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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>Friedrich Engels - Die deutsche Reichsverfassungskampagne - II</title>
</head>
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<p align="center"><a href="me07_115.htm"><font size="2">I - Rheinpreu&szlig;en</font></a> |
<a href="me07_109.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> | <a href="me07_146.htm"><font size=
"2">III - Die Pfalz</font></a></p>
<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die deutsche
Reichsverfassungskampagne", S. 133-145<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
<p align="center"><font size="5">II</font></p>
<p align="center"><font size="5">Karlsruhe</font></p>
<p><b><a name="S133">&lt;133&gt;</a></b> Der Aufstand in Baden kam unter den g&uuml;nstigsten
Umst&auml;nden zustande, in denen eine Insurrektion sich nur befinden kann. Das ganze Volk war
einig in dem Ha&szlig; gegen eine wortbr&uuml;chige, achseltr&auml;gerische und in ihren
politischen Verfolgungen grausame Regierung. Die reaktion&auml;ren Klassen, Adel, B&uuml;rokratie
und gro&szlig;e Bourgeoisie, waren wenig zahlreich. Eine gro&szlig;e Bourgeoisie besteht
&uuml;berhaupt in Baden nur embryonisch. Mit Ausnahme dieser wenigen Adeligen, Beamten und
Bourgeois, mit Ausnahme der Karlsruher und Baden-Badener vom Hof und von reichen Fremden lebenden
Kr&auml;mer, mit Ausnahme einiger Heidelberger Professoren und eines halben Dutzend
Bauernd&ouml;rfer um Karlsruhe war das ganze Land ungeteilt f&uuml;r die Bewegung. Die Armee, die
in andern Aufst&auml;nden erst besiegt werden mu&szlig;te, die Armee, von ihren adligen
Offizieren mehr als irgendwo anders schikaniert, seit einem Jahre von der demokratischen Partei
bearbeitet, seit kurzem durch Einf&uuml;hrung einer Art allgemeiner Wehrpflicht noch mehr mit
rebellischen Elementen versetzt, die Armee stellte sich hier an die Spitze der Bewegung und trieb
sie sogar weiter, als die b&uuml;rgerlichen Leiter der Offenburger Versammlung wollten. Die Armee
gerade war es, die in Rastatt und Karlsruhe die "Bewegung" in eine Insurrektion verwandelte.</p>
<p>Die insurrektionelle Regierung fand also bei ihrem Amtsantritt eine fertige Armee, reichlich
versehene Arsenal, eine vollst&auml;ndig organisierte Staatsmaschine, einen gef&uuml;llten
Staatsschatz und eine so gut wie einstimmige Bev&ouml;lkerung vor. Sie fand ferner auf dem linken
Rheinufer, in der Pfalz, eine bereits fertige Insurrektion vor, die ihr die linke Flanke deckte;
in Rheinpreu&szlig;en eine Insurrektion, die zwar stark bedroht, aber noch nicht besiegt war; in
W&uuml;rttemberg, in Franken, in beiden Hessen und Nassau eine allgemeine Aufregung, selbst unter
der Armee, die nur eines Funkens bedurfte, um den badischen Aufstand in ganz S&uuml;d- und
Mitteldeutschland zu wiederholen und wenigstens 50.000 bis 60.000 Mann regul&auml;rer Truppen der
Emp&ouml;rung zu Gebot zu stellen.</p>
<p><b><a name="S134">&lt;134&gt;</a></b> Was unter diesen Umst&auml;nden zu tun war, ist so
einfach und handgreiflich, da&szlig; jetzt nach der Unterdr&uuml;ckung des Aufstandes jedermann
es wei&szlig;, jedermann es gleich von Anfang gesagt haben will. Es handelte sich darum, sofort
und ohne einen Augenblick zu zaudern, den Aufstand weiterzutragen nach Hessen, Darmstadt,
Frankfurt, Nassau und W&uuml;rttemberg. Es handelte sich darum, sofort von den disponiblen
regul&auml;ren Truppen 8.000 bis 10.000 Mann zusammenzuraffen - mit der Eisenbahn konnte das in
zwei Tagen geschehen - und sie nach Frankfurt zu werfen - "zum Schutz der Nationalversammlung".
Die erschrockene hessische Regierung war durch die Schlag auf Schlag einander folgenden
Fortschritte des Aufstandes wie festgebannt; ihre Truppen waren notorisch g&uuml;nstig gestimmt
f&uuml;r die Badenser; sie, sowenig wie der Frankfurter Senat, konnten den mindesten Widerstand
leisten. Die in Frankfurt stationierten kurhessischen, w&uuml;rttembergischen und
Darmst&auml;dter Truppen waren f&uuml;r die Bewegung; die dortigen Preu&szlig;en - meist
Rheinl&auml;nder - schwankten; die &Ouml;sterreicher waren wenig zahlreich. Die Ankunft der
Badenser, man mochte nun versuchen, sie zu verhindern oder nicht, mu&szlig;te die Insurrektion
bis ins Herz beider Hessen und Nassaus tragen, den R&uuml;ckzug der Preu&szlig;en und
&Ouml;streicher nach Mainz erzwingen und die zitternde deutsche sogenannte Nationalversammlung
unter den terrorisierenden Einflu&szlig; einer insurgierten Bev&ouml;lkerung und einer
insurgierten Armee stellen. Brach dann der Aufstand an der Mosel, in der Eifel, in
W&uuml;rttemberg und Franken nicht sofort los, so waren Mittel genug vorhanden, ihn auch in diese
Provinzen zu tragen.</p>
<p>Man mu&szlig;te ferner die Macht der Insurrektion zentralisieren, ihr die n&ouml;tigen
Geldmittel zur Verf&uuml;gung stellen und durch sofortige Abschaffung aller Feudallasten die
gro&szlig;e ackerbautreibende Mehrzahl der Bev&ouml;lkerung bei der Insurrektion interessieren.
Herstellung einer gemeinsamen Zentralmacht f&uuml;r Krieg und Finanzen mit der Vollmacht,
Papiergeld <a name="Z1"></a><a href="me07_133.htm#M1">(1)</a> auszugeben, zun&auml;chst f&uuml;r Baden und
die Pfalz, Aufhebung aller Feudallasten in Baden und jedem von der Insurrektionsarmee besetzten
Bezirk h&auml;tten vorderhand hingereicht, um dem Aufstand einen ganz anders energischen
Charakter zu geben.</p>
<p>Alles das mu&szlig;te jedoch im ersten Augenblick geschehen, um mit der Schnelligkeit
durchgef&uuml;hrt zu werden, die allein den Erfolg sichern konnte. Acht Tage nach Einsetzung des
Landesausschusses war es schon zu sp&auml;t. Die rheinische Insurrektion war unterdr&uuml;ckt,
W&uuml;rttemberg und Hessen r&uuml;hrten sich nicht, die anfangs g&uuml;nstig gestimmten
Truppenteile wurden unsicher, <a name="S135"><b>&lt;135&gt;</b></a> sie folgten schlie&szlig;lich
wieder ganz ihren reaktion&auml;ren Offizieren. Der Aufstand hatte seinen allgemeindeutschen
Charakter verloren, er war ein rein badischer oder badisch-pf&auml;lzischer Lokalaufstand
geworden.</p>
<p>Wie ich nach Beendigung des Kampfes erfahren, hatte der ehemalige badische Unterleutnant F.
Sigel, der w&auml;hrend des Aufstandes als "Oberst" und sp&auml;ter als "Obergeneral" sich einen
mehr oder weniger zweideutigen Zwerglorbeer errang, gleich im Anfang dem Landesausschu&szlig;
einen Plan vorgelegt, nach dem man die Offensive ergreifen sollte. Dieser Plan hat das Verdienst,
den richtigen Gedanken zu enthalten, da&szlig; unter allen Umst&auml;nden angegriffen werden
m&uuml;sse; im &uuml;brigen ist er der abenteuerlichste, der nur vorgeschlagen werden konnte.
Sigel wollte mit einem badischen Korps zuerst nach Hohenzollern r&uuml;cken und die
Hohenzollersche Republik proklamieren, sodann Stuttgart nehmen und von da, nach Insurgierung
W&uuml;rttembergs, auf N&uuml;rnberg marschieren und im Herzen des ebenfalls insurgierten
Frankens ein gro&szlig;es Lager aufschlagen. Man sieht, da&szlig; dieser Plan die moralische
Wichtigkeit Frankfurts, dessen Besitz der Insurrektion erst einen allgemeindeutschen Charakter
gab, und die strategische Wichtigkeit der Mainlinie g&auml;nzlich unber&uuml;cksichtigt
lie&szlig;. Man sieht, da&szlig; er ganz andre Streitkr&auml;fte voraussetzte, als wirklich
disponibel waren, und da&szlig; er sich schlie&szlig;lich, nach einem vollst&auml;ndig
Don-Quijoteschen oder Schillschen Streifzug, ins Blaue verlief, um dem Aufstand die
st&auml;rkste, die unter allen s&uuml;ddeutschen Armeen einzig entschieden feindliche Armee, die
<i>bayrische</i>, sofort auf die Fersen zu hetzen, noch ehe er sich durch den &Uuml;bertritt der
hessischen und nassauischen Truppen verst&auml;rken konnte.</p>
<p>Die neue Regierung lie&szlig; sich auf gar keine Offensive ein, unter dem Vorwand, die
Soldaten seien fast s&auml;mtlich auseinander- und nach Hause gegangen. Abgesehen davon,
da&szlig; dies nur bei einzelnen wenigen Truppenteilen, namentlich beim Leibregiment, der Fall
war, so waren selbst diese auseinandergegangenen Soldaten binnen drei Tagen fast alle wieder bei
ihren Fahnen.</p>
<p>Die Regierung hatte &uuml;brigens ganz andere Gr&uuml;nde, sich gegen jede Offensive zu
str&auml;uben.</p>
<p>An der Spitze der ganzen badischen Reichsverfassungsagitation stand Herr <i>Brentano</i>, ein
Advokat, der mit dem immer etwas mesquinen Ehrgeiz eines deutschen Kleinstaatenvolksmannes und
mit der anscheinenden Gesinnungst&uuml;chtigkeit, die in S&uuml;ddeutschland &uuml;berhaupt die
erste Bedingung aller Popularit&auml;t ist, eine gewisse diplomatische Schlauheit verband, die
hinreichte, seine ganze Umgebung, mit Ausnahme vielleicht eines einzigen, vollst&auml;ndig zu
beherrschen. Herr Brentano - es ist jetzt trivial geworden, aber <a name=
"S136"><b>&lt;136&gt;</b></a> es ist richtig -, Herr Brentano und seine Partei, die st&auml;rkste
im Lande, verlangte auf der Offenburger Versammlung weiter nichts als Ver&auml;nderungen der
gro&szlig;herzoglichen Politik, die nur mit einem <i>Ministerium Brentano</i> m&ouml;glich waren.
Die Antwort des Gro&szlig;herzogs, die allgemeine Agitation, riefen die Rastatter
Milit&auml;rrevolte hervor - gegen den Willen und die Absichten Brentanos. In dem Augenblick, als
Herr Brentano an die Spitze des Landesausschusses gesetzt wurde, war er schon &uuml;berholt von
der Bewegung, mu&szlig;te er sie schon zu hemmen suchen. Da kam der Krawall in Karlsruhe hinzu;
der Gro&szlig;herzog floh, und derselbe Umstand, der Herrn Brentano an die Spitze der Verwaltung
rief, der ihm sozusagen diktatorische Gewalt gab, vereitelte alle seine Pl&auml;ne, brachte ihn
dahin, diese Gewalt gegen dieselbe Bewegung zu verwenden, die ihm die Gewalt verschafft hatte.
W&auml;hrend das Volk &uuml;ber die Entfernung des Gro&szlig;herzogs jubelte, sa&szlig;en Herr
Brentano und sein getreuer Landesausschu&szlig; wie auf Kohlen.</p>
<p>Dieser Landesausschu&szlig;, fast ausschlie&szlig;lich aus badischen Biederm&auml;nnern mit
der t&uuml;chtigsten Gesinnung und mit den unklarsten K&ouml;pfen bestehend, aus "reinen
Republikanern", die vor der Proklamierung der Republik zitterten und vor der geringsten
energischen Ma&szlig;regel sich bekreuzten - dieser echte Spie&szlig;b&uuml;rgerausschu&szlig;
war nat&uuml;rlich ganz von Brentano abh&auml;ngig. Die Rolle, die in Elberfeld der Advokat
H&ouml;chster &uuml;bernommen hatte, diese Rolle &uuml;bernahm hier auf einem etwas
gr&ouml;&szlig;eren Terrain der Advokat Brentano. Von den drei &lt;In der "Revue": beiden&gt;
fremdartigen Elementen, die aus dem Gef&auml;ngnis in den Landesausschu&szlig; kamen, Blind,
Fickler und Struve, wurde Blind so sehr von Brentanoschen Intrigen umsponnen, da&szlig; ihm, der
ganz allein stand, nichts &uuml;brigblieb, als in der Eigenschaft eines Vertreters von Baden ins
Exil nach Paris zu wandern; Fickler mu&szlig;te eine gef&auml;hrliche Mission nach Stuttgart
&uuml;bernehmen; Struve erschien Herrn Brentano so wenig gef&auml;hrlich, da&szlig; er ihn ruhig
im Landesausschu&szlig; duldete, ihn &uuml;berwachte und ihn unpopul&auml;r zu machen suchte, was
ihm auch vollst&auml;ndig gelang. Man wei&szlig;, wie Struve mit mehren andern einen "Klub des
entschiedenen (oder vielmehr besonnenen) Fortschritts" stiftete, der nach einer verfehlten
Demonstration aufgel&ouml;st wurde. Wenige Tage nachher war Struve in der Pfalz, mehr oder
weniger "Fl&uuml;chtling", und versuchte dort abermals seinen "Deutschen Zuschauer"
herauszugeben. Die Probenummer war kaum erschienen, als die Preu&szlig;en einr&uuml;ckten.</p>
<p>Der Landesausschu&szlig;, von vornherein ein reines Werkzeug Brentanos, erw&auml;hlte ein
Exekutivkomitee, an dessen Spitze abermals Brentano stand. Dieses <a name=
"S137"><b>&lt;137&gt;</b></a> Exekutivkomitee ersetzte sehr bald den Landesausschu&szlig; fast
ganz, lie&szlig; sich h&ouml;chstens von ihm die Kredite und die getroffenen Ma&szlig;regeln
best&auml;tigen und entfernte die mehr oder weniger unzuverl&auml;ssigen Mitglieder des
gr&ouml;&szlig;eren Ausschusses durch allerlei untergeordnete Missionen in die Kreise oder zur
Armee. Endlich beseitigte es den Landesausschu&szlig; vollst&auml;ndig durch die ganz unter
Brentanos Einflu&szlig; gew&auml;hlte "Konstituante" und verwandelte sich in eine "provisorische
Regierung", deren Haupt nat&uuml;rlich abermals Herr Brentano war. Er war es, der die Minister
ernannte. Und welche Minister - Florian M&ouml;rdes und Mayerhofer!</p>
<p>Herr Brentano war der vollkommenste Repr&auml;sentant des badischen Kleinb&uuml;rgertums. Er
unterschied sich von der Masse der Kleinb&uuml;rger und ihren sonstigen Repr&auml;sentanten nur
dadurch, da&szlig; er zu einsichtig war, um alle ihre Illusionen zu teilen. Herr Brentano hat die
badische Insurrektion vom ersten Augenblick an verraten, und gerade deswegen, <i>weil</i> er die
Lage der Dinge vom ersten Augenblick an richtiger erkannte als irgendeine andere offizielle
Person in Baden, weil er die einzigen Ma&szlig;regeln ergriff, die der Kleinb&uuml;rgerschaft die
Herrschaft bewahren, aber ebendeshalb auch die ganze Insurrektion zugrunde richten mu&szlig;ten.
Dies ist das Geheimnis der damaligen grenzenlosen Popularit&auml;t Brentanos und zugleich das
Geheimnis der Beschimpfungen, die seit Juli von seinen ehemaligen Verehrern auf ihn geh&auml;uft
werden. Die badischen Kleinb&uuml;rger waren der Masse nach ebensogut Verr&auml;ter wie Brentano;
sie waren zu gleicher Zeit d&uuml;piert, was er nicht war. Sie verrieten aus Feigheit, sie
lie&szlig;en sich d&uuml;pieren aus Dummheit.</p>
<p>In Baden, wie &uuml;berhaupt in S&uuml;ddeutschland, gibt es fast gar keine gro&szlig;e
Bourgeoisie. Die Industrie und der Handel des Landes sind unbedeutend. Es gibt daher auch nur ein
sehr wenig zahlreiches, sehr zersplittertes, wenig entwickeltes Proletariat. Die Masse der
Bev&ouml;lkerung teilt sich in Bauern (die Mehrzahl), Kleinb&uuml;rger und Handwerksgesellen. Die
letzteren, die st&auml;dtischen Arbeiter, in kleinen St&auml;dten zerstreut, ohne irgendein
gr&ouml;&szlig;eres Zentrum, in dem sich eine selbst&auml;ndige Arbeiterpartei ausbilden
k&ouml;nnte, stehen oder standen wenigstens bisher unter dem vorwiegenden gesellschaftlichen und
politischen Einflu&szlig; der Kleinb&uuml;rger. Die Bauern, noch mehr &uuml;ber die
Oberfl&auml;che des Landes zerstreut, ohne Bildungsmittel, haben mit den Kleinb&uuml;rgern
ohnehin teils zusammenfallende, teils sozusagen parallellaufende Interessen und standen daher
ebenfalls unter ihrer politischen Vormundschaft. Die Kleinb&uuml;rger, vertreten durch Advokaten,
&Auml;rzte, Schulmeister, einzelne Kaufleute und Buchh&auml;ndler, beherrschten also teils
direkt, teils durch ihre Vertreter die ganze politische Bewegung in Baden seit dem M&auml;rz
1848.</p>
<p>Dieser Abwesenheit des Gegensatzes von Bourgeoisie und Proletariat und <a name=
"S138"><b>&lt;138&gt;</b></a> dem daraus hervorgehenden politischen &Uuml;bergewicht der
Kleinb&uuml;rgerschaft ist es zuzuschreiben, da&szlig; eine sozialistische Agitation in Baden
eigentlich nie existiert hat. Die sozialistischen Elemente, die von au&szlig;en hineinkamen, sei
es durch Arbeiter, die in entwickelteren L&auml;ndern gewesen waren, sei es durch den
Einflu&szlig; der franz&ouml;sischen oder deutschen sozialistischen und kommunistischen
Literatur, konnten sich nie Bahn brechen. Das rote Band und die rote Fahne bedeuteten in Baden
nichts andres als die b&uuml;rgerliche Republik, wenn es hoch kam, mit etwas Terrorismus
versetzt, und die von Herrn Struve entdeckten "sechs Gei&szlig;eln der Menschheit", so
b&uuml;rgerlich unschuldig sie sind, waren das &Auml;u&szlig;erste, das bei der Masse noch
Anklang finden konnte. Das h&ouml;chste Ideal des badischen Kleinb&uuml;rgers und Bauern blieb
immer die kleine b&uuml;rgerlich-b&auml;uerliche Republik, wie sie in der Schweiz seit 1830
besteht. Ein kleines T&auml;tigkeitsfeld f&uuml;r kleine, bescheidene Leute, der Staat eine etwas
vergr&ouml;&szlig;erte Gemeinde, ein "Kanton"; eine kleine, stabile, auf Handarbeit
gest&uuml;tzte Industrie, die einen ebenso stabilen und schl&auml;frigen Gesellschaftszustand
bedingt; wenig Reichtum, wenig Armut, lauter Mittelstand und Mittelm&auml;&szlig;igkeit; kein
F&uuml;rst, keine Zivilliste, keine stehende Armee, fast keine Steuern; keine aktive Beteiligung
an der Geschichte, keine ausw&auml;rtige Politik, lauter inl&auml;ndischer kleiner Lokalklatsch
und kleine Z&auml;nkereien en famille &lt;unter sich&gt;; keine gro&szlig;e Industrie, keine
Eisenbahnen, kein Welthandel, keine sozialen Kollisionen zwischen Million&auml;ren und
Proletariern, sondern ein stilles, gem&uuml;tliches Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit,
in der kleinen, geschichtslosen Bescheidenheit zufriedener Seelen - das ist das sanfte Arkadien,
das im gr&ouml;&szlig;ten Teile der Schweiz existiert und f&uuml;r dessen Einf&uuml;hrung der
badische Kleinb&uuml;rger und Bauer seit Jahren geschw&auml;rmt hat. Und erweitert sich in
Momenten k&uuml;hnerer Begeisterung der Gedanke des badischen und, sagen wir es, des
s&uuml;ddeutschen Kleinb&uuml;rgers &uuml;berhaupt zu der Vorstellung von ganz Deutschland, so
schwebt ihm das Ideal von Deutschlands Zukunft vor in der Gestalt einer vergr&ouml;&szlig;erten
Schweiz, in der Gestalt der F&ouml;derativrepublik. So hat auch Herr Struve in einer
Brosch&uuml;re Deutschland bereits in 24 Kantone mit ebensoviel Landamm&auml;nnern und
gro&szlig;en und kleinen R&auml;ten eingeteilt und sogar die Landkarte mit der fertigen
Einteilung der Brosch&uuml;re beigeheftet. K&ouml;nnte Deutschland sich jemals in ein solches
Arkadien verwandeln, so w&auml;re es damit auf einer Stufe der Erniedrigung angekommen, von der
es bisher selbst in seinen schmachvollsten Zeiten keine Ahnung hatte.</p>
<p>Die s&uuml;ddeutschen Kleinb&uuml;rger hatten inzwischen schon mehr als einmal die Erfahrung
gemacht, da&szlig; eine Revolution, und tr&uuml;ge sie auch ihre eigene <a name=
"S139"><b>&lt;139&gt;</b></a> b&uuml;rgerlich-republikanische Fahne, ihr geliebtes stilles
Arkadien sehr leicht im Strudel weit kolossalerer Konflikte, wirklicher Klassenk&auml;mpfe, mit
wegschwemmen k&ouml;nnte. Daher die Furcht der Kleinb&uuml;rger nicht nur vor jeder
revolution&auml;ren Ersch&uuml;tterung, sondern auch vor ihrem eignen Ideal der f&ouml;derierten
Tabak- und Bierrepublik. Daher ihre Begeisterung f&uuml;r die Reichsverfassung, die wenigstens
ihre n&auml;chsten Interessen befriedigte und ihnen Hoffnung gab, bei dem blo&szlig; suspensiven
Veto des Kaisers die Republik zu gelegener Zeit auf gesetzlichem Wege einzuf&uuml;hren. Daher
ihre &Uuml;berraschung, als das badische Milit&auml;r ihnen ungefragt eine fertige Insurrektion
auf dem Pr&auml;sentierteller &uuml;berreichte, daher ihre Furcht, die Insurrektion &uuml;ber die
Grenzen des zuk&uuml;nftigen Kantons Baden hinaus zu verbreiten. Die Feuersbrunst h&auml;tte ja
auch einmal Gegenden ergreifen k&ouml;nnen, in denen es gro&szlig;e Bourgeois und massenhaftes
Proletariat gab, Gegenden, in denen sie dem Proletariat die Gewalt in die Hand legte, und dann -
wehe dem Eigentum!</p>
<p>Was tat unter diesen Umst&auml;nden Herr Brentano?</p>
<p>Was die Kleinb&uuml;rgerschaft in Rheinpreu&szlig;en mit Bewu&szlig;tsein getan hatte, tat er
in Baden f&uuml;r die Kleinb&uuml;rgerschaft: Er verriet die Insurrektion, aber er rettete die
Kleinb&uuml;rgerschaft.</p>
<p>Keineswegs durch seine letzten Handlungen, durch seine Flucht nach der Niederlage an der Murg,
wie der endlich entt&auml;uschte badische Kleinb&uuml;rger sich einbildete, sondern vom ersten
Augenblick an verriet Brentano die Insurrektion. Gerade die Ma&szlig;regeln, denen die badischen
Spie&szlig;b&uuml;rger und mit ihnen ein Teil der Bauern und selbst die Handwerker am meisten
zujubelten, gerade diese Ma&szlig;regeln verrieten die Bewegung an Preu&szlig;en. Gerade dadurch,
da&szlig; Brentano verriet, wurde er so popul&auml;r, kettete er den fanatischen Enthusiasmus des
Spie&szlig;b&uuml;rgers an seine Fersen. Der kleine B&uuml;rger &uuml;bersah den Verrat an der
Bewegung &uuml;ber der raschen Herstellung der Ordnung und Sicherheit, &uuml;ber der
augenblicklichen Hemmung der Bewegung selbst; und als es zu sp&auml;t war, als er, in der
Bewegung kompromittiert, die Bewegung und sich mit ihr verloren sah, schrie er &uuml;ber Verrat,
fiel er mit der ganzen Entr&uuml;stung des geprellten Biedermannes &uuml;ber seinen treuesten
Diener her.</p>
<p>Herr Brentano freilich ist auch geprellt worden. Er hoffte als gro&szlig;er Mann der
"gem&auml;&szlig;igten" Partei, d.h. eben der Kleinb&uuml;rgerschaft, aus der Bewegung
hervorzugehn, und er hat bei Nacht und Nebel schm&auml;hlich ausrei&szlig;en m&uuml;ssen vor
seiner eignen Partei, vor seinen besten Freunden, denen pl&ouml;tzlich ein erschreckendes Licht
aufging. Er hoffte sich sogar die M&ouml;glichkeit eines gro&szlig;herzoglichen Ministerpostens
offenhalten zu k&ouml;nnen und hat zum Dank f&uuml;r seine Klugheit die Fu&szlig;tritte aller
Parteien, die Unm&ouml;glichkeit, jemals auch nur noch irgendeine Rolle spielen zu k&ouml;nnen.
Aber freilich, man <a name="S140"><b>&lt;140&gt;</b></a> kann gescheuter sein als s&auml;mtliche
Kleinb&uuml;rger irgendeines deutschen Raubstaats und darum doch seine sch&ouml;nsten Hoffnungen
geknickt, seine edelsten Absichten mit Kot beworfen sehn!</p>
<p>Von dem ersten Tage seiner Regierung an tat Herr Brentano alles, um die Bewegung in das
spie&szlig;b&uuml;rgerliche Bett einzud&auml;mmen, das sie zu &uuml;berschreiten kaum versucht
hatte. Unter dem Schutz der Karlsruher, dem Gro&szlig;herzog ergebenen B&uuml;rgerwehr, derselben
B&uuml;rgerwehr, die sich den Tag zuvor noch gegen die Bewegung geschlagen hatte, zog er ins
St&auml;ndehaus ein, um von hier aus die Bewegung zu z&uuml;geln. Die R&uuml;ckberufung der
desertierten Soldaten geschah mit m&ouml;glichster Schl&auml;frigkeit; die Reorganisierung der
Bataillone wurde nicht rascher betrieben. Dagegen bewaffnete man sofort die Mannheimer
entwaffneten Spie&szlig;b&uuml;rger, von denen jeder wu&szlig;te, da&szlig; sie sich nicht
schlagen w&uuml;rden, und die nach dem Wagh&auml;useler Gefecht sich sogar dem Verrat Mannheims
durch ein Dragonerregiment zum gro&szlig;en Teil angeschlossen haben. Von einem Marsche nach
Frankfurt oder Stuttgart, von einer Verbreitung der Insurrektion nach Nassau oder Hessen war gar
nicht die Rede. Wurde ein Vorschlag der Art gemacht, so war er auch sogleich beseitigt, wie der
Sigelsche. Von der Emittierung von Papiergeld zu sprechen, h&auml;tte f&uuml;r ein
Staatsverbrechen, f&uuml;r kommunistisch gegolten. Die Pfalz schickte Gesandte &uuml;ber
Gesandte: Sie sei waffenlos, sie habe keine Gewehre, von Artillerie gar nicht zu sprechen, keine
Munition, sie bed&uuml;rfe alles dessen, was zur Durchf&uuml;hrung einer Insurrektion und
namentlich zur Einnahme der Festungen Landau und Germersheim n&ouml;tig sei; aber von Herrn
Brentano war nichts zu erhalten. Sie trug auf sofortige Einsetzung eines gemeinsamen
Milit&auml;rkommandos, ja auf Vereinigung beider L&auml;nder unter einer einzigen gemeinsamen
Regierung an. Alles wurde verschleppt und verz&ouml;gert. Ein kleiner Geldzuschu&szlig; ist,
glaube ich, das einzige, was die Pfalz bekommen konnte; sp&auml;ter, als es zu sp&auml;t war,
kamen acht Gesch&uuml;tze mit etwas Munition, ohne Bedienung und Bespannung, und endlich auf
Mieroslawskis direkten Befehl ein badisches Bataillon und zwei M&ouml;rser, von denen, wenn ich
mich recht erinnere, einer einen Schu&szlig; getan hat.</p>
<p>Mit dieser Verschleppung und Beseitigung der notwendigsten Ma&szlig;regeln, die die
Insurrektion h&auml;tten weitertragen k&ouml;nnen, war die ganze Bewegung schon verraten. Nach
innen wurde mit derselben Nonchalance verfahren. Von Aufhebung der Feudallasten war keine Rede;
Herr Brentano wu&szlig;te sehr gut, da&szlig; in den Bauern mehr revolution&auml;re Elemente
steckten, namentlich im Oberland, als ihm lieb war, und da&szlig; er sie daher eher
zur&uuml;ckhalten als noch tiefer in die Bewegung schleudern m&uuml;sse. Die neuen Beamten waren
meist Kreaturen Brentanos oder total unf&auml;hig; die alten Beamten, mit Ausnahme <a name=
"S141"><b>&lt;141&gt;</b></a> derer, die zu direkt bei der Reaktion der letzten zw&ouml;lf Monate
kompromittiert und daher von selbst desertiert waren, behielten s&auml;mtlich ihre Stellen, zum
gro&szlig;en Entz&uuml;cken aller ruhigen B&uuml;rger. Sogar Herr Struve fand noch in den letzten
Tagen des Mai an der "Revolution" zu loben, da&szlig; alles so h&uuml;bsch ruhig abgegangen sei
und fast alle Beamten in ihren Stellen h&auml;tten bleiben k&ouml;nnen. - Im &uuml;brigen wirkten
Herr Brentano und seine Agenten dahin, da&szlig; alles, wo m&ouml;glich, ins alte Geleis
zur&uuml;ckkehre, da&szlig; m&ouml;glichst wenig Unruhe und Aufregung herrsche und das
revolution&auml;re Exterieur des Landes baldigst verschwinde.</p>
<p>In der Milit&auml;rorganisation herrschte derselbe Schlendrian. Man tat nicht mehr, als was
man unm&ouml;glich unterlassen konnte. Die Truppen wurden ohne F&uuml;hrer, ohne
Besch&auml;ftigung, ohne Ordnung gelassen; der unf&auml;hige "Kriegsminister" Eichfeld und sein
Nachfolger, der Verr&auml;ter Mayerhofer, wu&szlig;ten sie nicht einmal ertr&auml;glich zu
dislozieren. Die Truppenkonvois kreuzten sich auf der Eisenbahn, ohne Zweck, ohne Resultat. Die
Bataillone wurden heute hierhin gef&uuml;hrt, morgen wieder zur&uuml;ck, kein Mensch konnte
absehen, weshalb. In den Garnisonen zogen sie von einem Wirtshaus ins andere, weil sie nichts
anderes zu tun hatten. Es schien, als sollten sie absichtlich demoralisiert werden, als wolle die
Regierung ihnen den letzten Rest von Disziplin geradezu austreiben. Die Organisation des ersten
Aufgebots der sogenannten Volkswehr, d.h. aller waffenf&auml;higen Mannschaft bis zu 30 Jahren,
wurde dem bekannten Joh. Ph. Becker, einem naturalisierten Schweizer und Offizier der
eidgen&ouml;ssischen Armee, &uuml;bertragen. Inwieweit Becker von Brentano in der Ausf&uuml;hrung
seiner Mission gehemmt wurde, wei&szlig; ich nicht. Ich wei&szlig; aber, da&szlig; Brentano nach
dem R&uuml;ckzuge der Pf&auml;lzer Armee auf badisches Gebiet, als die gebieterischen Forderungen
der schlechtbekleideten und schlechtbewaffneten Pf&auml;lzer sich nicht mehr zur&uuml;ckweisen
lie&szlig;en - da&szlig; Brentano damals mit folgenden Worten seine H&auml;nde in Unschuld wusch:
"Meinetwegen gebt ihnen, was ihr wollt; aber wenn der Gro&szlig;herzog wiederkommt, so soll er
wenigstens wissen, wer ihm seine Vorr&auml;te so verschleudert hat!" Wenn also die badische
Volkswehr teils schlecht, teils gar nicht organisiert war, so ist nicht zu zweifeln, da&szlig;
die Hauptschuld auch hier auf Brentano und auf den schlechten Willen oder die Ungeschicklichkeit
seiner Kommiss&auml;re in den einzelnen Kreisen f&auml;llt.</p>
<p>Als Marx und ich nach der Unterdr&uuml;ckung der "Neuen Rheinischen Zeitung" zuerst auf
badisches Gebiet kamen - es mochte der 20. oder 21. Mai sein, also mehr als acht Tage nach der
Flucht des Gro&szlig;herzogs -, waren wir erstaunt &uuml;ber die enorme Sorglosigkeit, mit der
die Grenze bewacht oder vielmehr nicht bewacht wurde. Von Frankfurt bis Heppenheim die ganze
Eisen- <a name="S142"><b>&lt;142&gt;</b></a> bahn mit w&uuml;rttembergischen und hessischen
Reichstruppen besetzt; Frankfurt und Darmstadt selbst voll von Milit&auml;r; alle Bahnh&ouml;fe,
alle Ortschaften von starken Detachements okkupiert; regelm&auml;&szlig;ige Vorposten
vorgeschoben bis an die Grenze. Von der Grenze bis Weinheim dagegen auch nicht ein Mann zu sehen;
in Weinheim ebenso. Die einzigste Vorsichtsma&szlig;regel war die Demolierung einer kurzen
Strecke der Eisenbahn zwischen Heppenheim und Weinheim. Erst w&auml;hrend unsrer Anwesenheit traf
ein schwaches Detachement des Leibregiments, h&ouml;chstens 25 Mann, in Weinheim ein. Von
Weinheim bis Mannheim herrschte wieder der tiefste Friede; h&ouml;chstens hier und da ein
einzelner, &uuml;berlustiger Volkswehrmann, der eher versprengt oder desertiert als im Dienst
befindlich schien. Von Grenzkontrolle war nat&uuml;rlich erst recht keine Rede. Man ging hinein
oder heraus, wie man wollte.</p>
<p>In Mannheim sah es allerdings schon etwas kriegerischer aus. Haufen von Soldaten standen auf
der Stra&szlig;e oder sa&szlig;en in den Wirtsh&auml;usern. Die Volkswehr und B&uuml;rgerwehr
exerzierte im Park, meist freilich noch sehr unbeholfen und mit schlechten Instruktoren. Auf dem
Rathaus sa&szlig;en eine Menge Komitees, alte und neue Offiziere, Uniformen und Blusen. Das Volk
mischte sich unter die Soldaten und Freisch&auml;rler, es wurde viel gezecht, viel gelacht, viel
karessiert. Aber man sah gleich, da&szlig; der erste Aufschwung schon vor&uuml;ber, da&szlig;
viele unangenehm entt&auml;uscht waren. Die Soldaten waren malkontent; wir haben die Insurrektion
gemacht, sagten sie, und jetzt, wo die B&uuml;rgerlichen an die Reihe kommen und die Leitung
&uuml;bernehmen sollen, jetzt lassen sie alles ins Stocken geraten und verderben! Die Soldaten
waren mit ihren neuen Offizieren auch nicht recht zufrieden; die neuen Offiziere waren gespannt
mit den fr&uuml;heren gro&szlig;herzoglichen, deren damals noch viele da waren, obwohl
t&auml;glich einige desertierten; die alten Offiziere fanden sich wider Willen in eine fatale
Stellung versetzt, aus der sie nicht wu&szlig;ten, wie sie herauskommen sollten. &Uuml;ber den
Mangel an energischer und f&auml;higer Leitung endlich wurde &uuml;berall geklagt.</p>
<p>Auf der andern Rheinseite, in Ludwigshafen, trat uns die Bewegung in einer viel heiteren
Gestalt entgegen. W&auml;hrend in Mannheim noch eine Masse junger Leute, die offenbar zum ersten
Aufgebot geh&ouml;rten, ruhig ihren Gesch&auml;ften nachgingen, als ob gar nichts geschehen sei,
war hier alles bewaffnet. Es war freilich nicht &uuml;berall so in der Pfalz, wie sich
sp&auml;ter zeigte. Die gr&ouml;&szlig;te Einstimmigkeit herrschte in Ludwigshafen zwischen
Freisch&auml;rlern und Milit&auml;r. In den Wirtsh&auml;usern, die nat&uuml;rlich auch hier
&uuml;berf&uuml;llt waren, ert&ouml;nten die Marseillaise und andre derartige Lieder. Man klagte
nicht, man murrte nicht, man lachte, man war mit Leib und Seele bei der Bewegung und machte sich
damals, besonders beim F&uuml;silier und Freisch&auml;rler, noch sehr <a name=
"S143"><b>&lt;143&gt;</b></a> verzeihliche und unschuldige Illusionen &uuml;ber seine eigne
Un&uuml;berwindlichkeit.</p>
<p>In Karlsruhe nahm die Sache schon gr&ouml;&szlig;ere Feierlichkeit an. Im Pariser Hof war
Table d'h&ocirc;te &lt;gemeinschaftliche Gasthaustafel&gt; um ein Uhr angesagt. Aber es wurde
nicht angefangen, bis "die Herren vom Landesausschu&szlig;" gekommen waren. Dergleichen kleine
Aufmerksamkeiten gaben der Bewegung schon einen wohltuenden b&uuml;rokratischen Anstrich.</p>
<p>Wir sprachen gegen verschiedene Herren vom Landesausschu&szlig; die oben entwickelte Ansicht
aus, da&szlig; gleich im Anfang nach Frankfurt h&auml;tte marschiert und dadurch die Insurrektion
weiter ausgedehnt werden m&uuml;ssen, da&szlig; es jetzt h&ouml;chstwahrscheinlich schon zu
sp&auml;t und da&szlig; ohne entscheidende Schl&auml;ge in Ungarn oder ohne eine neue Revolution
in Paris die ganze Bewegung schon jetzt rettungslos verloren sei. Man kann sich die
Entr&uuml;stung nicht denken, die bei solchen ketzerischen Behauptungen unter diesen B&uuml;rgern
vom Landesausschu&szlig; losbrach. Blind und Goegg allein waren auf unsrer Seite. Jetzt, nachdem
die Ereignisse uns recht gegeben, haben dieselben Herren nat&uuml;rlich von jeher auf die
Offensive gedrungen.</p>
<p>In Karlsruhe traf man damals schon die ersten Anf&auml;nge jener gro&szlig;artigen
Stellenj&auml;gerei, die sich unter dem ebenso gro&szlig;artigen Titel einer "Konzentrierung
aller demokratischen Kr&auml;fte Deutschlands" als Vaterlandsrettung br&uuml;stete. Wer nur
jemals in irgendeinem Klub mehr oder minder konfus deklamiert, im entferntesten demokratischen
Winkelbl&auml;ttchen einmal zum Ha&szlig; gegen Tyrannen aufgefordert hatte, eilte nach Karlsruhe
oder Kaiserslautern, um dort sogleich ein gro&szlig;er Mann zu werden. Da&szlig; die Leistungen
den hier konzentrierten Kr&auml;ften vollst&auml;ndig entsprachen, braucht wohl nicht erst
ausdr&uuml;cklich versichert zu werden. - So befand sich hier in Karlsruhe ein bekannter,
angeblich philosophischer Atta Troll, Exabgeordneter zur Frankfurter Versammlung und Exredakteur
eines von Manteuffel trotz der Anerbietungen unsers Atta Troll unterdr&uuml;ckten, angeblich
demokratischen Bl&auml;ttchens. Atta Troll angelte mit gro&szlig;er Emsigkeit nach dem
P&ouml;stchen des badischen Gesandten in Paris, zu dem er sich besonders berufen hielt, weil er
seinerzeit zwei Jahre in Paris gewesen war und dort kein Franz&ouml;sisch gelernt hatte. Er war
auch wirklich so gl&uuml;cklich, Herrn Brentano das Kreditiv abzulocken, und packte eben seine
Koffer, als Brentano ihn pl&ouml;tzlich rufen lie&szlig; und ihm das Beglaubigungsschreiben
wieder aus der Tasche nahm. Es versteht sich, da&szlig; Atta Troll jetzt, Herrn Brentano zum
Trotz, erst recht nach Paris reiste. - Ein anderer gesinnungst&uuml;chtiger B&uuml;rger, der
schon seit <a name="S144"><b>&lt;144&gt;</b></a> einigen Jahren Deutschland mit Revolutionierung
und Republikanisierung gedroht hatte, Herr Heinzen, befand sich ebenfalls in Karlsruhe. Dieser
Biedermann hatte bekanntlich vor der Februarrevolution &uuml;berall und immer zum "Dreinschlagen"
aufgerufen, hatte es aber nach dieser Revolution f&uuml;r geratener gehalten, den verschiedenen
deutschen Insurrektionen von den neutralen Hochgebirgen der Schweiz aus zuzusehen. Jetzt endlich
schien ihm die Lust zu kommen, auch einmal auf die "Dr&auml;nger" dreinzuschlagen. Nach seinem
fr&uuml;heren Ausspruche: "Kossuth ist ein gro&szlig;er Mann, aber Kossuth hat das
<i>Knallsilber</i> vergessen", war zu erwarten, da&szlig; er <i>sofort</i> die kolossalsten,
bisher ungeahnten Zerst&ouml;rungskr&auml;fte gegen die Preu&szlig;en organisieren werde.
Keineswegs. Da h&ouml;herstrebende Pl&auml;ne nicht anwendbar schienen, begn&uuml;gte sich unser
Tyrannenhasser, wie es hei&szlig;t, mit der Bildung eines republikanischen Elitekorps, schrieb
inzwischen Artikel zugunsten Brentanos in die "Karlsruher Zeitung" und besuchte den Klub des
entschiedenen Fortschritts. Der Klub wurde aufgel&ouml;st, die republikanische Elite kam nicht,
und Herr Heinzen merkte endlich, da&szlig; selbst er die Brentanosche Politik nicht l&auml;nger
verteidigen k&ouml;nne. Verkannt, verbraucht, verdrie&szlig;lich ging er zun&auml;chst ins
badische Oberland und von da in die Schweiz, ohne einen einzigen Dr&auml;nger erschlagen zu
haben. Er r&auml;cht sich jetzt an ihnen, indem er sie von London aus in effigie &lt;im
Geiste&gt; millionenweise guillotiniert.</p>
<p>Wir verlie&szlig;en Karlsruhe am n&auml;chsten Morgen, um die Pfalz zu besuchen. Von dem
weitern Verlauf der badischen Insurrektion brauche ich in bezug auf die Leitung der allgemeinen
Politik und der Zivilverwaltung nur noch wenig zu sagen. Als Brentano sich stark genug
f&uuml;hlte, vernichtete er die zahme Opposition, die ihm der Klub des entschiedenen Fortschritts
machte, mit einem Schlage. Die "konstituierende Versammlung", unter dem Einflu&szlig; der
immensen Popularit&auml;t Brentanos und der alles regierenden Kleinb&uuml;rgerschaft
gew&auml;hlt, gab ihr Ja und Amen zu allen seinen Schritten. Die "provisorische Regierung mit
diktatorischer Gewalt" (eine Diktatur unter einem angeblichen Konvent!) war ganz unter seiner
Leitung. So regierte er fort, hemmte die revolution&auml;re und milit&auml;rische Entwicklung der
Insurrektion, lie&szlig; die laufenden Gesch&auml;fte tant bien que mal &lt;recht und
schlecht&gt; besorgen und bewachte eifers&uuml;chtig die Vorr&auml;te und das Privateigentum des
Gro&szlig;herzogs, den er fortw&auml;hrend als seinen legitimen Souver&auml;n von Gottes Gnaden
behandelte. In der "Karlsruher Zeitung" erkl&auml;rte er, der Gro&szlig;herzog k&ouml;nne jeden
Augenblick zur&uuml;ckkommen, und wirklich blieb das Schlo&szlig; w&auml;hrend der ganzen Zeit
verschlossen, als sei sein Bewohner blo&szlig; verreist. Die Pf&auml;lzer Abgesandten hielt
<a name="S145"><b>&lt;145&gt;</b></a> er mit unbestimmten Antworten von einem Tage zum andern
hin; das H&ouml;chste, was zu erreichen war, war das gemeinsame Milit&auml;rkommando unter
Mieroslawski und - ein Vertrag wegen Aufhebung des Mannheim-Ludwigshafener Br&uuml;ckenzolls, der
Herrn Brentano indes nicht verhinderte, diesen Zoll auf der Mannheimer Seite forterheben zu
lassen.</p>
<p>Als endlich Mieroslawski nach dem Gefechte bei Wagh&auml;usel und Ubstadt die Tr&uuml;mmer
seiner Armee durch das Gebirg bis hinter die Murg zur&uuml;ckziehen mu&szlig;te, als Karlsruhe
mit einer Masse Vorr&auml;ten aufgegeben werden mu&szlig;te, als die Niederlage an der Murg das
Schicksal der Bewegung entschied, da verschwanden die Illusionen der badischen B&uuml;rger,
Bauern und Soldaten, da erhob sich ein allgemeiner Ruf, Brentano habe verraten. Mit einem Schlage
war das ganze, durch die Feigheit der Kleinb&uuml;rger, durch die Unselbst&auml;ndigkeit der
Bauern, durch den Mangel an Konzentrierung der Arbeiter aufrechtehaltene Geb&auml;ude der
Popularit&auml;t Brentanos vernichtet. Brentano floh bei Nacht und Nebel nach der Schweiz,
verfolgt von dem Vorwurfe des Volksverrats, mit dem ihn seine eigene "Konstituante" brandmarkte,
und verbarg sich in Feuerthalen im Kanton Z&uuml;rich.</p>
<p>Man k&ouml;nnte sich dabei beruhigen, da&szlig; Herr Brentano durch den g&auml;nzlichen Ruin
seiner politischen Stellung, durch die allgemeine Verachtung aller Parteien f&uuml;r seinen
Verrat genug gez&uuml;chtigt ist. An dem Untergang der badischen Bewegung liegt nicht viel. Der
13. Juni in Paris und die Weigerung G&ouml;rgeys, auf Wien zu marschieren, vernichteten alle
Chancen, die Baden und die Pfalz noch hatten, selbst wenn es gelungen w&auml;re, die Bewegung
nach Hessen, W&uuml;rttemberg und Franken zu verpflanzen. Man w&auml;re ehrenvoller gefallen,
aber gefallen w&auml;re man. Was aber die revolution&auml;re Partei Herrn Brentano nie vergessen
wird, was sie den feigen badischen Kleinb&uuml;rgern, die ihn aufrechterhielten, nie vergessen
wird, das ist, da&szlig; sie direkt schuld sind an dem Tode der in Karlsruhe, in Freiburg und in
Rastatt Erschossenen und der zahllosen und namenlosen Opfer, die die Preu&szlig;en vermittelst
des Typhus in den Rastatter Kasematten im stillen hingerichtet haben.</p>
<p>Im zweiten Hefte dieser "Revue" werde ich die Zust&auml;nde in der Pfalz und zum
Beschlu&szlig; die badisch-pf&auml;lzische Kampagne schildern.</p>
<hr>
<p>Fu&szlig;noten</p>
<p><a name="M1">(1)</a> Die badischen Kammern hatten fr&uuml;her schon eine Emission von zwei
Millionen Papiergeld genehmigt, von denen noch kein Kreuzer ausgegeben war. <a href=
"me07_133.htm#Z1">&lt;=</a></p>
</body>
</html>