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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Vereinbarungssitzung vom 4. Juli (Zweiter Artikel)</title>
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<p align="center"><a href="me05_189.htm"><font size="2">Die Ministerkrisis</font></a> <font
size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
"2">|</font> <a href="me05_198.htm"><font size="2">Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue
Rheinische Zeitung"</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 190-197<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Vereinbarungssitzung vom 4. Juli<br>
</font> (Zweiter Artikel)</p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 41 vom 11. Juli 1848]</font></p>
<p><b><a name="S190">&lt;190&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 9. Juli. Welch ein dringend
notwendiger Akt der Gerechtigkeit gegen die Polen die Ernennung einer Untersuchungskommission
mit unbedingter Vollmacht ist, geht aus dem Bericht hervor, den wir seit drei Tagen angefangen
haben, nach authentischen Aktenst&uuml;cken zu geben.</p>
<p>Die altpreu&szlig;ischen Beamten, schon von vornherein in einer feindlichen Stellung gegen
die Polen, sahen sich durch die Reorganisationsverhei&szlig;ungen in ihrer Existenz bedroht.
Der kleinste Akt der Gerechtigkeit gegen die Polen brachte ihnen Gefahr. Daher die fanatische
Wut, womit sie, unterst&uuml;tzt von der losgelassenen Soldateska, &uuml;ber die Polen
herfielen, die Konventionen brachen, die harmlosesten Leute mi&szlig;handelten, die
gr&ouml;&szlig;ten Sch&auml;ndlichkeiten durchgehen lie&szlig;en oder sanktionierten, nur um
die Polen zu einem Kampfe zu zwingen, in dem ihre Erdr&uuml;ckung durch die kolossalste
&Uuml;bermacht gewi&szlig; war.</p>
<p>Das Ministerium Camphausen, nicht nur schwach, ratlos, schlecht berichtet, sondern sogar
<i>absichtlich</i>, aus Prinzip unt&auml;tig, lie&szlig; alles gehen, wie es ging. Die
schauderhaftesten Barbareien geschahen, und Herr Camphausen r&uuml;hrte sich nicht.</p>
<p>Welche Berichte liegen jetzt vor &uuml;ber den posenschen B&uuml;rgerkrieg?</p>
<p>Hier die parteiischen, interessierten Berichte der Urheber des Kriegs, der Beamten, der
Offiziere, und die auf beide gest&uuml;tzten Data, die das Ministerium geben kann. Das
Ministerium ist ebenfalls <i>selbst</i> Partei, solange Herr Hansemann darin sitzt. Diese
Aktenst&uuml;cke sind parteiisch, aber sie sind <i>offiziell</i>.</p>
<p>Dort die von den Polen gesammelten Tatsachen, ihre Klagschriften ans Ministerium, namentlich
die Briefe des Erzbischofs Przyluski an die Minister. Diese Aktenst&uuml;cke haben meist keinen
offiziellen Charakter, ihre Verfasser erbieten sich aber zum Beweise der Wahrheit.</p>
<p><b><a name="S191">&lt;191&gt;</a></b> Die beiden Klassen von Berichten widersprechen
einander total, und die Kommission soll untersuchen, welche Seite recht hat.</p>
<p>Sie kann - wenige Ausnahmsf&auml;lle abgerechnet - dies nur dadurch tun, da&szlig; sie sich
an Ort und Stelle begibt und durch Zeugenverh&ouml;r wenigstens die wichtigsten Punkte ins
klare bringt. Wird ihr dies untersagt, so ist ihre ganze T&auml;tigkeit illusorisch, so mag sie
eine gewisse historisch-philologische Kritik &uuml;ben, den einen oder den andern Bericht
f&uuml;r glaubw&uuml;rdiger erkl&auml;ren, aber entscheiden kann sie nicht.</p>
<p>Die ganze Bedeutung der Kommission h&auml;ngt also von der Befugnis ab, Zeugen zu
verh&ouml;ren, und daher der Eifer s&auml;mtlicher Polenfresser in der Versammlung, sie durch
allerlei tiefsinnige und spitzfindige Gr&uuml;nde zu beseitigen, daher der Staatsstreich am
Schlu&szlig; der Sitzung.</p>
<p>Der Abgeordnete <i>Bloem</i> sagte in der Debatte des 4. [Juli]:</p>
<p><font size="2">"Hei&szlig;t es Wahrheit erforschen, wenn man, wie einige Amendements wollen,
aus den Regierungsvorlagen die Wahrheit sch&ouml;pfen will? Wahrlich mitnichten! Woraus sind
die Regierungsvorlagen entstanden? Aus den Berichten der Beamten gr&ouml;&szlig;tenteils.
Woraus sind die Beamten hervorgegangen? Aus dem alten System. Sind diese Beamten verschwunden,
hat man aus neuer, volkst&uuml;mlicher Wahl neue Landr&auml;te eingesetzt? Keineswegs. Werden
wir von den Beamten &uuml;ber die wahre Stimmung unterrichtet? Die alten Beamten berichten noch
heute wie fr&uuml;her. Es ist also klar, die blo&szlig;e Einsicht der Ministerialakten wird uns
zu nichts f&uuml;hren."</font></p>
<p>Der Abgeordnete <i>Richter</i> geht noch weiter. Er sieht in dem Benehmen der Posener
Beamten nur die &auml;u&szlig;erste, aber notwendige Folge der Beibehaltung des alten
Verwaltungssystems und der alten Beamten &uuml;berhaupt. &Auml;hnliche Konflikte zwischen der
Amtspflicht und dem Interesse der alten Beamten k&ouml;nnen alle Tage auch in andern Provinzen
vorkommen.</p>
<p><font size="2">"Wir haben seit der Revolution ein anderes Ministerium und sogar ein zweites
erhalten; aber das Ministerium ist ja nur die Seele, es hat &uuml;berall gleichm&auml;&szlig;ig
zu organisieren. Dagegen in den Provinzen ist &uuml;berall die alte Organisation der Verwaltung
dieselbe geblieben. Wollen Sie ein anderes Bild haben? Man gie&szlig;t nicht den neuen Wein in
alte verrottete Schl&auml;uche. Auf diese Art haben wir im Gro&szlig;herzogtum die
furchtbarsten Klagen. Sollten wir nicht schon deswegen eine Kommission niedersetzen, da&szlig;
man sehe, wie sehr es n&ouml;tig ist, in andern Provinzen ebensogut wie in Posen, die alte
Organisation durch eine neue zu ersetzen, die f&uuml;r Zeit und Umst&auml;nde
pa&szlig;t?"</font></p>
<p>Der Abgeordnete <i>Richter</i> hat recht. Nach einer Revolution ist eine Erneuerung
s&auml;mtlicher Zivil- und Milit&auml;rbeamten sowie eines Teils der gerichtlichen, und
besonders der <i>Parquets</i>, die erste Notwendigkeit. Sonst scheitern die besten
Ma&szlig;regeln der Zentralgewalt an der Widerhaarigkeit der Subalternen. Die Schw&auml;che der
franz&ouml;sischen provisorischen Regierung, die <a name="S192"><b>&lt;192&gt;</b></a>
Schw&auml;che des Ministeriums Camphausen haben in dieser Beziehung bittere Fr&uuml;chte
getragen.</p>
<p>In Preu&szlig;en aber, wo eine seit vierzig Jahren vollst&auml;ndig organisierte
b&uuml;rokratische Hierarchie in der Verwaltung und im Milit&auml;r mit absoluter Gewalt
geherrscht hat, in Preu&szlig;en, wo gerade diese B&uuml;rokratie der Hauptfeind war, den man
am 19. M&auml;rz besiegt hatte, hier war die vollst&auml;ndige Erneuerung der Zivil- und
Milit&auml;rbeamten noch unendlich dringender. Aber das Ministerium der Vermittlung hatte
nat&uuml;rlich nicht den Beruf, revolution&auml;re Notwendigkeiten durchzuf&uuml;hren. Es hatte
eingestandnerma&szlig;en den Beruf, gar nichts zu tun, und lie&szlig; daher seinen alten
Gegnern, den B&uuml;rokraten, einstweilen die wirkliche Macht in den H&auml;nden. Es
"vermittelte" die alte B&uuml;rokratie mit den neuen Zust&auml;nden; daf&uuml;r "vermittelte"
die B&uuml;rokratie ihm den posenschen B&uuml;rgerkrieg und die Verantwortlichkeit f&uuml;r
Grausamkeiten, wie sie seit dem Drei&szlig;igj&auml;hrigen Kriege nicht mehr vorgekommen
waren.</p>
<p>Das Ministerium Hansemann, Erbe des Ministeriums Camphausen, hatte s&auml;mtliche Aktiva und
Passiva seines Erblassers &uuml;bernehmen m&uuml;ssen, also nicht nur die Majorit&auml;t in der
Kammer, sondern auch die posenschen Ereignisse und die posenschen Beamten. Das Ministerium war
also direkt interessiert, die Untersuchung durch die Kommission so illusorisch wie m&ouml;glich
zu machen. Die Redner der ministeriellen Majorit&auml;t, und namentlich die Juristen, wandten
ihren ganzen Vorrat von Kasuistik und Spitzfindigkeit an, um einen tiefsinnigen, prinzipiellen
Grund zu entdecken, weshalb die Kommission keine Zeugen verh&ouml;ren d&uuml;rfe. Es w&uuml;rde
zu weit f&uuml;hren, wollten wir uns hier auf die Bewunderung der Jurisprudenz eines
Reichensperger usw. einlassen. Wir m&uuml;ssen uns darauf beschr&auml;nken, die gr&uuml;ndliche
Er&ouml;rterung des Herrn Ministers <i>K&uuml;hlwetter</i> ans Tageslicht hervorzuziehen.</p>
<p>Herr <i>K&uuml;hlwetter</i>, die materielle Frage g&auml;nzlich beiseite lassend, beginnt
mit der Erkl&auml;rung, wie &auml;u&szlig;erst angenehm es dem Ministerium sein werde, wenn
solche Kommissionen ihm in Erf&uuml;llung seiner schweren Aufgabe durch Aufkl&auml;rungen etc.
zur Hand gingen. Ja, h&auml;tte Herr Reuter nicht den gl&uuml;cklichen Einfall gehabt, eine
solche Kommission vorzuschlagen &lt;Siehe <a href=
"me05_048.htm">"Vereinbarungsdebatten"</a>&gt;, so w&uuml;rde Herr K&uuml;hlwetter unbedingt
selbst darauf gedrungen haben. Man m&ouml;ge der Kommission nur recht weitl&auml;uftige
Auftr&auml;ge geben (damit sie nie fertig werde), er sei damit einverstanden, da&szlig; eine
&auml;ngstliche Abw&auml;gung durchaus nicht erforderlich sei. Sie m&ouml;ge die ganze
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Provinz Posen in den Bereich ihrer Wirksamkeit ziehen;
sofern es sich nur um Aufkl&auml;rungen handle, werde das Ministerium die Kompetenz der <a
name="S193">Kommis<b>&lt;193&gt;</b></a> sion nicht &auml;ngstlich pr&uuml;fen. Freilich
k&ouml;nne man zu weit gehen, doch &uuml;berlasse er es der Weisheit der Kommission, ob sie
z.B. auch die Frage wegen Absetzung der posenschen Beamten in ihren Bereich ziehen wolle.</p>
<p>Soweit die einleitenden Konzessionen des Herrn Ministers, die, mit einigen
biederm&auml;nnischen Deklamationen verbr&auml;mt, sich mehrerer lebhaften Bravos zu erfreuen
hatten. Jetzt folgen die <i>Aber</i>.</p>
<p><font size="2">"Wenn <i>aber</i> bemerkt worden ist, da&szlig; die Berichte &uuml;ber Posen
unm&ouml;glich ein richtiges Licht verbreiten k&ouml;nnten, weil es nur Beamte seien, und zwar
Beamte aus der alten Zeit, halte ich es f&uuml;r meine Pflicht, einen ehrenwerten Stand in
Schutz zu nehmen. Ist es wahr, da&szlig; einzelne Beamte ihrer Pflicht nicht getreu gewesen
sind, so ahnde man dies an den einzelnen Pflichtvergessenen, aber der <i>Stand</i> der Beamten
darf niemals herabgew&uuml;rdigt werden, weil einzelne Glieder desselben ihre Pflicht verletzt
haben."</font></p>
<p>Wie k&uuml;hn Herr K&uuml;hlwetter auftritt! Allerdings haben einzelne Pflichtverletzungen
stattgefunden, aber im ganzen haben die Beamten ihre Pflicht in ehrenwerter Weise getan.</p>
<p>Und in der Tat, die Masse der posenschen Beamten <i>hat</i> ihre "Pflicht" getan, ihre
"Pflicht gegen ihren Diensteid", gegen das ganze altpreu&szlig;ische System der
B&uuml;rokratie, gegen ihr eignes, mit dieser Pflicht zusammenfallendes Interesse. Sie haben
ihre Pflicht erf&uuml;llt, indem ihnen jedes Mittel gut war, um den 19. M&auml;rz in Posen zu
vernichten. Und gerade deswegen, Herr K&uuml;hlwetter, ist es Ihre "Pflicht", diese Beamten in
Masse abzusetzen!</p>
<p>Aber Herr K&uuml;hlwetter spricht von der durch die vorrevolution&auml;ren Gesetze
bestimmten Pflicht, da wo es sich von einer ganz andern Pflicht handelt, die nach jeder
Revolution eintritt und die darin besteht, die ver&auml;nderten Verh&auml;ltnisse richtig
aufzufassen und ihre Entwicklung zu bef&ouml;rdern. Und den Beamten zumuten, sie sollen den
b&uuml;rokratischen Standpunkt mit dem konstitutionellen vertauschen, sie sollen sich ebensogut
wie die neuen Minister auf den Boden der Revolution stellen, das hei&szlig;t nach Herrn
K&uuml;hlwetter einen ehrenwerten Stand herabw&uuml;rdigen!</p>
<p>Auch den Vorwurf, es seien Parteih&auml;upter beg&uuml;nstigt und Verbrechen ungestraft
geblieben, weist Herr K&uuml;hlwetter in dieser Allgemeinheit zur&uuml;ck. Man soll einzelne
F&auml;lle angeben.</p>
<p>Behauptet Herr K&uuml;hlwetter etwa alles Ernstes, auch nur ein kleiner Teil der
Brutalit&auml;ten und Grausamkeiten sei bestraft worden, die die preu&szlig;ische Soldateska
ver&uuml;bt, die die Beamten zugelassen und unterst&uuml;tzt, denen die Deutschpolen und Juden
Beifall zugejubelt haben? Herr K&uuml;hlwetter sagt, er habe bisher das kolossale Material noch
nicht von allen Seiten pr&uuml;fen k&ouml;nnen. In der Tat, er scheint es h&ouml;chstens nach
einer Seite hin gepr&uuml;ft zu haben.</p>
<p><b><a name="S194">&lt;194&gt;</a></b> Jetzt aber kommt Herr K&uuml;hlwetter zu der
"schwierigsten und bedenklichsten Frage", n&auml;mlich der, in welchen <i>Formen</i> die
Kommission verhandeln solle. Herr K&uuml;hlwetter h&auml;tte diese Frage gr&uuml;ndlicher
diskutiert gew&uuml;nscht, denn "es liegt in dieser Frage, wie mit Recht bemerkt worden, eine
Prinzipienfrage, die Frage des droit d'enquete &lt;Rechts der Untersuchung&gt;".</p>
<p>Herr K&uuml;hlwetter begl&uuml;ckt uns nun mit einer l&auml;ngeren Entwicklung &uuml;ber die
Teilung der Gewalten im Staat, die gewi&szlig; manches Neue f&uuml;r die oberschlesischen und
pommerschen Bauern in der Versammlung enthielt. Es macht einen merkw&uuml;rdigen Eindruck, im
Jahre des Heils 1848 einen preu&szlig;ischen Minister, und noch dazu einen "Minister der Tat",
auf der Trib&uuml;ne mit feierlichem Ernst den Montesquieu auslegen zu h&ouml;ren.</p>
<p>Die Teilung der Gewalten, die Herr K&uuml;hlwetter und andre gro&szlig;e Staatsphilosophen
als ein heiliges und unverletzliches Prinzip mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten, ist im
Grunde nichts anders als die profane industrielle Teilung der Arbeit, zur Vereinfachung und
Kontrolle angewandt auf den Staatsmechanismus. Sie wird wie alle andern heiligen, ewigen und
unverletzlichen Prinzipien nur soweit angewandt, als sie gerade den bestehenden
Verh&auml;ltnissen zusagt. So laufen in der konstitutionellen Monarchie z.B. die gesetzgebende
und vollziehende Gewalt in der Person des F&uuml;rsten durcheinander; ferner in den Kammern die
gesetzgebende Gewalt mit der Kontrolle &uuml;ber die vollziehende usw. Diese unentbehrlichen
Beschr&auml;nkungen der Teilung der Arbeit im Staat dr&uuml;cken nun Staatsweise von der Force
eines "Ministers der Tat" folgenderma&szlig;en aus:</p>
<p><font size="2">"Die gesetzgebende Gewalt, soweit dieselbe durch die Volksrepr&auml;sentation
ausge&uuml;bt wird, hat ihre eigenen Organe; die vollziehende Gewalt hat ihre eignen Organe und
nicht minder die richterliche Gewalt. Es ist <i>daher</i> (!) nicht zul&auml;ssig, da&szlig;
die eine Gewalt direkt die Organe der andern Gewalt in Anspruch nehme, es sei denn, da&szlig;
es ihr <i>durch ein besonderes Gesetz</i> &uuml;bertragen werde."</font></p>
<p>Die Abweichung von der Teilung der Gewalten ist nicht zul&auml;ssig, "es sei denn, da&szlig;
sie durch ein besondres Gesetz" vorgeschrieben sei! Und umgekehrt, die Anwendung der
vorgeschriebenen Teilung der Gewalten ist ebenfalls nicht zul&auml;ssig, "es sei denn,
da&szlig; sie durch besondere Gesetze" vorgeschrieben sei! Welcher Tiefsinn! Welche
Aufschl&uuml;sse!</p>
<p>Von dem Fall einer Revolution, wo die Teilung der Gewalten ohne "ein besonderes Gesetz"
aufh&ouml;rt, spricht Herr K&uuml;hlwetter gar nicht.</p>
<p>Herr K&uuml;hlwetter ergeht sich nun in eine Er&ouml;rterung dar&uuml;ber, da&szlig; die
Vollmacht f&uuml;r die Kommission, Zeugen eidlich zu vernehmen, Beamte zu <a name=
"S195"><b>&lt;195&gt;</b></a> requirieren usw., kurz, mit <i>eignen Augen</i> zu sehen, ein
Eingriff in die Teilung der Gewalten sei und durch ein besonderes Gesetz festgestellt werden
m&uuml;sse. Als Beispiel wird die belgische Konstitution beigebracht, deren Artikel 40 das
droit d'enquete den Kammern ausdr&uuml;cklich gibt.</p>
<p>Aber, Herr K&uuml;hlwetter, besteht denn in Preu&szlig;en gesetzlich und tats&auml;chlich
eine Teilung der Gewalten in dem Sinn, in welchem Sie das Wort verstehen, in konstitutionellem
Sinn? Ist die existierende Teilung der Gewalten nicht die beschr&auml;nkte, zugestutzte, die
der <i>absoluten</i>, der b&uuml;rokratischen Monarchie entspricht? Wie kann man also
konstitutionelle Phrasen auf sie anwenden, ehe sie konstitutionell reformiert ist? Wie
k&ouml;nnen die Preu&szlig;en einen Artikel 40 der Konstitution haben, solange diese
Konstitution selbst noch gar nicht existiert?</p>
<p>Res&uuml;mieren wir. Nach Herrn K&uuml;hlwetter ist die Ernennung einer Kommission mit
unbeschr&auml;nkter Vollmacht ein Eingriff in die konstitutionelle Teilung der Gewalten. Die
konstitutionelle Teilung der Gewalten besteht in Preu&szlig;en noch gar nicht; man kann also
auch keinen Eingriff in sie tun.</p>
<p>Aber sie soll eingef&uuml;hrt werden, und w&auml;hrend des revolution&auml;ren Provisoriums,
in dem wir leben, mu&szlig; sie nach der Ansicht des Herrn K&uuml;hlwetter als <i>schon
bestehend</i> vorausgesetzt werden. H&auml;tte Herr K&uuml;hlwetter recht, so m&uuml;&szlig;ten
doch wahrlich auch die konstitutionellen <i>Ausnahmen</i> als bestehend vorausgesetzt werden!
Und zu diesen konstitutionellen Ausnahmen geh&ouml;rt ja gerade das Untersuchungsrecht der
gesetzgebenden K&ouml;rper!</p>
<p>Aber Herr K&uuml;hlwetter hat keineswegs recht. Im Gegenteil: Das revolution&auml;re
Provisorium besteht gerade darin, da&szlig; die Teilung der Gewalten provisorisch
<i>aufgehoben</i> ist, da&szlig; die gesetzgebende Beh&ouml;rde die Exekutivgewalt oder die
Exekutivbeh&ouml;rde die gesetzgebende Gewalt momentan an sich rei&szlig;t. Ob die
revolution&auml;re Diktatur (sie ist eine Diktatur, mag sie noch so schlaff ge&uuml;bt werden)
sich in den H&auml;nden der Krone oder einer Versammlung oder beider zusammen befindet, ist
ganz gleichg&uuml;ltig. Will Herr K&uuml;hlwetter Beispiele aller drei F&auml;lle, die
franz&ouml;sische Geschichte seit 1789 liefert die Menge.</p>
<p>Das Provisorium, an das Herr K&uuml;hlwetter appelliert, beweist gerade gegen ihn. Es gibt
der Versammlung noch ganz andere Attribute als das blo&szlig;e Untersuchungsrecht - es gibt ihr
sogar das Recht, sich n&ouml;tigenfalls in einen <i>Gerichtshof</i> zu verwandeln und ohne
Gesetze zu verurteilen!</p>
<p>H&auml;tte Herr K&uuml;hlwetter diese Konsequenzen vorausgesehen, er w&auml;re vielleicht
etwas vorsichtiger mit der "Anerkennung der Revolution" umgegangen.</p>
<p><b><a name="S196">&lt;196&gt;</a></b> Aber er beruhige sich:</p>
<div style="margin-left: 12em">
<p><font size="2">Deutschland, die fromme Kinderstube,<br>
Ist keine r&ouml;mische M&ouml;rdergrube,<br>
&lt;H. Heine, "Zur Beruhigung"&gt;</font></p>
</div>
<p>und die Herren Vereinbarer m&ouml;gen sitzen, solange sie wollen, sie werden nie ein "langes
Parlament" werden.</p>
<p>Wenn wir &uuml;brigens den Amtsdoktrin&auml;r des Ministeriums der Tat mit seinem
Vorg&auml;nger in der Doktrin, Herrn Camphausen, vergleichen, so finden wir doch einen
bedeutenden Abstand. Herr Camphausen besa&szlig; jedenfalls unendlich mehr Originalit&auml;t;
er streifte an Guizot, aber Herr K&uuml;hlwetter erreicht nicht einmal den winzigen Lord John
Russell.</p>
<p>Wir haben die staatsphilosophische F&uuml;lle der K&uuml;hlwetterschen Rede genugsam
bewundert. Betrachten wir jetzt den Zweck, den eigentlichen praktischen Grund dieser bemoosten
Weisheit, dieser ganzen Montesquieuschen Teilungstheorie.</p>
<p>Herr K&uuml;hlwetter kommt n&auml;mlich jetzt zu den Konsequenzen seiner Theorie. Das
Ministerium ist ausnahmsweise geneigt, die Beh&ouml;rden anzuweisen, dasjenige
auszuf&uuml;hren, was die Kommission f&uuml;r n&ouml;tig findet. Nur dagegen mu&szlig; es sich
erkl&auml;ren, da&szlig; Auftr&auml;ge an die Beh&ouml;rden direkt von der Kommission ausgehen;
d.h. die Kommission, ohne direkte Verbindung mit den Beh&ouml;rden, ohne Macht &uuml;ber sie,
kann sie nicht zwingen, ihr andere Auskunft zu schaffen, als die die Beh&ouml;rden zu geben
f&uuml;r gut finden. Und dazu noch der schleppende Gesch&auml;ftsgang, der endlose
Instanzenzug! Ein h&uuml;bsches Mittel, unter dem Vorwande der Teilung der Gewalten die
Kommission illusorisch zu machen!</p>
<p><font size="2">"Es kann die Absicht nicht sein, der Kommission die ganze Aufgabe zu
&uuml;bertragen, welche die Regierung hat."</font></p>
<p>Als ob jemand daran d&auml;chte, der Kommission das Recht zum <i>Regieren</i> zu geben!</p>
<p><font size="2">"Die Regierung w&uuml;rde <i>neben</i> der Kommission zu ermitteln fortfahren
m&uuml;ssen, welche Ursachen der Entzweiung in Posen zu Grunde gelegen" (eben da&szlig; sie
schon so lange "ermittelt" und noch nichts ausgemittelt hat, ist Grund genug, sie jetzt ganz
au&szlig;er Frage zu lassen), "und dadurch, da&szlig; auf doppeltem Weg dieser Zweck verfolgt
wird, d&uuml;rfte Zeit und M&uuml;he oft unn&uuml;tz verwendet und d&uuml;rften Kollisionen
kaum zu vermeiden sein."</font></p>
<p>Nach den bisherigen Antezedentien w&uuml;rde die Kommission gewi&szlig; sehr viel "Zeit und
M&uuml;he unn&uuml;tz verwenden", wenn sie sich auf Herrn K&uuml;hlwetters Vorschlag mit dem
langwierigen Instanzenzuge einlie&szlig;. Die Kollisionen sind auf diesem Wege ebenfalls viel
leichter, als wenn die Kommission direkt <a name="S197"><b>&lt;197&gt;</b></a> mit den
Beh&ouml;rden verkehrt und sofort Mi&szlig;verst&auml;ndnisse aufkl&auml;ren,
b&uuml;rokratische Trotzgel&uuml;ste niederschlagen kann.</p>
<p><font size="2">"Es scheint <i>daher</i> (!) in der Natur der Sache zu liegen, da&szlig; die
Kommission im <i>Einverst&auml;ndnis</i> mit dem Ministerium und unter <i>steter Mitwirkung</i>
desselben den Zweck zu erreichen suche."</font></p>
<p>Immer besser! Eine Kommission, die das Ministerium kontrollieren soll, im
Einverst&auml;ndnis mit ihm und unter seiner steten Mitwirkung! Herr K&uuml;hlwetter geniert
sich nicht, merken zu lassen, wie er es f&uuml;r w&uuml;nschenswert h&auml;lt, da&szlig; die
Kommission unter seiner Kontrolle, nicht er unter der ihrigen stehe.</p>
<p><font size="2">"Wollte dagegen die Kommission eine isolierte Stellung einnehmen, so
m&uuml;&szlig;te die Frage entstehen, ob da die Kommission die Verantwortlichkeit
&uuml;bernehmen will und kann, welche dem Ministerium obliegt. Mit ebensoviel Wahrheit als
Geist ist bereits die Bemerkung gemacht worden, da&szlig; die Unverletzlichkeit der Deputierten
mit dieser Verantwortlichkeit nicht vereinbarlich ist."</font></p>
<p>Es handelt sich nicht um Verwaltung, sondern blo&szlig; um Feststellung von Tatsachen. Die
Kommission soll die Vollmacht erhalten, die dazu n&ouml;tigen Mittel anzuwenden. Das ist alles.
Da&szlig; sie sowohl wegen nachl&auml;ssiger, wie wegen &uuml;bertriebener Anwendung dieser
Mittel der Versammlung verantwortlich ist, versteht sich von selbst.</p>
<p>Die ganze Sache hat mit ministerieller Verantwortlichkeit und
Deputiertenunverantwortlichkeit ebensowenig [zu] tun wie mit "Wahrheit" und "Geist".</p>
<p>Genug, Herr K&uuml;hlwetter legte diese Vorschl&auml;ge zur L&ouml;sung der Kollision unter
dem Vorwand der Teilung der Gewalten den Vereinbarern ans Herz, ohne indes einen bestimmten
Vorschlag zu machen. Das Ministerium der Tat f&uuml;hlt sich auf unsicherm Boden.</p>
<p>Wir k&ouml;nnen auf die weitere Diskussion nicht eingehen. Die Abstimmungen sind bekannt:
die Niederlage der Regierung bei der namentlichen Abstimmung, der Staatsstreich der Rechten,
die eine bereits verworfene Frage nachtr&auml;glich noch annahm. Wir haben dies alles schon
gegeben. Wir f&uuml;gen nur hinzu, da&szlig; unter den Rheinl&auml;ndern, die <i>gegen</i> die
unbedingte Vollmacht der Kommission stimmten, uns folgende Namen auffallen:</p>
<p>Arntz, Dr. jur. Bauerband, Frencken, Lensing, v. Loe, Reichensperger II, Simons und der
letzte, aber nicht der geringste, unser Oberprokurator <i>Zweiffel</i>.</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
</body>
</html>