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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx/Friedrich Engels - Die grossen Maenner des Exils</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 265-267</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_261.htm"><FONT SIZE=2>III.</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_233.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_268.htm"><FONT SIZE=2>V.</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">IV</P>
<B><P><A NAME="S265">&lt;265&gt;</A></B> In <I>London </I>finden wir Kinkel wieder und diesmal, dank seinem Gef&auml;ngnisruhm und der Weinerlichkeit der deutschen Spie&szlig;b&uuml;rgerschaft, als gr&ouml;&szlig;ten Mann Deutschlands. Freund Gottfried, im Bewu&szlig;tsein seiner erhabenen Sendung, wu&szlig;te alle Vorteile des Augenblicks zu erfassen. Die romantische Befreiung gab der Kinkelschw&auml;rmerei im Vaterlande einen neuen Ansto&szlig;, der, mit vielem Geschick auf die richtige Bahn gelenkt, nicht ohne materielle Resultate blieb. Zugleich aber er&ouml;ffnete die Weltstadt dem Gefeierten ein neues weitschichtiges Terrain, um sich neuerdings feiern zu lassen. Es war ihm klar: er mu&szlig;te der L&ouml;we der season &lt;Saison&gt; werden. Zu diesem Ende abstrahierte er vorderhand von aller politischen T&auml;tigkeit und lie&szlig; sich vor allen Dingen in h&auml;uslicher Zur&uuml;ckgezogenheit den Bart wieder wachsen, ohne den kein Prophet etwas ist. Dann ging er zu Dickens, zu den englischen liberalen Zeitungen, zu den deutschen Kaufleuten der City, besonders zu den dortigen &auml;sthetischen Juden; er war allen alles, dem einen Dichter, dem andern Patriot im allgemeinen, dem dritten Professor der sch&ouml;nen K&uuml;nste, dem vierten Christ, dem f&uuml;nften herrlicher Dulder Odysseus, allen aber der sanfte, k&uuml;nstlerische, wohlwollende und menschenfreundliche Gottfried. Er ruhte nicht, bis Dickens ihn in den "Household Words" gefeiert, bis die "Illustrated News" sein Portr&auml;t gebracht hatte; er setzte die wenigen Deutschen in London, die den Kinkelkatzenjammer auch in der Ferne mitgemacht hatten, in Bewegung, um sich scheinbar zu Vorlesungen &uuml;ber das moderne Drama auffordern zu lassen, zu denen dann die Billets den deutschen Kaufleuten haufenweise in die H&auml;user flogen. Keine Lauferei, kein Puff &lt;Reklamegeschrei&gt;, kein Scharlatanismus, keine Zudringlichkeit, keine Erniedrigung gegen&uuml;ber diesem Publikum wurde verschm&auml;ht, daf&uuml;r aber blieb auch der Erfolg nicht aus. Gottfried bespiegelte sich wohlgef&auml;llig in seinem eignen Ruhm und in dem <A NAME="S266"><B>&lt;266&gt;</A></B> Riesenspiegel des Welt-Kristallpalastes, und man kann sagen, da&szlig; er sich jetzt ungeheuer wohl f&uuml;hlte.</P>
<P>Die Anerkennung seiner Vorlesungen blieb nicht aus (s. "Kosmos"):</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="CENTER">"Kosmos". "Kinkels Vorlesungen".</P>
<P>"Bei D&ouml;blers Nebelbildern &uuml;berraschte mich einmal d. drollige Gedanke, ob man solche chaotische Sch&ouml;pfungen mit d. 'Worte' hervorbringen, ob man Nebelbilder sprechen k&ouml;nne. Es ist zwar unangenehm, als Kritiker gleich von vornherein gestehn zu m&uuml;ssen, da&szlig; in diesem Falle d. kritische Selbst&auml;ndigkeit an d. galvanisierten Nerven einer angeregten Reminiszenz vibriert, wie d. verhallende Ton einer ersterbenden Note auf Saiten nachbebet. Dennoch verzichte ich lieber auf d. per&uuml;ckenf&auml;hige, langweilige Analyse gelehrter Unempfindlichkeit, als jenen Ton zu verleugnen, welchen d. reizende Muse d. deutschen Fl&uuml;chtlings in d. Ideenspiel meiner <I>Empf&auml;nglichkeit </I>resonierte. Dieser Grundton d. Kinkelschen Gem&auml;lde, dieser Resonanzboden seiner Akkorde ist d. sonore, sch&ouml;pferische, bildende, allm&auml;hlich gestaltende 'Wort' - 'der moderne Gedanke'. D. menschliche 'Urteil' d[ie]s[e]s Gedankens entf&uuml;hrt d. Wahrheit aus d. Chaos l&uuml;genhafter Traditionen und stellt sie als unantastbares Eigentum d. Gesamtheit unter d. Schutz d. geistbewegten, logischen Minorit&auml;ten, welche sie aus gl&auml;ubiger Unwissenheit zu einer ungl&auml;ubigeren Wissenschaft erziehen. D. Wissenschaft d. Unglaubens kommt es zu, d. Mystizismus d. frommen Betrugs zu profanieren, d. Absolutismus d. verdummten Herkommens zu unterw&uuml;hlen; d[ur]ch d. Skepsis, diese rastlos arbeitende Guillotine d. Philosophie, d. Autorit&auml;ten zu k&ouml;pfen u. d. V&ouml;lker aus d. Wolkengeschiebe d. Theokratie mittelst d. Revolution auf d. bl&uuml;henden Gefilde d. Demokratie" (d. Unsinns) "zu geleiten. D. beharrliche, z&auml;he Forschung in d. Jahrb&uuml;chern d. Menschentums, wie d. Erkl&auml;rung d. Menschen selbst, ist d. gro&szlig;e Aufgabe aller M&auml;nner d. Umsturzes, u. dies erkannte jener geachtete Dichterrebell, welcher an d. Abenden d. j&uuml;ngst verflo&szlig;nen drei Montage vor einem bourgeoisen Publikum bei d. Geschichte d. modernen Theaters seine 'dissolving views' &lt;'zersetzenden Ansichten'&gt; aussprach."</P>
<P ALIGN="RIGHT">"Ein Arbeiter"</P>
</FONT><P>Man behauptet allgemein, da&szlig; ein sehr n[a]h[e]r V[er]w[an]dter v. K[inkel] - Mockel - dieser Arbeiter sei, schon von wegen d. "Resonanzbodens", d. "verhallenden Tons", d. "Akkorde" u. d. "galvanisierten Nerven".</P>
<P>Doch auch diese Periode des sauerverdienten Selbstgenusses sollte nicht ewig dauern. Der j&uuml;ngste Tag der bestehenden Weltordnung, das demokratische Weltgericht, der vielber&uuml;hmte Mai 1852 r&uuml;ckte immer n&auml;her heran. Um f&uuml;r diesen gro&szlig;en Tag gestiefelt und gespornt dazustehn, mu&szlig;te Gottfried Kinkel die politische L&ouml;wenhaut wieder hervorsuchen, er mu&szlig;te sich mit der "Emigration" in Rapport setzen.</P>
<P>Wir kommen hiermit auf die Londoner "Emigration", dies Sammelsurium von ehemaligen Mitgliedern des Frankfurter Parlaments, der Berliner <A NAME="S267"><B>&lt;267&gt;</A></B> Nationalversammlung und Deputiertenkammer, von Herren der badischen Kampagne, Riesen der Reichsverfassungskom&ouml;die, Literaten ohne Publikum, Schreiern der demokratischen Klubs und Kongresse, Zeitungsschreibern zw&ouml;lften Ranges und dgl.</P>
<P>Die gro&szlig;en M&auml;nner des 1848er Deutschlands standen im Begriff, ein sch&auml;biges Ende zu nehmen, als der Sieg der "Tyrannen" sie sicherstellte, sie ins Ausland verschlug und zu M&auml;rtyrern und Heiligen machte. Die Kontrerevolution hat sie gerettet. Die Entwicklung der kontinentalen Politik brachte die meisten derselben nach London, das so ihr europ&auml;ischer Zentralpunkt wurde. Es verstand sich bei dieser Sachlage von selbst, da&szlig; etwas geschehn, etwas getrieben werden mu&szlig;te, um die Existenz dieser Weltbefreier t&auml;glich aufs neue ins Ged&auml;chtnis des Publikums zur&uuml;ckzurufen; es mu&szlig;te um jeden Preis der Schein verhindert werden, als bewege sich die Weltgeschichte voran auch ohne das Zutun dieser Gewaltigen. Je mehr dieser Menschenkehricht durch eigne Impotenz wie durch die bestehenden Verh&auml;ltnisse au&szlig;erstand gesetzt war, irgend etwas Wirkliches zu tun, desto eifriger mu&szlig;te jene resultatlose Scheint&auml;tigkeit betrieben werden, deren eingebildete Handlungen, eingebildete Parteien, eingebildete K&auml;mpfe und eingebildete Interessen von den Beteiligten so pomphaft ausposaunt worden sind. Je ohnm&auml;chtiger man war, wirklich eine neue Revolution herbeizuf&uuml;hren, desto mehr mu&szlig;te man sich diese zuk&uuml;nftige Eventualit&auml;t im Geiste diskontieren, im voraus die Stellen verteilen und im antizipierten Genu&szlig; der Macht schwelgen. Die Form, worin diese wichtigtuende R&uuml;hrigkeit erschien, war die der gegenseitigen Assekuranzgesellschaft des Gro&szlig;manntums und der wechselseitigen Garantie der k&uuml;nftigen Regierungsposten. </P></BODY>
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