi&szlig;regierung
und das irische Volk beleidigten; in sch&auml;rfster Weise wurde dem leitenden
Minister vorgehalten, da&szlig; er, nachdem er trotz seiner verantwortlichen Stellung
der Rebellion der amerikanischen Sklavenhalter seinen begeisterten Beifall gespendet
habe, nunmehr dem englischen Volke die Doktrin der Unterwerfung predige, da&szlig;
sein ganzes Verhalten in der Frage der irischen Amnestie ein echtes und wahres
Produkt jener &raquo;Eroberungspolitik&laquo; sei, durch deren flammende Brandmarkung Gladstone
seine Toryrivalen von der Regierung verdr&auml;ngt habe. Er habe Gladstone jetzt
ebenso angegriffen wie ehedem Palmerston, schrieb Marx an Kugelmann; &raquo;die hiesigen
demagogischen refugees [Mehring &uuml;bersetzt: Fl&uuml;chtlinge] lieben es, &uuml;ber
die kontinentalen Despoten von sicherer Entfernung aus herzufallen. Dergleichen
hat f&uuml;r mich nur Reiz, wenn es vultu instantis tyranni [Mehring &uuml;bersetzt:
dem Tyrannen ins Angesicht] geschieht.&laquo;</P>
<P>Eine besondere Freude war es f&uuml;r Marx, da&szlig; seine &auml;lteste Tochter
in diesem irischen Feldzuge einen gro&szlig;en Erfolg davontrug. Da die englische
Presse die an den gefangenen Feniern ver&uuml;bten Sch&auml;ndlichkeiten <A NAME="S441"></A><B>|441|</B>
hartn&auml;ckig totschwieg, so sandte Jenny Marx unter dem Decknamen Williams,
den ihr Vater in den f&uuml;nfziger Jahren zu gebrauchen pflegte, einige Artikel
an die &raquo;Marseillaise&laquo; Rocheforts, in denen sie mit gl&uuml;henden Farben schilderte,
wie politische Verbrecher in dem freien England behandelt w&uuml;rden. Diese Enth&uuml;llung
in dem damals vielleicht gelesensten Blatt des Festlandes ertrug Gladstone nicht;
wenige Wochen sp&auml;ter waren die meisten gefangenen Fenier frei und auf dem
Wege nach Amerika.</P>
<P>Die &raquo;Marseillaise&laquo; hatte sich ihren europ&auml;ischen Ruf dadurch erworben,
da&szlig; sie die k&uuml;hnsten Vorst&ouml;&szlig;e gegen das in allen Fugen krachende
Kaiserreich richtete. Mit dem Beginn des Jahres 1870 hatte Bonaparte den letzten
verzweifelten Versuch unternommen, sein blut- und schmutztriefendes Regiment durch
Zugest&auml;ndnisse an die Bourgeoisie zu retten, indem er den liberalen Schw&auml;tzer
Ollivier zum leitenden Minister machte. Der versuchte es mit sogenannten &raquo;Reformen&laquo;,
aber da die Katze nun einmal, selbst in Todesnot, das Mausen nicht lassen kann,
so verlangte Bonaparte, da&szlig; diese &raquo;Reformen&laquo; die echt bonapartistische Weihe
eines Plebiszits erhalten sollten. Ollivier war schwach genug, sich zu f&uuml;gen,
und empfahl den Pr&auml;fekten sogar eine &raquo;verzehrende&laquo; T&auml;tigkeit f&uuml;r
das Gelingen des Plebiszits, Aber die bonapartische Polizei wu&szlig;te besser
als der eitle Schw&auml;tzer, wie man Plebiszite gelingen l&auml;&szlig;t; am
Vorabend der gro&szlig;en Haupt- und Staatsaktion entdeckte sie ein angebliches
Bombenkomplott, das namentlich von Mitgliedern der Internationalen gegen das Leben
Bonapartes geplant worden sein sollte. Ollivier war feig genug, sich auch unter
die Polizei zu ducken, zumal soweit es gegen Arbeiter ging; &uuml;berall in Frankreich
wurden die &raquo;F&uuml;hrer&laquo; der Internationalen, soweit sie als solche bekannt waren,
mit Haussuchungen und Verhaftungen &uuml;berfallen.</P>
<P>Der Generalrat beeilte sich, am 3. Mai einen Protest gegen den Schwindel zu
erlassen, worin es hie&szlig;: &raquo;Unsere Statuten verpflichten alle Sektionen unserer
Assoziation, &ouml;ffentlich zu handeln. W&auml;ren die Statuten &uuml;ber diesen
Punkt nicht klar, so w&uuml;rde dennoch das Wesen einer Assoziation, die sich
mit der Arbeiterklasse selbst identifiziert, jede M&ouml;glichkeit der Form geheimer
Gesellschaften ausschlie&szlig;en. Wenn die Arbeiterklassen konspirieren, die
die gro&szlig;e Masse jeder Nation bilden, die allen Reichtum erzeugen und in
deren Namen selbst die usurpierenden Gewalten angeblich regieren, so konspirieren
sie &ouml;ffentlich, wie die Sonne gegen die Finsternis konspiriert, in dem vollen
Bewu&szlig;tsein, da&szlig; au&szlig;erhalb ihres Bereichs keine legitime Macht
besteht ... Die l&auml;rmenden Gewaltma&szlig;regeln gegen unsere franz&ouml;sischen
Sektionen sind ausschlie&szlig;lich <A NAME="S442"></A><B>|442|</B> berechnet,
einem einzigen Zwecke zu dienen, der Manipulation des Plebiszits.&laquo;<A name="ZT8"></A><A href="fm03_394.htm#Z8"><SPAN class="top">[8]</SPAN></A> So war es in
der Tat, aber das nichtsw&uuml;rdige Mittel erreichte noch einmal seinen nichtsw&uuml;rdigen
Zweck: das &raquo;liberale Kaiserreich&laquo; wurde durch 7 Millionen gegen 1<SPAN class="top">1</SPAN>/<SPAN class="bottom">2</SPAN>
Millionen Stimmen eingeweiht.</P>
<P>Danach mu&szlig;te man den Schwindel des Bombenkomplotts aber doch fallenlassen.
Wenn die Polizei bei Mitgliedern der Internationalen ein chiffriertes W&ouml;rterbuch
gefunden haben wollte, aus dem sie nichts entziffern konnte als einzelne Namen
wie Napoleon, und einzelne chemische Ausdr&uuml;cke wie Nitroglyzerin, so war
dieser Bl&ouml;dsinn immerhin doch zu arg, als da&szlig; er selbst bonapartistischen
Gerichtsh&ouml;fen geboten werden durfte. Die Anklage schrumpfte deshalb auf dasselbe
angebliche Vergehen zusammen, wegen dessen schon zweimal franz&ouml;sische Mitglieder
der Internationalen angeklagt und verurteilt worden waren: Teilnahme an geheimen
oder unerlaubten Gesellschaften.</P>
<P>Nach einer gl&auml;nzenden Verteidigung, die diesmal durch den Kupferschmied
Chalain, ein sp&auml;teres Mitglied der Pariser Kommune, gef&uuml;hrt wurde, erfolgte
am 9. Juli auch eine Anzahl von Verurteilungen, im H&ouml;chstma&szlig;e zu einem
Jahr Gef&auml;ngnis und einem Jahr Ehrverlust, doch gleichzeitig brach der Gewittersturm
los, der das zweite Kaiserreich vom Erdboden fegte.</P>
<HR size="1">
<P><A name="Z1"></A><SPAN class="top">[1]</SPAN> Friedrich Engels: Revolution und Konterevolution in Deutschland, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me08/me08_098.htm#S100">Bd. 8, S. 100.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT1">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z2"></A><SPAN class="top">[2]</SPAN> Karl Marx: Die belgischen Metzeleien, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_350.htm">Bd. 16, S. 350.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT2">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z3"></A><SPAN class="top">[3]</SPAN> Karl Marx: Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten Staaten, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_355.htm">Bd. 16, S. 355.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT3">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z4"></A><SPAN class="top">[4]</SPAN> Karl Marx: Bericht des Generalrats &uuml;ber das Erbrecht, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_367.htm">Bd. 16, S. 367-369.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT4">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z5"></A><SPAN class="top">[5]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm">Bd. 16, S. 409-420.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT5">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z6"></A><SPAN class="top">[6]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm#S412">Bd. 16, S. 412.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT6">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z7"></A><SPAN class="top">[7]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm#S420">Bd. 16, S. 420.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT7">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z8"></A><SPAN class="top">[8]</SPAN> Karl Marx: [Proklamation des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation &uuml;ber die Verfolgungen der Mitglieder der franz&ouml;sischen Sektionen], in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_422.htm">Bd. 16, S. 422.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT8">&lt;=</A></P>
<!-- #EndEditable -->
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Pfad: &raquo;../fm/fm03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
</SMALL>
<HR size="1">
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "link2a" --><A HREF="fm03_364.htm"><SMALL>12.
Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
<TD ALIGN="center">|</TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="fm03_000.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center">|</TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "link2b" --><A HREF="fm03_443.htm"><SMALL>14.
Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
</TR>
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