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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Britischer Handel und Finanzen</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 570-573.</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Britischer Handel und Finanzen</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</FONT> &nbsp;</P>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 5445 vom 4. Oktober 1858]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S570">&lt;570&gt;</A></B> London, 14. September 1858</P>
<P>Bei der <A HREF="me12_539.htm">Besprechung des Berichts der vom Unterhaus ernannten Kommission &uuml;ber die Krise von 1857/58</A> haben wir erstens die sch&auml;dlichen Tendenzen des Bankakts von Sir Robert Peel gezeigt und zweitens mit der falschen Vorstellung aufger&auml;umt, die Emissionsbanken bes&auml;&szlig;en die F&auml;higkeit, die allgemeinen Preise durch eine willk&uuml;rliche Erweiterung oder Einschr&auml;nkung des Papiergeldumlaufes zu beeinflussen. Nun kommen wir zu der Frage: Was waren die wirklichen Ursachen der Krise? Die Kommission behauptet, da&szlig; sie "mit Befriedigung" festgestellt habe, "da&szlig; die k&uuml;rzliche Handelskrise in diesem Lande ebenso wie die in Amerika und Nordeuropa haupts&auml;chlich &uuml;berm&auml;&szlig;iger Spekulation und dem Mi&szlig;brauch des Kredits zuzuschreiben sei". Der Wert dieser Feststellung wird gewi&szlig; nicht im geringsten geschm&auml;lert durch den Umstand, da&szlig; die Welt, um dies herauszufinden, nicht auf die parlamentarische Kommission gewartet hat, und da&szlig; der ganze Nutzen, den die Gesellschaft m&ouml;glicherweise aus der Entdeckung h&auml;tte ziehen k&ouml;nnen, jetzt v&ouml;llig abgeschrieben werden mu&szlig;. Wenn man die Richtigkeit der Feststellung zugibt - und wir sind weit davon entfernt, sie zu bestreiten -, l&ouml;st sie das soziale Problem oder &auml;ndert sie nur die Formulierung der Frage? Damit ein System des fiktiven Kredits entstehen kann. sind immer zwei Parteien erforderlich - Schuldner und Gl&auml;ubiger. Da&szlig; die erste Partei jederzeit die Tendenz hat, mit dem Kapital anderer Leute Handel zu treiben und bem&uuml;ht ist, sich auf deren Kosten zu bereichern, scheint so &uuml;beraus klar, da&szlig; uns das Gegenteil verwundern w&uuml;rde. Die Frage ist vielmehr, wie kommt es, da&szlig; bei allen modernen industriellen Nationen Men- <A NAME="S571"><B>&lt;571&gt;</A></B> schen, wie von einem periodischen Anfall gepackt, sich unter dem Einflu&szlig; h&ouml;chst durchsichtiger Illusionen von ihrem Verm&ouml;gen trennen, und dies trotz eindringlicher Warnungen, die sich alle zehn Jahre wiederholen. Was sind die sozialen Verh&auml;ltnisse, die fast regelm&auml;&szlig;ig diese Perioden allgemeiner Selbstt&auml;uschung, der &Uuml;berspekulation und des fiktiven Kredits hervorbringen? Wenn man sie einmal aufsp&uuml;rte, w&uuml;rden wir zu einer recht einfachen Alternative gelangen: Entweder k&ouml;nnen die sozialen Verh&auml;ltnisse von der Gesellschaft kontrolliert werden, oder sie wohnen dem jetzigen System der Produktion inne. Im ersten Fall kann die Gesellschaft Krisen vermeiden; im zweiten Fall m&uuml;ssen sie wie der nat&uuml;rliche Wechsel der Jahreszeiten ertragen werden, solange das System existiert.</P>
<P>Wir betrachten es als einen wesentlichen Mangel nicht nur des letzten Parlamentsberichts, sondern auch des "Berichts &uuml;ber die Handelskrise von 1847" und aller anderen &auml;hnlichen Berichte, die ihnen vorausgegangen sind, da&szlig; sie jede neue Krise als eine isolierte Erscheinung behandeln, welche erstmalig am sozialen Horizont erscheint und folglich nur durch jene Ereignisse, Bewegungen und Faktoren erkl&auml;rt werden mu&szlig;, die ausschlie&szlig;lich f&uuml;r eine Periode, die gerade zwischen der vorletzten und der letzten Ersch&uuml;tterung liegt, charakteristisch sind oder als charakteristisch angesehen werden. Wenn Naturforscher nach der gleichen sch&uuml;lerhaften Methode verf&uuml;hren, m&uuml;&szlig;te selbst das Wiedererscheinen eines Kometen die Welt &uuml;berraschen. Versucht man die Gesetze aufzudecken, von denen die Krisen des Weltmarkts beherrscht werden, dann mu&szlig; man nicht nur ihren periodischen Charakter, sondern auch die genauen Daten dieser periodischen Wiederkehr erkl&auml;ren. &Uuml;berdies d&uuml;rfen die unterschiedlichen Merkmale, die jeder neuen Handelskrise eigen sind, nicht die ihnen allen gemeinsamen Aspekte &uuml;berschatten. Wir w&uuml;rden die Grenzen und den Zweck unserer gegenw&auml;rtigen Aufgabe &uuml;berschreiten, wenn wir solch eine Untersuchung auch nur in den fl&uuml;chtigsten Umrissen darzustellen versuchten. Soviel scheint jedoch unbestritten zu sein, da&szlig; die Kommission des Unterhauses, weit davon entfernt, das Problem zu l&ouml;sen, diese Frage nicht einmal richtig formuliert hat.</P>
<P>Es fehlt den Fakten, bei denen die Kommission verweilt, um das System des fiktiven Kredits zu illustrieren, nat&uuml;rlich der Reiz der Neuheit. Das System selbst funktionierte in England nach einem sehr einfachen Prinzip. Der fiktive Kredit wurde mit Hilfe von Gef&auml;lligkeitswechseln geschaffen. Diese wurden haupts&auml;chlich von Aktienbanken diskontiert, die sie ihrerseits bei Londoner Wechselmaklern rediskontieren lie&szlig;en. Die Londoner Wechselmakler, welche nur auf das Indossament der Bank und nicht auf die Wechsel selbst achteten, verlie&szlig;en sich ihrerseits nicht auf ihre eigenen Reserven, <A NAME="S572"><B>&lt;572&gt;</A></B> sondern auf die ihnen seitens der Bank von England gew&auml;hrten Verg&uuml;nstigungen Die Prinzipien der Londoner Wechselmakler kann man aus folgender Anekdote erkennen, die Herr Dixon, der ehemalige gesch&auml;ftsf&uuml;hrende Direktor der Liverpooler Borough Bank, der Kommission erz&auml;hlte:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Bei einer zuf&auml;lligen Unterhaltung &uuml;ber die ganze Angelegenheit machte einer der Wechselmakler die Bemerkung, da&szlig; die Borough Bank ohne den Akt Sir Robest Peels ihre Zahlungen nicht h&auml;tte einzustellen brauchen. Ich erwiderte darauf, was auch immer die Vorz&uuml;ge des Akts Sir Robert Peels sein m&ouml;gen, ich f&uuml;r mein Teil w&auml;re nicht willens gewesen, auch nur einen Finger zur Unterst&uuml;tzung der in Schwierigkeit geratenen Borough Bank zu r&uuml;hren, wenn das die Fortsetzung des vorher praktizierten erb&auml;rmlichen Gesch&auml;ftssystems bedeutet h&auml;tte, und ich f&uuml;gte hinzu, wenn ich, bevor ich gesch&auml;ftsf&uuml;hrender Direktor geworden war, nur halb soviel vom Gesch&auml;ftsgebaren der Borough Bank gewu&szlig;t h&auml;tte, wie Sie gewu&szlig;t haben m&uuml;ssen, da Sie eine gro&szlig;e Menge der von der Borough Bank diskontierten Wechsel sahen, k&ouml;nnte man mich niemals dazu verleiten, ein Aktion&auml;r zu werden." Die Antwort darauf lautete: "Auch mich w&uuml;rden Sie nicht dazu verleitet haben. Es war f&uuml;r mich sehr sch&ouml;n, Wechsel zu diskontieren, doch ein Aktion&auml;r w&auml;re ich auch nicht geworden."</P>
</FONT><P>Die Borough Bank in Liverpool, die Western Bank of Scotland in Glasgow und die Northumberland and Durham District Bank, deren Gesch&auml;fte die Kommission genauester Pr&uuml;fung unterzog, scheinen bei dem Wettrennen der Mi&szlig;wirtschaft die Siegespalme davongetragen zu haben. Die Western Bank in Glasgow, welche in Schottland 101 Filialen sowie Verbindungen in Amerika hatte, gestattete das Trassieren blo&szlig; um der Kommission willen, erh&ouml;hte ihre Dividende 1854 von 7 auf 8 Prozent, 1856 von 8 auf 9 Prozent und gab noch im Juni 1857, als der gr&ouml;&szlig;te Teil ihres Kapitals nicht mehr vorhanden war, eine Dividende von 9 Prozent bekannt. Ihre Diskontierungen, die 14.987.000 Pfd.St. im Jahre 1853 betragen hatten, waren 1857 auf 20.691.000 Pfd.St. angewachsen. Die Rediskontierungen der Bank in London, die sich 1852 auf 407.000 Pfd.St. beliefen, waren 1856 auf 5.407.000 Pfd.St. angestiegen. W&auml;hrend das ganze Kapital der Bank nur 1.500.000 Pfd.St. betrug, erschien bei ihrem Bankrott im November 1857 die Summe von 1.603.000 Pfd.St., die allein die vier Teilzahlungsh&auml;user MacDonald, Monteith, Wallace und Pattison ihr schulden sollten. Eine der Hauptoperationen der Bank bestand darin, Vorsch&uuml;sse auf "Zinsen" zu geben, d.h. Fabrikanten wurden mit Kapital versorgt, dessen Sicherheit in dem eventuellen Verkauf der mittels des vorgeschossenen Darlehens hergestellten Ware bestand. Die Leichtfertigkeit, mit der das Diskontierungsgesch&auml;ft gehandhabt wurde, wird aus dem Umstand ersichtlich, da&szlig; Wechsel von MacDonald von 127 verschiedenen Parteien akzeptiert wurden; nur 37 wurden nachgepr&uuml;ft, davon <A NAME="S573"><B>&lt;573&gt;</A></B> fiel bei 21 der Bericht unbefriedigend oder ausgesprochen schlecht aus. Doch der Kredit f&uuml;r MacDonald dauerte unvermindert an. Seit 1848 wurde in den B&uuml;chern der Bank eine Unterschiebung vorgenommen, wodurch Schulden in Kredite und Verluste in Guthaben umgewandelt wurden.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Mittel", sagt der Bericht, "mit denen diese Art Maskierung vollzogen werden kann, werden vielleicht am besten verst&auml;ndlich, wenn man berichtet, auf welche Weise man sich einer Schuld, Scarth's Schuld genannt, entledigt hatte, die in verschiedenen Rubriken von Guthaben gef&uuml;hrt wurde. Diese Schuld belief sich auf 20.000 Pfd.St., und sie h&auml;tte bei den zu Protest gegangenen Wechseln erscheinen m&uuml;ssen. Sie wurde jedoch auf vier oder f&uuml;nf offene Kreditkonten aufgeteilt, die die Namen der Empf&auml;nger von Scarth's Wechseln trugen. Diese Konten wurden mit dem Betrag ihrer entsprechenden Akzeptierungen debitiert, und es wurden Versicherungen f&uuml;r das Leben der Schuldner in H&ouml;he von 75.000 Pfd.St. abgeschlossen. Bei diesen Versicherungen wurden 33.000 Pfd.St. Pr&auml;mie von der Bank selbst gezahlt. Diese stehen nun alle als Aktiva in den B&uuml;chern."</P>
</FONT><P>Schlie&szlig;lich ergab die Untersuchung, da&szlig; die eigenen Aktion&auml;re der Bank 988.000 Pfd.St. geschuldet haben.</P>
<P>W&auml;hrend das gesamte Kapital der Northumberland and Durham District Bank sich nur auf 600.000 Pfd.St. belief, hatte sie fast 1.000.000 Pfd.St. der zahlungsunf&auml;higen Derwent Iron Company geliehen. Obwohl Herr Jonathan Richardson, der die Triebfeder der Bank war und faktisch jene Person darstellte, die alles leitete, kein direkter Teilhaber der Derwent Iron Company gewesen ist, war er sehr stark an diesem wenig aussichtsreichen Gesch&auml;ft interessiert, da er Tantiemen aus der Gewinnung der Erze erhielt. Dieser Fall stellt daher ein interessantes Beispiel daf&uuml;r dar, wie das ganze Kapital einer Aktienbank aufgefressen worden ist einzig und allein zu dem Zweck, den privaten Spekulationen eines seiner gesch&auml;ftsf&uuml;hrenden Direktoren zu n&uuml;tzen.</P>
<P>Diese zwei Beispiele aus den im Bericht der Kommission enthaltenen Enth&uuml;llungen werfen ein tr&uuml;bes Licht auf die Moral und das allgemeine Verhalten der Aktienhandelsunternehmen. Es ist offensichtlich, da&szlig; diese Einrichtungen, deren rasch wachsender Einflu&szlig; auf die Wirtschaft der V&ouml;lker kaum &uuml;bersch&auml;tzt werden kann, noch weit davon entfernt sind, ihre richtige Verfassung ausgearbeitet zu haben. Obwohl sie machtvolle Hebel zur Entwicklung der Produktivkr&auml;fte der modernen Gesellschaft sind, haben sie noch nicht, wie die mittelalterlichen Korporationen, ein korporatives Gewissen entwickelt an Stelle der individuellen Verantwortlichkeit, von der sie sich schon durch ihre ganze Struktur zu entledigen vermochten.</P>
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