emacs.d/clones/www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_731.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

32 lines
24 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - IV. 1</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_727.htm"><FONT SIZE=2>III. 4</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_739.htm"><FONT SIZE=2>IV. 2</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 731-739.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">IV<BR>
<I>Lohnarbeit<BR>
</I>1</P>
</FONT><B><P><A NAME="S731">|731|</A></B> Alle Waren tauschen sich gegeneinander aus nach ihrem Wert, das hei&szlig;t nach der in ihnen enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Spielt das Geld die Rolle des Vermittlers, so &auml;ndert das an dieser Grundlage des Austausches der Waren nichts: Das Geld ist selbst nur der nackte Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeit, und die Menge des Werts, die in jeder Ware steckt, wird ausgedr&uuml;ckt durch die Menge Geld, f&uuml;r die die Ware verkauft wird. Auf Grund dieses Wertgesetzes herrscht zwischen den Waren auf dem Markt vollkommene Gleichheit. Und es w&uuml;rde auch unter den Warenverk&auml;ufern v&ouml;llige Gleichheit herrschen, wenn nicht unter den <A NAME="S732"><B>|732|</A></B> Millionen von verschiedenen Warenarten, die &uuml;berall auf dem Markt zum Austausch gelangen, eine einzige Ware von ganz besonderer Beschaffenheit w&auml;re: die Arbeitskraft. Diese Ware wird von denjenigen auf den Markt gebracht, die selbst keine Produktionsmittel besitzen, um andere Waren zu produzieren. In einer Gesellschaft, die ausschlie&szlig;lich [auf] den Warenaustausch gegr&uuml;ndet ist, bekommt man, wie wir wissen, nichts anders als im Wege des Austauschs. Wir haben ja gesehen, da&szlig; die von jedermann auf den Markt gebrachte Ware der einzige Anspruchstitel dieses Menschen auf den Anteil an der gesellschaftlichen Produktenmasse ist und zugleich das Ma&szlig; dieses Anteils. Jeder Mensch kriegt in beliebigen Waren nach freier Wahl genausoviel von der Masse der in der Gesellschaft geleisteten Arbeit, wie er selbst an gesellschaftlich notwendiger Arbeit in Form von irgendeiner Ware liefert. Um also leben zu k&ouml;nnen, mu&szlig; jeder Mensch Waren liefern und verkaufen. Das Warenproduzieren und -verkaufen ist Existenzbedingung f&uuml;r den Menschen geworden. Wer keine Ware auf den Markt bringt, bekommt keine Existenzmittel. Aber zur Herstellung irgendeiner Ware geh&ouml;ren: Arbeitsmittel, Werkzeuge und dergleichen, ferner Rohstoffe und Hilfsstoffe, desgleichen eine Arbeitsst&auml;tte, eine Werkstatt mit den erforderlichen Bedingungen der Arbeit, wie Beleuchtung etc., endlich ein gewisses Quantum Lebensmittel, um w&auml;hrend der Dauer der Produktion und bis zum Verkauf der Ware aushalten zu k&ouml;nnen. Nur einige wenige geringf&uuml;gige Waren sind ohne Auslagen an Produktionsmitteln herzustellen: zum Beispiel die im Walde gesammelten Pilze oder Beeren, die Muscheln, die von den Bewohnern der Seeufer am Strande gesammelt werden. Aber auch hierf&uuml;r sind immer noch gewisse Produktionsmittel, wie K&ouml;rbe und dergleichen, n&ouml;tig und jedenfalls Lebensmittel, die w&auml;hrend dieser Arbeit die Existenz erm&ouml;glichen. Die meisten Warenarten jedoch erfordern in jeder Gesellschaft mit entwickelter Warenproduktion ganz bedeutende, zum Teil enorme Auslagen an Produktionsmitteln. Wer diese Produktionsmittel nicht hat, also keine Waren zu produzieren imstande ist, dem bleibt nichts &uuml;brig, als sich selbst, das hei&szlig;t seine eigene Arbeitskraft, als Ware auf den Markt zu bringen.</P>
<P>Wie jede andere Ware hat auch die Ware Arbeitskraft ihren bestimmten Wert. Der Wert jeder Ware wird, wie wir wissen, durch die Menge Arbeit bestimmt, die zu ihrer Herstellung erforderlich ist. Um die Ware Arbeitskraft herzustellen, ist gleichfalls eine bestimmte Menge Arbeit notwendig, n&auml;mlich diejenige Arbeit, die den Lebensunterhalt, die Nahrung, Kleidung usw. f&uuml;r den Arbeiter produziert. Soviel Arbeit also erforderlich <A NAME="S733"><B>|733|</A></B> ist, um den Menschen arbeitsf&auml;hig, um seine Arbeitskraft zu erhalten, soviel ist auch seine Arbeitskraft wert. Der Wert der Ware Arbeitskraft wird also dargestellt durch die Menge Arbeit, die zur Herstellung der Lebensmittel f&uuml;r den Arbeiter n&ouml;tig ist. Ferner: Wie bei jeder anderen Ware wird der Wert der Arbeitskraft auf dem Markt im Preis, das hei&szlig;t in Geld, eingesch&auml;tzt. Der Geldausdruck, das hei&szlig;t der Preis der Ware Arbeitskraft, hei&szlig;t Lohn. Bei jeder anderen Ware steigt der Preis, wenn die Nachfrage rascher w&auml;chst als das Angebot, und sinkt, wenn umgekehrt die Zufuhr der Ware gr&ouml;&szlig;er ist als die Nachfrage. Dasselbe bew&auml;hrt sich auch in bezug auf die Ware Arbeitskraft: Bei steigender Nachfrage nach Arbeitern haben die L&ouml;hne im allgemeinen die Tendenz zu steigen, nimmt die Nachfrage ab oder wird der Arbeitsmarkt mit frischer Ware &uuml;berf&uuml;llt, so zeigen L&ouml;hne eine Tendenz zum Sinken. Endlich, wie bei jeder anderen Ware, wird der Wert der Arbeitskraft, also mit ihr auch schlie&szlig;lich der Preis gr&ouml;&szlig;er, wenn die zu ihrer Herstellung n&ouml;tige Arbeitsmenge gr&ouml;&szlig;er wird: in diesem Fall, wenn die Lebensmittel des Arbeiters mehr Arbeit zu ihrer Produktion erfordern. Und umgekehrt f&uuml;hrt jede Ersparnis an der Arbeit, die zur Herstellung der Lebensmittel f&uuml;r den Arbeiter erforderlich ist, zur Herabdr&uuml;ckung des Wertes der Arbeitskraft, also auch ihres Preises, das hei&szlig;t des Arbeitslohns. "Man verringere die Produktionskosten von H&uuml;ten", schrieb David Ricardo im Jahre 1817 "und ihr Preis wird schlie&szlig;lich auf ihren neuen nat&uuml;rlichen Preis zur&uuml;ckgehen, obwohl sich die Nachfrage verdoppelt, verdreifacht oder vervierfacht haben mag. Man verringere die Unterhaltskosten der Arbeiter, indem man den nat&uuml;rlichen Preis der Nahrungsmittel und der Kleidung, die das Leben erhalten, senkt, und die L&ouml;hne werden schlie&szlig;lich sinken, trotzdem die Nachfrage nach Arbeitern sehr erheblich gestiegen sein mag."<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_731.htm#F1">[1]</A></A></P>
<P>Somit zeichnet sich die Ware Arbeitskraft auf dem Markte zun&auml;chst durch nichts von anderen Waren aus als etwa dadurch, da&szlig; sie von ihrem Verk&auml;ufer, dem Arbeiter, untrennbar ist und da&szlig; sie deshalb kein langes Warten auf den K&auml;ufer vertr&auml;gt, weil sie sonst zusammen mir ihrem Tr&auml;ger, dem Arbeiter, vor Mangel an Lebensmitteln zugrunde geht, w&auml;hrend die meisten anderen Waren eine mehr oder minder lange Wartezeit bis zum Verkauf an sich gut vertragen k&ouml;nnen. Die Besonderheit der Ware Arbeitskraft &auml;u&szlig;ert sich also noch nicht auf dem Markt, wo nur der Tauschwert eine Rolle spielt. Sie liegt anderswo - im Gebrauchswert dieser Ware. Jede Ware wird gekauft wegen des Nutzens, den sie im Gebrauch bringen <A NAME="S734"><B>|734|</A></B> kann. Stiefel werden gekauft, um als Fu&szlig;bekleidung zu dienen; eine Tasse wird gekauft, damit man aus ihr Tee trinkt. Zu was kann eine gekaufte Arbeitskraft dienen? Offenbar zum Arbeiten. Aber damit ist noch gar nichts gesagt. Arbeiten konnten und mu&szlig;ten die Menschen zu allen Zeiten, solange die menschliche Gesellschaft existiert, und doch vergingen ganze Jahrtausende, in denen die Arbeitskraft als k&auml;ufliche Ware etwas g&auml;nzlich Unbekanntes war. Andererseits stellen wir uns vor, da&szlig; der Mensch mit seiner vollen Arbeitskraft nur imstande w&auml;re, den eigenen Lebensunterhalt f&uuml;r sich selbst herzustellen, so w&auml;re der Kaut einer solchen Arbeitskraft, also die Arbeitskraft als Ware, eine Sinnlosigkeit. Denn falls jemand eine Arbeitskraft kauft und bezahlt, sie dann mit seinen eigenen Produktionsmitteln arbeiten l&auml;&szlig;t und schlie&szlig;lich im Resultat nur den Lebensunterhalt f&uuml;r den Tr&auml;ger seiner gekauften Ware, f&uuml;r den Arbeiter, erh&auml;lt, so liefe es darauf hinaus, da&szlig; der Arbeiter durch den Verkauf seiner Arbeitskraft nur die fremden Produktionsmittel kriegt, um mit ihnen f&uuml;r sich selbst zu arbeiten. Es w&auml;re dies vom Standpunkt des Warenaustausches ein ebenso sinnloses Gesch&auml;ft, wie wenn jemand Stiefel kaufen w&uuml;rde, um sie nachher dem Schuster als Geschenk zur&uuml;ckzugeben. W&uuml;rde die menschliche Arbeitskraft keinen anderen Gebrauch zulassen, dann h&auml;tte sie f&uuml;r den K&auml;ufer keinen Nutzen und k&ouml;nnte also nicht als Ware auf dem Markt erscheinen. Denn nur Produkte von bestimmtem Nutzen k&ouml;nnen als Waren figurieren. Damit also die Arbeitskraft &uuml;berhaupt als Ware erscheint, gen&uuml;gt es nicht, da&szlig; der Mensch arbeiten kann, wenn man ihm Produktionsmittel gibt, sondern da&szlig; er mehr arbeiten kann, als zur Herstellung seiner eigenen Existenzmittel notwendig ist. Er mu&szlig; nicht nur f&uuml;r seinen eigenen Unterhalt, sondern auch f&uuml;r den Kaufherrn seiner Arbeitskraft arbeiten k&ouml;nnen. Die Ware Arbeitskraft mu&szlig; also im Gebrauch, das hei&szlig;t bei der Arbeit, nicht blo&szlig; ihren eigenen Preis, das hei&szlig;t den Lohn, ersetzen k&ouml;nnen, sondern dar&uuml;ber hinaus auch noch Mehrarbeit f&uuml;r den K&auml;ufer liefern. Die Ware Arbeitskraft hat auch tats&auml;chlich diese angenehme Eigenschaft. Aber was hei&szlig;t das? Ist es etwa eine Natureigenschaft des Menschen oder des Arbeiters, da&szlig; er Mehrarbeit leisten kann? Nun, zur Zeit, wo die Menschen jahrelang eine Axt aus Stein machten oder Feuer durch stundenlanges Aneinanderreiben von zwei Holzst&uuml;cken erzeugten, wo sie zur Verfertigung eines einzigen Bogens mehrere Monate brauchten, h&auml;tte der schlauste und r&uuml;cksichtsloseste Unternehmer keine Mehrarbeit aus einem Menschen auspressen k&ouml;nnen. Es ist also eine gewisse H&ouml;he der Produktivit&auml;t der menschlichen Arbeit erforderlich, damit der Mensch &uuml;berhaupt Mehrarbeit leisten kann. Das hei&szlig;t die Werkzeuge, <A NAME="S735"><B>|735|</A></B> die Geschicklichkeit, das Wissen des Menschen, sein Herrschaft &uuml;ber die Naturkr&auml;fte m&uuml;ssen bereits eine gen&uuml;gende H&ouml;he er eicht haben, damit die Kraft eines Menschen imstande ist, nicht blo&szlig; die Lebensmittel f&uuml;r ihn selbst, sondern noch dar&uuml;ber hinaus. also eventuell f&uuml;r andere herstellen zu k&ouml;nnen. Diese Vollkommenheit der Werkzeuge, das Wissen, die gewisse Beherrschung der Natur wurden aber erst durch lange Jahrtausende qualvoller Erfahrung der menschlichen Gesellschaft erworben. Der Abstand von den ersten plumpen Steininstrumenten und der Entdeckung des Feuers bis zu den heutigen Dampf- und Elektrizit&auml;tsmaschinen bedeutet den ganzen gesellschaftlichen Entwicklungsgang der Menschheit, eine Entwicklung, die eben nur innerhalb der Gesellschaft, durch das gesellschaftliche Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Menschen m&ouml;glich war. Jene Produktivit&auml;t der Arbeit also, die der Arbeitskraft des heutigen Lohnarbeiters die angenehme Eigenschaft verleiht, Mehrarbeit zu leisten, ist nicht eine von der Natur gegebene, physiologische Besonderheit des Menschen, sondern sie ist eine <I>gesellschaftliche Erscheinung</I>, die Frucht einer langen Entwicklungsgeschichte. Die Mehrarbeit der Ware Arbeitskraft ist nur ein anderer Ausdruck f&uuml;r die Produktivit&auml;t der gesellschaftlichen Arbeit, die durch eines Menschen Arbeit mehrere Menschen zu erhalten vermag.</P>
<P>Die Produktivit&auml;t der Arbeit, besonders wo sie durch gl&uuml;ckliche Naturbedingungen schon auf primitiven Kulturstufen erm&ouml;glicht wird, f&uuml;hrt jedoch durchaus nicht immer und &uuml;berall zum Verkauf der Arbeitskraft und zu ihrer kapitalistischen Ausbeutung. Versetzen wir uns f&uuml;r einen Augenblick in jene begnadeten tropischen Gegenden Zentral- und S&uuml;damerikas, die nach der Entdeckung Amerikas und bis Anfang des 19. Jahrhunderts spanische Kolonien waren, jene Gegenden mit hei&szlig;em Klima und fruchtbarem Boden, wo die Bananen die Hauptnahrung der Bev&ouml;lkerung sind. "Ich glaube nicht", schrieb Humboldt, "da&szlig; es auf dem Erdboden noch eine andere Pflanze gibt, die auf einem so kleinen Fleck Bodens eine so ansehnliche Masse nahrhafter Substanz hervorbringt."<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_731.htm#F2">[2]</A></A> "Nach diesem Prinzip", berechnet v. Humboldt, "findet man die sehr merkw&uuml;rdige Tatsache, da&szlig; in einem besonders fruchtbaren Land ein halber Hektar Boden, der mit Bananen von der gro&szlig;en Gattung (Platano arton) angebaut ist, &uuml;ber f&uuml;nfzig Individuen n&auml;hren kann, da hingegen dieser n&auml;mliche Fleck Landes in Europa (das achte Korn angenommen) blo&szlig; 576 Kilogramm Weizenmehl, also nicht einmal Nahrung f&uuml;r zwei Perso- <A NAME="S736"><B>|736|</A></B> nen, geben w&uuml;rde."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_731.htm#F3">[3]</A></A> Dabei erfordert die Banane die geringste M&uuml;he vom Menschen, sie bedarf nur ein- oder zweimaliger leichter Aufr&uuml;ttelung der Erde um die Wurzeln. "Am Fu&szlig;e der Kordilleren, in den feuchten T&auml;lern der Intendantschaften von Veracruz, von Valladolid oder Guadalajara", sagt weiter Humboldt, "braucht ein Mann nur zwei Tage in der Woche sich mit harter Arbeit zu besch&auml;ftigen, um eine ganze Familie zu ern&auml;hren."<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_731.htm#F4">[4]</A></A> Es ist klar, da&szlig; hier die Produktivit&auml;t der Arbeit an sich eine Ausbeutung wohl erm&ouml;glicht, und ein Gelehrter mit echt kapitalistischer Seele, wie Malthus, ruft auch mit Tr&auml;nen bei der Beschreibung dieses irdischen Paradieses: "Welch enorme Mittel zur Produktion unendlicher Reicht&uuml;mer!"<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_731.htm#F5">[5]</A></A> Das hei&szlig;t mit anderen Worten: Wie herrlich lie&szlig;e es sich aus der Arbeit dieser Bananenfresser f&uuml;r r&uuml;hrige Unternehmer Gold schlagen, wenn man diese Faulenzer zur Arbeit anspannen k&ouml;nnte. Aber was sahen wir in Wirklichkeit? Die Einwohner dieser begnadeten Gegenden dachten nicht daran, f&uuml;r Anh&auml;ufung von Geld zu schanzen, sondern sahen nur ein bi&szlig;chen hie und da nach den B&auml;umen, lie&szlig;en sich ihre Bananen schmecken, und die viele freie Zeit lagen sie in der Sonne und freuten sich des Lebens. Humboldt sagt auch sehr bezeichnend: "Oft h&ouml;rt man in den spanischen Kolonien die Behauptung wiederholen, da&szlig; sich die Bewohner der hei&szlig;en Gegend (Tierre caliente) so lange nicht aus dem Zustand von <I>Apathie</I>, in welchen sie seit Jahrhunderten versunken sind, erheben k&ouml;nnten, als kein k&ouml;niglicher Befehl die Zerst&ouml;rung der Bananas-Pflanzungen (Platanares) verordnete."<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_731.htm#F6">[6]</A></A> [Hervorhebung - R. L.] Diese vom europ&auml;ischen kapitalistischen Standpunkt sogenannte "Apathie" ist eben der Geisteszustand aller V&ouml;lker, die noch in den Verh&auml;ltnissen des primitiven Kommunismus leben, in denen als Zweck der menschlichen Arbeit blo&szlig; die Befriedigung der nat&uuml;rlichen Bed&uuml;rfnisse des Menschen und nicht die Anh&auml;ufung von Reicht&uuml;mern erscheint. Solange aber diese Verh&auml;ltnisse vorherrschen, kann bei der gr&ouml;&szlig;ten Produktivit&auml;t der Arbeit an eine Ausbeutung der einen Menschen durch die anderen, an die Verwendung der menschlichen Arbeitskraft zur Produktion von Mehrarbeit nicht gedacht werden.</P>
<P>Allein der moderne Unternehmer hat diese angenehme Eigenschaft der menschlichen Arbeitskraft nicht als erster entdeckt. Tats&auml;chlich sehen wir <A NAME="S737"><B>|737|</A></B> die Ausbeutung der Mehrarbeit durch Nichtarbeitende schon in alten Zeiten. Die Sklaverei im Altertum wie das Fronverh&auml;ltnis und die Leibeigenschaft im Mittelalter beruhen beide auf der bereits erreichten Produktivit&auml;t, das hei&szlig;t der F&auml;higkeit der menschlichen Arbeit, mehr als einen Menschen zu erhalten. Beide sind auch blo&szlig; verschiedene Formen, in denen eine Klasse der Gesellschaft sich diese Produktivit&auml;t zunutze machte, indem sie sich von der anderen Klasse erhalten lie&szlig;. In diesem Sinne sind der antike Sklave wie der mittelalterliche Leibeigene direkte Vorfahren des heurigen Lohnarbeiters. Aber weder im Altertum noch im Mittelalter wurde die Arbeitskraft trotz ihrer Produktivit&auml;t und trotz ihrer Ausbeutung zur Ware. Das Besondere im heutigen Verh&auml;ltnis des Lohnarbeiters zum Unternehmer, was es von der Sklaverei wie von der Leibeigenschaft unterscheidet, ist vor allem die pers&ouml;nliche Freiheit des Arbeiters. Der Warenverkauf ist ja ein auf v&ouml;lliger individueller Freiheit beruhendes, freiwilliges, privates Gesch&auml;ft jedes Menschen. Ein unfreier Mensch kann seine Arbeitskraft nicht verkaufen. Ferner aber ist dazu noch als Bedingung erforderlich, da&szlig; der Arbeiter keine Produktionsmittel besitzt. H&auml;tte er solche, so w&uuml;rde er selbst Waren produzieren und nicht seine Arbeitskraft als Ware ver&auml;u&szlig;ern. Die Losl&ouml;sung, die Trennung der Arbeitskraft von den Produktionsmitteln ist also neben der pers&ouml;nlichen Freiheit, was heute die Arbeitskraft zur Ware macht. In der Sklavenwirtschaft ist die Arbeitskraft von den Produktionsmitteln nicht getrennt, im Gegenteil, sie bildet selbst ein Produktionsmittel und geh&ouml;rt neben Werkzeugen, Rohstoffen usw. als Privateigentum ihrem Herrn. Der Sklave ist selbst blo&szlig; ein Teil der unterschiedslosen Masse der Produktionsmittel des Sklavenhalters. In dem Fronverh&auml;ltnis ist die Arbeitskraft direkt rechtlich an das Produktionsmittel, an die Scholle, gefesselt, sie ist selbst nur Zubeh&ouml;r des Produktionsmittels. Die Fronleistungen und Abgaben werden ja gar nicht von Personen, sondern vom Grundst&uuml;ck geleistet; geht das Grundst&uuml;ck als Erbe oder dergleichen in andere Arbeitsh&auml;nde &uuml;ber, so mit ihm zugleich die Abgaben. Jetzt ist der Arbeiter pers&ouml;nlich frei, und weder ist er jemandes Eigentum, noch ist er an Produktionsmittel gefesselt. Im Gegenteil, die Produktionsmittel sind in einer Hand, die Arbeitskraft in anderer, und zwar stehen sich die zwei Eigent&uuml;mer als selbst&auml;ndige und freie, als K&auml;ufer und Verk&auml;ufer gegen&uuml;ber - der Kapitalist als K&auml;ufer, der Arbeiter als Verk&auml;ufer der Arbeitskraft. Endlich f&uuml;hren aber auch die pers&ouml;nliche Freiheit sowie die Trennung der Arbeitskraft von den Produktionsmitteln, auch bei hoher Produktivit&auml;t der Arbeit, nicht immer zur Lohnarbeit, zum Verkauf der Arbeitskraft. Ein solches Beispiel sahen wir <A NAME="S738"><B>|738|</A></B> im alten Rom, nachdem die gro&szlig;e Masse der freien Kleinbauern durch die Herausbildung gro&szlig;er adeliger Besitzt&uuml;mer mit Sklavenwirtschaft von ihren Grundst&uuml;cken verdr&auml;ngt wurden. Sie blieben pers&ouml;nlich freie Menschen, da sie aber keinen Grund und Boden mehr, also keine Produktionsmittel hatten, so kamen sie vom Lande her massenweise nach Rom als freie Proletarier. Indes hier konnten sie ihre Arbeitskraft nicht etwa verkaufen, denn es w&uuml;rde sich kein K&auml;ufer daf&uuml;r finden; die reichen Grundbesitzer und Kapitalisten brauchten keine gekauften freien Arbeitskr&auml;fte, weil sie sich von Sklavenh&auml;nden erhalten lie&szlig;en. Die Sklavenarbeit gen&uuml;gte damals vollst&auml;ndig zur Befriedigung aller Lebensbed&uuml;rfnisse der Grundbesitzer, die f&uuml;r sich alles m&ouml;gliche durch Sklavenh&auml;nde verfertigen lie&szlig;en. Mehr aber als zum eigenen Leben und Luxus konnten sie Arbeitskr&auml;fte nicht verwenden, weil nur eigener Konsum und nicht Warenverkauf Zweck der Sklavenproduktion war. Den r&ouml;mischen Proletariern waren somit alle Lebensquellen aus eigener Arbeit verschlossen, und es blieb ihnen auch nichts anderes &uuml;brig, als vom Bettel - vom Staatsbettel, von periodischen Verteilungen der Lebensmittel - zu leben. Statt der Lohnarbeit entstand also im alten Rom Massenf&uuml;tterung der besitzlosen Freien auf Staatskosten, weshalb der franz&ouml;sische &Ouml;konomist Sismondi sagte: Im alten Rom erhielt die Gesellschaft ihre Proletarier, heute erhalten die Proletarier die Gesellschaft. Wenn aber heute die Arbeit der Proletarier f&uuml;r eigene und fremde Erhaltung, wenn der Verkauf ihrer Arbeitskraft m&ouml;glich ist, so ist es deshalb, weil heute die freie Arbeit die <I>einzige </I>und ausschlie&szlig;liche Form der Produktion ist und weil sie als Warenproduktion eben nicht auf den direkten Konsum gerichtet ist. sondern auf Herstellung von Produkten zum Verkauf. Der Sklavenhalter kaufte Sklaven zur eigenen Bequemlichkeit und zum Luxus, der Feudalherr pre&szlig;te dem Fronbauern Leistungen und Abgaben zu demselben Zweck ab: um in Saus und Braus mit seiner Sippschaft zu leben. Der moderne Unternehmer l&auml;&szlig;t die Arbeiter nicht Gegenst&auml;nde der Nahrung, Kleidung und Luxus f&uuml;r den eigenen Gebrauch produzieren, sondern er l&auml;&szlig;t sie Waren zum Verkauf produzieren, um daf&uuml;r Geld zu l&ouml;sen. Und dieses Gesch&auml;ft eben macht ihn zum Kapitalisten, wie es den Arbeiter zum Lohnarbeiter macht.</P>
<P>So sehen wir, da&szlig; die blo&szlig;e Tatsache des Verkaufs der Arbeitskraft als Ware auf eine ganze Reihe bestimmter gesellschaftlicher und geschichtlicher Verh&auml;ltnisse hinweist. Die blo&szlig;e Erscheinung der Arbeitskraft als Ware auf dem Markt zeigt an: 1. die pers&ouml;nliche Freiheit der Arbeiter; 2. ihre Trennung von den Produktionsmitteln sowie Ansammlung der Produktionsmittel in den H&auml;nden Nichtarbeitender; 3. einen hohen Grad der <B>|739|</B> Produktivit&auml;t der Arbeit, das hei&szlig;t die M&ouml;glichkeit, Mehrarbeit zu leisten; 4. die allgemeine Herrschaft der Warenwirtschaft, das hei&szlig;t die Schaffung der Mehrarbeit in Warenform zum Verkauf als Zweck des Kaufs der Arbeitskraft.</P>
<P>&Auml;u&szlig;erlich, vom Standpunkte des Marktes, ist der Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft ein ganz gew&ouml;hnliches Gesch&auml;ft, wie sie zu Tausenden jeden Augenblick vor sich gehen, wie ein Kauf von Stiefeln oder Zwiebeln. Wert der Ware und seine Ver&auml;nderungen, ihr Preis und dessen Schwankungen, Gleichheit und Unabh&auml;ngigkeit des K&auml;ufers und Verk&auml;ufers auf dem Markt, Freiwilligkeit des Gesch&auml;fts - alles ist genauso wie bei jedem anderen Kaufgesch&auml;ft. Aber durch den besonderen Gebrauchswert dieser Ware, durch die besonderen Verh&auml;ltnisse, die diesen Gebrauchswert erst schaffen, wird dieses allt&auml;gliche Marktgesch&auml;ft der Warenwelt zu einem neuen, ganz besondern gesellschaftlichen Verh&auml;ltnis. Sehen wir weiter zu, was sich aus diesem Marktgesch&auml;ft entwickelt.</P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> David Ricardo: &Uuml;ber die Grunds&auml;tze der Politischen &Ouml;konomie und der Besteuerung. &Uuml;bersetzt und mit einer Einleitung versehen von Gerhard Bondi, Berlin 1959, S. 376. <A HREF="lu05_731.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Friedrich Alexander von Humboldt: Versuch &uuml;ber den politischen Zustand des K&ouml;nigreiches Neu-Spanien, Dritter Band, T&uuml;bingen 1812, S. 17/18. <A HREF="lu05_731.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Friedrich Alexander von Humboldt: Versuch &uuml;ber den politischen Zustand des K&ouml;nigreiches Neu-Spanien, Dritter Band, T&uuml;bingen 1812, S. 22. <A HREF="lu05_731.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Friedrich Alexander von Humboldt: Versuch &uuml;ber den politischen Zustand des K&ouml;nigreiches Neu-Spanien, Dritter Band, T&uuml;bingen 1812, S. 24. <A HREF="lu05_731.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Thomas Robert Malthus: Principles of Political Economy Considerend. With a View To Their Practical Application, London 1820, S. 383. <A HREF="lu05_731.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">[6]</A> Friedrich Alexander von Humboldt: Versuch &uuml;ber den politischen Zustand des K&ouml;nigreiches Neu-Spanien, Dritter Band, T&uuml;bingen 1812, S. 23/24. <A HREF="lu05_731.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
</BODY>
</HTML>