644 lines
42 KiB
HTML
644 lines
42 KiB
HTML
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
|
|
|
<html>
|
|
<head>
|
|
<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
|
|
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
|
|
|
<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die Berliner Debatte über die Revolution</title>
|
|
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
|
|
</head>
|
|
|
|
<body>
|
|
<p align="center"><a href="me05_063.htm"><font size="2">Inkompetenzerklärung der
|
|
Versammlungen zu Frankfurt und Berlin</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
|
|
"../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
|
|
"me05_078.htm"><font size="2">Stellung der Parteien in Köln</font></a></p>
|
|
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 64-77<br>
|
|
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
|
|
<br>
|
|
|
|
|
|
<h1>Die Berliner Debatte über die Revolution</font></p>
|
|
|
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 14 vom 14. Juni 1848]</font></p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S64"><64></a></b> **<i>Köln</i>, 13. Juni. Die
|
|
Vereinbarungsversammlung hat sich endlich entschieden ausgesprochen. Sie hat die Revolution
|
|
desavouiert und die Vereinbarungstheorie anerkannt.</p>
|
|
|
|
<p>Der Tatbestand, über den sie sich auszusprechen hatte, war folgender:</p>
|
|
|
|
<p>Am 18. März versprach der König eine Konstitution, führte die
|
|
Preßfreiheit mit Kautionen ein und sprach sich in einer Reihe von Vorschlägen dahin
|
|
aus, daß Deutschlands Einheit durch ein Aufgehen Deutschlands in Preußen
|
|
herbeizuführen sei.</p>
|
|
|
|
<p>Das waren die Konzessionen des 18. März, auf ihren wahren Gehalt reduziert. Daß
|
|
die Berliner sich damit zufrieden erklärten, daß sie vor das Schloß zogen, um
|
|
dem König dafür zu danken, das beweist am allerdeutlichsten die Notwendigkeit der
|
|
Revolution vom 18. März. Nicht nur der Staat, auch die Staatsbürger mußten
|
|
revolutioniert werden. Der Untertan konnte nur in einem blutigen Befreiungskampfe abgestreift
|
|
werden.</p>
|
|
|
|
<p>Das bekannte "Mißverständnis" rief die Revolution hervor. Allerdings fand ein
|
|
Mißverständnis statt. Der Angriff der Soldaten, die Fortsetzung des Kampfs
|
|
während 16 Stunden, die Notwendigkeit für das Volk, den Rückzug der Truppen zu
|
|
erzwingen - das ist Beweis genug, daß das Volk die Konzessionen des 18. März
|
|
gänzlich <i>mißverstanden</i> hatte.</p>
|
|
|
|
<p>Die Resultate der Revolution waren: auf der einen Seite die Volksbewaffnung, das
|
|
Assoziationsrecht, die faktisch errungene Volkssouveränetät; auf der andern die
|
|
Beibehaltung der Monarchie und das Ministerium Camphausen-Hansemann, d.h. die Regierung der
|
|
Vertreter der hohen Bourgeoisie.</p>
|
|
|
|
<p>Die Revolution hatte also zwei Reihen von Resultaten, die notwendig auseinandergehen
|
|
mußten. Das Volk hatte gesiegt, es hatte sich Freiheiten entschieden demokratischer Natur
|
|
erobert; aber die unmittelbare Herrschaft ging über nicht in seine Hände, sondern in
|
|
die der großen Bourgeoisie.</p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S65"><65></a></b> Mit einem Wort, die Revolution war nicht vollendet. Das
|
|
Volk hatte die Bildung eines Ministeriums von großen Bourgeois zugelassen, und die
|
|
großen Bourgeois bewiesen ihre Tendenzen sogleich dadurch, daß sie dem
|
|
alt-preußischen Adel und der Bürokratie eine Allianz anboten. Arnim, Kanitz,
|
|
Schwerin traten ins Ministerium.</p>
|
|
|
|
<p>Die hohe Bourgeoisie, von jeher antirevolutionär, schloß aus Furcht vor dem Volk,
|
|
d.h. vor den Arbeitern und der demokratischen Bürgerschaft, ein Schutz- und
|
|
Trutzbündnis mit der Reaktion.</p>
|
|
|
|
<p>Die vereinigten reaktionären Parteien begannen ihren Kampf gegen die Demokratie damit,
|
|
daß sie die <i>Revolution in Frage stellten</i>. Der Sieg des Volks wurde geleugnet; die
|
|
berühmte Liste der "siebzehn Militärtoten" wurde fabriziert; die
|
|
Barrikadenkämpfer wurden in jeder möglichen Weise angeschwärzt. Damit nicht
|
|
genug. Das Ministerium ließ den vor der Revolution berufenen Vereinigten Landtag wirklich
|
|
zusammenberufen und den gesetzlichen Übergang aus dem Absolutismus in die Konstitution
|
|
post festum <hinterher> anfertigen. Es leugnete dadurch die Revolution geradezu. Ferner
|
|
erfand es die Vereinbarungstheorie, leugnete dadurch die Revolution abermals und leugnete
|
|
zugleich die Volkssouveränetät.</p>
|
|
|
|
<p>Die Revolution wurde also wirklich in Frage gestellt, und sie konnte in Frage gestellt
|
|
werden, weil sie nur eine halbe Revolution, nur der Anfang einer langen revolutionären
|
|
Bewegung war.</p>
|
|
|
|
<p>Wir können hier nicht darauf eingehen, warum und inwiefern die augenblickliche
|
|
Herrschaft der hohen Bourgeoisie in Preußen eine notwendige Übergangsstufe zur
|
|
Demokratie ist und warum die hohe Bourgeoisie sich nach ihrer Thronbesteigung sogleich zur
|
|
Reaktion schlug. Wir berichten vorderhand nur die Tatsache.</p>
|
|
|
|
<p>Die Vereinbarungsversammlung hatte sich nun darüber auszusprechen, ob sie die
|
|
Revolution anerkenne oder nicht.</p>
|
|
|
|
<p>Aber unter diesen Verhältnissen die Revolution anerkennen, das hieß die
|
|
demokratische Seite der Revolution anerkennen gegenüber der hohen Bourgeoisie, die sie
|
|
konfiszieren wollte.</p>
|
|
|
|
<p>Die Revolution anerkennen, das hieß in diesem Augenblick gerade die <i>Halbheit</i>
|
|
der Revolution, und damit die demokratische Bewegung anerkennen, welche sich gegen einen Teil
|
|
der Resultate der Revolution richtet. Es hieß anerkennen, daß Deutschland sich in
|
|
einer revolutionären Bewegung befindet, in der das Ministerium Camphausen, die
|
|
Vereinbarungstheorie, die indirekten Wahlen, die Herrschaft der großen Kapitalisten und
|
|
die Produkte <a name="S66"><b><66></b></a> der Versammlung selbst zwar unvermeidliche
|
|
Durchgangspunkte sein können, aber keineswegs letzte Resultate sind.</p>
|
|
|
|
<p>Die Debatte in der Kammer über die Anerkennung der Revolution wurde von beiden Seiten
|
|
mit großer Breite und mit großem Interesse, aber mit merkwürdig wenig Geist
|
|
geführt. Man kann wenig Unerquicklicheres lesen als diese diffuse, jeden Augenblick durch
|
|
Lärmen oder durch reglementarische Spitzfindigkeiten unterbrochene Verhandlung. Statt der
|
|
großen Leidenschaft des Parteikampfes eine kühle Gemütsruhe, die jeden
|
|
Augenblick in den Konversationston herabzusinken droht; statt schneidender Schärfe der
|
|
Argumentation breites verworrenes Gerede vom Hundertsten ins Tausendste; statt schlagender
|
|
Antwort langweilige Moralpredigten über das Wesen und die Natur der Sittlichkeit.</p>
|
|
|
|
<p>Auch die Linke hat sich in dieser Debatte nicht besonders ausgezeichnet. Die meisten ihrer
|
|
Redner wiederholen einander; keiner wagt es, der Frage entschieden auf den Leib zu rücken
|
|
und offen revolutionär aufzutreten. Sie fürchten überall anzustoßen, zu
|
|
verletzen, zurückzuschrecken. Hätten die Kämpfer des 18. März nicht mehr
|
|
Energie und Leidenschaft im Kampfe bewiesen als die Herren von der Linken in der Debatte, es
|
|
stände schlimm um Deutschland.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 15 vom 15. Juni 1848]</font></p>
|
|
|
|
<p>**<i>Köln</i>, 14. Juni. Der Abgeordnete <i>Berends</i> von Berlin eröffnete die
|
|
Debatte, indem er den Antrag stellte:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Die Versammlung erklärt, in Anerkennung der Revolution, daß die
|
|
Kämpfer des 18. und 19. März sich wohl ums Vaterland verdient gemacht
|
|
haben."</font></p>
|
|
|
|
<p>Die Form des Antrags, die altrömisch-lakonische, von der großen
|
|
französischen Revolution wieder aufgenommene Fassung, war ganz passend.</p>
|
|
|
|
<p>Desto unpassender dagegen war die Manier, worin Herr <i>Berends</i> seinen Antrag
|
|
entwickelte. Er sprach nicht revolutionär, sondern versöhnend. Er hatte den Zorn der
|
|
insultierten Barrikadenkämpfer vor einer Versammlung von Reaktionären zu vertreten,
|
|
und er dozierte ganz ruhig und trocken, als ob er noch als Lehrer des Berliner
|
|
Handwerkervereins spräche. Er hatte eine ganz einfache, ganz klare Sache zu verteidigen,
|
|
und seine Entwicklung ist das Verworrenste, was man lesen kann.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Berends</i> beginnt:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Meine Herren! Die Anerkennung der Revolution liegt ganz in der Natur der
|
|
Sache (!). Unsere Versammlung selbst ist eine redende Anerkennung der großen <a name=
|
|
"S67"><b><67></b></a></font> Bewegung, welche durch alle zivilisierten Länder
|
|
Europas hindurchgegangen ist. Die Versammlung ist aus dieser Revolution hervorgegangen, ihr
|
|
Dasein ist also faktisch die Anerkennung der Revolution."</p>
|
|
|
|
<p>Erstens. Es handelt sich keineswegs darum, die "große Bewegung, welche durch alle
|
|
zivilisierten Länder Europas hindurchgegangen ist", im allgemeinen als eine Tatsache
|
|
anzuerkennen, das wäre überflüssig und nichtssagend. Es handelt sich vielmehr
|
|
darum, den Berliner Straßenkampf, der für eine Emeute ausgegeben wird, als eine
|
|
echte, wirkliche Revolution anzuerkennen.</p>
|
|
|
|
<p>Zweitens. Die Versammlung in Berlin ist allerdings nach einer Seite hin eine
|
|
"<i>Anerkennung</i> der Revolution", insofern ohne den Berliner Straßenkampf keine
|
|
"vereinbarte", sondern höchstens eine oktroyierte Verfassung zustande gekommen wäre.
|
|
Aber durch die Art ihrer Berufung, durch das ihr vom Vereinigten Landtag und vom Ministerium
|
|
gegebene Mandat ist sie ebensogut eine <i>Leugnung</i> der Revolution geworden. Eine "auf dem
|
|
Boden der Revolution" stehende Versammlung vereinbart nicht, sie dekretiert.</p>
|
|
|
|
<p>Drittens. Die Versammlung hatte die Vereinbarungstheorie schon in dem Votum über die
|
|
Adresse <Siehe <a href="me05_053.htm">"Die Adreßfrage"</a>> anerkannt, sie hatte
|
|
die Revolution in dem Votum gegen den Zug nach dem Grabe der Gefallenen schon verleugnet. Sie
|
|
hat die Revolution verleugnet, indem sie überhaupt neben der Frankfurter Versammlung
|
|
"tagte".</p>
|
|
|
|
<p>Der Antrag des Herrn Berends war also faktisch schon zweimal verworfen. Er mußte
|
|
diesmal, wo die Versammlung sich offen aussprechen sollte, um so mehr durchfallen.</p>
|
|
|
|
<p>Da die Versammlung einmal reaktionär war, da es feststand, daß das Volk von ihr
|
|
nichts mehr zu erwarten hatte, so war es im Interesse der Linken, daß die Minorität
|
|
<i>für</i> den Antrag möglichst klein war und nur die entschiedensten Mitglieder
|
|
umfaßte.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Berends</i> brauchte sich also gar nicht zu genieren. Er mußte möglichst
|
|
entschieden, möglichst revolutionär auftreten. Statt an der Illusion festzuhalten,
|
|
die Versammlung sei eine konstituierende und wolle es sein, die Versammlung <i>stehe</i> auf
|
|
dem Boden der Revolution, mußte er ihr erklären, sie habe die Revolution bereits
|
|
indirekt verleugnet, und sie auffordern, es jetzt offen zu tun.</p>
|
|
|
|
<p>Aber nicht nur er, sondern die Redner der Linken überhaupt haben diese der
|
|
demokratischen Partei einzig angemessene Politik nicht befolgt. Sie gaben sich der Illusion
|
|
hin, die Versammlung zu einem revolutionären Schritt überreden zu können. Sie
|
|
haben daher Zugeständnisse gemacht, sie haben <a name="S68"><b><68></b></a>
|
|
gemildert, sie haben von Versöhnung gesprochen und damit <i>selbst</i> die Revolution
|
|
verleugnet.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Berends</i> fährt nun fort, in sehr kühler Denkungsart und sehr
|
|
hölzerner Sprache über Revolutionen im allgemeinen und über die Berliner
|
|
Revolution im besondern sich auszulassen. Im Verfolg seiner Erörterungen kommt er auf den
|
|
Einwand, daß die Revolution überflüssig war, weil der König vorher schon
|
|
alles bewilligt hatte. Er antwortet:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Allerdings hatte Se. Majestät der König <i>vieles</i> bewilligt
|
|
... aber war in dieser Bewilligung die Zufriedenstellung des Volks erlangt? War uns die
|
|
Garantie gegeben, daß diese Verheißung wirklich zur Wahrheit werde? Ich
|
|
<i>glaube</i>, diese Garantie war ... erst nach dem Kampfe erlangt! ... Es ist begründet,
|
|
daß eine solche Staatsumgestaltung nur in großen Katastrophen des Kampfes geboren
|
|
und fest gegründet werden kann. Eine große Tatsache war am 18. März noch nicht
|
|
bewilligt: das war die Bewaffnung des Volks ... Erst als das Volk bewaffnet war, fühlte es
|
|
sich sicher gegen die Möglichkeit von Mißverständnissen ... Der Kampf ist
|
|
<i>also</i> (!) freilich <i>eine Art Naturereignis</i> (!), aber ein notwendiges Ereignis ...
|
|
die Katastrophe, in der die Umgestaltung des Staatslebens zur Wirklichkeit, zur Wahrheit
|
|
kommt."</font></p>
|
|
|
|
<p>Aus dieser langen, verworrenen, von Wiederholungen strotzenden Erörterung geht ganz
|
|
klar hervor, daß Herr <i>Berends</i> über die Resultate und die Notwendigkeit der
|
|
Revolution durchaus im unklaren ist. Von ihren Resultaten kennt er nur die "Garantie" der
|
|
Verheißungen des 18. und die "Volksbewaffnung"; ihre Notwendigkeit konstruiert er auf
|
|
philosophischem Wege, indem er die "Garantie" nochmals in höherem Stil umschreibt und
|
|
schließlich beteuert, keine Revolution könne ohne Revolution bewerkstelligt
|
|
werden.</p>
|
|
|
|
<p>Die Revolution war notwendig, das heißt doch wohl nur, sie war notwendig, um das zu
|
|
erlangen, was wir jetzt erlangt haben. Die Notwendigkeit der Revolution steht im direkten
|
|
Verhältnis zu ihren Resultaten. Da aber Herr <i>Berends</i> über die Resultate im
|
|
unklaren ist, so muß er natürlich zu überschwenglichen Beteuerungen seine
|
|
Zuflucht nehmen, um ihre Notwendigkeit zu konstruieren.</p>
|
|
|
|
<p>Was waren die Resultate der Revolution? Keineswegs die "Garantie" der Verheißungen vom
|
|
18., sondern vielmehr der Umsturz dieser Verheißungen.</p>
|
|
|
|
<p>Am 18. war versprochen worden: eine Monarchie, in der Adel, Bürokratie, Militär
|
|
und Pfaffen das Heft in der Hand behielten, aber der hohen Bourgeoisie die Kontrolle durch
|
|
<i>geschenkte</i> Konstitution und Preßfreiheit mit Kautionen gestatteten. Für das
|
|
Volk deutsche Fahnen, deutsche Flotte, deutsche Bundesmilitärpflicht statt der
|
|
preußischen.</p>
|
|
|
|
<p>Die Revolution stürzte die gesamten Mächte der absoluten Monarchie, Adel,
|
|
Bürokraten, Militär und Pfaffen. Sie brachte die hohe Bourgeoisie aus- <a name=
|
|
"S69"><b><69></b></a> schließlich zur Herrschaft. Sie gab dem Volk die Waffe der
|
|
Preßfreiheit ohne Kautionen, das Assoziationsrecht, und wenigstens teilweise auch die
|
|
materielle Waffe, die Muskete.</p>
|
|
|
|
<p>Das ist aber noch nicht das Hauptresultat. Das Volk, das in den Barrikaden gefochten und
|
|
gesiegt hat, ist ein ganz anderes Volk als das, welches am 18. März vor das Schloß
|
|
zog, um durch Dragonerangriffe über die Bedeutung der erhaltenen Zugeständnisse
|
|
aufgeklärt zu werden. Es ist ganz andrer Dinge fähig, es steht der Regierung ganz
|
|
anders gegenüber. Die wichtigste Eroberung der Revolution ist <i>die Revolution
|
|
selbst</i>.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Ich kann es als Berliner wohl sagen, daß es uns ein <i>schmerzliches
|
|
Gefühl</i>" (weiter nichts!) "gewesen ist, ... diesen Kampf geschmäht zu sehen ...
|
|
Ich knüpfe an das Wort des Herrn Ministerpräsidenten an, welcher ... darstellte,
|
|
daß es die Sache eines großen Volks sei und sämtlicher Vertreter, mit <i>Milde
|
|
zur Versöhnung</i> zu wirken. <i>Diese Milde nehme ich in Anspruch</i>, indem ich als
|
|
Vertreter von Berlin bei Ihnen die Anerkennung des 18. und 19. März beantrage. Das Volk
|
|
von Berlin hat sich in der ganzen Zeit nach der Revolution im ganzen gewiß sehr ehrenhaft
|
|
und ehrenwert gehalten. Es mag sein, daß einzelne Exzesse vorgekommen sind ... und so
|
|
<i>glaube</i> ich, daß es <i>am Orte</i>, daß die Versammlung erklärt etc.
|
|
etc."</font></p>
|
|
|
|
<p>Diesem feigen, die Revolution verleugnenden Schluß haben wir nur hinzuzusetzen,
|
|
daß nach einer solchen Motivierung der Antrag durchzufallen verdiente.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 16 vom 16. Juni 1848]</font></p>
|
|
|
|
<p>**<i>Köln</i>, 14. Juni. Das erste Amendement, das dem Berendsschen Antrag
|
|
entgegengesetzt wurde, verdankte dem Abgeordneten Herrn <i>Brehmer</i> sein kurzes Dasein. Es
|
|
war eine breite, wohlmeinende Erklärung, worin 1. die Revolution anerkannt, 2. die
|
|
Vereinbarungstheorie anerkannt, 3. alle diejenigen, welche zu dem stattgehabten Umschwunge
|
|
beigetragen hatten, anerkannt und 4. die große Wahrheit anerkannt, daß</p>
|
|
|
|
<div style="margin-left: 12em">
|
|
<p><font size="2">Nicht Roß, nicht Reisige<br>
|
|
Sichern die steile Höh',<br>
|
|
Wo Fürsten stehn,</font></p>
|
|
</div>
|
|
|
|
<p>womit schließlich die Revolution selbst wieder in einen echt preußischen
|
|
Ausdruck gebracht worden war. Der brave Herr Oberlehrer <i>Brehmer</i> wollte es allen Parteien
|
|
recht machen, und sie wollten alle nichts von ihm wissen. Sein Amendement wurde ohne Diskussion
|
|
beseitigt, und Herr Brehmer zog sich zurück mit der ganzen Resignation eines
|
|
enttäuschten Menschenfreundes.</p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S70"><70></a></b> An die Tribüne schritt der Herr <i>Schulze</i> (von
|
|
Delitzsch). Herr Schulze ist auch ein Bewunderer der Revolution, aber ein Bewunderer nicht so
|
|
sehr der Barrikadenkämpfer als der Leute des folgenden Morgens, des zum Unterschiede von
|
|
den "Kämpfern" sogenannten "Volks". Die "Haltung des Volks <i>nach</i> dem Kampfe" soll
|
|
noch besonders mit anerkannt werden, wünscht er. Seine Begeisterung kannte keine Grenzen,
|
|
als er hörte</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"von der Mäßigung und Besonnenheit des Volks, als ihm kein Gegner
|
|
(!) mehr gegenüberstand ... von dem Ernste, von der Versöhnung des Volkes ... von
|
|
seiner Haltung gegenüber der Dynastie ... wir sahen, daß das Volk sich wohl
|
|
bewußt war, in diesen Augenblicken <i>der Geschichte selbst unmittelbar Aug in Auge zu
|
|
sehen</i>"!!</font></p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Schulze</i> schwärmt nicht so sehr für die revolutionäre
|
|
Tätigkeit des Volks <i>im</i> Kampf, als für seine durchaus nicht revolutionäre
|
|
Untätigkeit <i>nach</i> dem Kampf.</p>
|
|
|
|
<p>Die Großmut des Volks nach der Revolution anerkennen, kann nur zweierlei
|
|
heißen:</p>
|
|
|
|
<p>Entweder heißt es das Volk beleidigen, denn es wäre eine Beleidigung des Volks,
|
|
als Verdienst anzuerkennen, daß es <i>nach</i> dem Siege keine Gemeinheiten begeht.</p>
|
|
|
|
<p>Oder es heißt die Erschlaffüng des Volks nach dem Siege der Waffen anerkennen,
|
|
die der Reaktion Gelegenheit gibt, sich wieder zu erheben.</p>
|
|
|
|
<p>"Beides zu vereinigen", hat Herr Schulze seine "zur Begeisterung erhobene Bewunderung"
|
|
darüber ausgesprochen, daß das Volk erstens sich anständig betragen und
|
|
zweitens der Reaktion Gelegenheit gegeben, sich wieder zu erholen.</p>
|
|
|
|
<p>Die "Haltung des Volkes" bestand darin, daß es sich damit beschäftigte, voll
|
|
Begeisterung "der Geschichte selbst unmittelbar Aug in Auge zu sehen", wo es die Geschichte
|
|
hätte machen sollen; daß es vor lauter "Haltung", "Mäßigung",
|
|
"Besonnenheit", "tiefem Ernst" und "unauslöschlicher Weihe" nicht dazu kam, zu verhindern,
|
|
daß die Minister ein Stück der errungenen Freiheit nach dem andern eskamotierten;
|
|
daß es die Revolution für fertig erklärte, statt sie fortzusetzen. Wie ganz
|
|
anders haben sich die Wiener benommen, die Schlag auf Schlag die Reaktion
|
|
überwältigten und jetzt einen <i>konstituierenden</i> statt eines vereinbarenden
|
|
Reichstags erobert haben.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Schulze</i> (von Delitzsch) erkennt also die Revolution unter der Bedingung an,
|
|
nicht sie anzuerkennen. Dafür ward ihm ein schallendes Bravo.</p>
|
|
|
|
<p>Nach einer kleinen reglementarischen Zwischenunterhaltung tritt Herr <i>Camphausen</i>
|
|
selbst auf die Bühne. Er bemerkt, daß nach dem Berendsschen Antrage "die Versammlung
|
|
sich über eine <i>Idee</i> äußern, ein Urteil aussprechen soll". Die Revolution
|
|
ist für Herrn Camphausen nur eine <i>"Idee"</i>. Er "überläßt" <a name=
|
|
"S71"><b><71></b></a> es daher der Versammlung, ob sie dies tun will. Über die Sache
|
|
selbst ist nach seiner Ansicht "eine Meinungsverschiedenheit in erheblichem Umfange vielleicht
|
|
nicht vorhanden", nach der allgemein bekannten Tatsache, daß, wo sich zwei deutsche
|
|
Bürger streiten, sie stets au fond <im Grunde> einverstanden sind.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Will man wiederholen, daß ... eine Periode eingetreten ist, welche die
|
|
erheblichsten Umgestaltungen ... zur <i>Folge haben muß</i>" (also noch nicht gehabt
|
|
hat), "so kann niemand mehr damit einverstanden sein als ich."</font></p>
|
|
|
|
<p>"Soll hingegen ausgedrückt werden, daß der Staat und die Staatsgewalt ihre
|
|
rechtliche Begründung verloren haben, daß ein <i>gewaltsamer Umsturz der bestehenden
|
|
Gewalt stattgefunden</i> ... dann protestiere ich gegen eine solche Auslegung."</p>
|
|
|
|
<p>Herr Camphausen suchte bisher sein Hauptverdienst darin, den abgerissenen Faden der
|
|
Gesetzlichkeit wieder angeknüpft zu haben; jetzt behauptet er, er sei nie zerrissen
|
|
gewesen. Die Tatsachen mögen ihn ins Gesicht schlagen; das Dogma von der ununterbrochenen
|
|
gesetzlichen Übertragung der Gewalt von Bodelschwingh bis auf Camphausen kann sich nicht
|
|
um die Tatsachen kümmern.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Soll angedeutet werden, daß wir uns am Eingange von Zuständen
|
|
befinden, wie wir sie aus der Geschichte der englischen Revolution im 17., der
|
|
französischen im 18. Jahrhundert kennen, Zuständen, deren Ende das ist, daß die
|
|
Gewalt in die Hände eines Diktators übergeht",</font></p>
|
|
|
|
<p>so muß Herr Camphausen ebenfalls protestieren.</p>
|
|
|
|
<p>Unser denkender Geschichtsfreund durfte natürlich die Gelegenheit nicht
|
|
vorübergehen lassen, bei der Berliner Revolution diejenigen Reflexionen an den Mann zu
|
|
bringen, die der deutsche Bürger um so mehr zu hören liebt, je öfter er sie im
|
|
Rotteck gelesen hat. Die Berliner Revolution darf schon deshalb keine Revolution gewesen sein,
|
|
weil sie sonst einen Cromwell oder Napoleon zu erzeugen genötigt wäre, wogegen Herr
|
|
Camphausen protestiert.</p>
|
|
|
|
<p>Herr Camphausen erlaubt schließlich seinen Vereinbarern, "ihre <i>Gefühle</i>
|
|
für die Opfer eines <i>verhängnisvollen Zusammenstoßes</i> auszudrücken",
|
|
bemerkt aber, daß hier "wesentliches und vieles auf den Ausdruck ankomme", und
|
|
wünscht die ganze Sache einer Kommission überwiesen zu sehen.</p>
|
|
|
|
<p>Nach einem neuen reglementarischen Zwischenfall tritt endlich ein Redner auf, der es
|
|
versteht, Herzen und Nieren in Bewegung zu setzen, weil er der Sache auf den Grund geht. Es ist
|
|
Se. Hochwürden der Herr Pastor <i>Müller</i> aus Wohlau, der für den
|
|
Schulzeschen Zusatz auftritt. Der Herr Pastor <a name="S72"><b><72></b></a> will die
|
|
Versammlung "<i>nicht lange aufhalten,</i> sondern nur <i>einen</i> sehr <i>wesentlichen</i>
|
|
Punkt zur Sprache bringen".</p>
|
|
|
|
<p>Zu diesem Zweck unterbreitet der Herr Pastor der Versammlung folgende Frage:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Der Antrag hat uns auf das <i>sittliche</i> Gebiet geführt, und nehmen
|
|
wir ihn nicht in seiner <i>Oberfläche</i>" (wie macht man es, eine Sache <i>in</i> ihrer
|
|
Oberfläche zu nehmen?), "sondern in seiner <i>Tiefe</i>" (es gibt eine leere Tiefe, wie es
|
|
eine leere Breite gibt), "so werden wir nicht umhin können, wie schwierig diese
|
|
Betrachtung auch sein mag, anzuerkennen, daß es sich um nichts weniger und nichts mehr
|
|
handelt als um die sittliche Anerkennung des Aufstandes; <i>und ich frage darum</i>: <i>Ist ein
|
|
Aufstand sittlich oder ist er es nicht</i>?"</font></p>
|
|
|
|
<p>Es handelt sich nicht um eine politische Parteifrage, sondern um etwas unendlich
|
|
Wichtigeres: um ein theologisch-philosophisch-moralisches Problem. Die Versammlung hat mit der
|
|
Krone keine Verfassung, sondern ein System der Moralphilosophie zu vereinbaren. "Ist ein
|
|
Aufstand sittlich oder nicht?" Darauf kommt alles an. Und was antwortete der Herr Pastor der
|
|
vor Spannung atemlosen Versammlung?</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"<i>Ich glaube aber nicht,</i> daß <i>wir in dem Fall sind,</i> dieses
|
|
hohe sittliche Prinzip hier <i>entscheiden zu müssen</i>."!!</font></p>
|
|
|
|
<p>Der Herr Pastor ist der Sache bloß auf den Grund gegangen, um zu erklären,
|
|
daß er keinen Grund finden kann.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Es ist der Gegenstand des Nachdenkens vieler <i>tiefsinnigen</i> Männer
|
|
gewesen, und sie sind darüber doch zu <i>keiner bestimmten Entscheidung</i> gelangt. Wir
|
|
werden diese Klarheit auch im Laufe einer raschen Debatte nicht erlangen."</font></p>
|
|
|
|
<p>Die Versammlung ist wie niedergedonnert. Der Herr Pastor stellt ihr ein sittliches Problem
|
|
mit schneidender Schärfe und mit allem Ernst, den der Gegenstand erfordert; er stellt es
|
|
ihr, um ihr sodann zu erklären, das Problem sei nicht zu lösen. Den Vereinbarern
|
|
mußte in dieser beklemmenden Lage zu Mute sein, als ständen sie wirklich schon "auf
|
|
dem Boden der Revolution".</p>
|
|
|
|
<p>Es war aber weiter nichts als ein einfaches seelsorgliches Manöver des Herrn Pastors,
|
|
um die Versammlung zur Buße zu leiten. Er hat ein Balsamtröpfchen bereit für
|
|
die Zerknirschten:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Ich glaube, daß es noch einen dritten Punkt der Betrachtung gibt, der
|
|
hier ins Auge gefaßt werden muß: Jene Opfer des 18. März <i>haben in einem
|
|
Zustande gehandelt, welcher eine sittliche Entscheidung nicht gestattet</i>."!!</font></p>
|
|
|
|
<p>Die Barrikadenkämpfer waren unzurechnungsfähig.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Fragen Sie mich aber, ob ich sie für <i>sittlich berechtigt</i> halte,
|
|
so antworte ich kräftig: '<i>Ja</i>!'"</font></p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S73"><73></a></b> Wir fragen: Wenn Gottes Wort vom Lande sich nach Berlin
|
|
wählen läßt, bloß um durch seine moralisierende Kasuistik das ganze
|
|
Publikum zu langweilen, ist das <i>sittlich</i> oder ist es <i>nicht sittlich</i>?</p>
|
|
|
|
<p>Abgeordneter <i>Hofer</i> protestiert gegen das Ganze in seiner Eigenschaft als pommerscher
|
|
Bauer.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Denn wer ist das Militär gewesen? Sind es nicht unsere Brüder und
|
|
Söhne gewesen? Beachten Sie wohl, welchen Eindruck es machen wird, wenn der Vater am Ufer
|
|
des Meeres (wendisch po more, d.h. Pommern) "hört, wie sein Sohn hier behandelt worden
|
|
ist!"</font></p>
|
|
|
|
<p>Das Militär mag sich betragen haben wie es will, es mag sich zum Werkzeug des infamsten
|
|
Verrats hergegeben haben - einerlei, es waren unsere pommerschen Jungen und darum ein
|
|
dreifaches Hurra für sie!</p>
|
|
|
|
<p>Abgeordneter <i>Schultz</i> aus Wanzleben: Meine Herren, die Berliner müssen anerkannt
|
|
werden. Ihr Mut ist unbegrenzt gewesen. Sie haben nicht nur die Furcht vor den Kanonen
|
|
überwunden.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Was will das heißen, die Furcht, von den <i>Kartätschen</i>
|
|
zerschmettert zu werden, wenn man dagegen die <i>Gefahr</i> erwägt, <i>als
|
|
Straßenunfug Treibende</i> mit harten, vielleicht entehrenden Strafen belegt zu werden!
|
|
Der <i>Mut</i>, der dazu gehört, <i>diesen</i> Kampf aufzunehmen, ist so erhaben,
|
|
daß selbst der Mut den offenen Kanonenschlünden gegenüber <i>dagegen gar
|
|
nicht</i> in Anschlag kommen kann!"</font></p>
|
|
|
|
<p>Die Deutschen haben also vor 1848 keine Revolution gemacht, weil sie sich vor dem
|
|
Polizeikommissär fürchteten.</p>
|
|
|
|
<p>Minister <i>Schwerin</i> tritt auf, um zu erklären, er werde abtreten, wenn der
|
|
Vorschlag von Berends angenommen werde.</p>
|
|
|
|
<p><i>Elsner</i> und <i>Reichenbach</i> sprechen gegen den Zusatz von Schulze.</p>
|
|
|
|
<p><i>Dierschke</i> bemerkt, die Revolution müsse anerkannt werden, weil "der Kampf der
|
|
sittlichen Freiheit noch nicht abgeschlossen" und weil die Versammlung ebenfalls "durch die
|
|
sittliche Freiheit berufen" sei.</p>
|
|
|
|
<p><i>Jacoby</i> verlangte "volle Anerkennung der Revolution mit allen ihren Folgen". Seine
|
|
Rede war die beste der ganzen Sitzung.</p>
|
|
|
|
<p>Endlich freuen wir uns, nach soviel Moral, Langweile, Unentschiedenheit und Versöhnung,
|
|
unseren <i>Hansemann</i> auf die Tribüne steigen zu sehen. Jetzt endlich hören wir
|
|
doch etwas Entschiedenes, etwas, das Hand und Fuß hat - aber nein, auch Herr Hansemann
|
|
tritt heute mild, vermittelnd auf. Er hat seine Gründe dazu, er tut nichts, ohne seine
|
|
Gründe zu haben. Er sieht, daß die Versammlung schwankt, daß die Abstimmung
|
|
unsicher, daß das rechte Amendement noch nicht gefunden ist. Er will die Debatte vertagt
|
|
wissen.</p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S74"><74></a></b> Zu diesem Zweck bietet er alle seine Kräfte an,
|
|
möglichst sanftmütig zu sprechen. Die Tatsache ist da, sie ist unbestritten. Nur
|
|
nennen die einen sie Revolution, die andern "große Tatsachen". Wir dürfen</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"nicht vergessen, daß hier nicht eine <i>Revolution</i> stattgefunden
|
|
hat wie in Paris, wie früher in England, sondern daß hier eine <i>Transaktion</i>
|
|
zwischen der Krone und dem Volke stattgefunden hat" (eine sonderbare Transaktion mit
|
|
Kartätschen und Büchsenkugeln!). "Gerade nun, weil wir" (Minister) "in gewisser
|
|
Beziehung gegen das Wesen <i>der Sache</i> keine Einwendung machen, auf der andern Seite aber
|
|
der Ausdruck so zu wählen ist, daß die Basis der Regierung, auf welcher wir stehen,
|
|
möglich bleibe" -</font></p>
|
|
|
|
<p>deswegen möge die Debatte vertagt werden, damit die Minister sich beraten
|
|
können.</p>
|
|
|
|
<p>Was muß es unserem Hansemann gekostet haben, solche Wendungen zu machen und zuzugeben,
|
|
die "Basis", auf der die Regierung stehe, sei so schwach, daß sie durch einen "Ausdruck"
|
|
umgestoßen werden könne! Es entschädigte ihn nur der Genuß, die Sache
|
|
wieder zur <i>Kabinettsfrage</i> machen zu können.</p>
|
|
|
|
<p>Die Debatte wurde also vertagt.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 17 vom 17. Juni 1848]</font></p>
|
|
|
|
<p><i>Köln</i>, 14. Juni. - <i>Zweiter Tag</i>. - Die Debatte beginnt wieder mit langen
|
|
reglementarischen Verhandlungen. Nach ihrer Beseitigung tritt</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Zachariä</i> auf. Er hat das Amendement vorzuschlagen, das die Versammlung aus
|
|
der Klemme retten soll. Das große ministerielle Wort ist gefunden. Es lautet:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Die Versammlung geht, in Erwägung, daß die hohe Bedeutung der
|
|
großen Märzereignisse, denen wir in Verbindung mit der königl[ichen]
|
|
Zustimmung" (die selbst ein "Märzereignis" war, wenn auch kein "großes") "den
|
|
gegenwärtigen staatsrechtlichen Zustand verdanken, auch das Verdienst der Kämpfer um
|
|
dieselbe" (um die königl[iche] Zustimmung nämlich) "unbestritten ist (!!) und
|
|
überdies die Versammlung ihre Aufgabe nicht darin erkennt, Urteile abzugeben" (die
|
|
Versammlung soll erklären, sie habe kein Urteil!), "sondern <i>die Verfassung mit der
|
|
Krone zu vereinbaren</i>, zur Tagesordnung über."</font></p>
|
|
|
|
<p>Dieser konfuse, haltlose, nach allen Seiten Bücklinge schneidende Antrag, von dem Herr
|
|
Zachariä sich schmeichelt, daß "ein jeder, selbst Herr Berends, <i>alles</i> darin
|
|
finden wird, <i>was er nur immer</i> in dem guten Sinne, in welchem der Antrag von ihm gestellt
|
|
wurde, <i>hat beabsichtigen können</i>", dieser süßsäuerliche Brei, das
|
|
ist also der "Ausdruck", auf dessen "Basis" das Ministerium Camphausen "steht" und stehen
|
|
kann.</p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S75"><75></a></b> Herr Pastor <i>Sydow</i> aus Berlin, aufgemuntert durch
|
|
den Erfolg seines Collega Müller, tritt auch auf die Kanzel. Die sittliche Frage geht ihm
|
|
im Kopf herum. Was Müller nicht konnte, wird <i>er</i> lösen können.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Meine Herren, erlauben Sie mir an dieser Stelle <i>gleich</i>" (nachdem er
|
|
schon eine halbe Stunde gepredigt) "das zu sagen, wozu das Pflichtgefühl mich treibt: Wenn
|
|
die Debatte fortgeht, dann darf nach meiner Meinung keiner schweigen, bis er sich seiner
|
|
Gewissenspflicht entledigt hätte. (Bravo!)</font></p>
|
|
|
|
<p>Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. <i>Meine Ansicht</i> von einer Revolution
|
|
ist die (zur Sache! zur Sache!), daß, wo eine Revolution vorkommt, sie nur das Symptom
|
|
der Schuld auf beiden Seiten ist, der Regierenden wie der Regierten. Dies" (diese Plattheit,
|
|
die wohlfeilste Manier, die Sache abzumachen) "ist die <i>höhere sittliche Ansicht</i> der
|
|
Sache, und (!) greifen wir nicht dem <i>christlich-sittlichen Urteil</i> der Nation vor." (Wozu
|
|
glauben denn die Herren, daß sie da sind?) (Aufregung. Zur Tagesordnung!)</p>
|
|
|
|
<p>"Aber meine Herren", fährt der unerschütterliche Streiter der höheren
|
|
sittlichen Ansicht und des unvorgreiflichen christlich-sittlichen Urteils der Nation fort, "ich
|
|
bin nicht der Meinung, daß nicht Zeiten kommen können, wo die politische Notwehr (!)
|
|
eines Volks mit der Notwendigkeit eines Naturereignisses hereinbricht, und ... dann bin ich der
|
|
Meinung, daß der <i>Einzelne</i> daran auf <i>völlig sittliche Weise teilnehmen
|
|
kann</i>." (Dank der Kasuistik, wir sind gerettet!) "<i>Freilich auch möglicherweise auf
|
|
unsittliche Weise</i>, das ist dann seinem Gewissen zu überlassen."!!</p>
|
|
|
|
<p>Die Barrikadenkämpfer gehören nicht vor die soi-disant <sogenannte>
|
|
Nationalversammlung, sie gehören vor den Beichtstuhl. Damit ist die Sache erledigt.</p>
|
|
|
|
<p>Herr Pastor <i>Sydow</i> erklärt noch, daß er "Mut" hat, spricht des breiteren
|
|
über Volkssouveränetät vom Standpunkte der höhern sittlichen Ansicht, wird
|
|
noch dreimal durch ungeduldigen Lärm unterbrochen und geht auf seinen Platz mit dem
|
|
freudigen Bewußtsein, sich seiner Gewissenspflicht entledigt zu haben. Die Welt
|
|
weiß nun, welcher Meinung der Pastor Sydow ist und welcher Meinung er nicht ist.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Plönnis</i> erklärt, man solle die Sache fallenlassen. Eine mit soviel
|
|
Amendements und Unteramendements, mit soviel Debatten und Hakeleien totmüde gehetzte
|
|
Erklärung habe doch keinen Wert mehr. Herr Plönnis hat recht. Er konnte aber der
|
|
Versammlung keinen schlimmeren Dienst tun, als indem er auf diesen Umstand, auf diesen Beweis
|
|
von der Feigheit so vieler Mitglieder beider Seiten aufmerksam machte.</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Reichensperger</i> aus Trier:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Wir sind nicht hier, um Theorien zu bauen und <i>Geschichte zu
|
|
dekretieren</i>, wir sollen womöglich <i>Geschichte machen</i>."</font></p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S76"><76></a></b> Keineswegs! Durch die Annahme der motivierten
|
|
Tagesordnung beschließt die Versammlung, daß sie im Gegenteil da ist, <i>Geschichte
|
|
ungeschehen zu machen</i>. Allerdings auch eine Manier, "Geschichte zu machen".</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Ich erinnere an den Ausspruch Vergniauds, daß die Revolution daran
|
|
ist, ihre eignen Kinder zu verschlingen."</font></p>
|
|
|
|
<p>Leider nein! Sie ist vielmehr daran, von ihren eignen Kindern verschlungen zu werden!</p>
|
|
|
|
<p>Herr <i>Riedel</i> hat entdeckt, daß unter dem Berendsschen Antrage "<i>nicht allein
|
|
das verstanden werden soll</i>, <i>was die Worte einfach sagen,</i> sondern sich darunter ein
|
|
Prinzipienstreit verbirgt". Und dieses Opfer der "höheren sittlichen Ansicht" ist geheimer
|
|
Archivrat und Professor!</p>
|
|
|
|
<p>Wiederum schreitet ein hochehrwürdiger Herr Pfarrer auf die Bühne zu. Es ist Herr
|
|
<i>Jonas</i>, der Berliner Damenprediger. Er scheint die Versammlung auch wirklich für ein
|
|
Auditorium von Töchtern gebildeter Stände versehen zu haben. Mit der ganzen
|
|
prätentiösen Breitspurigkeit eines echten Schleiermacherianers predigt er eine
|
|
endlose Reihe der plattesten Gemeinplätze über den so höchst wichtigen
|
|
Unterschied von Revolution und Reformation. Ehe er nur die Einleitung seiner Predigt beendet,
|
|
war er dreimal unterbrochen; endlich platzte er hervor mit dem großen Satze:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Die Revolution ist etwas, was unsrem gegenwärtigen religiösen und
|
|
sittlichen Bewußtsein schnurstracks widerspricht. Eine Revolution ist eine Tat, die
|
|
für groß und herrlich wohl galt im alten Griechen- und Römertum, aber im
|
|
Christentum ..." (Heftige Unterbrechung. Allgemeines Durcheinander. Esser, Jung, Elsner, der
|
|
Vorsitzende und zahllose Stimmen mischen sich in die Debatte. Endlich kommt der beliebte
|
|
Kanzelredner wieder zu Wort.)</font></p>
|
|
|
|
<p>"Jedenfalls bestreite ich der Versammlung das Recht, über religiöse und sittliche
|
|
Prinzipien abzustimmen; über solche kann keine Versammlung abstimmen" (? und das
|
|
Konsistorium, die Synode?). "Dekretieren wollen oder erklären, die Revolution sei ein
|
|
hohes, sittliches Vorbild oder irgend etwas anderes" (also überhaupt irgend etwas), "dies
|
|
kommt mir gerade so vor, als wollte die Versammlung beschließen, es sei ein Gott oder es
|
|
sei kein Gott, oder mehrere."</p>
|
|
|
|
<p>Da haben wir's. Der Damenprediger hat die Frage glücklich wieder aufs Gebiet der
|
|
"höheren sittlichen Ansicht" gezogen, und jetzt gehört sie natürlich nur vor die
|
|
protestantischen Konzilien, vor die Katechismusfabrikanten der Synode.</p>
|
|
|
|
<p>Gottlob! Nach all diesem Sittlichkeitsqualm tritt endlich unser Hansemann auf. Bei diesem
|
|
praktischen Geist sind wir vor der "höheren sittlichen Ansicht" vollständig sicher.
|
|
Herr <i>Hansemann</i> beseitigt den ganzen moralischen Standpunkt mit der einen wegwerfenden
|
|
Bemerkung:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2"><b><a name="S77"><77></a></b> "Haben wir, frage ich Sie, Muße
|
|
genug, uns in solche Prinzipienkämpfe einzulassen?"</font></p>
|
|
|
|
<p>Herr Hansemann erinnert sich, daß gestern ein Abgeordneter von brotlosen Arbeitern
|
|
sprach. Herr Hansemann benutzt diese Bemerkung zu einer geschickten Wendung. Er spricht von der
|
|
Not der arbeitenden Klasse, bedauert ihr Elend und fragt:</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Was ist die Ursache der allgemeinen Not? Ich glaube ... ein jeder trägt
|
|
das Gefühl in sich, daß noch keine Gewißheit für etwas Bestehendes
|
|
gegeben ist, solange unsre staatsrechtlichen Zustände noch nicht geordnet
|
|
sind."</font></p>
|
|
|
|
<p>Herr Hansemann spricht hier aus voller Seele. Das Vertrauen muß wiederhergestellt
|
|
werden! ruft er aus - und das beste Mittel zur Wiederherstellung des Vertrauens ist die
|
|
Verleugnung der Revolution. Und nun ergeht sich der Redner des Ministeriums, das "keine
|
|
Reaktion sieht", in einer schreckenerregenden Schilderung der Wichtigkeit der freundlichen
|
|
Gesinnungen der Reaktion.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">"Ich beschwöre Sie, die Eintracht unter <i>allen Klassen</i> zu
|
|
fördern" (indem man den Klassen, die die Revolution gemacht haben, einen Schimpf antut!);
|
|
"ich beschwöre Sie, die Eintracht zwischen Volk und Heer zu fördern; bedenken Sie,
|
|
daß auf dem Heere unsre Hoffnungen beruhen, unsre Unabhängigkeit zu behaupten" (! in
|
|
Preußen, wo jeder Soldat ist!); "bedenken Sie, in welchen schwierigen Verhältnissen
|
|
wir uns befinden - ich brauche Ihnen das nicht weiter auseinanderzusetzen, der <i>aufmerksame
|
|
Zeitungsleser</i>" (und das sind die Herren gewiß alle) "wird <i>anerkennen,</i>
|
|
daß diese Verhältnisse schwierig, <i>höchst schwierig</i> sind. In diesem
|
|
Augenblick nun eine Erklärung abzugeben, durch welche eine <i>Saat der Zwietracht</i> ins
|
|
Land gebracht wird, halte ich nicht für geeignet ... Deshalb, meine Herren,
|
|
<i>versöhnen</i> Sie die Parteien, nehmen Sie keine Frage auf, wodurch Sie <i>die Gegner
|
|
provozieren</i>, denn das <i>würde gewiß geschehen</i>. Es würde eine Annahme
|
|
des Antrags <i>die traurigsten Folgen</i> haben können."</font></p>
|
|
|
|
<p>Wie mögen die Reaktionäre gelächelt haben, als sie sahen, wie der sonst so
|
|
resolute Hansemann nicht nur die Versammlung, sondern sogar sich selbst in die Angst
|
|
hineinredete!</p>
|
|
|
|
<p>Dieser Appell an die Furcht der großen Bourgeois, Advokaten und Schulmeister der
|
|
Kammer wirkte mehr als alle gefühlvollen Phrasen von der "höheren sittlichen
|
|
Ansicht". Die Sache war entschieden. D'Ester warf sich noch ins Gefecht, um die Wirkung zu
|
|
vereiteln, aber vergebens; die Debatte wurde geschlossen, und 196 gegen 177 Stimmen nahmen die
|
|
Zachariäsche motivierte Tagesordnung an.</p>
|
|
|
|
<p>Die Versammlung sprach sich damit selbst das Urteil, daß sie kein Urteil habe.</p>
|
|
|
|
<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
|
|
</body>
|
|
</html>
|
|
|