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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Friedrich Engels - Bewegung in Deutschland</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak61.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 238-241.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 20.09.1998</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels </H2>
<H1>Bewegung in Deutschland </H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben Ende Januar 1861.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New York Daily Tribune" Nr. 6178 vom 12. Februar 1861, Leitartikel] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S238">&lt;238&gt;</A></B> Das Jahr 1861 hat, wie es scheint, noch nicht genug Unruhe gebracht. Wir haben unsere Sezessionsrevolution in Amerika; da ist der Aufstand in China; das Vorgehen Ru&szlig;lands in Ost- und Zentralasien; die &ouml;stliche Frage mit ihren Korollarien der franz&ouml;sischen Besetzung Syriens und des Suezkanals, die Aufl&ouml;sung &Ouml;sterreichs, mit Ungarn in fast offener Insurrektion; die Belagerung von Gaeta und Garibaldis Versprechen, Venedig am 1. M&auml;rz zu befreien, und nicht zuletzt der Versuch, Marschall Mac-Mahon auf seinen angestammten Thron in Irland zu bringen. Aber alles dies ist noch nicht genug. Man l&auml;&szlig;t uns jetzt au&szlig;erdem einen vierten Schleswig-Holsteinischen Krieg erwarten. </P>
<P>Der K&ouml;nig von D&auml;nemark war 1851 Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich gegen&uuml;ber freiwillig gewisse Verpflichtungen hinsichtlich Schleswigs eingegangen. Er versprach, da&szlig; das Herzogtum nicht D&auml;nemark einverleibt werden und sein Repr&auml;sentantenhaus von dem D&auml;nemarks getrennt bleiben sollte, sowie da&szlig; die deutsche und die d&auml;nische Nationalit&auml;t in Schleswig gleichen Schutz genie&szlig;en sollten. Au&szlig;erdem wurden, soweit es Holstein betrifft, die Rechte seiner Provinzialst&auml;nde ausdr&uuml;cklich garantiert. Unter diesen Bedingungen wurden die Bundestruppen, die Holstein besetzt hatten, zur&uuml;ckgezogen. Die d&auml;nische Regierung versuchte durch Winkelz&uuml;ge der Erf&uuml;llung ihrer Versprechen auszuweichen. In Schleswig ist die s&uuml;dliche H&auml;lfte ausschlie&szlig;lich deutsch; in der n&ouml;rdlichen H&auml;lfte sind alle St&auml;dte deutsch, w&auml;hrend die Landbev&ouml;lkerung einen verderbten d&auml;nischen Dialekt spricht, und die Schriftsprache ist seit undenklichen Zeiten fast &uuml;berall deutsch. Mit Zustimmung der Bev&ouml;lkerung hat dort seit Jahrhunderten ein so starker Germanisierungsproze&szlig; stattgefunden, da&szlig; mit Ausnahme der n&ouml;rdlich- <A NAME="S239"><B>&lt;239&gt;</A></B> sten Grenzbezirke sogar der Teil der Landbev&ouml;lkerung, der einen d&auml;nischen Dialekt spricht (welcher jedoch, dem Schriftd&auml;nisch sehr fern, den deutschen Einwohnern des S&uuml;dteils leicht verst&auml;ndlich ist), das Schrifthochdeutsch besser versteht als die d&auml;nische Schriftsprache. Nach 1851 teilte die Regierung das Land in einen d&auml;nischen, einen deutschen und einen gemischten Distrikt. Im deutschen Distrikt sollte Deutsch, im d&auml;nischen Distrikt D&auml;nisch die ausschlie&szlig;liche offizielle Sprache der Regierung, des Gerichts, der Kanzel und der Schule sein. In den gemischten Distrikten sollten beide Sprachen gleichberechtigt zugelassen sein. Das scheint ganz gerecht, aber in Wahrheit wurde bei der Errichtung des d&auml;nischen Distrikts die d&auml;nische Schriftsprache einer Bev&ouml;lkerung aufgezwungen, deren gro&szlig;e Mehrheit sie nicht einmal verstand und die w&uuml;nschte, da&szlig; Regierung, Gerichtsverfahren, Erziehung, Taufe und Verheiratung auf deutsch vor sich gehen sollten. Die Regierung er&ouml;ffnete jedoch einen regelrechten Kreuzzug zur Ausrottung aller Spuren des Deutschtums aus dem Distrikt, verbot sogar Privatunterricht in der Familie in nichtd&auml;nischer Sprache und versuchte gleichzeitig durch nicht ganz reelle Methoden der d&auml;nischen Sprache das &Uuml;bergewicht in dem gemischten Bezirk zu geben. Die durch diese Ma&szlig;nahmen hervorgerufene Opposition war sehr heftig, und es wurde der Versuch unternommen, sie durch eine Anzahl kleinlicher Gewaltma&szlig;nahmen zu unterdr&uuml;cken. Der kleinen Stadt Eckernf&ouml;rde wurden zum Beispiel einmal Geldstrafen von 4.000 Dollar auferlegt f&uuml;r das Vergehen, unerlaubte Petitionen an das Repr&auml;sentantenhaus gestellt zu haben; und allen Parteien, denen Geldstrafen auferlegt worden waren, wurde gleich<I> Str&auml;flingen</I> erkl&auml;rt, da&szlig; ihnen das Stimmrecht entzogen sei. Die Bev&ouml;lkerung und das Repr&auml;sentantenhaus jedoch beharrten und beharren noch in ihrer Opposition. </P>
<P>In Holstein war es der d&auml;nischen Regierung unm&ouml;glich, die Provinzialst&auml;nde zu veranlassen, Steuern zu bewilligen, wenn sie nicht im politischen und nationalen Sinne Zugest&auml;ndnisse machte. Die d&auml;nische Regierung wollte weder Zugest&auml;ndnisse machen, noch wollte sie auf die Eink&uuml;nfte aus dem Herzogtum verzichten. Um daher eine rechtliche Grundlage zu schaffen, auf Grund deren Steuern erhoben werden konnten, berief man einen Rat des K&ouml;nigreichs, eine Versammlung ohne jeglichen Repr&auml;sentativcharakter, angeblich dazu bestimmt, D&auml;nemark selbst, Schleswig-Holstein und Lauenburg zu repr&auml;sentieren. Obgleich die Holsteiner die Teilnahme verweigerten, bewilligte diese K&ouml;rperschaft die Steuern f&uuml;r das ganze K&ouml;nigreich, und auf Grund dieses Beschlusses setzte die Regierung die in Holstein zu zahlenden Steuern fest. So wurde Holstein, das ein unabh&auml;ngiges und <A NAME="S240"><B>&lt;240&gt;</A></B> separates Herzogtum sein sollte, aller politischen Unabh&auml;ngigkeit beraubt und einer vorwiegend d&auml;nischen Kammer untertan gemacht. </P>
<P>Aus diesem Grunde hat die deutsche Presse in den letzten f&uuml;nf oder sechs Jahren die deutschen Regierungen aufgefordert, Zwangsma&szlig;nahmen gegen D&auml;nemark zu ergreifen. Die Gr&uuml;nde an sich sind gewi&szlig; gut. Aber die deutsche Presse - und zwar die Presse, welche in der reaktion&auml;ren Periode nach 1849 existieren durfte - benutzte Schleswig-Holstein lediglich als Mittel f&uuml;r ihre Popularit&auml;t. Es war in der Tat sehr billig, sich h&ouml;chst entr&uuml;stet gegen die D&auml;nen zu zeigen, w&auml;hrend sie es den Regierungen von Deutschland erlaubten - jenen Regierungen, die zu Hause versuchten, D&auml;nemark in kleinlicher Tyrannei nachzueifern. Krieg gegen D&auml;nemark schrie man, als der Krimkrieg ausbrach, Krieg gegen D&auml;nemark wiederum, als Louis-Napoleon in das &ouml;sterreichische Italien einfiel. Nun, jetzt wird man seinen Willen haben. Die "Neue &Auml;ra" in Preu&szlig;en, bisher so zur&uuml;ckhaltend, wenn sie von der liberalen Presse angesprochen wurde, stimmt in diesem Falle mit ihr &uuml;berein. Der neue K&ouml;nig von Preu&szlig;en verk&uuml;ndet der Welt, da&szlig; er diesem alten Mi&szlig;stand abhelfen m&uuml;sse; der altersschwache Bundestag in Frankfurt setzt seine ganze schwerf&auml;llige Maschinerie in Bewegung f&uuml;r die Rettung der deutschen Nationalit&auml;t, und die liberale Presse triumphiert? Keineswegs. Die liberale Presse, nun pl&ouml;tzlich auf die Probe gestellt, nimmt ihre Worte zur&uuml;ck und schreit "Vorsicht!", entdeckt, da&szlig; Deutschland keine Flotte hat, mit der es gegen die Schiffe einer Seemacht k&auml;mpfen k&ouml;nnte, und zeigt besonders in Preu&szlig;en alle Symptome der Feigheit. Was vor einigen Monaten eine dringende patriotische Pflicht war, ist jetzt ganz pl&ouml;tzlich eine &ouml;sterreichische Intrige, und Preu&szlig;en wird gewarnt, nicht darauf einzugehen. </P>
<P>Da&szlig; die deutschen Regierungen in ihrem pl&ouml;tzlichen Enthusiasmus f&uuml;r die Sache Schleswig-Holsteins unaufrichtig sind, steht nat&uuml;rlich au&szlig;er Frage. Wie das d&auml;nische "Dagbladet" sagt: </P>
<FONT SIZE=2><P>"Wir alle wissen, da&szlig; es einer der alten Tricks der deutschen Regierungen ist, die Schleswig-Holstein-Frage aufzugreifen, sobald sie ein wenig Popularit&auml;t ben&ouml;tigen und ihre eigenen mannigfachen S&uuml;nden zu verdecken w&uuml;nschen, indem sie Wechsel auf die Stimmung gegen D&auml;nemark ziehen." </P>
</FONT><P>Dies ist entschieden der Fall in Sachsen und bis zu einem gewissen Grade jetzt auch in Preu&szlig;en. Aber in Preu&szlig;en kennzeichnet das pl&ouml;tzliche Aufwerfen dieser Frage offensichtlich auch ein B&uuml;ndnis mit &Ouml;sterreich. Die preu&szlig;ische Regierung sieht, da&szlig; &Ouml;sterreich von innen her zerf&auml;llt, w&auml;hrend es von au&szlig;en durch einen Krieg mit Italien bedroht ist. Es liegt <A NAME="S241"><B>&lt;241&gt;</A></B> gewi&szlig; nicht im Interesse der preu&szlig;ischen Regierung, &Ouml;sterreich vernichtet zu sehen. Gleichzeitig w&uuml;rde der italienische Krieg, dem gegen&uuml;ber Louis-Napoleon nicht lange ein unbeteiligter Zuschauer bleiben w&uuml;rde, kaum wieder vor sich gehen, ohne das Territorium des Deutschen Bundes zu ber&uuml;hren; in diesem Falle w&auml;re Preu&szlig;en verpflichtet einzugreifen. Au&szlig;erdem w&uuml;rde der Krieg gegen Frankreich am Rhein sicherlich verbunden werden mit einem d&auml;nischen Krieg an der Eider; und wenn die preu&szlig;ische Regierung es sich nicht leisten kann, da&szlig; &Ouml;sterreich zusammenbricht, warum dann warten, bis &Ouml;sterreich wieder geschlagen wird? Warum nicht eingreifen in den Streit um Schleswig-Holstein und dadurch ganz Norddeutschland, das nicht f&uuml;r die Verteidigung Venetiens k&auml;mpfen w&uuml;rde, am Kriege interessieren? Wenn dies die Erw&auml;gungen der preu&szlig;ischen Regierung sind, so sind sie durchaus logisch, aber sie waren genau so logisch im Jahre 1859, ehe &Ouml;sterreich durch Magenta und Solferino und durch seine inneren Ersch&uuml;tterungen geschw&auml;cht wurde. Warum hat man damals nicht entsprechend gehandelt? </P>
<P>Es ist durchaus nicht sicher, da&szlig; dieser gro&szlig;e Krieg im n&auml;chsten Fr&uuml;hjahr stattfinden wird. Aber wenn er stattfindet, mu&szlig; er, obwohl keine Partei Sympathie verdient, als Resultat eine Revolution haben, ganz gleich wer am Anfang geschlagen wird. Wenn Louis-Napoleon unterl&auml;ge, w&uuml;rde sein Thron sicherlich st&uuml;rzen, und wenn der K&ouml;nig von Preu&szlig;en und der Kaiser von &Ouml;sterreich geschlagen w&uuml;rden, m&uuml;&szlig;ten sie vor einer deutschen Revolution weichen. </P>
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