emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me09/me09_127.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

45 lines
No EOL
19 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Karl Marx - Die britische Herrschaft in Indien</TITLE>
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 127-133<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Die britische Herrschaft in Indien</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 3804 vom 25. Juni 1853]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S127">&lt;127&gt;</A></B> London, Freitag, 10. Juni 1853</P>
<P>Telegraphische Depeschen aus Wien melden, da&szlig; man dort von der friedlichen L&ouml;sung der t&uuml;rkischen, sardinischen und schweizerischen Fragen &uuml;berzeugt ist.</P>
<P>Die Indien-Debatte wurde gestern abend im Unterhaus in der &uuml;blichen stumpfsinnigen Weise fortgesetzt! Herr Blackett beschuldigte Sir Charles Wood und Sir J. Hogg, da&szlig; ihre Erkl&auml;rungen den Stempel eines falschen Optimismus tragen. Ein H&auml;uflein Verteidiger des Ministeriums und des Direktoriums suchte, so gut es konnte, die Anw&uuml;rfe zur&uuml;ckzuweisen, und der sattsam bekannte Herr Hume forderte in seinem Res&uuml;mee die Minister auf, ihre Gesetzesvorlage zur&uuml;ckzuziehen. Die Debatte wurde vertagt.</P>
<P>Hindustan ist ein Italien von asiatischem Ausma&szlig;, mit dem Himalaja an Stelle der Alpen, der Ebene von Bengalen an Stelle der lombardischen Ebene, dem Dekhan an Stelle der Apenninen und der Insel Ceylon an Stelle der Insel Sizilien. Dort wie hier dieselbe reiche Mannigfaltigkeit der Bodenerzeugnisse und dieselbe Zerrissenheit in der politischen Struktur. Wie Italien von Zeit zu Zeit nur durch das Schwert des Eroberers zu verschiedenen Staatsgebilden zusammengeschlagen wurde, genauso finden wir Hindustan, wenn es nicht das Joch des Mohammedaners, des Moguls oder des Briten trug, in ebensoviele voneinander unabh&auml;ngige, sich gegenseitig befehdende Staaten zersplittert, wie es St&auml;dte, ja D&ouml;rfer z&auml;hlte. Jedoch vom sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist Hindustan nicht das Italien, sondern das Irland des Ostens. Und diese seltsame Kombination von Italien und Irland, einer Welt der Lust und einer Welt des Leids, taucht schon in den alten Traditionen der Religion Hindustans auf. Diese Religion ist zu gleicher Zeit <A NAME="S128"><B>&lt;128&gt;</A></B> eine Religion sinnlicher &Uuml;ppigkeit und selbstqu&auml;lerischer Askese, eine Religion des Lingam und des Dschagannat, die Religion des M&ouml;nchs und der Bajadere.</P>
<P>Ich teile nicht die Auffassung derer, die an ein Goldnes Zeitalter Hindustans glauben, ohne mich jedoch, wie Sir Charles Wood, zur Bekr&auml;ftigung meiner Ansicht auf die Autorit&auml;t des Khuli-Khan zu berufen. Man nehme aber beispielsweise das Zeitalter des Aurangzeb; oder die Epoche, da die Moguln im Norden erschienen und die Portugiesen im S&uuml;den; oder die Zeit der mohammedanischen Invasion und der Heptarchie in S&uuml;dindien; oder, wenn man noch weiter zur&uuml;ckgehn will - bis in die graue Vorzeit, die mythologische Zeitrechnung der Brahmanen, die den Beginn des indischen Elends in eine noch vor der christlichen Weltsch&ouml;pfung liegende Epoche zur&uuml;ckverlegt.</P>
<P>Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, da&szlig; das von den Briten &uuml;ber Hindustan gebrachte Elend wesentlich anders geartet und unendlich qualvoller ist als alles, was Hindustan vorher zu erdulden hatte. Ich denke dabei nicht an den europ&auml;ischen Despotismus, den die britische Ostindische Kompanie dem asiatischen Despotismus aufgepfropft hat, eine Kombination, weit ungeheuerlicher als irgendeines der g&ouml;ttlichen Ungeheuer, deren Anblick uns im Tempel von Salsette mit Schaudern erf&uuml;llt. Dabei handelt es sich nicht um eine besondre Eigent&uuml;mlichkeit der britischen Kolonialherrschaft, sondern nur um eine Nachahmung der holl&auml;ndischen, und dies so sehr, da&szlig; man, um das Wirken der britischen Ostindischen Kompanie zu charakterisieren, nur w&ouml;rtlich zu wiederholen braucht, was Sir Stamford Raffles, der <I>englische </I>Gouverneur von Java, &uuml;ber die alte holl&auml;ndische Ostindische Kompanie sagte:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die holl&auml;ndische Kompanie, deren einzige Triebfeder Gewinnsucht war und die ihre Untertanen weit gleichg&uuml;ltiger und r&uuml;cksichtsloser behandelte als ehedem ein westindischer Pflanzer eine Rotte Sklaven auf seiner Plantage - denn dieser hatte das Kaufgeld f&uuml;r das menschliche Eigentum bezahlt, jene dagegen nicht -, bot den ganzen vorhandenen Apparat des Despotismus auf, um aus dem Volk das letzte Quentchen Tribut und die letzte Neige ihrer Arbeitsleistung herauszupressen, und verschlimmerte so die &Uuml;bel einer unberechenbaren und halbbarbarischen Herrschaft noch dadurch, da&szlig; sie sie mit der ganzen Gerissenheit ausgepichter Politiker und mit der ganzen Selbstsucht monopolistischer H&auml;ndler aus&uuml;bte."</P>
</FONT><P>Alle die B&uuml;rgerkriege, Invasionen, Revolutionen, Eroberungen, Hungersn&ouml;te, so seltsam verwickelt, rapide und zerst&ouml;rerisch ihre ununterbrochen <A NAME="S129"><B>&lt;129&gt;</A></B> aufeinanderfolgende Wirkung in Hindustan auch erscheinen mag, ber&uuml;hrten doch nur die Oberfl&auml;che. England hat das ganze Gef&uuml;ge der indischen Gesellschaft niedergerissen, ohne da&szlig; bisher auch nur die Spur eines Neuaufbaus sichtbar geworden w&auml;re. Dieser Verlust seiner alten Welt, ohne da&szlig; eine neue gewonnen worden w&auml;re, gibt dem heutigen Elend des Hindu eine besondere Note von Melancholie und zieht einen Trennungsstrich zwischen dem von England beherrschten Hindustan und den ehrw&uuml;rdigen &Uuml;berlieferungen seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit.</P>
<P>Seit undenklichen Zeiten gab es in Asien nur drei Regierungsdepartements: das der Finanzen oder f&uuml;r die Auspl&uuml;nderung des eigenen Volkes; das des Krieges oder f&uuml;r die Auspl&uuml;nderung anderer V&ouml;lker; und schlie&szlig;lich das der &ouml;ffentlichen Arbeiten. Klimatische und territoriale Verh&auml;ltnisse, besonders die weiten W&uuml;stenstriche, die sich von der Sahara quer durch Arabien, Persien, Indien und die Tatarei bis an das h&ouml;chste asiatische Hochland ziehen, bedingten k&uuml;nstliche Berieselung durch Kan&auml;le und Wasserwerke, die Grundlage der orientalischen Landwirtschaft. Wie in &Auml;gypten und Indien, werden &Uuml;berschwemmungen auch in Mesopotamien, Persien und anderen L&auml;ndern nutzbar gemacht, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu steigern; hoher Wasserstand wird zur Speisung von Bew&auml;sserungskan&auml;len ausgenutzt. Die unbedingte Notwendigkeit einer sparsamen und gemeinschaftlichen Verwendung des Wassers, die im Okzident, z.B. in Flandern und Italien, zu freiwilligem Zusammenschlu&szlig; privater Unternehmungen f&uuml;hrte, machte im Orient, wo die Zivilisation zu niedrig und die territoriale Ausdehnung zu gro&szlig; war, um freiwillige Assoziationen ins Leben zu rufen, das Eingreifen einer zentralisierenden Staatsgewalt erforderlich. Hierdurch wurde allen asiatischen Regierungen eine &ouml;konomische Funktion zugewiesen, die Funktion, f&uuml;r &ouml;ffentliche Arbeiten zu sorgen. Diese k&uuml;nstliche Fruchtbarmachung des Bodens, die vom Eingreifen einer Zentralregierung abh&auml;ngt und sofort in Verfall ger&auml;t, wenn diese Regierung Bew&auml;sserung und Dr&auml;nierung vernachl&auml;ssigt, erkl&auml;rt die sonst verwunderliche Tatsache, da&szlig; wir heute ganz gro&szlig;e Gebiete w&uuml;st und &ouml;de finden, die einstmals gl&auml;nzend kultiviert waren, so Palmyra und Petra, die Ruinen im Jemen und weite Landstriche in &Auml;gypten, Persien und Hindustan; sie erkl&auml;rt auch, wie ein einziger Verw&uuml;stungskrieg imstande war, ein Land auf Jahrhunderte zu entv&ouml;lkern und es seiner ganzen Zivilisation zu berauben.</P>
<P>Die Briten &uuml;bernahmen nun in Ostindien von ihren Vorg&auml;ngern die Departements der Finanzen und des Krieges, vernachl&auml;ssigten aber v&ouml;llig das Departement der &ouml;ffentlichen Arbeiten. Daher der Verfall einer Landwirtschaft, die nicht f&auml;hig ist, nach dem britischen Grundsatz der freien <A NAME="S130"><B>&lt;130&gt;</A></B> Konkurrenz, des laissez-faire und laissez-aller, betrieben zu werden. In asiatischen Reichen sind wir es jedoch durchaus gewohnt, zu sehen, da&szlig; die Landwirtschaft unter der einen Regierung in Verfall ger&auml;t und unter einer anderen wieder auflebt. Hier h&auml;ngen die Ernten ebenso von guten oder schlechten Regierungen ab, wie sie in Europa mit guten oder schlechten Jahreszeiten wechseln. Daher brauchte die Bedr&uuml;ckung und Vernachl&auml;ssigung der Landwirtschaft, so schlimm sie an sich auch sein mochte, noch nicht als Todessto&szlig; des britischen Eindringlings gegen die indische Gesellschaftsordnung betrachtet zu werden, w&auml;re sie nicht von einem Umstand begleitet gewesen, der von ganz anderer Bedeutung war, eine Neuheit in den Annalen der ganzen asiatischen Welt. Wie wechselvoll auch immer das politische Bild der Vergangenheit Indiens gewesen sein m&ouml;ge, seine sozialen Verh&auml;ltnisse waren doch von den fr&uuml;hesten Zeiten bis ins erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts unver&auml;ndert geblieben. Der Handwebstuhl und das Spinnrad, die immer wieder ihre regelrechten Myriaden von Spinnern und Webern hervorbringen, waren die strukturellen Angelpunkte dieser Gesellschaft. Seit undenklichen Zeiten bezog Europa die wundervollen Gewebe indischer Arbeit, f&uuml;r die es im Austausch Edelmetalle lieferte, das Material f&uuml;r den Goldschmied, dieses unentbehrliche Mitglied der indischen Gesellschaft, deren Vorliebe f&uuml;r Schmuck so gro&szlig; ist, da&szlig; selbst die Angeh&ouml;rigen der niedrigsten Klasse, die fast nackt herumlaufen, gew&ouml;hnlich ein Paar goldene Ohrringe und irgendein anderes goldenes Schmuckst&uuml;ck am Halse tragen. Auch Finger- und Zehenringe waren allgemein verbreitet. Frauen wie Kinder trugen h&auml;ufig massive Arm- und Fu&szlig;spangen aus Gold oder Silber, in den H&auml;usern waren goldene oder silberne Statuetten von Gottheiten zu finden. Es war der britische Eindringling, der den indischen Handwebstuhl zerst&ouml;rte und das Spinnrad zerbrach. England begann damit, da&szlig; es den indischen Kattun vom europ&auml;ischen Markt verdr&auml;ngte; dann f&uuml;hrte es Maschinengarn nach Hindustan ein und &uuml;berschwemmte schlie&szlig;lich das eigentliche Mutterland des Kattuns mit Kattunwaren. Von 1818 bis 1836 stieg die Garnausfuhr aus Gro&szlig;britannien nach Indien im Verh&auml;ltnis von 1 zu 5.200. W&auml;hrend 1824 die Ausfuhr von englischem Musselin nach Indien kaum eine Million Yard erreichte, belief sie sich 1837 schon auf &uuml;ber 64 Millionen Yard. In dem gleichen Zeitraum jedoch sank die Bev&ouml;lkerung Daccas von 150.000 auf 20.000 Einwohner. Dieser Niedergang der durch ihre Gewebe ber&uuml;hmten indischen St&auml;dte war indessen bei weitem noch nicht die schlimmste Folge der britischen Herrschaft. Englische Dampfkraft und englische Wissenschaft zerst&ouml;rten in ganz Hindustan die Bande zwischen Ackerbau und Handwerk.</P>
<B><P><A NAME="S131">&lt;131&gt;</A></B> Die erw&auml;hnten beiden Umst&auml;nde - einerseits, da&szlig; der Hindu, wie alle orientalischen V&ouml;lker, es der Zentralregierung &uuml;berlie&szlig;, sich um die gro&szlig;en &ouml;ffentlichen Arbeiten zu k&uuml;mmern, die doch die erste Voraussetzung f&uuml;r seinen Ackerbau und Handel sind, andrerseits, da&szlig; die Bev&ouml;lkerung &uuml;ber das ganze Land hin verstreut lebte und nur dadurch, da&szlig; Ackerbau und Handwerk h&auml;uslich vereinigt waren, kleine, dichter bev&ouml;lkerte Zentren bildete -, diese beiden Umst&auml;nde hatten seit den &auml;ltesten Zeiten ein gesellschaftliches System mit besonderen Charakterz&uuml;gen hervorgebracht, das sogenannte <I>Dorfsystem</I>, das jeder dieser kleinen Einheiten ihre unabh&auml;ngige Organisation und ihr Eigenleben gab. Ein Urteil &uuml;ber den besondren Charakter dieses Systems kann man gewinnen an Hand der folgenden Schilderung, die einem alten offiziellen Bericht des britischen Unterhauses &uuml;ber indische Fragen entnommen ist:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Ein Dorf ist, geographisch betrachtet, ein St&uuml;ck Land, das einige Hundert oder Tausend Acres urbaren und unbebauten Bodens umfa&szlig;t; politisch gesehen, &auml;hnelt es einer Korporation oder Stadtgemeinde. Zu seinem eigentlichen Personal an Amts- und Hilfspersonen geh&ouml;ren: Der <I>Potail </I>oder Haupteinwohner, dem gew&ouml;hnlich die Oberaufsicht &uuml;ber die Dorfangelegenheiten obliegt. Er schlichtet Streitigkeiten zwischen den Einwohnern, &uuml;bt Polizeigewalt aus und versieht das Amt des Steuereinnehmers in seinem Dorfe, f&uuml;r welche Aufgabe er durch sein pers&ouml;nliches Ansehen und seine gr&uuml;ndliche Vertrautheit mit der Lage und den Verh&auml;ltnissen der Bev&ouml;lkerung am besten geeignet ist Der <I>Kurnum </I>f&uuml;hrt Rechnung &uuml;ber den Ackerbau und registriert alles darauf Bez&uuml;gliche. Dann der <I>Taillier </I>und der <I>Totie</I>; die Aufgabe des ersten besteht in der Untersuchung von Verbrechen und Vergehen sowie im Geleit und Schutz von Personen, die von einem Dorf zum andern ziehen, w&auml;hrend der Wirkungskreis des letzteren unmittelbarer auf das Dorf beschr&auml;nkt zu sein scheint und u.a. darin besteht, die Ertr&auml;ge zu bewachen und bei ihrer Feststellung mitzuwirken. Der <I>Grenzmann </I>sorgt f&uuml;r die Erhaltung der Dorfgrenzen und legt &uuml;ber sie in Streitf&auml;llen Zeugnis ab. Der Vorsteher der Zisternen und Wasserl&auml;ufe verteilt das Wasser f&uuml;r landwirtschaftliche Zwecke. Der <I>Brahmane </I>verrichtet im Dorfe den religi&ouml;sen Kultus. Der Schulmeister lehrt die Dorfkinder, im Sande zu lesen und zu schreiben. Ferner der Kalenderbrahmane oder Astrolog usw. Aus diesen Amts- oder Hilfspersonen setzt sich gew&ouml;hnlich die Dorfverwaltung zusammen. In einigen Teilen des Landes ist sie jedoch weniger umfangreich, weil dort mehrere der oben geschilderten Funktionen in einer Person vereinigt sind; in anderen Gegenden geht sie &uuml;ber den erw&auml;hnten Personenkreis noch hinaus. Unter dieser einfachen Form der Gemeindeverwaltung haben die Einwohner des Landes seit unvordenklichen Zeiten gelebt. Die Grenzen der Dorfgebiete wurden nur selten ge&auml;ndert; und obgleich die D&ouml;rfer wiederholt durch Krieg, Hungersnot und Seuchen heimgesucht, ja verw&uuml;stet wurden, haben derselbe Name, dieselben Grenzen, dieselben Interessen und selbst dieselben Familien sich durch Generationen fortgesetzt. Die Einwohner lie&szlig;en sich durch den Zusammenbruch und die Teilung von <A NAME="S132"><B>&lt;132&gt;</A></B> K&ouml;nigreichen nicht anfechten; solange das Dorf ungeteilt bleibt, ist es ihnen gleichg&uuml;ltig, an welche Macht es abgetreten wird oder welchem Herrscher es zuf&auml;llt. Seine innere Wirtschaft bleibt unver&auml;ndert. Der Potail ist immer noch der Haupteinwohner und &uuml;bt seine Funktion als Bagatell- oder Friedensrichter, als Steuer- oder Pachteinnehmer des Dorfes noch immer aus."</P>
</FONT><P>Diese kleinen stereotypen Formen des gesellschaftlichen Organismus haben sich zum gr&ouml;&szlig;ten Teil aufgel&ouml;st und stehen im Begriff zu verschwinden, nicht so sehr infolge des brutalen Eingreifens des britischen Steuereintreibers und des britischen Soldaten als verm&ouml;ge der Wirkung des englischen Dampfes und des englischen Freihandels. Jene auf der Familie beruhenden Gemeinwesen hatten ihre Grundlage im Hausgewerbe, in jener eigenartigen Verbindung von Handweberei, Handspinnerei und handbetriebenem Ackerbau, die sie in den Stand setzten, sich selbst zu versorgen. Das Eingreifen der Engl&auml;nder, das den Spinner nach Lancashire, den Weber nach Bengalen verpflanzte oder beide, den indischen Spinner wie den indischen Weber, hinwegfegte, f&uuml;hrte zur Aufl&ouml;sung dieser kleinen, halb barbarischen, halb zivilisierten Gemeinwesen, indem es ihre &ouml;konomische Grundlage sprengte und so die gr&ouml;&szlig;te und, die Wahrheit zu sagen, einzige <I>soziale </I>Revolution hervorrief, die Asien je gesehen. Sosehr es nun auch dem menschlichen Empfinden widerstreben mag, Zeuge zu sein, wie Myriaden betriebsamer patriarchalischer und harmloser sozialer Organisationen zerr&uuml;ttet und in ihre Einheiten aufgel&ouml;st werden, hineingeschleudert in ein Meer von Leiden, wie zu gleicher Zeit ihre einzelnen Mitglieder ihrer alten Kulturformen und ihrer ererbten Existenzmittel verlustig gehen, so d&uuml;rfen wir doch dar&uuml;ber nicht vergessen, da&szlig; diese idyllischen Dorfgemeinschaften, so harmlos sie auch aussehen m&ouml;gen, seit jeher die feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet haben, da&szlig; sie den menschlichen Geist auf den denkbar engsten Gesichtskreis beschr&auml;nkten, ihn zum gef&uuml;gigen Werkzeug des Aberglaubens, zum unterw&uuml;rfigen Sklaven traditioneller Regeln machten und ihn jeglicher Gr&ouml;&szlig;e und geschichtlicher Energien beraubten. Wir d&uuml;rfen nicht die barbarische Selbstsucht vergessen, die, an einem elenden St&uuml;ckchen Land klebend, ruhig dem Untergang ganzer Reiche, der Ver&uuml;bung uns&auml;glicher Grausamkeiten, der Niedermetzelung der Einwohnerschaft gro&szlig;er St&auml;dte zusah, ohne sich dar&uuml;ber mehr Gedanken zu machen als &uuml;ber Naturereignisse, dabei selbst jedem Angreifer, der sie auch nur eines Blickes zu w&uuml;rdigen geruhte, hilflos als Beute preisgegeben. Wir d&uuml;rfen nicht vergessen, da&szlig; dieses menschenunw&uuml;rdige, stagnierende Dahinvegetieren, diese passive Art zu leben, auf der andern Seite ihre Erg&auml;nzung fanden in der Beschw&ouml;rung wilder, zielloser, hemmungsloser Kr&auml;fte der Zerst&ouml;rung, und in Hindustan selbst aus dem Mord einen religi&ouml;sen <A NAME="S133"><B>&lt;133&gt;</A></B> Ritus machten. Wir d&uuml;rfen nicht vergessen, da&szlig; diese kleinen Gemeinwesen durch Kastenunterschiede und Sklaverei befleckt waren, da&szlig; sie den Menschen unter das Joch &auml;u&szlig;erer Umst&auml;nde zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher der Umst&auml;nde zu erheben, da&szlig; sie einen sich naturw&uuml;chsig entwickelnden Gesellschaftszustand in ein unver&auml;nderliches, naturgegebnes Schicksal transformierten und so zu jener tierisch rohen Naturanbetung gelangten, deren Entartung zum Ausdruck kam in der Tatsache, da&szlig; der Mensch, der Beherrscher der Natur, vor Hanuman, dem Affen, und Sabbala, der Kuh, and&auml;chtig in die Knie sank.</P>
<P>Gewi&szlig; war schn&ouml;dester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien ausl&ouml;ste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erf&uuml;llen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verh&auml;ltnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewu&szlig;te Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte.</P>
<P>Dann haben wir, so ersch&uuml;tternd das Schauspiel des Zerfalls einer alten Welt f&uuml;r unser pers&ouml;nliches Empfinden auch sein mag, vor der Geschichte das Recht, mit Goethe auszurufen:</P><DIR>
<DIR>
<DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>"Sollte diese Qual uns qu&auml;len,<BR>
Da sie unsre Lust vermehrt;<BR>
Hat nicht Myriaden Seelen<BR>
Timurs Herrschaft aufgezehrt?"</P></DIR>
</DIR>
</DIR>
</DIR>
</FONT><I><P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P>
</I>
</BODY>
</HTML>